Vorschau: Hertha BSC – FC Bayern München
Es fühlte sich nicht nur wie ein Rückschlag, sondern vor allem wie ein weiterer Rückschritt an, was am Samstag in der BayArena passierte. Schwaches Positionsspiel, meist schwaches Pressing, viel Chaos, schwaches Umschaltspiel in die Defensive und zu allem Überfluss auch schwache Chancenverwertung – die Bayern wankten kopflos ins Unglück.
Die Diskussionen rund um Kader, Trainer und Zukunft wurden damit wieder angeheizt. Berichtete der Pay-TV-Sender Sky vor einigen Wochen noch über einen wiedererstarkten Rekordmeister, der im Meisterschaftsrennen gefährlich würde, wehte das Fähnchen nach der ersten Niederlage bereits in die andere Richtung.
Im Fußball gehen Analysen mit den jüngsten Ergebnissen Hand in Hand. Das führt wiederum zu einer Berichterstattung, die in nur wenigen Tagen von einem Extrem ins andere wechselt. Man könnte fast meinen, dass die Niederlage in Leverkusen völlig überraschend kam und die dort gezeigten Probleme vorher schlicht beseitigt wurden.
Ein Rückschritt in vielen Akten
Tatsächlich war sie aber lediglich die logische Konsequenz einer wiedermal verschenkten Saison. Verschenkt, weil die offensichtlichen Baustellen des Kaders (Flügelstürmer, Außenverteidigung, spielmachender Sechser) nicht angegangen wurden und stattdessen auf ebenjenen Positionen mitunter sogar noch ausgedünnt wurde. Verschenkt, weil der nächste Entwicklungsschritt in Richtung Zukunft bereits verschoben wurde, als man sich an Jupp Heynckes klammerte und einem so die Optionen auf dem Trainermarkt ausgingen.
Verschenkt auch deshalb, weil man selbst da, als man nicht mal mehr reagieren konnte, noch alles versuchte schön zu reden. Und dabei geht es nicht mal um Titel. Die Bayern haben trotz aller Probleme selbst in dieser chaotischen und wirren Saison noch die Möglichkeit, mindestens einen Pokal an die Säbener Straße zu holen.
Doch macht man in dieser aktuellen Übergangsphase den Fehler, alles anhand von Ergebnissen und Silberware zu messen, ist man nicht besser als die Berichterstattung des genannten Pay-TV-Senders. Es geht nicht darum, dass die Münchner sehr wahrscheinlich mal nicht Meister werden. Selbst eine Spielzeit ohne Titel ließe sich verkraften. Es geht darum, dass die Kette an Rückschritten seit Sommer 2016 kontinuierlich länger wird und auf sportlicher Ebene nicht zu erkennen ist, wie man in Zukunft wieder ganz oben angreifen möchte.
Die Identitätsfrage
„Der Weg ist das Ziel“, sagte schon Konfuzius. Ein Übergang ohne die großen Erfolge ist normal. Wann folgte auf eine große Ära direkt eine nächste? Unmöglich. Es gab und wird immer Zyklen geben, in denen man durchs Tal geht. Deshalb sollte die Analyse nicht bei verlorenen Titeln oder Ergebnissen ansetzen. Sie sollte der Frage untergeordnet sein, ob das aktuelle Handeln Teil eines Wegs ist, der den Klub mittelfristig in einen erfolgreicheren Zyklus bringt.
Aus sportlicher Perspektive kann davon nicht die Rede sein. Niko Kovač kam mit dem Anspruch zum FC Bayern, den Kader flexibler zu machen. Er sprach von einer Entwicklungslinie seit van Gaal, in die er sich einordnen möchte. Schon wenige Monate später muss allerdings die Frage erlaubt sein: Wofür steht der FC Bayern eigentlich?
Seit 2009 war das ein meist mehr, selten weniger gut strukturierter Ballbesitzfußball. Unter van Gaal wirkte dieser bisweilen noch recht statisch. Mit Heynckes kamen ein aggressiveres Pressing und mehr Bewegung ins Spiel. Guardiola trieb die Ästhetik dieses Fußballs schließlich ganz nah an die Perfektion. Seit Ancelotti geht diese Identität jedoch Schritt für Schritt verloren. Stehen die Bayern jetzt für einen anderen Stil?
Weder Fisch noch Fleisch
Auch das kann nicht wirklich behauptet werden. Wenn man Kovač irgendwo Flexibilität unterstellen möchte, dann wird man in der Theorie fündig. Nach dem Leverkusen-Spiel kritisierte er, dass die Münchner zu schnell konterten und dabei die Kompaktheit in der Defensive verloren. Was will der Trainer?
