Vorschau: Hertha BSC – FC Bayern München

Justin Trenner 17.01.2020

Hertha BCC – der Big City Club. Mit dieser Zwischenüberschrift begannen wir unsere erste Bundesliga-Vorschau der neuen Saison. Damals, mit gerade frisch abgeschlossenem Investoren-Deal und großen Hoffnungen in Trainer Ante Čović, waren Herthas Träume kaum zu bremsen.

Nun, nur ein halbes Jahr später, scheint diese Traumwelt starke Risse bekommen zu haben. Das Ziel, in die Phalanx der Top-Mannschaften in Deutschland einzubrechen, scheint vorerst hinten angestellt werden zu müssen.

Čović hatte gute Ideen. Aber er hat sie einerseits selbst nicht ausreichend an die Mannschaft weitergeben können und andererseits fehlten ihm dafür Zeit und das passende Umfeld. Jetzt soll Jürgen Klinsmann das sinkende Schiff bis zum kommenden Sommer retten. Was danach kommt, weiß in Berlin noch keiner so genau. Schließlich wurde Klinsmann ursprünglich für eine andere Position geholt. Doch mit ihm stimmen plötzlich die Ergebnisse wieder.

Hertha BSC: Die ewige graue Maus?

Nach einer Auftaktniederlage gegen Borussia Dortmund (1:2) gab es zwei Unentschieden in Frankfurt (2:2) und gegen Gladbach (0:0). Darüber hinaus gelangen der Alten Dame Siege in Leverkusen und daheim gegen Freiburg (jeweils 1:0). Besonders auffällig: Nach vier Gegentoren in den ersten beiden Spielen kassierte Hertha in den vergangenen drei Partien kein einziges mehr.

Klinsmann und sein neu installiertes Team, bestehend aus Alexander Nouri, Markus Feldhoff, Werner Leuthardt und Teammanager („Performance Manager“) Arne Friedrich, haben also bereits Fortschritte erzielen können. Und doch hält sich die Euphorie in der Hauptstadt in Grenzen – zumindest bei Fans und Umfeld.

Wo immer Klinsmann auch war, hat er für große Veränderungen gesorgt. Veränderungen gehen sehr oft mit Kritik und Skepsis einher. Transfertechnisch passierte bei Hertha jetzt aber noch nicht allzu viel. Salomon Kalou soll sich wohl nach einem neuen Klub umsehen dürfen und Ondrej Duda sowie Eduard Löwen haben Berlin bereits verlassen. Dafür kam aus Stuttgart Mittelfeldmann Santiago Ascacíbar für immerhin rund 10 Millionen Euro. Auch an Granit Xhaka war man interessiert, doch aufgrund der veränderten Situation in London ist der Deal geplatzt. So muss der erste große Deal durch die Windhorst-Millionen wohl weiter ausbleiben.

Neues „Benchmarking-System“

Insbesondere gemeinsam mit Friedrich arbeitet Klinsmann aber vor allem an methodischen Veränderungen. Die Einflüsse aus der Zeit, die beide in den USA verbracht haben, sind hier deutlich spürbar. So sprach Friedrich im Trainingslager in Florida über ein neues „Benchmarking-System“, das nach und nach eingeführt werden soll.

Grob ginge es darum, Vergleichswerte zu etablieren, die den Status quo eines jeden einzelnen Spielers im persönlichen sowie im fußballerischen, medizinischen und athletischen Bereich überwachen und anhand verschiedener Indikatoren bewerten sollen – jeweils dargestellt mit einer Ampel, die klassisch die Farben Grün, Gelb und Rot enthalten soll.

Schaut man sich den bisherigen fußballerischen Fortschritt der Hertha unter Klinsmann genauer an, dürfte die Ampel wohl gelb leuchten. Die defensive Stabilität zeigt sich nicht nur anhand der wenigen Gegentore, sondern auch anhand der Expected Goals Against1. Unter Čović lag dieser Wert im Schnitt bei 1,55. In den vergangenen fünf Spielen ist er auf 1,36 gesunken, in den letzten drei sogar auf 0,93. Hier ist also eine Entwicklung zu erkennen.

Die Defensive: Stabil mit kleineren Problemen

Im taktischen Bereich setzen Klinsmann und sein Team eher auf fast schon klassische Mittel und weniger auf Innovationen. Nach anfänglicher Dreierkette etablierte sich hier zuletzt ein sehr enges 4-4-2 mit fast all seinen Variationen gegen den Ball: 4-5-1, 4-2-3-1, 4-3-3 (4-1-4-1). Der Fokus lag jeweils darauf, hinten möglichst kompakt zu verteidigen, gleichzeitig aber im Mittelfeld entsprechenden Zugriff zu bekommen, wenn der Gegner dort hinspielte.

