Vorschau: VfL Wolfsburg – FC Bayern München
Am Dienstagabend soll Manuel Neuer die Niederlage gegen Frankreich erklären. Nach einer eher weniger guten Partie gegen die Niederländer konnte die deutsche Nationalmannschaft immerhin beim Weltmeister eine ordentliche Leistung abrufen. Der Torwart sucht dennoch nach den richtigen Worten. Sichtlich ringt er um eine Erklärung, die seine Mannschaft in ein positives Licht rückt. Es sei ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. Seine Blicke wandern dabei um die Kamera herum, aber nie in die Augen des Gegenübers oder direkt in die Kamera.
Taugt Kovač als Psychologe?
Es ist bezeichnend für die aktuelle Situation. Neuer hat dabei überhaupt keinen Grund, seiner Erklärung eine Einschränkung hinzuzufügen. Deutschland hat gegen Frankreich tatsächlich eine engagierte und couragierte Leistung gezeigt, verlor schließlich aber durch Kleinigkeiten. Im Fußball ist das normal. Nur liegt das letzte Erfolgserlebnis eben lange zurück und da ist jede weitere Niederlage ein gelungener Ansatz für Grundsatzdebatten.
Der Erklärungszwang ist derzeit das Resultat einer Erwartungshaltung, die selbstverständlich erscheint. Große Mannschaften sollten in der Lage sein, auf Augenhöhe mit großen Mannschaften zu sein. Es gibt daher keine Ausreden für deutliche Niederlagen. Das Zugeständnis, auch mal ein Spiel verlieren zu dürfen, ist längst aufgebraucht. Vielerorts wird aber missachtet, dass die aktuelle Negativserie auch für Weltklasse-Spieler mentale Schwierigkeiten hervorrufen kann. Thiago verlor unter der Woche 2:3 gegen England, Lewandowskis polnische sowie die deutsche Nationalmannschaft werden sehr wahrscheinlich aus ihren Nations-League-Gruppen absteigen.
Hummels, Müller, Boateng und viele andere Spieler des FC Bayern haben nicht nur mit der eigenen Form, sondern vor allem mit einer Verkettung von Negativerlebnissen zu kämpfen. Seit dem 22. September, dem 2:0-Erfolg auf Schalke, konnten sie kein Spiel mehr gewinnen. Das sind fast vier Wochen. In München werden im Moment viele Fragen gestellt. Die wichtigste dürfte aber sein: taugt Niko Kovač als Psychologe?
Richtungsweisende Wochen
Unter der Woche analysierten wir die taktischen Problemstellen des Rekordmeisters. Die Baustelle Positionsspiel begleitet die Münchner quasi seit dem Abgang Pep Guardiolas. Gerade im Zentrum fehlt es oft an Präsenz, die in den vergangenen Jahren zunehmend weniger von den offensiven Außenspielern aufgefangen werden konnte.
Kovač muss nun die Köpfe der Spieler freibekommen, seine bisherigen taktischen Ansätze hinterfragen und für schnelle Erfolgserlebnisse sorgen, um das Selbstverständnis dieser Mannschaft wieder hervorzuholen. Es ist die frühe Probe, ob der Trainer dem Job an der Säbener Straße gewachsen ist. In den kommenden Wochen muss er beweisen, dass er trotz der vielschichtigen Probleme, für die er oft wenig bis gar nichts kann, in der Lage dazu ist, das Ruder rumzureißen.
Gegen den VfL Wolfsburg sollte niemand davon ausgehen, dass die Bayern ein Feuerwerk abbrennen. Ein Sieg ist Pflicht – das ist klar. Auch die Art und Weise wird entscheidend sein, um in den nächsten Spielen Schritt für Schritt dorthin zurückzukommen, wo man am Anfang der Saison schon mal war. Der erste Schritt wäre ein souveräner Sieg, bei dem sich die Mannschaft von Niko Kovač wieder eine Vielzahl von Chancen erspielt und selbst wenig zulässt. Das wäre wichtig fürs Selbstvertrauen.
Labbadia-Fußball in Wolfsburg
Dass Bruno Labbadia als Trainer von 17 Begegnungen mit dem FC Bayern nur zwei gewinnen konnte und den Rest verlor, spielt dem Deutschen Meister mit Sicherheit in die Karten. Die letzten 13 Duelle zwischen den Mannschaften des Ex-Stürmers und den Münchnern gingen allesamt an den FCB – bei 39 zu 12 Toren.
Auch die Wolfsburger spielen unter ihm einen Fußball, der klar seine Handschrift trägt. Labbadia mag Tempo in Umschaltsituationen, teilweise mannorientiertes Pressing und Aggressivität. Mit viel Laufbereitschaft zeichnen sich seine Teams vor allem durch Tempogegenstöße aus. Eigentlich klingt das nach einem Mittel, das dem FC Bayern Probleme bereiten könnte. In der Liga machte der VfL bisher vor allem gegen Teams, die auf dem Papier stärker sind, einen guten Eindruck.
