Vorschau: FC Bayern München – Chelsea FC

Justin Trenner 07.08.2020

Ende Februar erreichten die Bayern unter Hansi Flick ihren ersten vorläufigen Höhepunkt. Vor dem Achtelfinale der UEFA Champions League wurde viel darüber diskutiert, wie weit der Serienmeister aus der Bundesliga wirklich ist. Chelsea schien sich als Gradmesser für eine erste Standortbestimmung zu eignen.

Unter Frank Lampard hat sich ein Team herauskristallisiert, das punktuell mit sehr jungen und vielversprechenden Talenten gespickt ist, andererseits aber auch Erfahrung mitbringt. Ein Mix, der also Entwicklungsfähigkeit mit gestandenem Niveau verbindet.

Chelsea FC: Auf dem Weg zurück an die Spitze?

Gerade in den letzten Wochen wurde überdeutlich, dass beim Chelsea FC etwas wachsen soll. Timo Werner (24) und Hakim Ziyech (27) stehen als Neuzugänge bereits fest und gleichzeitig für den bereits eingeschlagenen Weg. Ziyech ist im vermeintlich besten Alter und Werner ist bereit für seinen nächsten Schritt – also dafür, sich bei einem Klub festzusetzen, wo er nicht der alleinige Star der Offensive ist. Hinzukommen soll darüber hinaus Kai Havertz (21), der noch am Anfang seiner Karriere steht, aber trotzdem das Interesse vieler Top-Klubs auf sich zog – auch das der Bayern.

Dass diese Spieler nicht den Schritt zu einem Klub gehen wollten, der ganz oben in der Hierarchie Europas steht, liegt wohl vor allem daran, dass Chelsea ein Konzept präsentieren konnte, das die Blues wieder konkurrenzfähig machen soll. Bei Chelsea werden sie eine wichtige Rolle spielen auf dem Weg zurück in die Spitzengruppe der Champions League.

Doch bis das Ende dieses Weges in Sicht ist, wird noch etwas Wasser die Themse hinunterfließen. Denn in der Aktualität ist Chelsea eher ein Klub der zweiten Reihe in der Champions League. Nichts könnte das mehr unterstreichen, als das Achtelfinal-Hinspiel gegen den FC Bayern. Das 0:3 war in der Höhe absolut verdient und die Elf von Frank Lampard schien in nahezu jeder Spielphase überfordert zu sein mit dem Niveau, das die Münchner vorlegten.

Fehlende Konstanz

Fehler im Stellungsspiel, Nervosität am Ball und fehlende Präzision im Angriffsdrittel – überall fehlte es ihnen an der notwendigen Qualität, um den Bayern ein Bein stellen zu können. Und doch war auch dieses Spiel ein weiterer Entwicklungsschritt für die Blues. Es war eine wichtige Erfahrung, an der das Team wachsen soll.

Seit der Niederlage gab es immerhin einen 2:0-Sieg gegen Liverpool im FA-Cup vor der Coronapause und einen 2:1-Erfolg gegen Manchester City danach. Auch Manchester United wurde mit 3:1 besiegt, doch andererseits verlor man in der Liga 3:5 gegen Liverpool und auch das FA-Cup-Finale gegen Arsenal ging mit 1:2 verloren.

Konstanz ist also weiterhin ein Fremdwort und trotzdem erreichte Chelsea den so wichtigen vierten Platz, der sie direkt in die Champions-League-Gruppenphase der kommenden Saison bringt. Das ist die Grundlage für den eingeschlagenen Weg.

Vielversprechende Ansätze, aber noch nicht mehr

Auf fußballerischer Ebene fehlt es den Blues vor allem an Abgezocktheit und Anpassungsfähigkeit. Lampard hat ein taktisches Grundgerüst gebaut, das zukünftig durchaus erfolgreich mit Leben gefüllt werden kann. Trotz der verdienten und deutlichen Niederlage, zeigte sich gegen den FC Bayern in Ansätzen, wie das aussehen kann: Die Räume hinten eng machen und dann blitzschnell umschalten.