Mögliche Grundausrichtung der Herthaner gegen Bayern? Aus dem 4-1-4-1 heraus könnte Klinsmanns Elf auch problemlos in ein 4-5-1 oder 4-4-2 schieben, um das Mittelfeld zu verdichten.

Das gelingt aber nicht immer. Mindestens einer, teilweise sogar zwei Angreifer bleiben in Klinsmanns System häufig sehr hoch positioniert. Werden die beiden Viererketten dann hinten reingedrückt, fehlen diese Spieler im Zentrum. Gladbach kam so beispielsweise zu einigen guten Chancen.

Darüber hinaus fiel auf, dass Hertha noch Probleme hat, die richtige horizontale Kompaktheit zu finden. Das heißt, dass die Flügelspieler oftmals stark ins Zentrum einrücken, um die Spielfeldmitte zu verdichten. Gerade gegen Mannschaften wie die Bayern, die über die Außenbahnen Gefahr ausstrahlen, könnten die Wege für die Verteidiger nach außen hin zu weit werden. Vielleicht stellt Klinsmann für den Rückrundenauftakt deshalb wieder auf eine Fünferkette um. Andernfalls wird es darum gehen, die Viererkette optimal aus dem Mittelfeld heraus zu unterstützen.

Ein Faktor für die bisherigen Probleme könnte das stark ballorientierte Verteidigen der Berliner sein. Spieler in Ballnähe rücken manchmal zu schnell aus ihren Positionen heraus und öffnen damit Räume zwischen den Linien. Etwas mehr Disziplin gegen den Ball sowie ein Gefühl für die angemessene Kompaktheit (vertikal wie horizontal) könnten die bisher ordentliche Verteidigung weiter stabilisieren.

Taktisch gewollte Limitation?

Mit dem Ball beschränkt sich Hertha fast ausschließlich aufs Kontern. Klinsmann hat zudem mehrfach durchklingen lassen, dass er seinen Spieler enorme Freiheiten in der Entscheidungsfindung lässt. Der B.Z. erklärte er beispielsweise: „Die Entscheidungen, ob die Spieler schießen oder passen, treffen die Spieler doch ohnehin selbst.“ Das zeigt sich bisher mehr oder weniger auch auf dem Platz.

Hertha hat selten den Ball. Gegen Dortmund erreichte man am Ende nur deshalb rund 48 % Ballbesitz, weil Hummels kurz vor der Pause des Feldes verwiesen wurde und der BVB sich zurückzog. Rechnet man die zweite Halbzeit dieser Partie heraus, bleibt gemeinsam mit den restlichen Partien ein Durchschnitt von rund 35,5 % mit einem Höchstwert von 40,5 % gegen Gladbach und einem Tiefstwert von 28,7 % in Leverkusen.

In allen fünf Klinsmann-Spielen gab es erst 55 Abschlüsse der Berliner (also 11 pro Spiel). Trotzdem reichte es für rund ein erwartetes Tor pro Partie. Hertha hat in der Offensive Spieler, die aus wenigen Chancen viele Tore machen können. Das zeigten sie in den letzten Jahren häufiger, indem sie ihren Expected-Goals-Wert (xG-Wert) fast immer übertrafen. Auch in der Hinrunde standen 22 tatsächlich erzielte Tore einem xG-Wert von 18 gegenüber.

Klinsmann scheint um diese Stärke zu wissen und fokussiert sich deshalb ganz bewusst auf die Defensive. Doch die Ziele der Berliner sind hoch gesteckt. Friedrich will „Größenwahn“ und auch Klinsmann selbst sprach trotz der prekären Situation immer wieder von der Champions League als langfristigem Ziel. Damit die Ampel im „Benchmarking-System“ jedoch auf grün umschlägt, muss noch einiges passieren. Auf Dauer dürfte es zu riskant sein, immer auf die Effizienz vor dem Tor und die richtigen Entscheidungen der Spieler zu setzen. Das teils noch sehr holprige und wenig durchdachte Spiel der Hertha mit dem Ball wird nicht ausreichen, um den gewaltigen Schritt nach oben zu packen. Das lässt sich trotz erster Erfolge bereits absehen.

