Mario Götze in München: In der Sackgasse

Steffen Trenner 07.08.2015

Auch der Verein wirkt mittlerweile genervt vom Dauerthema der letzten Wochen, das Anfang Juli mit Aussagen von Götzes Berater Volker Struth über fehlende Rückendeckung für seinen Schützling begann. Es wird Struths Geheimnis bleiben, wie er auf die Idee kam, dass Götzes Situation sich so verbessern könnte. Öffentliche Beschwerden von Beratern kommen bei keinem Verein gut an. Erst recht nicht beim FC Bayern. Die Antwort von Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge ließ folgerichtig nicht lange auf sich warten. Es sind unterschiedliche Interessen, die hier aufeinanderprallen. Hier der Berater, der die Marke Mario Götze schützen will. Dort der Verein, der viel Geld in den Fußballer Götze investiert und daher Leistungen erwartet. Götze wirkt dazwischen wie ein Spielball – auch weil er trotz der perfekt inszenierten Nähe zu seiner Person auf Facebook, Instagram und Co. keinen wahrhaftigen Blick in sein Innenleben zulässt.

Manchmal möchte man ihm raten sich allein auf den Fußball zu konzentrieren und das Drumherum einfach mal ruhen zu lassen. So wie es der ehemaliga Bravo-Posterboy Mehmet Scholl irgendwann tat. Denn klar ist: Sowohl die Ursache, als auch die Lösung seiner Situation liegt auf dem Platz. So abgedroschen das klingen mag.

Schwache Rückrunde wirkt nach

Götze hat in der vergangenen Saison nicht zu wenig gespielt. Er stand in fast 80% aller möglichen Pflichtspiele in der Startelf. Das bewegt sich auf dem Niveau von Thomas Müller (82%). Er spielte als ergänzender Offensivspieler neben Robben, Müller, Lewandowski und häufiger auch Ribéry eine sehr ordentliche Hinrunde. Das Problem war, dass Götze zwischen Februar 2015 und Mai 2015 trotz Spielzeit en masse eigentlich nur in zwei Spielen richtig überzeugte. Im Heimspiel gegen den HSV und im Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt. In der Rückrunde war er in der Bundesliga in über 1100 Einsatzminuten an vier Toren beteiligt. Das sind 0,3 Torbeteiligungen pro 90 Minuten. Das ist für einen Offensivspieler beim FC Bayern indiskutabel. Punkt. In den Spielen gegen Donezk und Porto in der Champions League, in denen er ebenfalls in der Startelf stand, fiel er insgesamt kaum auf. Dass er in den Spielen gegen Barcelona und im Pokalhalbfinale gegen Dortmund zunächst auf der Bank saß, war nach den Auftritten in den Vorwochen leistungsgerecht.

Unter dem Strich stand so eine ordentliche Hinrunde und eine richtig schwache Rückrunde. In einem Jahr nach einem WM-Titel mit wenig Regeneration gibt es dafür durchaus Ansätze für Erklärungen. Hinzu kam, dass Götze sich auf Grund der vielen Verletzungen in Bayerns Kader und der darauf folgenden Umstellungen zunehmend auf dem Flügel wiederfand wo er nur sporadisch Akzente setzen konnte. Das lag auch daran, dass sich die gegnerischen Defensivformationen aufgrund der verletzungsbedingten Ausfälle von Robben und Ribéry stärker auf ihn konzentrierten als in der Hinrunde. Götze wurde gedoppelt und getrippelt, wie es Robben und Ribéry seit Jahren gewohnt sind. Götze ist ein guter Dribbler in engen Räumen, in denen er mit einer geschickten Drehung oder Wendung am Gegner vorbei kommt. Noch in der Saison 2013/2014 kam er für die Münchner in der Bundesliga in häufig zentralerer Rolle auf 4,7 erfolgreiche Dribblings pro 90 Minuten. Das ist auf dem Niveau von Robben und Ribéry. Im Jahr darauf waren es fast zwei erfolgreiche Dribblings pro Spiel weniger. In 12 Spielen auf Flügelpositionen in der Bundesliga-Saison 2014/2015 schaffte Götze laut „whoscored.com“ nur 2,6 erfolgreiche Dribblings bei fast 7 Versuchen. In 16 Spielen in zentralen Rollen kam er auf 3,4 bei 6,1 Versuchen. In 11 Champions League-Partien sank die Dribbelquote auf lächerliche 0,6 erfolgreiche Dribblings bei 2,7 Versuchen.