Mit Spielern wie Jorginho und Kovačić haben sie im Zentrum echte Waffen, die nicht nur spielstark, sondern auch spielintelligent sind – wie wir in unserer Vorschau aufs Hinspiel bereits analysierten. Bringt Chelsea sie als Verbinder ins Angriffsdrittel ausreichend ins Spiel, wird es für jeden Gegner gefährlich. Im Hinspiel gab es die eine oder andere Situation, in der sich die Bayern im engen Zentrum verrannten und Chelsea sich über das zentrale Mittelfeld nach vorn befreien konnte.

Der Knackpunkt ist allerdings, dass dies gerade von stärkeren Gegnern oft zu einfach unterbunden wird. Chelsea fehlt es an Geduld und Variation im Aufbauspiel. Die Bayern dominierten das Mittelfeldzentrum über einen hohen Druck auf die Verteidigung und cleveres Zustellen der Passoptionen. Chelsea kam so nur selten zu einem geordneten Spielaufbau und war oft dazu gezwungen, das Mittelfeld zu überbrücken.

Durch die fehlenden Entlastungsphasen ließen sie sich in vielen Phasen hinten reindrücken und die Wege bei Kontern wurden zu weit. Hier fehlt es der Mannschaft noch an Lösungen. Darüber hinaus hat Lampard noch kein allzu glückliches Händchen bei Anpassungen während eines Spiels bewiesen. Gegen die Bayern blieb seine Umstellung auf Viererkette wirkungslos und im FA-Cup-Finale am vergangenen Wochenende verpasste er es, die Defensivlücken zu schließen, die Aubameyang letztendlich für sich nutzen konnte. Womöglich ist es auch die Erfahrung, die Lampard als Trainer schlicht fehlt. Am Samstagabend kann hat er nun aber die Chance, seinen Ruf zu verbessern.

Drei Dinge, die das Spiel entscheiden könnten:

1. Stabiles und aggressives Pressing der Bayern gegen ein offensiveres Chelsea?

Bayerns Hauptaufgabe wird es sein, Chelsea wieder in viele Drucksituationen zu bringen. Aus dem Hinspiel können sie mitnehmen, dass ihnen das damals bereits sehr gut gelungen ist. Verändert hat sich seitdem auf dem Taktikzettel wenig. Bei Chelsea ist lediglich fraglich, ob Lampard erneut auf eine Fünferkette setzt, oder ob er angesichts des Rückstands eine offensivere Variante wählt. Mit der Rückkehr von N’golo Kanté wäre zumindest theoretisch ein Dreiermittelfeld möglich, um den Bayern mehr entgegensetzen zu können. Praktisch fehlt mit Jorginho (Gelbsperre) ein wichtiger Spielgestalter für die Zentrale.

Abb. 1: So setzten die Bayern Chelsea im Hinspiel unter Druck.

Setzt Lampard wie zuletzt auf eine Dreierkette, sollten sich die Bayern gegen den Ball ähnlich verhalten wie im Hinspiel. Damals arbeiteten sie im Zentrum mit Mannorientierungen. Thiago, Kimmich und Müller nahmen die beiden zentralen Spielmacher Jorginho und Kovačić aus dem Spiel. Lewandowski agierte vorn als eine Art Lenkrad für den Spielaufbau des Gegners. Er lief die Dreierkette an und lenkte so den ersten Pass. Die Flügelspieler Coman und Gnabry positionierten sich jeweils so, dass sie die Halbverteidiger der Blues bei Erhalt des Balles anlaufen konnten, gleichzeitig aber einen Pass auf die Flügelverteidiger erschwerten.

Chelsea spielte so im Idealfall entweder lange Bälle in die Füße der Bayern-Hintermannschaft oder gefährliche Chipbälle auf die Außenbahnen, bei denen die Außenverteidiger der Münchner sofort zur Stelle waren.

