Vorschau: FC Bayern München – SV Werder Bremen
„Dass sie die letzten beiden Spiele in der Liga nicht gewonnen haben, ist ein Treppenwitz“, sagte Bremens Trainer Florian Kohfeldt über seinen kommenden Gegner. Seine Mannschaft müsse nun gegen das beste Team in Deutschland spielen und beweisen, dass sie trotz des enormen Drucks kluge Entscheidungen treffen kann.
Vor einem solchen Spiel ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass der auf dem Papier unterlegene Gast die Bayern ein bisschen überhöht. Doch Kohfeldt zählt eher nicht zu den Trainern, die sich selbst als Underdog präsentieren.
So sprach der 37-Jährige auch nicht überwiegend darüber, wie man den Schaden in der Allianz Arena möglichst gering hält. Er gab vor allem Mut als Weg vor: „Auch sie haben Momente, in denen sie etwas zulassen. Sie kassieren in letzter Zeit schon häufiger Gegentore. Das wird ein Schlüssel sein, dass wir mutig mit dem Ball spielen und den einen oder anderen Nadelstich setzen.“
Werder Rhythmus nur da gewesen …
Am fehlenden Mut liegt es in dieser Saison gewiss nicht, dass die Bremer mit nur 14 Punkten auf Platz 14 stehen. Gerade zu Saisonbeginn musste Kohfeldt wegen einer nahezu absurden Serie von Verletzungen mit einem Rumpfkader arbeiten. Zwar hat sich die Lage dahingehend etwas beruhigt, doch mit Josh Sargent, Ömer Toprak, Niclas Füllkrug, Fin Bartels und Kevin Möhwald fallen weiterhin fünf Spieler langfristig aus.
Kohfeldt musste dementsprechend auch viel rotieren – nicht nur personell, sondern vor allem auch gruppentaktisch. Eine wirklich feste und eingespielte Formation gibt es bis heute nicht. Sieben verschiedene Grundausrichtungen probierte der Trainer aus, in keinem Spiel stand dieselbe Startelf auf dem Platz wie im vorherigen.
Immerhin: In den letzten Wochen hat die personelle Rotation ein normales Ausmaß angenommen. So wechselte Kohfeldt zuletzt nur einzelne Positionen. Seit dem 2:2 gegen Borussia Dortmund im September entstand ein besserer Rhythmus. Werder verlor in zehn Pflichtspielen „nur“ noch dreimal, konnte auf der anderen Seite aber lediglich zweimal selbst gewinnen (4:1 gegen Heidenheim im Pokal und 3:2 in Wolfsburg).
Kohfeldts 4-3-3-Varianten
Kohfeldts Anpassungen in der Grundordnung resultieren aber nicht immer nur aus Verletzungen. Er legt viel Wert auf Details und will seine Elf möglichst vorbereitet auf den Platz schicken. In 8 der letzten 10 Partien startete Werder in einer sehr ähnlichen Formation, die in Nuancen aber immer anders auf den jeweiligen Gegner ausgerichtet war.
Aus dem 4-3-3 heraus gab es gerade im Anlaufverhalten wichtige Detailunterschiede. So machte Kohfeldt gegen den BVB das Zentrum mit einer Tannenbaum-Formation dicht, die dem im 4-2-3-1 spielenden Gegner zwar auf den Flügeln Räume gestattet hat, ihn im Zentrum aber spiegelte. Auch gegen Leverkusen versuchte er es mit einem engen 4-3-2-1, das gerade auf der Doppelzehn aber noch fluider interpretiert wurde als gegen Dortmund.
So entstand zwischendrin auch mal eine Raute mit zwei anlaufenden Stürmern vorn oder ein etwas breiter angelegtes 4-3-3. Werder spielte in dieser Saison auch schon mit einer Fünferkette, wenn Kohfeldt die Stärken des Gegners vor allem auf den Flügeln sah. Was in all diesen Formationen aber gleich blieb, war die Grundintensität, mit der seine Mannschaft presst. Der Trainer verlangt Kompaktheit und Aggressivität zugleich, will möglichst hohe Ballgewinne erzwingen.
So könnten sie gegen Bayern spielen
Für den FC Bayern bedeutet all das, dass die Analyse des Gegners zumindest etwas komplexer war als vor den meisten Bundesliga-Spielen. Werder hat bereits mehrere Formationen gespielt, die theoretisch gut zum 4-1-4-1/4-2-3-1-Hybrid der Bayern passen würden. Der Tannenbaum dürfte hier eher nicht dazu zählen.
Gegen Dortmund konnte sich Werder die Räume auf den offensiven Außenbahnen sehr gut erlauben, weil der BVB keine sonderlich starken Aufbauspieler auf den defensiven Außenpositionen hat. Die weiten Wege beim Verschieben fielen dementsprechend nicht so stark ins Gewicht und selbst wenn Dortmund mal Platz hatte, fanden sie kaum Wege in die Zentrale.