Jürgen Klinsmann will wieder in die Champions League. Diesmal aber mit Hertha BSC.
(Foto: LLUIS GENE/AFP via Getty Images)

Die Qualität der Mannschaft und die gute Defensivleistung können Hertha wieder ins stabile Tabellenmittelfeld befördern. Kurzfristig wäre das sogar ein Erfolg. Langfristig wird man sich die Frage stellen müssen, wie man Čovićs Idee des offensiveren Stils effizienter und besser umsetzen kann. Andernfalls wird der Big City Club noch eine ganze Weile die graue Maus bleiben.

FC Bayern München: Ran an die Detailarbeit

Auf der anderen Seite steht ein trotz der Pause immer noch gebeutelter FC Bayern. Kaderdiskussionen hier, Verletzungen da – so richtig kamen die Münchner noch nicht in Tritt. Zu allem Überfluss gab es in einem Testspiel am letzten Wochenende eine deftige 2:5-Niederlage gegen den 1. FC Nürnberg, die letztendlich wegen ihrer Umstände keinerlei Bedeutung für die Rückrunde hat, aber erneut ein Stück Unruhe ins Team brachte.

Doch es ist auch ein starker Kontrast zu spüren. Einerseits die teils heftige Kritik an der Transferpolitik, die nicht nur von außen nach innen drang, sondern selbst von Hansi Flick – wenn auch deutlich milder – geäußert wurde. Andererseits aber ein FC Bayern, der in sich zu ruhen scheint. Die souveräne Kahn-Vorstellung, ein Trainer, der zumindest mit den vorhandenen Spielern sehr zufrieden ist und ein souveränerer Sportdirektor als noch vor einem halben Jahr. Hasan Salihamidžić erklärte nicht nur nachvollziehbar, weshalb Timo Werner nicht nach München wechselte, sondern auch, weshalb der Markt im Winter so schwierig ist. Die Gelassenheit, mit der all das trotz einer für ihn unangenehmen Situation geschieht, lässt darauf spekulieren, dass konkrete Pläne für den Sommer die aktuelle Phase erschweren – was insgesamt ja dann doch ein positives Zeichen für den FC Bayern wäre.

Und dann gibt es da noch die Spieler, die ungebrochen von ihrem neuen Trainer schwärmen. Die Münchner zeigten sich grundsätzlich zufrieden mit ihrer Gesamtsituation, sendeten zugleich aber angriffslustige Signale. So sprachen Flick und Joshua Kimmich von den großen Ambitionen, in allen drei Wettbewerben möglichst um den Titel zu spielen.

Haben die Bayern ihre Hausaufgaben gemacht?

Die Aufgabenliste dafür ist lang. Selbst wenn man die Meisterschaft als Basisziel betrachtet und die K.O.-Wettbewerbe wegen der aktuellen Kadersituation ausklammert, ist der Weg zum achten Titel in Folge noch weit. RaBa Leipzig präsentierte sich in der Hinrunde außerordentlich konstant. Der Kader ist breit genug, der Trainer strahlt Ambitionen aus, die auf die Mannschaft überschwappen, und der Fußball war bisher sehr erfolgreich.

Einiges deutet darauf hin, dass ein größerer Einbruch bei RaBa nicht zu erwarten ist. Im Umkehrschluss heißt das für die Bayern, dass sie an ihrer eigenen Konstanz schrauben müssen. Taktisch gibt es Aufholbedarf, was die Restverteidigung und Konterabsicherung angeht. Das hohe Pressing sorgte zweifelsohne für eine Wiederbelebung des Rekordmeisters. Doch um weiterhin am Leben zu bleiben, müssen die Lücken insbesondere auf den Außenbahnen besser verteidigt werden.

In dieser Grafik ist dargestellt, wie die Pressingmechanismen des FC Bayern ungefähr funktionieren. Es geht darum, die Außenspieler zu isolieren und dann unter Druck zu setzen. Das funktionierte meistens sehr gut. Nun geht es aber darum, Konsequenz und Konstanz zu erhöhen. Wenn die Außenverteidiger so aggressiv herausschieben, öffnen sie hinter sich Räume, die durch das Nachschieben der Restverteidigung geschlossen werden sollen. Mannschaften wie Gladbach, Leverkusen oder Freiburg kamen dann zu häufig von außen nach innen und anschließend in den offenen Raum, wo insbesondere Javi Martínez und Jérôme Boateng nicht das Tempo hatten, ihre Gegenspieler zu verteidigen.

Welche Farbe hat die bayerische Leistungsampel?

