Vorschau: SL Benfica – FC Bayern München

Justin Trenner 18.09.2018

Es hätte den fünffachen Champions-League-Sieger härter treffen können. Schaut man sich die Europapokal-Historie der Gegner an, so liegen die größten Erfolge etwas weiter zurück. In dieser Gruppe ist der FC Bayern nicht nur klarer Favorit, er hat sogar die Pflicht, als Tabellenführer in das Achtelfinale einzuziehen.

Doch aus dieser Pflicht entsteht auch eine große Verantwortung. Kovač wird seine Mannschaft gegen alle drei Mannschaften gut einstellen müssen, um der Favoritenrolle gerecht zu werden. Schon das erste Spiel in Lissabon wird seine Ideen auf die Probe stellen. Eine Probe, die weit über dem liegt, was Stuttgart und Leverkusen dem Deutschen Meister abverlangten.

Bayern gegen Benfica – zwei Jahre danach

„Reconquista“ – dieser Schriftzug war vor dem Derby zwischen Benfica und Sporting Lissabon im Stadion groß und breit zu lesen. Übersetzt bedeutet das „Rückeroberung“.

Bereits vor etwas mehr als zwei Jahren war der FC Bayern in Lissabon zu Gast. Damals kamen sie nicht über ein 2:2 hinaus. Der vermeintlich einfache Gegner setzte der Mannschaft von Pep Guardiola nicht nur Physis entgegen, sondern auch Köpfchen.

Wer sich im Vorlauf mit Benfica beschäftigte, war nicht sonderlich überrascht.

Rui Vitória konnte seine Mannschaft in beiden Duellen sehr gut einstelln. Trainer und Spielsystem sind heute immer noch gleich. Lediglich der Kader hat sich verändert. Gegen den FC Bayern wird Benfica vor allem versuchen, die Räume im Zentrum sehr eng zu gestalten. 2016 verschoben sie ihre beiden Viererketten sehr klug.

Bayern gelang es somit nur selten, den Ball möglichst spät auf die Flügel zu spielen. Durch die vielen frühen Pässe auf die Außenbahn fehlte es ihnen an Flexibilität. Überraschungsmomente waren selten, das Spiel leicht auszurechnen.

Bei Ballverlusten war Benfica blitzschnell. Mit wenigen Kontakten ging der Ball auf die flinken Außenspieler, die den Favoriten in der Defensive mehrfach ins Schwitzen brachten. Diese Konstellation ist im Jahr 2018 ebenfalls zu erwarten.

Benfica hatte zuletzt jedoch große Probleme. In der vergangenen Saison schieden sie mit sechs Niederlagen aus der Gruppenphase der Champions League aus. Gegen ZSKA Moskau, Basel und Manchester United blamierten sie sich mit der schlechtesten Leistung einer portugiesischen Mannschaft in diesem Wettbewerb.

Nun also „Reconquista“ – die Rückeroberung. Der Saisonstart ist der Mannschaft schonmal gelungen. Mit einigen jungen Spielern und alten Tugenden sah das phasenweise wieder nach Fußball aus. Nach vier Spieltagen ist Benfica Tabellenführer und die Qualifikation zur Champions League gelang ihnen ebenfalls durch Siege gegen Fenerbahçe und PAOK.

Besonders die Stärke auf den Flügeln kommt zunehmend zurück. Sie ging den Portugiesen im letzten Jahr häufig ab. Dadurch wurde der hohe Fokus auf die Außenbahnen zum Eigentor.

Silva, Ferreyra, Cervi, Pizzi – technisch ist das Team hervorragend besetzt. All diese Spieler befinden sich zudem im besten Alter. Erfahrung und Tempo bilden die Mischung, mit der die Rückeroberung gelingen soll. Hinzu kommt mit Salvio, Castillo, Taarabt, Zivkovic und Gabriel mächtig Potenzial, das dem Trainer verschiedene Optionen ermöglicht. Gestandene Spieler wie Luisão, Fejsa, Samaris oder der verletzte Jonas komplettieren einen ausgewogenen Kader, in dem sich auch vielversprechende Talente wie Gedson Fernandes wiederfinden.

