Top 15 der Klubgeschichte: Plätze 5 & 4

Maurice Trenner 03.01.2019
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Einleitung
Plätze 15 bis 12
Plätze 11 bis 8
Plätze 7 & 6
Plätze 5 & 4
Platz 3
Platz 2
Platz 1

Platz 5: Karl-Heinz Rummenigge

von Christian Nandelstädt

Wer um 1980 herum Fußballfan wurde, kam an einem blonden, rotbackigen, etwas schüchtern wirkenden Kerl mit gigantischen Oberschenkeln nicht vorbei. Karl-Heinz Rummenigge war der erste Fußballer, den ich als Kind bewusst wahrnahm. Die Jungs in meiner Klasse redeten in erster Linie nur von ihm und seinen Toren. Erst in zweiter von seinem Verein, dem FC Bayern München. Ich wurde also erst Rummenigge-Fan und dann Bayern-Fan. Auf dem Schulhof versuchten wir, seine Tricks nachzuspielen. Ein chancenloses Unterfangen. Rummenigge war damals auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit. 1980 wurde er nicht nur Deutscher Meister und Torschützenkönig, sondern im Sommer noch Europameister und infolgedessen Europas Fußballer des Jahres. Zur damaligen Zeit praktisch gleichbedeutend mit der Wahl zum besten Spieler der Welt.

Welcher Spielertyp war Karl-Heinz Rummenigge eigentlich? Außer, dass er bis heute der beste Torjäger des FC Bayern nach Gerd Müller ist, wissen viele jüngere Fans nicht viel von ihm. Zumindest nicht viel aus seiner Karriere als Fußballer. Die Kurzfassung: Man nehme zu gleichen Teilen eine Portion Kylian Mbappé und eine Portion Cristiano Ronaldo, garniere mit einer Prise Wayne Rooney und runde ab mit einem Hauch, aber nur einem Hauch Messi.

Die Langfassung: Rummenigge vereinte in sich Eigenschaften, aus denen man gleich mehrere Topstürmer hätte formen können: Er war irrsinnig schnell, lief die 100 Meter in deutlich unter 11 Sekunden. Gleichzeitig war er sehr kräftig und dynamisch, konnte sich in Zweikämpfen, damals noch oft ungeahndet bis auf Blut geführt, gut durchsetzen. Trotz seiner Kraft war Rummenigge außerordentlich wendig und dribbelstark. Ein typisches Rummenigge-Tor der 80er Jahre begann mit einem Ballgewinn im Mittelfeld auf den ein langer Lauf in Richtung Strafraum folgte, bei der zwei bis drei Gegenspieler wie Slalomstangen umdribbelt oder schlicht überrannt wurden und endete mit einem wuchtigen Torabschluss an der Strafraumkante. Ein Trademark-Tor war das jedoch nicht. Dafür war Rummenigge zu vielseitig. Er war kopfballstark, schoss sicher Elfmeter, bewegte sich geschickt in freie Räume, um Pässe von Paul Breitner anzunehmen. Ich habe nicht die exakte Statistik, aber Rummenigge war außerhalb des Strafraums ähnlich abschlussstark wie innerhalb. Da waren Fallrückzieher und Seitfallzieher dabei, Volleyschüsse und Knipsertore direkt vor der Linie. Ganz selten erlaubte er sich auch mal eine arrogante Aktion. Ich erinnere mich an eine Szene, bei der er alleine mit Ball aufs leere Tor zulief, den Ball auf der Torlinie stoppte, um ihn dann langsam einzuschieben.

Aber auch ein Karl-Heinz Rummenigge war nicht von Anfang an so gut, wie in den frühen 80ern. Seine Anfänge beim FC Bayern waren hart. Er kam als Billigeinkauf für rund 9.000 Euro aus Lippstadt in eine Mannschaft voller satter Stars, die alles gewonnen hatte und sich nur noch in Europapokalspielen motivieren konnte.