Bayern hingegen hat mit Alphonso Davies und Benjamin Pavard zwei spielstarke Außenverteidiger. Während Pavard vor allem über seine Diagonalpässe viel Gefahr ausstrahlt, gelingt es Davies immer wieder mit Dribblings, seine Räume zu nutzen. Gegen Tottenham gewann er 8 seiner 10 Duelle. Ein weiterer Faktor ist Manuel Neuer, der noch aktiver mitspielt als Roman Bürki und hier auch nochmal mehr Sicherheit ausstrahlt. Über ihn als dritten Aufbauspieler kann der Zweiersturm vorn geknackt und in die freien Räume verlagert werden. Der Vorteil des Tannenbaums liegt natürlich klar darin, dass Bremen die Schaltzentrale der Bayern sehr flexibel bespielen könnte. Aber das kann Kohfeldt auch anders erreichen.
Von der Borussen-Raute zur Werder-Raute?
Am vergangenen Wochenende wird auch er genau gesehen haben, wie Gladbach die Bayern bespielte. Er dürfte vernommen haben, dass die Raute der Borussia nicht sehr erfolgreich war. In der Theorie bleibt diese Grundordnung aber dennoch eine realistische Option. Denn der Grundgedanke dahinter ist nicht verkehrt: Zwei Stürmer, die die Innenverteidiger unter Druck setzen und ein breites Dreiermittelfeld, das sowohl Achter als auch Außenverteidiger zuschieben müsste. Außerdem noch der Zehner, der sich um den Spielgestalter im Sechserraum kümmern müsste.
Je nach Bedarf kann diese Variante natürlich auch während des Spiels unkompliziert mit dem Tannenbaum oder einem klassischen 4-4-2 getauscht werden, um die Bayern vor verschiedene Herausforderungen zu stellen und die Anlaufwinkel zu variieren. Der größte Unterschied zu den Gladbachern dürfte sein, dass Werder im Schnitt nicht so hoch steht. Einerseits bietet das den Bayern Verschnaufpausen, andererseits kann Bremen so etwas kompakter stehen und die Raute womöglich sauberer ausführen als die Borussia.
In all diesen Abweichungen des 4-3-3 wird der Fokus klar darauf liegen, die Bayern früh auf den Flügeln zu isolieren und sie dort zu Ballverlusten zu zwingen. Die diagonalen Wege von außen nach innen gilt es zu schließen, will man die Bayern in Gefahr bringen. Gerade die numerische Überzahl im Zentrum ist ein großes Pro-Argument für die Viererkette.
Mutige Fünferkette?
Selbstverständlich bleibt auch die Fünferkette eine Option, die im Pressing nach vorn aber eher den Fokus auf die linearen Anlaufwege der Flügelverteidiger legt. Der Vorteil: in der Breite sind die Bremer besser aufgestellt. Seitenverlagerungen können aufgefangen und die Außenverteidiger der Bayern noch aggressiver angelaufen werden.
Nachteilig ist die geringere Präsenz im offensiven Zentrum. Es gibt zwischen der Dreierreihe im Mittelfeld und dem Doppelsturm keinen freien Mann, der die Lücken zulaufen und den Sechser der Bayern beschäftigen kann. Diese Rolle muss dann frei übergeben werden und das könnte Joshua Kimmich entscheidende Sekunden geben. Wenn jedoch einer der fünf Spieler fest für den Sechser eingeteilt wird, fehlt entweder vorn jemand für mehr Druck oder hinten jemand für bessere Kontrolle gegen die Achter und den ausweichenden Lewandowski.
Egal wofür sich Kohfeldt letztendlich entscheidet: Bei Werder wird vieles davon abhängen, wie gut die Tagesform ist. Die Mannschaft hatte in den letzten Wochen häufig den richtigen Matchplan an der Hand und zeigte sich auch bei Anpassungen sehr flexibel und lernfähig. Allerdings hilft das alles wenig, wenn individuelle Fehler den Plan übertrumpfen. Gerade gegen die Bayern darf sich Bremen keine einfachen Ballverluste erlauben. Entlastungsphasen und Mut mit dem Ball sind wichtig, um in der Allianz Arena etwas mitzunehmen. In manchen Situationen braucht es aber auch den klassischen Befreiungsschlag. Werder wirkt hier manchmal zu verspielt und so geht die Suche nach der richtigen Balance weiter.
Bayerns Detailprobleme im Pressing
Aus der Analyse des Gegners lassen sich die Aufgaben der Bayern am Wochenende bereits wunderbar ablesen. Bremens Ziel, den Spielaufbau des Gegners so zu lenken, dass Sechser und Außenverteidiger isoliert werden, lässt sich nur mit gutem Positionsspiel vereiteln. Gegen Tottenham zeigten Kimmich und Thiago abermals, dass sie zusammen sehr gut funktionieren können. 18 Pässe spielte Kimmich auf den Spanier, 9 davon überspielten eine Pressinglinie der Spurs.
Auch gegen den Ball funktionierten beide am Mittwochabend zuverlässig. Thiago verbuchte 14 Ballgewinne (Topwert), Kimmich 8 (Gemeinsam mit Davies und Neuer auf Platz 2). Trotz allem bleibt die Mittelfeldfrage aber offen. Auch deshalb, weil Flick noch nach der richtigen Mischung aus Wucht und Kunst sucht.