Benfica wird am Mittwochabend voraussichtlich mit einem 4-3-3 auf dem Papier starten, das sich gegen den Ball zwischen 4-5-1 und 4-4-2 einpendeln wird. Der ballnahe Außenspieler ist dabei immer am ehesten zur Defensivarbeit gezwungen. Der große Unterschied zu den bisherigen Bayern-Gegnern wird in der Intensität liegen.

Ziel wird es sein, die Halbräume gut zu verteidigen, um selbige anschließend in Kontersituationen auszunutzen. Dort wird der Trainer nicht nur die Schwachstellen des FC Bayern, sondern auch die eigenen Stärken sehen. Als Bonus kommt die Gefahr nach eigenen Standards. In den bisherigen Pflichtspielen entstanden dadurch viele Chancen.

Leverkusen und Stuttgart hatten ähnliche Ansätze gegen Bayern, kamen jedoch nicht in die Zweikämpfe, weil sie nicht clever und mutig genug verteidigten. Benfica hingegen ist sein Spielsystem seit vielen Jahren gewohnt. Auch wenn der Kader sich verändert hat, sind sie immer noch dazu in der Lage, die Räume entscheidend zu verdichten.

2016 machte Benfica den Bayern das Leben sehr schwer.
Octavio Passos/Getty Images

Erste Probe für den Kovač-Fußball

Was gegen Stuttgart und Leverkusen perfekt funktionierte, wird in Lissabon womöglich erstmals ernsthaft geprobt. Noch ist es schwer zu sagen, ob die Dominanz der Bayern in diesen beiden Spielen hauptsächlich aus der Schwäche der Gegner entstand.

Zu Beginn der Partien zeigte die Mannschaft von Niko Kovač jedenfalls Schwächen. Leichte Ballverluste entstanden ohne Druck, weil die Passwege teilweise sehr lang waren. Gerade Süle hatte mit diesem Umstand Probleme. Mehrfach suchte er gegen Leverkusen Thomas Müller in der Vertikalen, mindestens viermal fand er einen Spieler des Gegners.

Passieren solche Fehler in der Häufigkeit gegen Benfica, darf mit Gegentoren gerechnet werden. Die Portugiesen wissen genau, was sie tun. Ihre Durchschlagskraft ist groß genug, um kleine Fehler direkt zu bestrafen.

Zumal Benfica die Räume für das Münchner Passspiel im Vergleich zu den nationalen Gegnern deutlich verengen wird. Hier wird es auf die Positionierung des eigenen Mittelfelds ankommen.

Die hohen Achter machten gerade gegen zwei sehr tiefe und passive Gegner viel Sinn. Nicht zuletzt, weil die Bayern dadurch sofort Präsenz im Gegenpressing zeigten. Der Druck reichte aus, um spielschwache und unsichere Defensivreihen zu Fehlern zu zwingen. Benfica hat aber mehr Qualität zu bieten, trifft in engen Situationen bessere Entscheidungen.

Kovač hat mit Martínez und den einrückenden Außenverteidigern zwei Optionen zur Absicherung. Er hat aber auch die Möglichkeit, mindestens einen Achter etwas tiefer zu positionieren. Schon gegen Leverkusen brachte Tolisso mit seinen abkippenden Bewegungen mehr Balance ins Spiel, während Müller im Durchschnitt genauso hoch wie Lewandowski agierte. Der Franzose war somit eine Art Balancegeber.

Tolisso ist nun verletzt, aber der Kader gibt einige Alternativen her. James und Goretzka können seine Rolle übernehmen. Während Goretzka sich unter der Woche wohl leicht verletzte, ist ein James-Einsatz wahrscheinlicher. Sanches ist hingegen eher keine Option für die Startelf, weil er in Ballbesitz größere Defizite als seine Konkurrenten hat. Von der Bank könnte der Portugiese aber je nach Spielverlauf eine sehr dynamische Lösung sein.

