Hansi Flick bleibt Cheftrainer: Der Grundstein ist gelegt

Justin Trenner 04.04.2020

In Zeiten von Corona müssen selbst Klubs wie der FC Bayern München genau abwägen, welche Ausgaben Sinn ergeben und welche nicht. Doch Karl-Heinz Rummenigge machte unmissverständlich klar, dass dies nicht für die bevorstehenden Vertragsverlängerungen gelte. Von „fairen Angeboten“ sprach der Vorstandsvorsitzende.

Am Freitagnachmittag konnte der Rekordmeister nun erstmals Vollzug vermelden. Mit Hansi Flick verlängerte der aktuelle Cheftrainer bis 2023. Somit herrscht vorerst Sicherheit auf der vielleicht wichtigsten Position im sportlichen Bereich.

Die Spieler sind es zwar, die auf dem Platz mit ihren Entscheidungen und ihrem Talent den Unterschied machen, doch Trainer geben ihnen im besten Fall einen Rahmen, in welchem sie sich bestmöglich entwickeln können. Sie sind, wie es Tobias Escher in seinem Buch „Die Zeit der Strategen“ passend formulierte, das Zahnrädchen, um das sich alles dreht.

„Zusammen“ in die Zukunft

Dementsprechend verwundert es auch nicht, wenn Hansi Flick ein „Vetorecht“ bei Transfers und damit verbunden eine gewisse Macht in der Kaderpolitik einfordert. Mit diesem Aufhänger wurde medial Konfliktpotential mit dem baldigen Sportvorstand Hasan Salihamidžić beschworen. Dabei sollte es in einem professionell geführten Fußballklub normal sein, dass ein Cheftrainer, sollte er über die Interimsrolle hinaus mit vollstem Vertrauen verpflichtet werden, Mitspracherecht bei der Kaderzusammenstellung bekommt.

Allein die Pressemitteilung des FC Bayern zur Verlängerung zeigt, dass dies gegeben ist. Dort wird Salihamidžić wie folgt zitiert: „Hansi und ich wissen, in welche Richtung wir die Mannschaft entwickeln wollen.“ Und auch Flick zeigte sich zuversichtlich: „Wir haben zusammen die Ausrichtung für die kommenden Jahre festgelegt.“

„Wir“, „zusammen“ – es wird deutlich betont, dass Flicks Rolle in der Zukunftsplanung zentral ist. Das Vertrauen dafür hat sich der 55-Jährige in den letzten Monaten auf verschiedenen Ebenen verdient. Erstens präsentierte er sich in der Öffentlichkeit stets gelassen und ruhig. In seiner Situation ist das nicht selbstverständlich. Zweitens ist die Stimmung innerhalb des Kaders so gut wie lange nicht mehr. Es schwärmen selbst jene Spieler von ihm, die sportlich hinten dran waren. Flick versteht es, mit den Spielern umzugehen. Und drittens sprechen die Ergebnisse im sportlichen Bereich für sich.

Flick steht für den Umschwung

Womit aber nicht allein gemeint ist, dass unter Flick 18 von 21 Spielen gewonnen wurden und die Bayern in dieser Zeit ein Torverhältnis von 67 zu 14 Toren erzielten. Nein, vor allem ist es die Art und Weise, mit der die Mannschaft diese Ergebnisse erreicht hat. Die Bayern spielen wieder attraktiven Offensivfußball, will man es verkürzt formulieren.

Im Detail bedeutet das, dass sie ihre Gegner nicht nur aggressiv und hoch, sondern überdies auch gut organisiert anlaufen. Schnelle Balleroberungen und -rückeroberungen sowie ein reaktionsschnelles Verhalten in Umschaltsituationen zählen zu den Kernelementen des Fußballs, den Flick in München etabliert hat. Hinzu kommt ein mindestens gut strukturierter Ballbesitzfußball, der den Fokus wieder mehr ins zentrale Mittelfeld gerückt hat.