Er ist kein Tempodribbler, der sich mit Anlauf und Wucht gegen ein oder zwei Gegenspieler durchsetzt und mit Gewalt Chancen kreiert. Auch in vielen weiteren wichtigen statistischen Kennzahlen war die Saison 14/15 für Götze ein Rückschritt. Auch seine Torabschlüsse im Strafraum sanken deutlich im Vergleich zum Vorjahr. Das alles auf die falsche Position, die Verletzten und den WM-Sommer zu schieben greift jedoch auch zu kurz. Thomas Müller ist noch viel weniger Tempodribbler als Götze. Trotzdem gelang es ihm trotz des größeren Fokus der Gegner in der Rückrunde in beinahe jedem Spiel einen Weg zu finden, um positiv auf ein Spiel Einfluss zu nehmen. Das ist der Anspruch, dem Götze sich stellen muss und den er vor allem in der abgelaufenen Rückrunde nicht erfüllte.

Der 23-Jährige hat es bisher nicht konstant geschafft, seine Qualitäten in München so einzubringen, dass er für Guardiola unersetzlich ist wie Robben, Müller, Thiago oder Lewandowski. Sicher nicht zu unterschätzen ist dabei, dass Götze sein Spiel in München komplett umstellen musste. Er hatte seine beste Zeit in den paradiesischen Zuständen des Dortmunder Umschaltspiels zwischen 2010 und 2013. Dort gab es viel Platz gegen häufig ungeordnete Gegner, die nach erzwungenen Ballverlusten von den schnellen und ballgewandten Dortmundern auseinandergenommen wurden. Das Spiel in München ist ein völlig anderes. Götze muss sein Spiel weiter entwickeln wenn er die hohen Erwartungen erfüllen will. Die Schwierigkeit in der Anpassung zeigt sich dabei längst nicht nur in München. Gern wird vergessen, dass Götze auch bei der WM in Brasilien weitgehend zweite Wahl war und nach seiner frühen Auswechslung im Achtelfinale gegen Algerien nicht mehr in der Startelf stand. Das ging bei all dem Hype um seinen Finaltreffer unter.

Götze gibt die Richtung selbst vor

Die Konkurrenzsituation für Götze ist durch die Verpflichtung von Douglas Costa noch einmal größer geworden. Er kämpft mit Lewandowski, Müller, Robben, Ribéry und Douglas Costa um wohl nur drei echte Offensiv-Positionen in der Startelf. Eine klassische 10er Rolle gibt es in Guardiolas System meist nicht. Die falsche 9 oder eben eine freiere Rolle auf einer der Offensivpositionen wie in der Hinrunde der Vorsaison sind deshalb nach wie vor die wahrscheinlichsten Optionen auf Einsatzzeit. Erste Wahl ist Götze hier nach den Eindrücken der Rückrunde und einer wechselhaften Vorbereitung Stand jetzt wohl nicht. Eine Option, die Guardiola bisher kaum gezogen hat, ist Götze als zweiten spielstarken 8er in die Partie zu schicken. Götze könnte hier als etwas offensiverer Partner von Thiago vor einer sichernden 6 (Vidal) das Offensivspiel unterstützen und zusätzliche Variationsmöglichkeiten und Flexibilität bringen. Dass Guardiola in der Vorbereitung häufiger mit aus der Saison 2013/2014 bekannten 4-1-4-1-ähnlichen Formationen experimentierte könnte diese Option wahrscheinlicher werden lassen. In dieser Variante pendeln vier bis fünf Offensivspieler horizontal und vertikal hin und her. Götze könnte von diesen zusätzlichen Freiheiten profitieren und gleichzeitig aus zentralerer Rolle in den Strafraum eindringen. Von hier entfaltete er auch in der Vergangenheit die größte Torgefahr. Sein Torabschluss zählt zu seinen größten Stärken. Der Weg bis zum Abschluss ist häufiger sein Problem.