Gerade James hat im Zusammenspiel mit Thiago Eindruck hinterlassen. Vielleicht sieht Kovač in ihm sogar einen etwas tieferen und strukturgebenderen Typen als Müller. Eine Mittelfeld-Achse aus Martínez, Thiago und James könnte für bessere Kontrolle im wichtigen Zentrum sorgen.

Darauf wird es nämlich ankommen. Findet der FC Bayern die eigenen Achter nicht, droht ein leicht zu verteidigender Flügelfokus. Versucht man hingegen, die Achter zu finden, obwohl die sich keine Räume erlaufen können, drohen tödliche Ballverluste. Ein etwas tieferer Thiago und Martínez als Absicherung könnten hier die Zwischenlösung sein.

Kovač hat sich bisher mit vielen richtigen Entscheidungen das Vertrauen seines Kaders erarbeitet. Gegen Benfica wird er sein Team auf eine lauf- und konterstarke Mannschaft einstellen. Er wird ihnen bestenfalls Videos von Situationen zeigen, in denen Benfica die linke Seite überlädt und sich mehrfach gefährlich in den Strafraum kombiniert.

Das ist die Seite von Joshua Kimmich. Es ist die Seite, auf der Leverkusen einen frühen Elfmeter provozierte. Weil das Team den Außenverteidiger wegen mangelnder Absicherung nicht unterstützen konnte. Weil der Ball leichtfertig hergegeben wurde. Diese Details können am Mittwochabend entscheidend sein.

In der Liga laufen 41% der Benfica-Angriffe über diese starke linke Seite. Dort wird der Fokus der Konterabsicherung liegen müssen, ohne die eigene Durchschlagskraft und Ballsicherheit zu gefährden.

Die bayrische „Reconquista“

Benfica will sich die eigene Stellung als eine sehr starke Mannschaft in Europa zurückerobern. Im Estádio da Luz, dem Stadion des Lichts, soll am Mittwoch der Stern eines großen und stolzen Klubs wieder aufgehen. Rund 65.000 Zuschauer werden einen Hexenkessel erzeugen. Der FC Bayern hat 2016 am eigenen Leib erfahren, was dort abgehen kann, wenn die Heimmannschaft ein Tor erzielt.

Es ist Champions League. Es ist der erste besondere Abend einer Saison, in der noch niemand prognostizieren kann, wo es exakt hingeht. Gewissermaßen möchte auch der FC Bayern etwas zurückerobern. Mit Niko Kovač, der erstmals die ganz große Bühne des europäischen Fußballs betreten wird, um den ersten Schritt zur bayrischen „Reconquista“ zu gehen — die Rückeroberung des europäischen Throns.

Das Thesen-Duell

Die Regeln findet ihr hier. Die Zahl für These 3 wurde diesmal von Fatbardh gewählt. Kurzfristige Änderungen sind bis zum Spieltag noch möglich.

Ergebnis des letzten Spieltags: Justin 3,4 : 1,6 Fatbardh

Zwischenstand insgesamt: Justin 14,4 : 8,6 Fatbardh

Justins Tipps

  1. Torschütze: Arjen Robben
  2. Freie These: Es fällt ein Tor für irgendeine Seite nach einem Standard.
  3. Über/Unter 2,5: Über!
  4. Aufstellung: Neuer – Kimmich, Boateng, Hummels, Alaba – Martínez – James, Thiago – Robben, Lewandowski, Ribéry

Fatbardhs Tipps

  1. Torschütze: James Rodríguez
  2. Freie These: Bayern spielt zu Null.
  3. Über/Unter 2,5: Unter!
  4. Aufstellung: Neuer, Kimmich, Boateng, Süle, Alaba, Thiago, James, Müller, Robben, Lewandowski, Ribéry