Die Bayern haben ihre berechenbare U-Struktur größtenteils aufgebrochen und setzen auf dominante Spielertypen im Zentrum. Auch die Bewegungsabläufe in der Offensive wirkten unter Flick zunehmend besser abgestimmt. Raumöffnende Läufe von außen nach innen oder andersherum sowie überladende Läufe in die Tiefe haben aufgrund ihrer Häufigkeit einen systematischen Charakter.

Die Aufgaben für die Zukunft

Und doch, das ist auch klar, war längst nicht alles perfekt. Gerade in den ersten Wochen hatte Flick Probleme, die Mannschaft nach Ballverlusten zu stabilisieren. Mannschaften wie Gladbach, Leverkusen und Leipzig offenbarten Schwächen im offensiven System der Bayern, die wir beispielsweise hier und hier analysierten.

Flick schaffte es in diesen drei Spielen nicht, von der Seitenlinie ausreichend auf den Spielverlauf einzuwirken. Das sogenannte „In-Game-Coaching“ war jeweils nicht optimal. Immerhin: Gegen Leipzig schaffte er es, eine wilde Anfangsphase der zweiten Halbzeit durch kluge Wechsel zu beruhigen. Doch eine Schlussoffensive blieb aus.

Das sind Detailfragen, an denen auch Flick in den kommenden Monaten, vielleicht Jahren wachsen muss. Die positiven Aspekte auf der Habenseite überwiegen aber. Zu vielversprechend ist das Gesamtpaket des Trainers, zu sehr erinnert all das an jemandem, dem zunächst auch nicht viel zugetraut wurde: an Jupp Heynckes.

Deutliches Bekenntnis zu Flick

Als Heynckes 2011 die Bayern übernahm und zunächst das Vizetriple holte, waren die kritischen Stimmen laut. Zu altbacken sei sein System, zu unflexibel sei er selbst und zu sehr fehle ihm das Charisma, um in der heutigen Zeit mithalten zu können. Das Ende des Liedes ist bekannt: Er strafte seine Kritiker mit dem Triple im Jahr darauf ab.

Bei Flick ist es insofern etwas anders, als dass er aktuell große Vorschusslorbeeren erhält, obwohl er sich noch gar nicht auf Augenhöhe mit Europas Besten messen konnte. Doch auch bei ihm gab und gibt es durchaus skeptische Stimmen, die ihm das Charisma und vielleicht sogar die Flexibilität für einen großen Klub absprechen.

Fest steht aber, dass Flick sich die Chance verdient hat, das Gegenteil zu beweisen. Der mit ihm eingeschlagene Weg ist zweifelsohne der richtige. Allein die Pressemitteilung zeigt, dass Flick spätestens jetzt das volle Vertrauen des Klubs genießt. Denn ein so deutliches Bekenntnis zu einem Trainer hinsichtlich der gemeinsamen Planung der Zukunft gab es schon länger nicht mehr. Und auch die Harmonie, mit der alle Verantwortlichen über die Zukunft sprechen, ist bezeichnend.

Oft genug haben die Bayern in den letzten Jahren Spieler verpflichtet, die nicht optimal zur Philosophie des Trainers passten. Oder aber sie haben Trainer verpflichtet, die nicht zu ihren Spielern und der Philosophie passten. In der Folge mussten sich die Trainer womöglich zu sehr verbiegen. Besonders interessant ist es, dass sowohl Ancelotti als auch Kovač es nicht schafften, Thomas Müller ausreichend einzubinden. Unter Flick blühte der Angreifer hingegen wieder auf. Man könnte überspitzt sagen, dass der Müller-Test darüber Auskunft gibt, ob ein Trainer zum FC Bayern passt oder nicht.

Da es mit Flick nun aber auf allen Ebenen zu passen scheint, könnte es sein, dass die Kaderplanung davon profitiert. Es bleibt abzuwarten, wie der Kader der Zukunft aussieht. Dass mit Flick nun der Mann langfristig gebunden wurde, der für den positiven Aufschwung der vergangenen Monate hauptverantwortlich war, dürfte jedenfalls bei den Spielern eine wichtige Rolle spielen, die von Rummenigge zuletzt „faire Angebote“ vorgelegt bekamen. Es ist der wichtige Grundstein, auf dem fast alles andere nun aufbauen wird.