Scouting-Report: Lucas Hernández

Tobias Trenner 04.01.2019

Arjen Robben hat bereits verkündet, dass es seine letzte Saison bei den Bayern werden wird, Rafinha zog nach und verkündete das Gleiche. Neben Arjen Robben gibt es auch genug Fragezeichen um seinen ewigen kongenialen Partner Franck Ribéry. Ob der Vertrag des Franzosen noch einmal verlängert wird, bleibt abzuwarten. Neben den beiden Flügelspielern und Rafinha gibt es noch viele weitere Kandidaten, die auf dem Prüfstand sind. Allen voran Mats Hummels, Jérôme Boateng und Javi Martínez. Entsprechend sind die Gerüchte um eine Verpflichtung eines weiteren Innenverteidigers nicht wirklich überraschend. Seit Wochen wird spekuliert, ob Lucas Hernández von Atlético Madrid nach München wechseln wird. Wir stellen euch den hierzulande noch unbekannten Franzosen genauer vor.

Doch bevor wir auf die Stärken und Schwächen des Weltmeisters von 2018 blicken, sollten wir das Anforderungsprofil an einen Innenverteidiger bei den Bayern definieren.

Verteidiger bei Bayern – eine schwierige Aufgabe

Das Spiel der Münchner zeichnete sich über die letzten Jahre immer durch hohen Ballbesitz, Spielkontrolle und dominanten Fußball aus. Seitdem Louis van Gaal seine Ideen des Spiels in München implementierte, müssen die Innenverteidiger grundsätzlich spielstark sein. Darüber hinaus schob van Gaal wie auch seine Nachfolger Heynckes, Guardiola und Ancelotti die Verteidigung während der Ballbesitzphase bis nahe an die Mittellinie. Guardiola teilweise sogar noch weiter nach vorne.

Durch eine hohe Abwehrkette ergeben sich mehr Anspielstationen in der gegnerischen Hälfte und der Ball kann schneller bewegt werden. Viele Kritiker argumentieren, dass eine hohe Abwehrkette sehr leicht auszukontern ist. Diese Kritik mag in Teilen stimmen, lässt aber wichtige Vorteile hochstehender Innenverteidiger außer Acht. Dadurch, dass die Verteidiger an der Mittellinie stehen, sind die Abstände im Umschaltmoment kleiner. Sollte sich der Gegner aus dem Gegenpressing befreien, können die Innenverteidiger oder einer der Sechser sofort nachsetzen. Des Öfteren kann ein Konter so verlangsamt oder verhindert werden.

Natürlich besteht die Gefahr, dass ein Pass hinter die Abwehr gespielt wird. Aus diesem Grund müssen die Innenverteidiger nicht nur einen guten Antritt, sondern auch eine gute Grundgeschwindigkeit mitbringen. Intelligentes Antizipieren ist darüber hinaus essenziel, um viele Gefahren bereits im Keim zu ersticken. Des Weiteren geraten die bayrischen Innenverteidiger häufiger in 1vs1 Duelle, an der Stelle möchte ich nur an das Rückspiel 2017 in Madrid erinnern. Boateng und Hummels zeigten damals wohl eine der besten individuellen Verteidigungsleistungen.

MUNICH, GERMANY - SEPTEMBER 06: Jerome Boateng of Germany is challenged by Lucas Hernandez of France during the UEFA Nations League Group A match between Germany and France at Allianz Arena on September 6, 2018 in Munich, Germany. (Photo by Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)
Bald Konkurrenten beim FC Bayern?
 (Quelle: Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)

Fassen wir kurz zusammen. Da Niko Kovač nur kleinere Anpassungen vorgenommen hat, ist das Anforderungsprofil an einen Innenverteidiger immer noch ähnlich. Zum einen ist es wichtig, dass der Innenverteidiger spielstark ist. Genaue Pässe ins Mittelfeld sind gerade unter Kovač wichtig. Weiterhin ist es von Nöten, dass der Verteidiger schnell, zweikampfstark und spielintelligent ist. Ob Lucas Hernández das alles mitbringen würde, analysiere ich im nächsten Abschnitt.