Mit der Rückkehr von Lucas Hernández oder einem neuen Rechtsverteidiger (und Pavard im Zentrum) könnte diese Baustelle also womöglich geschlossen werden. Andererseits sollten diese Situationen nicht ausschließlich auf fehlendes Tempo reduziert werden. Bayern kann dem taktisch entgegenwirken, ohne zwingend tiefer pressen zu müssen. Dafür bedarf es einer höheren Kompaktheit, noch besser definierte Pressingtrigger (also Situationen, die das Anlaufverhalten von Spielern auslösen) und eine insgesamt homogenere Abstimmung.

Die Bayern befanden sich unter Flick zum Ende des Jahres auf einem guten Weg. Diesen gilt es gegen Hertha nun fortzusetzen. Ein tiefstehender Gegner, der schnell umschalten möchte. Ein Gegner also, der die Bayern in zwei Aspekten besonders prüfen könnte. Erstens: Wie variabel ist das Offensivspiel? In den vergangenen Partien wichen die Bayern zu häufig auf das alte Flankenschema aus. Im Laufe der Rückrunde wird es mehr Variationen geben müssen. Gegen Hertha fehlen mit Kimmich, Coman und Gnabry (der vielleicht auf der Bank sitzt) wichtige Spieler.

Und zweitens: Wie fähig ist das Team, die Konterwege der Berliner möglichst weitläufig und ungefährlich zu halten? Hier wird es auch darum gehen, einen wahrscheinlichen Einsatz von Boateng in der taktischen Ausrichtung einzubeziehen. Um abschließend nochmal in der Sprache von Klinsmann und Co. zu bleiben: Eine erste kleine Benchmark wird die Formkurve des FC Bayern am Sonntag überprüfen. Dann wird man sehen, in welcher Farbe die bayerische Ampel aktuell leuchtet.

1 Expected Goals ist eine Metrik, die versucht Qualität von Torabschlüssen zu messen, indem sie jedem Abschluss eine Wahrscheinlichkeit zuordnet. Die Modelle funktionieren jeweils unterschiedlich, weshalb es zu starken Abweichungen zwischen ihnen kommen kann. Im Verbund mit anderen Statistiken und dem subjektiven Eindruck können sie aber eine Annäherung an Objektivität ermöglichen. Hier und folgend (außer es wird explizit anders angegeben) wurden die Daten von fbref.com verwendet, weil die ihre Werte von Statsbomb beziehen, die wiederum als Goldstandard in Sachen Expected Goals gelten.

Vorschau-Tippspiel

Im Vorschau-Tippspiel tippe ich den gesamten Bundesliga-Spieltag. In unserer Kicktipp-Gruppe könnt ihr euch mit mir und allen anderen messen. Der oder die GewinnerIn der Kicktipp-Runde bekommt von mir ein signiertes Exemplar Generation Lahmsteiger.

Hier geht es zur Kicktipp-Runde!

Spieltagssieger

Nussi2016 holte sich den Spieltagssieg am 17. Spieltag mit starken 23 Punkten. Hier die Top 5 und somit auch der Herbstmeister Edlan:

  1. Edlan – 218 Punkte (0 Spieltagssiege)
  2. Stiepel-Arne – 215 Punkte (0 Spieltagssiege)
  3. Dominik – 214 Punkte (0,33 Spieltagssiege)
  4. dain – 214 Punkte (0 Spieltagssiege)
  5. Andreas und Chris.h – 213 Punkte (0 Spieltagssiege)

Lahmsteiger: Platz 58 – 192 Punkte (0 Spieltagssiege)

So läuft es gegen Hertha …

Mittlerweile klassisches Auswärtsspiel bei Hertha: Bayern läuft an, Hertha verteidigt leidenschaftlich. Diesmal schaffen es die Berliner aber nicht, den Nadelstich zur richtigen Zeit zu setzen. Rund um die Halbzeit gelingt den Bayern der Führungstreffer. Anschließend fällt noch ein zweites und die Bayern gewinnen mit 2:0 in Berlin!

So könnte Bayern spielen …

4-3-3: Neuer – Pavard, Boateng, Alaba, Davies – Thiago, Goretzka, Müller – Perišić, Lewandowski, Coutinho

Es fehlen: Hernández, Süle, Coman, Martínez (alle verletzt), Kimmich (5. Gelbe)

So läuft der Spieltag …

Schalke 1:1 Gladbach
Augsburg 1:2 Dortmund
Hoffenheim 2:1 Frankfurt
Köln 0:1 Wolfsburg
Mainz 2:1 Freiburg
Düsseldorf 1:2 Bremen
Leipzig 3:0 Union
Hertha 0:2 Bayern
Paderborn 2:2 Leverkusen



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