Es gibt auch weitere Optionen. Im Pokalfinale 2014 machte Götze nach der Auswechslung von Philipp Lahm in der 31. Minute in deutlich zurückgezogener Rolle als Partner von Toni Kroos eine richtig starke Partie. Optionen und Spielzeit gibt es in einer Saison mit drei Wettbewerben trotz der großen Konkurrenz ohnehin für alle genug. Die entscheidende Frage lautet, wer in den großen Spielen gegen Dortmund oder spät in der Champions League spielt. Darum wird es auch Götze und seinem Umfeld gehen.

Götze – da hat Rummenigge recht – muss sich entscheiden. Hat er den Biss, um sich aus der schwierigen Situation herauszukämpfen und Guardiola mit guten Leistungen zu zwingen ihn auch in den wichtigen Spielen aufzustellen? Oder sucht er ein neues Umfeld mit mehr Wertschätzung für seine Person und seinen Spielstil? Es wäre der Weg von Lukas Podolski, der ebenfalls Probleme hatte, seine Stärken in Bayerns sehr besonderem Spiel zur Geltung zu bringen. Podolski entschied sich ebenfalls mit 23 Jahren für einen Wechsel. Er ging als Gescheiterter, der in München gewogen und für zu leicht befunden wurde. Eine gute Karriere hatte er dennoch. Auch Götze stehen heute jenseits des FC Bayern viele spannende Wege offen.

Der Schlüssel liegt auf dem Platz

Klar ist jedoch: Ein Wechsel Götzes noch in diesem Transferfenster würde einige Verlierer hinterlassen. Götze selbst, der den Makel des in München gescheiterten wie viele vor ihm nur schwer wird ablegen könnte. Guardiola, der es nicht geschafft hat, das riesige Talent von Götze nachhaltig gewinnbringend einzusetzen und weiterzuentwickeln. Und zuletzt der Verein, dem es ebenfalls nicht gelungen ist Götze richtig zu integrieren und zu einem Gesicht des Vereins zu formen. Die Mannschaft – und da sind wir wieder beim aktuellen Dilemma Götzes – könnte seinen Weggang wohl locker auffangen. Zumal wenn Kingsley Coman, den die Münchner sehr genau beobachtet haben, oder ein anderer hochtalentierter Offensivspieler noch kommt.

Götze sollte genau wissen, dass es nur sehr selten Zufall ist, wenn sich Spieler in München nicht dauerhaft durchsetzen. Schweinsteiger hat es trotz viel Gegenwind geschafft. Kroos hat es über Umwege geschafft. Alaba hat es geschafft. Boateng hat es trotz eines holprigen Starts hinbekommen und auch Gomez hat es trotz unglücklichem Ende gepackt. Konkurrenz hatten sie alle, aber Qualität setzt sich in München durch. Das ist irgendwo auch das Erfolgsgeheimnis des FC Bayern. Götze muss entscheiden, ob er sich zutraut in der kommenden Saison den Weg aus der Sackgasse in München zu finden. Es ist der kompliziertere Weg, der nur über gute Leistungen auf dem führt. Hier liegt der Schlüssel. Chancen würde er früher oder später in dieser Saison bekommen. Dann gilt es.

Entscheidend is auf’m Platz. Nie war dieser Spruch richtiger, als in der momentanen Situation von Mario Götze beim FC Bayern.