Lucas Hernández, Außenverteidiger oder Innenverteidiger

Der Franzose, dessen Vater spanische Wurzeln hat, ist ein Eigengewächs von Atlético. Sein Debüt für das Profiteam feierte er in der Saison 2014/15 und entwickelte sich seitdem stetig weiter. Kurz vor der WM 2018 gab er dann auch sein Debüt für die französische Nationalmannschaft nachdem er eine überzeugende Saison für Atlético spielte. Zu Gute kommt ihm seine Flexibilität. Der 1,83 m große Verteidiger kann als Innenverteidiger, aber auch als linker Außenverteidiger auflaufen. Letztlich verhalf ihm diese Flexibilität zu einem Stammplatz als Linksverteidiger in der Nationalmannschaft.

Speziell seine athletischen Fähigkeiten stechen heraus. Lucas ist unheimlich schnell und kann viele Stürmer, die hinter die letzte Linie seines Teams gelangten, noch abfangen. Seine Schnelligkeit wäre mit Sicherheit einer der ausschlaggebenden Faktoren für einen Transfer zu den Bayern. Grund dafür sind die Probleme, die Hummels und Boateng gegen schnellere Gegenspieler offenbaren. Doch der Franzose ist nicht nur schnell. Er bringt auch ein hohes Maß an Spielverständnis mit. Zwar sieht man von ihm immer wieder heroischen Grätschen, allerdings ist sein Timing sehr gut. Selten foult Lucas seinen Gegenspieler, nicht ohne Grund erhielt er in 105 Partien für Atlético nur sieben gelbe Karten.

Unter der Regie von Diego Simeone hat sich Lucas kontinuierlich weiterentwickelt. Wie so viele Atlético Akteure hat er ein gutes Gespür für den Raum und die Situation. Selten wird er auf dem falschen Fuß erwischt oder rückt zu schnell aus seiner Position. Im Vergleich zu vielen Bundesliga-Verteidigern übersieht Lucas selten einen Gegenspieler, da er nicht zu sehr auf den Ball fixiert ist. Ganz im Gegenteil, wer den Franzosen länger beobachtet, dem fällt auf, dass er sich ständig umschaut, um möglichst viele Informationen aufzunehmen und die beste Entscheidung zu treffen. Gerade als Innenverteidiger, die Position, die er bei Atlético aktuell regelmäßig spielt, ist diese Eigenschaft wichtig. Das regelmäßige Umschauen garantiert die richtige Positionierung und ein erfolgreiches Verteidigen von Gegenspieler, die sich in seinem Rücken in Richtung des Tores bewegen.

MADRID, SPAIN - AUGUST 25: Lucas Hernandez of Club Atletico de Madrid challenges Gorka Elustondo Urkola of Rayo Vallecano de Madrid during the La Liga match between Club Atletico de Madrid and Rayo Vallecano de Madrid at Wanda Metropolitano on August 25, 2018 in Madrid, Spain. (Photo by Denis Doyle/Getty Images)
Robust im Zweikampf
(Quelle: Denis Doyle/Getty Images)

Darüber hinaus ist Lucas ein sehr aggressiver, giftiger Spieler im Zweikampf. Mit nur 0,8 Fouls pro 90 Minuten schafft er es viele seiner Zweikämpfe fair zu führen und hat dabei eine hohe Erfolgsquote. Kleinere Probleme kann man beim Herausrücken entdecken. Zwar ist sein Timing meistens gut, wenn er weiträumig aus der Position schiebt, allerdings konnte man vereinzelt beobachten wie er noch einen Schritt zu langsam war, wenn es darum ging den Gegner am Aufdrehen zu hindern. Alles in allem sind das aber kleine Details, die sich mit der Zeit beheben werden. Gegen den Ball kann man sonst von einem sehr starken Akteur sprechen. Lucas Hernández bringt alle Eigenschaften mit, die ein Verteidiger beim FC Bayern benötigt und könnte gerade mit seiner Schnelligkeit eine direkte Verstärkung sein.

Das Spiel mit dem Ball

Die defensiven Eigenschaften müssen vorhanden sein, um ein guter Innenverteidiger zu sein. Doch gerade in einem Team wie Bayern München, das so viel Ballbesitz hat, spielt auch die spielerische Komponente eine tragende Rolle.