Sein Bruder Michael erzählte in einem Interview mit der tz 2015 von diesen schweren Anfängen:
„Wenn man als 18-Jähriger 1974 von Lippstadt nach München geht und dir dort von sechs Weltmeistern gesagt wird „Was willste eigentlich hier?“ – da musste meine Mutter nach drei Wochen nach München kommen, hat sich bei Kalles damaliger Freundin und heutigen Frau Martina einquartiert, bis alles wieder gut war. Dann nahm alles seinen Lauf, mit Udo Lattek, mit Dettmar Cramer, der ein Glücksfall war für Kalle, der ihn geformt hat. Und er hat gelernt, aufgesaugt und getan.“

Der anfangs extrem schüchterne Spieler, der rot wurde, wenn er Franz Beckenbauer etwas fragte und vom Trainer mit einem Gläschen Cognac vorm Anpfiff beruhigt werden musste, brachte neben einem riesen Talent noch etwas entscheidendes mit: Ehrgeiz.

Er arbeitete unter Dettmar Cramer härter als jeder andere Spieler im Kader, trainierte nach eigener Aussage „12 mal die Woche, während die anderen 6-7 Einheiten hatten“. Cramer glaubte an ihn, setzte Rummenigge immer wieder ein, auch wenn er in seinen ersten Spielzeiten als Chancentod galt. Als jemand der vor lauter Nervosität im Training die Bälle verstolperte – „Rumgeflippe“. Als mit Gerd Müller dann die lebende Legende und das unerreichbare Vorbild 1979 den Verein verließ, konnte Rummenigge aufblühen. Mit preußischer Disziplin und dem Willen, der Beste zu werden, wurde er der Beste seiner Zeit. Fast immer an seiner Seite: Paul Breitner, der sich mit Rummenigge blind verstand. Paul, zweikampfstarker Wühler mit überragendem Auge für den freien Mann fand Rummenigge, seinen Vollstrecker, überall. Die Presse machte daraus die Wortschöpfung „Breitnigge“. Mit Recht. Im Jahr 1981 wurden beide erneut Deutscher Meister mit den Bayern. Während Rummenigge wie schon 1980 die Torjägerkanone erhielt, wurde Breitner zu Deutschlands Fußballer des Jahres ernannt. Bei der Wahl zu Europas Fußballer des Jahres kam Rummenigge nach 1980 erneut auf Platz 1 – und Breitner auf Platz 2. Was für ein Duo, was für eine große Zeit.

Vereine im Ausland wurden aufmerksam auf den blonden Topstürmer. Allen voran der FC Barcelona. Der Legende nach wäre Kalle nicht abgeneigt gewesen, doch seine Frau wollte angeblich nicht nach Spanien. So blieb Rummenigge den Bayern erhalten. Vorerst. Doch im Jahr 1984 war es dann soweit: Rummenigge wechselte als Torschützenkönig und DFB-Pokalsieger mit 28 Jahren über die Alpen nach Mailand. Zu Inter. Für die damals rekordverdächtige Ablösesumme von 5,5 Millionen Euro. Nur „rekordverdächtig“, weil im selben Jahr Diego Maradona für 12 Millionen Euro zum SSC Neapel wechselte. Die damals gut 11 Millionen Mark sanierten den verschuldeten FC Bayern – und verschafften Uli Hoeneß erstmals einen finanziellen Spielraum, den der Manager in den kommenden Jahrzehnten exorbitant erweitern konnte. Die Rummenigge-Ablöse floss in den Schuldendienst (4 Mio Euro) und in die exzellenten Transfers von Lothar Matthäus (1,2 Mio Euro) und Roland Wohlfarth (0,5 Mio Euro).

Rummenigges Zeit bei Inter Mailand blieb titellos. Er schoss in 107 Spielen 44 Tore, war häufig verletzt. Und dennoch bezeichnete er in einem Interview diese Zeit als „schönste Zeit in meinem Leben.“ Vielleicht, weil er die italienische Lebensart kennen- und lieben lernte. Weil er verstand, dass im Leben nicht nur Ehrgeiz und Disziplin zählen, sondern man auch mal locker lassen und genießen sollte.

Der Rummenigge-Weggang war für den Bayernfan eine Katastrophe. Da ging eine Welt unter. Wie sollte jemals wieder ein Titel geholt werden, ohne Rummenigges Torgarantie? Die Antwort gaben Matthäus, Wohlfarth und auch Kalles Bruder Michael: Der FC Bayern wurde von 1985 bis 1987 dreimal Deutscher Meister.