Gerade Pavard und Davies waren ein wichtiges Puzzlestück im Hinspiel, weil Chelseas Flügelspieler in den Halbräumen keine festen Gegenspieler hatten. Kam Chelsea mit etwas Platz und Zeit in diesen Raum, wurde es gefährlich. Zwar könnten die Innenverteidiger dann herausschieben, doch würden sie hinter sich den Weg zu Neuer aufmachen und ein hohes Risiko eingehen. Das ist also nur die Notfalllösung. Stattdessen wurden diese Positionen entweder durch kluges Stellungsspiel der Außenverteidiger verteidigt oder durch ein Verschieben der Achter, wenn der Außenverteidiger an der Linie den gegnerischen Flügelverteidiger attackierte.

Die Abstimmung innerhalb von kurzen Augenblicken ist dafür sehr wichtig. Im Hinspiel funktionierte es in den meisten Fällen gut und auch in vielen anderen Partien waren die Bayern damit sehr erfolgreich. Ein klares Qualitätsmerkmal für die Arbeit des Trainerteams. Spannend wird es aber, wenn Teams aus der Spitzengruppe der Champions League das Pressing der Bayern auf die Probe stellen. Wenn die Münchner einen wunden Punkt in ihrem Pressing haben könnten, dann in genau diesem Bereich.

Abb. 2: Die Bayern haben manchmal noch Probleme damit, die Halbräume zu verteidigen. Wenn Chelsea das Pressing des bayerischen Außenverteidigers triggert und gleichzeitig eine Anspielstation im Halbraum anbietet, könnte man den Flügelraum vielleicht bespielen. Aufgrund der entgegengesetzten Laufwege hätte Chelseas Außenspieler sogar einen Tempovorteil. Außerdem besteht die Möglichkeit, auf die andere Seite zu verlagern, wenn Bayerns Pressing im rot markierten Bereich auf der rechten Verteidigungsseite nicht greift.

2. Personalprobleme

Sowohl Chelsea als auch die Bayern werden nicht in Bestbesetzung antreten. Die Blues trifft es dabei aber deutlich härter. Lampard muss nicht nur auf die gesperrten Spieler Jorginho und Alonso, sondern verletzungsbedingt auch noch auf Ampadu, Azpilicueta, Bakayoko, Gilmour, Pedro und vor allem Pulisic verzichten. Den Bayern hingegen fehlen „nur“ Pavard und Coman. Während der Flügeldribbler aber schon mehrfach im Laufe der letzten Monate ersetzt werden konnte (Coutinho und Perišić stehen bereit), ist es bei Pavard eventuell schwieriger. Denn dieser Ausfall kann die gesamte Statik des Spiels verändern.

Kimmich ist jemand, der im Zweifelsfall eher den offensiven Druck auf dem Flügel wählt, den gegnerischen Flügelverteidiger also anläuft und den Halbraum dem Mittelfeld überlässt. Das kann zu Situationen führen, wie sie in Abbildung 2 beschrieben wurden. Die Mannschaft muss sich darauf ebenso einstellen wie auf ein mindestens leicht verändertes Ballbesitzspiel.

Im Testspiel gegen Marseille hieß die Antwort darauf Thiago. Der Spanier agierte etwas ungewohnt auf der halbrechten statt auf der halblinken Seite. Flick will dadurch wohl den Offensivdrang Goretzkas beibehalten. Thiago muss sein Spiel zudem nur wenig anpassen. Zwar sind seine Passwinkel von halblinks anders und in der Vergangenheit schien es so, dass er dort effizienter agiert, doch als Kompromiss sollte die Lösung taugen. Er soll Kimmich ausbalancieren und die Harmonie im Bayern-Spiel erhalten.

In Ballbesitz kippte Thiago dafür in der Anfangsphase gegen Marseille häufig halbrechts heraus, wenn Kimmich sich offensiv positionierte. So entstand eine Art Dreierkette mit Boateng und Alaba, die absichern konnte. Allerdings war Thiago dadurch zu weit weg vom Spielgeschehen im Zentrum, was von Goretzka und Müller nicht ausgeglichen werden konnte.

Besser lief das Spiel der Bayern, wenn Thiago sich zentral zwischen die Innenverteidiger fallen ließ. Dann konnte er sich aktiver beteiligen und auch mal ein paar Schritte nach vorn ins Mittelfeld machen, wenn der Gegner tief verteidigte und er dort gebraucht wurde.

Abb. 3: Thiago als Balancegeber.