Als Innenverteidiger machte Lucas Hernández bisher einen sehr ruhigen Eindruck. Im Spiel von Atlético Madrid haben die Innenverteidiger keine tragende Rolle im Aufbauspiel. Viele seiner Pässe sind sichere Pässe zum nächsten Mann. Doch vereinzelt zeige Lucas bereits, dass seine flachen Pässe, die eine Linie überspielen, sehr präzise gespielt sind. In diesem Bereich kann sich der Franzose sicherlich noch verbessern. Das Potenzial, um das Aufbauspiel der Bayern voranzubringen, bringt er aber mit.

Neben der Rolle als Innenverteidiger kann Lucas eben auch als Außenverteidiger auflaufen. Hier ist er in der Offensive eine nicht zu unterschätzende Gefahr für jeden Gegner. Seine Ballführung ist exzellent und die Entscheidungsfindung gut. Durch seine schnellen Vorstöße sorgte er bei der Nationalmannschaft bereits für jede Menge Gefahr beim Gegner.

Bei Frankreich wurde er oft nach Seitenwechseln in Szene gesetzt. Dabei stieß er erst etwas später weiter nach vorne, konnte dann aber mit Tempo die gegnerische Abwehrkette attackieren. Besonders seine Flanken entpuppten sich als wertvolle Waffe gegen tieferstehende Gegner. Die verschiedenen Flankenvarianten, die Lucas in seinem Repertoire hat, weiß der Franzose perfekt einzusetzen, was von hoher Spielintelligenz zeugt. Auch bei den Bayern könnten diese Fähigkeiten sicherlich gut genutzt werden. Stellt sich die Frage, für welche Position wäre Lucas Hernández eigentlich eingeplant?

Wie könnte Niko Kovač ihn nutzen?

Die naheliegende Antwort ist, dass Lucas als weitere Alternative in der Innenverteidiger darstellen würde. Boateng und auch Mats Hummels schwächeln seit geraumer Zeit. Lucas könnte die benötigte jüngere Ablösung für die beiden Weltmeister sein. Zusammen mit Niklas Süle würde er ein gutes Innenverteidiger-Duo abgeben. Beide verfügen über die athletischen Fähigkeiten, um schnelle Angreifer in Schach zu halten und das Aufbauspiel der Bayern zu lenken. Außerdem ist Lucas Linksfuß und könnte dementsprechend die Position als linker Innenverteidiger perfekt ausfüllen.

Vermutlich würde er auch hin und wieder als Linksverteidiger auflaufen. Nach dem Abgang von Juan Bernat gibt es hier keinen gelernten Linksverteidiger neben David Alaba. Der Österreicher bleibt allerdings selten von Verletzungen verschont. Ein Backup könnte Alaba die nötigen Pausen verschaffen.

Die dritte Möglichkeit, ist wohl die Interessanteste. Bereits bei der Eintracht setzte Niko Kovač auf eine Dreier-/Fünferkette, bei den Bayern kam diese bisher noch nicht zum Einsatz. Vor der Saison sprach Kovac über Flexibilität, auch im Spielsystem. Gesehen haben wir davon bisher wenig. Mit Lucas hätte Kovač die Möglichkeit mit drei Innenverteidigern zu starten. Der Franzose könnte dann entweder halblinks agieren, oder statt David Alaba auf der linken Seite auflaufen. Da der Österreicher aktuell noch als spielerisch stärker einzuschätzen ist und seine Dynamik am Ball das Pressing des Gegners vor Herausforderungen stellt, könnte auch er als Halbverteidiger auflaufen.

Fazit

Für Lucas Hernández würden die Bayern nun erstmals die Geldschatulle weit öffnen. In Zeiten von immer höheren Ablösesummen, ist dies nur eine Frage der Zeit. Mit dem Franzosen würden die Bayern einen hochtalentierten Verteidiger erhalten, der alle Anlagen mitbringt, um einer der besten Verteidiger der Welt zu werden. Der junge Verteidiger könnte eine tragende Rolle in der Zukunft des Vereins spielen und der Umbruch würde weiter vorangetrieben werden. Zu hoffen bleibt, dass Lucas nicht wie andere Atlético-Akteure, auch außerhalb von Simeones System auf Weltklasseniveau performen kann. Da er aber auch bei der französischen Nationalmannschaft starke Leistungen zeigte, ist diese Sorge wahrscheinlich unbegründet. Sollte er die bisherigen Eindrücke bestätigen und sich weiterentwickeln, könnte sich jeder Fan des FC Bayern auf Lucas freuen.