Vermutlich will er in Spielen, in denen er offensive Gegner erwartet, aus einer tiefen Defensive heraus Umschaltfußball praktizieren lassen – mindestens in einigen Spielphasen. Doch in der Umsetzung fehlt es an fast allem. In längeren Phasen ohne Ball ist die Mannschaft entweder zu passiv oder zu aktiv. Im Umschaltspiel fehlt es an Ideen, einstudierten Spielzügen und somit auch an der Genauigkeit. Das Pressing ist in der ersten Linie oft noch ganz annehmbar, doch dahinter vogelwild. Meist kommt es dann auf die Restverteidigung an, die wiederum auch nicht alles verteidigen kann.
Gegen schwächere Mannschaften reicht meist die individuelle Qualität, um aus längeren Ballbesitzphasen Chancen zu erspielen. Sobald ein Gegner aber aggressiv die Schlüsselpositionen des Rekordmeisters im Aufbauspiel stört, brechen sie ein. Leverkusen zeigte dies in der Anfangsviertelstunde und auch in der zweiten Halbzeit. Und das sicher nicht als erste Mannschaft. Die Bayern wollen alle vier Phasen des Fußballs (Ballbesitz, defensiver Umschaltmoment, Defensive, offensiver Umschaltmoment) beherrschen. Die Wahrheit ist aber, dass sie alles nur noch ein bisschen können und nichts so richtig gut.
Gegen Hertha alles kaschieren?
Das Spiel gegen Hertha im Pokal könnte all diese Probleme ein weiteres Mal unter den Tisch kehren. Gewinnen die Bayern, können sie argumentieren, dass sie im schwierigen Übergangsjahr immerhin noch die Möglichkeit auf mindestens zwei Titel haben. Zu Recht.
Doch ist es das, was erstrebenswert ist? Irgendwie an Titelhoffnungen klammern und von Spiel zu Spiel den Glauben mal mehr oder weniger aufrechterhalten, dass es ja bald besser werde? Für die Ansprüche des FC Bayern ist das zu wenig. Wo ist ein erkennbares Konzept, wie man in Zukunft Fußball spielen möchte? Wo ist die Handschrift des Trainers? Wo ist die Flexibilität, wenn Gegner ihr Spiel umstellen?
Kovač sprach davon, dass Baumgartlingers Einwechslung für die Bayern ungünstig war. Leider war es aber Kovač, der in dieser Situation für seine Mannschaft ungünstig war. Denn den Änderungen im Spielverlauf konnte er – mal wieder – nichts entgegensetzen.
Die Einbahnstraße
Hertha wird die Münchner wahrscheinlich nicht so sehr unter Druck setzen wie Leverkusen. Aber sie werden das Mittelfeld zustellen, kompakt verteidigen und bei Ballgewinnen versuchen, sich flach und schnell nach vorn zu kombinieren. Das können sie gut und da sind sie gefährlich. Für die Bayern wird es deshalb ein sehr hartes Stück Arbeit.
Die Qualitäten der Berliner haben ihnen schon im Hinspiel der Liga wehgetan. Bis vor kurzem schien es so, als wäre der noch amtierende Meister nun selbstbewusster und sicherer gegen solche Mannschaften. Doch der Rückschlag in Leverkusen könnte dieses Selbstbewusstsein erschüttert haben. Ähnlich wie das 1:1 gegen den FC Augsburg damals. Es geht darum, die momentan einzig realistische Titelchance am Leben zu erhalten. Aber selbst wenn das gelingen sollte, bleibt die Frage nach der Zukunft unbeantwortet.
Aktuell befinden sich die Bayern auf einer Einbahnstraße, auf der sie Schritt für Schritt zurücklaufen. Am Ende dieser Straße dürfte die Bedeutungslosigkeit im europäischen Spitzenfußball stehen. Doch noch gibt es genügend Möglichkeiten, den Weg zu wechseln. Und so hart das auch nach so kurzer Zeit klingen mag: Die Personalie Niko Kovač wird in den kommenden Wochen stark hinterfragt werden müssen – hinsichtlich der Spielidee und der Entwicklung, nicht hinsichtlich der Ergebnisse. Denn so wie Niederlagen manchmal täuschen, tun es auch Siege.
Das Thesen-Duell
Die Regeln findet ihr hier. Die Zahl für These 3 wurde diesmal von Fatbardh gewählt. Kurzfristige Änderungen sind bis zum Spieltag noch möglich.
Ergebnis des letzten Spieltags: Justin 3,6 : 2,6 Fatbardh
Zwischenstand insgesamt: Justin 76,0 : 68,4 Fatbardh
Justins Tipps
- Torschütze: James Rodríguez
- Freie These: Die Bayern kommen weiter.
- Über/Unter 2,5: Über!
- Aufstellung: Ulreich – Kimmich, Süle, Hummels, Alaba – Thiago, Goretzka – James – Müller, Lewandowski, Coman
Fatbardhs Tipps
- Torschütze: Robert Lewandowski
- Freie These: Bayern trifft nach einem Standard.
- Über/Unter 2,5: Über!
- Aufstellung: Ulreich – Kimmich, Süle, Hummels, Alaba – Martínez, Goretzka – Müller – Gnabry, Lewandowski, Coman