Ein größeres Problem haben die Bayern nämlich noch im Pressing. Mit Philippe Coutinho, Thiago und Kimmich sah das mit dem Ball gegen die Spurs stellenweise richtig toll aus. Doch gerade Coutinho fehlt, obwohl er sehr aktiv und bewegungsfreudig ist, die Durchsetzungsfähigkeit gegen den Ball. Durch die ungeplante Einwechslung von Thomas Müller wurde das wiederum besser aufgefangen. Trotzdem waren leichte Balanceprobleme zu spüren. Insbesondere auf den Flügeln haben die Bayern gegen den Ball sowohl ihre Stärken als auch ihre Schwächen.
Durch ihr aggressives und gerade im Zentrum mannorientiertes Pressing wollen sie unkontrollierte oder hohe Chipbälle auf die Außenbahnen provozieren. Anschließend wird schnell verschoben, damit sofort Druck ausgeübt werden kann. Dabei spielen die Außenverteidiger eine wichtige Rolle, die auf der ballnahen Seite aggressiv nach vorn schieben.
Die Restverteidigung muss dann die Lücken schließen. In der Grafik stößt Pavard also nach vorn, die Innenverteidiger übernehmen die neuen Gegenspieler und stehen nun Mann-gegen-Mann in der Restverteidigung. Wird das Pressing der Bayern überspielt, entstehen mitunter Laufduelle wie gegen Leverkusen oder Tottenham. Jemand wie Alphonso Davies kann solche Situationen ablaufen, Jérôme Boateng und Javi Martínez können das nicht mehr. Deshalb war auch David Alaba für Hansi Flick zuletzt so entscheidend.
Die Tendenz stimmt
Die Lösung ist aber nicht, wie unter anderem von Lothar Matthäus zuletzt gefordert, den Spielstil in eine abwartendere Haltung zu verändern. Damit fuhr schon Niko Kovač nicht gut. Es geht darum, die Automatismen im Anlaufen zu verfeinern, die Anzahl an hohen Ballgewinnen zu maximieren und die Lücken durch die herausrückenden Außenverteidiger noch schneller und konsequenter zu schließen. Das geht auch mit langsameren Spielern, wie Pep Guardiola in seiner Karriere mehrfach bewiesen hat.
Wichtig wird es hier auch sein, dass Flick verändertes Anlaufverhalten beim Gegner erkennen und darauf reagieren kann. Die Arbeit an den Details wird aber Zeit brauchen, weil die Bayern ein derart offensives Pressing länger nicht mehr gespielt haben. Und doch ist dieser Weg perspektivisch richtig. Gegen Werder treffen die Münchner wieder auf eine Mannschaft mit schnellen Spielern. Es bietet sich also die Möglichkeit, einen weiteren Entwicklungsschritt nach vorn zu gehen.
Sind die Gäste nur annähernd so mutig, wie es Kohfeldt fordert, ist das nämlich der nächste Prüfstein für die Bayern, wenngleich nicht auf dem Niveau von Borussia Mönchengladbach oder Bayer Leverkusen. Aber auch das wegen der Tabellensituation unterschätzte Niveau der Bremer muss erstmal bespielt werden. Die Tendenzen stimmen weiterhin, es geht jetzt an die Detailarbeit. Doch bis zum Winter wäre es vor allem förderlich, käme zum Treppenwitz keine weitere Stufe hinzu.
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Spieltagssieger
Werner und ania gewinnen den 14. Spieltag mit je 21 Punkten. Hier die Top 5:
- Beltiboy – 183 Punkte (0 Spieltagssiege)
- Jona_Brauni – 182 Punkte (1 Spieltagssieg)
- Dominik – 181 Punkte (0,33 Spieltagssiege)
- Isarläufer – 181 Punkte (0 Spieltagssiege)
- dain – 178 Punkte (0 Spieltagssiege)
Lahmsteiger: Platz 44 – 161 Punkte (0 Spieltagssiege)
So läuft es gegen Bremen …
Die Bayern befreien sich gegen Bremen, gehen früh in Führung, gewinnen letztlich verdient und souverän mit 4:0 – auch weil Bremen etwas einbricht am Ende. In den Miasanrot-Kommentaren entfacht derweil eine brennende Diskussion darüber, dass Flick es ja nicht an einem kalten Samstagnachmittag in Gladbach bewiesen habe. Das wird ihm noch ein Weilchen nachhängen. Auf bald!
So könnte Bayern spielen …
4-3-3: Neuer – Pavard, Boateng, Alaba, Davies – Kimmich – Thiago, Coutinho – Müller, Lewandowski, Gnabry
Es fehlen: Hernández, Süle, Arp, Cuisance, Coman (alle verletzt); Martínez (gesperrt)
So läuft der Spieltag …
Hoffenheim 2:1 Augsburg
Bayern 4:0 Bremen
Köln 1:2 Leverkusen
Paderborn 2:1 Union
Hertha 2:1 Freiburg
Mainz 1:1 Dortmund
Düsseldorf 1:3 Leipzig
Wolfsburg 1:1 Gladbach
Schalke 2:1 Frankfurt