Krisensituationen, fehlende individuelle Qualität, taktische Abstimmungsfehler, zu große Abstände, zu wenige Entlastungsphasen – die Gründe für die vielen Niederlagen des Trainers gegen den Serienmeister sind vielschichtig und bei jeder Partie individuell zu begründen. In Wolfsburg hat Labbadia nun aber nicht nur einen individuell ordentlich besetzten Kader zur Verfügung, sondern auch eine Mannschaft, die in den letzten Wochen ein bisschen Selbstvertrauen tanken konnte.
Hertha als Vorbild?
Auf dem Papier ist der letzte Sieg der Wölfe (3:1 in Leverkusen am 1.9.) zwar länger her als der des FC Bayern, doch die Bewertung der letzten Auftritte fällt deutlich positiver aus. Gegen Bremen verloren sie ein Spiel mit 0:2, in dem sie lange engagiert, motiviert und aggressiv in die Zweikämpfe gingen. Gerade in der Anfangsphase war der VfL das bessere Team.
Mit Mannorientierungen im Zentrum und den schnellen Pässen in die Spitze erspielten sich die Wolfsburger einige gute Ansätze zu Chancen. Die spielstarke Werder-Offensive kam kaum zum Zug. Allerdings fehlte der Mannschaft bisher eine Idee im letzten Drittel, um spielerisch in gute Abschlusspositionen zu kommen. Oft versandeten die Angriffe mit Flanken im Nichts.
Labbadia wird sich die letzten Spiele der Bayern aber genau angeschaut haben. Mit Mannorientierungen im Zentrum, viel Laufarbeit und etwas Glück in Konter- und Abschlusssituationen wird er versuchen, es den Berlinern beispielsweise gleich zu machen. Dafür wird seine Mannschaft eine große Effizienz vor dem Tor zeigen müssen.
Wilde Erklärungsversuche oder ein erster Schritt?
Am Samstag wird man sehen, ob Niko Kovač gegen dieses taktische Mittel eine Lösung findet. Vor der Länderspielpause kündigte er an, Dinge verändern zu müssen. Bisher gingen diese Veränderungen kaum über personelle Wechsel hinaus. Gerade im taktischen Bereich ergäbe es aber Sinn, die hohen Achter auszubalancieren, die Zentrumspräsenz zwischen den Linien zu erhöhen und neben der Einbindung der Flügel vor allem auch den Spielaufbau durchs Zentrum zu stärken.
Die vielen Ballverluste entstanden nämlich nicht nur aus den nachvollziehbaren Unsicherheiten der Spieler, sondern auch durch gruppentaktische Defizite, an denen das Trainerteam arbeiten muss. Wie positioniert sich die Mannschaft, um bei Ballverlusten das berüchtigte Gegenpressing wieder zuschnappen zu lassen? Wie kommen die Bayern wieder gefährlich in den Strafraum? Wie schaffen sie es, die Mannorientierungen des Gegners für sich selbst auszunutzen? Diese Fragen sind entscheidend.
Wolfsburg ist dabei nur ein erster Schritt auf einem Weg, der derzeit durch viele Faktoren erschwert wird. Es geht primär darum, drei Punkte zu holen. Sekundär ist es wichtig, Fortschritte in allen Bereichen zu erzielen. Die nächsten sechs Spiele scheinen auf dem Papier gute Möglichkeiten zu sein, Schritt für Schritt aus dieser Krise zu kommen. Doch ob die Mannschaft am Ende in Interviews erneut nervös und ratlos nach Erklärungen sucht oder ob sie zeitnah das bayrische Selbstverständnis zurückerlangt, hängt nicht von den Gegnern sondern vor allem vom FC Bayern selbst ab.
Das Thesen-Duell
Die Regeln findet ihr hier. Die Zahl für These 3 wurde diesmal von Fatbardh gewählt. Kurzfristige Änderungen sind bis zum Spieltag noch möglich.
Ergebnis des letzten Spieltags: Justin 1,8 : 2,6 Fatbardh
Zwischenstand insgesamt: Justin 29 : 23,4 Fatbardh
Justins Tipps
- Torschütze: Arjen Robben
- Freie These: Bayern wird bei Expected Goals mit mindestens 2 Toren vor dem VfL Wolfsburg liegen. Maßstab: understat.com
- Über/Unter 3,5: Unter!
- Aufstellung: Neuer – Kimmich, Hummels, Süle, Alaba – Thiago – James, Goretzka – Ribéry, Lewandowski, Robben
Fatbardhs Tipps
- Torschütze: James Rodríguez
- Freie These: Wolfsburg trifft nicht.
- Über/Unter 3,5: Unter!
- Aufstellung: Neuer, Kimmich, Süle, Hummels, Alaba, Thiago, Sanches, James, Robben, Lewandowski, Gnabry