Ein tieferer Pavard sorgte dafür, dass Kimmich als Spielmacher seine Position im Mittelfeld halten und dort großen Einfluss nehmen konnte. Der häufiger die Offensive suchende Kimmich auf rechts sorgt nun vielleicht dafür, dass Thiago als Spielmacher an Einfluss verlieren könnte. Die rot eingekreisten Flügelspieler sind deshalb umso wichtiger. Gerade Serge Gnabry ist sehr gut darin, sich unbemerkt ins Mittelfeld fallen zu lassen und so den Gegner im Zentrum zu beschäftigen.

Das hilft Goretzka und Müller dabei, sich häufiger mal freizulaufen und Variationen ins Aufbauspiel zu bekommen. Denn bleibt das Zentrum wirkungslos, ist es für Chelsea kein Problem, die Räume eng zu machen, die Bälle auf die Flügel zu lenken und sie dort zu erobern. Variation ist Trumpf und dafür braucht es viel Bewegung und Kreativität in der Schaltzentrale, die den Flügelfokus der Bayern etwas entschärfen können. Ein dominanter Kimmich ist zwar immer gut fürs Spiel, kleben die Bayern zu sehr am Flügel, kann sich Chelsea womöglich zu einfach darauf einstellen.

3. Wo stehen die beiden Teams?

Ein dritter Faktor wird selbstverständlich auch die aktuelle Form der beiden Mannschaften sein. Und die lässt sich aufgrund der besonderen Situation nur schwer beurteilen. Chelsea verlor zuletzt das FA-Cup-Finale trotz ansprechender Leistung. Erneut fehlte der Lampard-Elf die Qualität, Spiele konstant an sich zu reißen. Gerade die eklatanten Lücken in der Hintermannschaft, wenn der Ball verloren wurde, könnten gegen die Bayern das frühe Ende der letzten Hoffnungen auf das Champions-League-Viertelfinale bedeuten. Laufen sie am Samstag derart ins offene Messer, werden sie nicht viel Freude an ihrem Gastauftritt in der Allianz Arena haben.

Dennoch sind die Blues durch den zuletzt eng getakteten Spielplan in England voll im Rhythmus. Das kann ein Vorteil sein, weil sie eher keine Anlaufzeit benötigen werden. Bayern hingegen bestritt sein letztes Pflichtspiel am 4. Juli beim DFB-Pokalsieg gegen Leverkusen. Sie sind dafür zwar frischer als Chelsea, könnten aber ähnlich wie damals gegen Union Berlin etwas holprig ins Spiel starten. Ist das der Fall, wäre das die große Chance für Chelsea. Treffen sie früh, würden sie Bayern womöglich nochmal ins Grübeln bringen.

Zwar konnte Flick gegen Marseille den Motor hochfahren, aber wirklich fordernd war der Gegner letztendlich auch nicht und ob er schon warm genug ist, um von der ersten Minute an ein hohes Tempo zu gehen, ist fraglich. Immerhin ist die Pause diesmal aber kürzer gewesen als beim letzten Mal. Den Bayern sollte also durchaus zuzutrauen sein, dass sie nicht viel Zeit benötigen werden. Ihr 3:0-Polster aus dem Hinspiel ist trotzdem extrem wichtig.

Denn es bietet den Münchnern eine Möglichkeit, die andere Teams im Wettbewerb nicht haben werden: Sie haben mehr Zeit, um in dieses Kurzturnier zu finden. Es ist der Beginn einer großen Chance. Denn wer dieses besondere Champions-League-Turnier gewinnt, der wird wohl noch lange als Corona-Champion in Erinnerung bleiben. Ein Titel, über dessen Stellenwert sich streiten lässt. Doch die Einmaligkeit der Situation hat unabhängig davon, wie man dazu steht, ihren Reiz. Flick aber will an einen Triumph noch nicht denken. Denn er weiß, dass vor der Kür erst die Pflicht ansteht. Und auch wenn Chelsea nur in der zweiten Reihe der besten Teams in Europa steht, wäre es fahrlässig, ein Weiterkommen als selbstverständlich zu betrachten.



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