Und Kalle? 1987, mit fast 32 Jahren, wechselte er ablösefrei in die Schweiz zu Servette Genf. Ein bewusst geplanter Karriereausklang. Zwei schöne Jahre, wie er mir im Interview für meinen Blog Ende 2017 verriet: „1989 habe ich noch in Genf bei Servette gespielt, das war ein kleiner Club mit deutlich weniger Zuschauern als vorher in München oder Mailand. Eine interessante Erfahrung, weil ich erstmals professionellen Fußball ohne Druck erfahren habe. Die Schweizer Kollegen haben sich immer über mich gewundert: „Sag mal, Deutscher, Du bist nie aufgeregt. Du bist immer entspannt.“ Ich habe geantwortet: „Ja klar, soll ich mir jetzt auch hier noch Druck machen?“ Am Ende des zweiten Vertragsjahres spürte ich, dass mir die Motivation fehlte, noch eine Saison dranzuhängen.“

Hier am Genfer See endet 1989 die große Karriere des Fußballers Karl-Heinz Rummenigge. Nach 578 Spielen und 293 Toren. Im Trophäenschrank stehen ein Europameistertitel, zwei Vize-Weltmeistertitel, zwei Europapokale der Landesmeister, ein Weltpokal, zwei Deutsche Meisterschaften und zwei Pokalsiege. Dazu diverse persönliche Auszeichnungen.

Seine zweite Karriere als Funktionär kann man bis heute verfolgen. Über diese Jahrzehnte habe ich ausführlich in meinem Blog berichtet. Unvergessen wird er mir jedoch immer als der fantastische Fußballer bleiben, wegen dem ich zum Bayernfan wurde.

Platz 4: Oliver Kahn

von Tobi (@redrobbery)

„Weiter, immer weiter!“ – selten gelang es einem Fußballprofi so gut, das eigene Wesen zu beschreiben. Aufgeben war für Oliver Kahn nie eine Option. Selbstzweifel waren für ihn der erste Schritt zur Niederlage. Nicht nur deshalb gilt er vielerorts – trotz namhafter Konkurrenz – als der beste Torhüter der Vereinsgeschichte.

Verglichen mit anderen Vereinslegenden kam Oliver Kahn erst spät zum FC Bayern. So verpflichtete man den damals 25-Jährigen für knapp 5 Mio. DM vom Karlsruher SC. Schon in seiner Heimatstadt überzeugte Kahn national wie international – schließlich war er in seiner letzten Saison ein Teil der legendären UEFA-Pokal-Kampagne, in welcher der KSC ein 7:0 über Valencia feierte und erst im Halbfinale an der Auswärtstorregelung scheiterte. Schon hier kassierte der ehrgeizige Torwart nur sieben Gegentore in zehn Spielen, fünfmal spielte er zu null.

Nach dem Bankerlebnis der WM 1994 übernahm Kahn beim FC Bayern die Rolle des Stammtorhüters von Raimond Aumann, der in die Türkei wechselte. Das erste Jahr war kein leichtes. In der Bundesliga landete man nur auf Platz sechs. Oliver Kahn selbst konnte nur 23 Ligaspiele absolvieren – dies sollte sein Tiefstwert bleiben.

Im Folgejahr gewann er dann den ersten Titel seiner Karriere. Völlig untypisch, wie vieles bei Kahn: es war ein internationaler Wettbewerb. Der FC Bayern konnte den „Verlierer-Cup“ (offiziell UEFA-Pokal) gewinnen. Nur Wochen später durfte Kahn (weiterhin in der Ersatzrolle) sogar für die Nationalmannschaft die EM-Trophäe in den Himmel strecken.

Nun entwickelte sich ein Titelhunger, der nie gestillt werden konnte. Kahns Ausbeute ist bemerkenswert: acht Meisterschaften, sechs Pokalsiege, UEFA-Pokal, Champions League, Weltpokalsieger, Europameister.

Die einzige Lücke im Trophäenschrank ist eine tragische: Oliver Kahn wurde nie Weltmeister. Drei seiner vier WM-Teilnahmen waren nur in passiver Rolle. Nur einmal – bemerkenswert bei dieser Karriere – betrat er diese Bühne als Stammtorwart. In Japan und Südkorea lieferte Kahn die wohl dominanteste Torhüterleistung der langen WM-Geschichte. Fünf der sieben absolvierten Spiele zeigten ihn in Weltklasseform – gegen Saudi-Arabien war er nicht gefordert, im Endspiel wurde er zur tragischen Figur. Hätte er die staubtrockene Nationalmannschaft gegen Brasilien zum Titel geführt, würde sein Name in den Geschichtsbüchern der FIFA neben Maradona und Pelé stehen.

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Über die Leistungen des Oliver Kahn beim FC Bayern muss nicht viel gesagt werden. Jeder, der diese Zeit miterleben durfte, erinnert sich gerne daran. In einer Zeit, als der Verein meist defensiv und abwartend auftrat, rettete er nahezu im Wochentakt die Ergebnisse über die Zeit.

Es gibt zahlreiche Geschichten und Anekdoten, die einem jeden Fußballfan zu Oliver Kahn einfallen. Aus Bayernsicht sollen hier nur drei erwähnt werden, die den Typen Kahn verkörpern.

Berühmt-berüchtigt ist der Golfballwurf von Freiburg. Im April 2000 entwickelte sich im sonst beschaulichen Freiburg eine hitzige Partie, die ihren Tiefpunkt in der genannten Tat fand. Bemerkenswert und symbolisch war jedoch die Reaktion Kahns auf diesen Vorfall. Keine Theatralik, kein schleichender Abgang – für Kahn war die einzige Option der Sieg. Er stellte sich stark gezeichnet zurück ins Tor, die wütende Meute inklusive Täter erneut im Rücken. Nachgeben wäre Aufgeben und Aufgeben kennt Kahn nicht.

Der größte Moment seiner Karriere dürfte wohl eine Woche im Mai 2001 gewesen sein: Last-Minute-Meister und direkt im Anschluss Champions-League-Sieger. Unvergesslich sind die Paraden im Elfmeterschießen gegen (wieder mal) Valencia, doch viel bezeichnender war eine kleine Aktion in Hamburg eine Woche zuvor. In der Aufregung des indirekten Freistoßes marschierte Kahn in den gegnerischen Strafraum, um gezielt mit seiner körperlichen Präsenz für Unruhe und Lücken beim Gegner zu sorgen. Ob seine Aktion irgendeinen Unterschied gemacht hat, weiß niemand. Dass er aber alles in seiner Macht stehende versucht hat, um die Erfolgschance minimal für seine Mannschaft zu beeinflussen, ist typisch Kahn.

Die dritte Erinnerung ist eine vermeintlich unscheinbare. Im Herbst seiner Karriere durften Kahn und der FCB im DFB-Pokal nach St. Pauli. Es war ein zähes, unangenehmes Spiel in einer schwierigen Phase – nur Tage zuvor wurde seine Degradierung in der Nationalmannschaft bekanntgegeben. Die Mannschaft kam trotz Führung nicht richtig in Tritt, es roch (neben vielen anderen Dingen am Millerntor) nach Sensation. Kapitän Kahn hatte ein sehr gutes Gespür für solche Momente. Mit fortlaufender Spielzeit trat er immer aggressiver auf und legte sich mit Gegenspielern an. Bei ihm war dies aber kein Kontrollverlust. Solche Aktionen waren gezielt eingesetzt, um Gegnern wie Mitspielern in entsprechende emotionale Bahnen zu lenken und den Spielverlauf zu Gunsten seiner Mannschaft zu verändern.

Kalkuliert impulsiv, ganzheitlich dominant und zu 100% auf den Erfolg fokussiert – so war Kahn.

In der Zeit von etwa 1998 bis 2003 lieferte Kahn zuverlässig Weltklasseleistungen. Es dürfte eine der dominantesten Torhüterphasen der Fußballgeschichte gewesen sein. Auftritte wie im Bernabeu in der legendären 2001er-Saison, als Kahn das Starensemble der Madrilenen über 90 Minuten zur Verzweiflung brachte, waren mehr Regel als Ausnahme. Vereinsintern kam die Neuer-Ära von 2012 bis 2017 zwar in ähnliche Sphären, ging jedoch mit einem dominanteren Mannschaftsgefüge einher und ist daher schon quantitativ unterlegen.

Nur wenige Spieler haben die notwendige Ausstrahlung, um eine gesamte Mannschaft zu beeinflussen, geschweige denn den Gegner mental zu manipulieren. Oliver Kahn konnte dies. Vielen Stürmern sah man schon vor dem Torschuss die Angst vor dem Scheitern an. Kahn war so selbstbewusst und dominant, dass er seine Gegner schwächte, wie er sich selbst und seine Vorderleute stärkte.

Im torwarttechnischen Bereich war Oliver Kahn einer der ganz Großen. Im psychologischen Bereich gab es kaum einen Besseren. Nur eine Schwäche hatte Kahn: Sammy Kuffour.