Vorschau: Liverpool FC – FC Bayern München

Justin Trenner 18.02.2019

In den letzten 5 Jahren wurde zur aktuellen Zeit gern der Witz bemüht, dass die Saison für den FC Bayern jetzt erst so richtig losgehen würde. Diesmal ist es anders. Die Münchner befinden sich vor dem Champions-League-Achtelfinale gegen den Liverpool FC in einer Situation, in der die Saison schneller vorbei sein könnte, als ihnen lieb ist.

Obwohl beide Klubs eine riesige Tradition im europäischen Spitzenfußball haben, trafen sie erst siebenmal in Pflichtspielen aufeinander. Bayern konnte nur eines dieser Spiele gewinnen, Liverpool immerhin zwei – sonst gab es immer ein Remis. Auch Klopps Bilanz gegen den Rekordmeister aus Deutschland ist für die Bayern etwas ernüchternd: 16 Siege, 4 Unentschieden, 9 Niederlagen stehen zwar für den FCB auf dem Konto. Sechs dieser Siege und eines der Unentschieden holten sie allerdings gegen den eigentlich klar unterlegenen 1. FSV Mainz 05 und so war das Duell in der jüngeren Vergangenheit doch sehr ausgeglichen, wenn nicht sogar pro Klopp, wenn er die nötigen Mittel dazu hatte – das war ja gerade zu Beginn und gegen Ende der Dortmund-Zeit auch nicht wirklich der Fall. Nur wenige aktive Trainer in Europa haben eine so ausgeglichene Ausbeute gegen die Münchner.

In der Champions League will Klopp nun weiter daran schrauben. Wir haben mit Sven Ziegler und Richard Köppe vom “Supporters Verband“ LFC Familie über das anstehende Hinspiel an der Anfield Road gesprochen und nachgehakt, wie optimistisch die Liverpool-Fans sind. Auf Seite 2 gibt es zudem eine Analyse der aktuellen Probleme des FC Bayern und auf Seite 3 analysieren wir die Engländer mit all ihren Stärken und einigen Schwächen, die der fünfmalige Champions-League-Sieger aus München vielleicht nutzen könnte.

„Kein Name ist uns zu groß“

Miasanrot.de: Servus, stellt uns euer Projekt doch bitte ganz kurz vor! Wie kamt ihr als deutschsprachige Fans zum Liverpool FC?

Sven Ziegler: Servus oder in unserem Fall eher „Hi there!“ Wir sind die LFC Familie, ein deutschsprachiger Blog mit allen News und Informationen rund um den Liverpool FC. Wir sind aber nicht nur ein Blog, sondern primär ein grosser Verband mit Fans aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. So schauen wir in mehreren Städten in Deutschland und der Schweiz die Spiele des Liverpool FC gemeinsam in den Pubs oder reisen zusammen nach Anfield, um mit der Mannschaft zu feiern oder zu leiden.

Ich persönlich kam mehr durch einen Zufall zum Liverpool FC. Nach einem Spiel gegen Manchester City im Jahre 2012, welches ich vor dem Fernseher miterleben durfte, hatte mich das Fieber gepackt. Seither bin ich durch und durch ein Red. Es gibt aber auch viele bei uns im Verband und im mittlerweile neunköpfigen Media-Team, welche das rote Gen von der Familie oder Freunden geerbt haben.

Miasanrot.de: In den letzten Jahren waren viele Fans international nicht unbedingt glücklich, wenn sie den FC Bayern zugelost bekamen. Hat sich das gedreht? Wie waren die Reaktionen in der Fanbase des FC Liverpool?

Richard Köppe: Naja, von einem Glückslos kann man nie sprechen, wenn man den FC Bayern zugelost bekommt, doch die Reaktionen waren zum größten Teil optimistisch. Wir wissen seit letzter Saison, dass wir über zwei Spiele jeden Gegner schlagen können und dass wir uns vor niemandem fürchten müssen. Kein Name ist uns zu groß.

Miasanrot.de: Klopp kann zudem den FC Bayern. Er konnte in der Vergangenheit aber weniger gegen Underdogs. Was hat sich in dieser Saison verbessert, dass genau das meistens klappt und Liverpool somit Tabellenführer ist?

Richard: Klopp hat die defensiven Baustellen aus den vergangenen Jahren durch die Verpflichtung von Virgil van Dijk und Alisson behoben. Auf der Torwartposition herrscht endlich Sicherheit und in der Abwehr steht mit dem Niederländer ein echter Leader. Somit haben wir gerade gegen die kleineren Vereine weniger unnötige Gegentore kassiert. Gleichzeitig haben wir unsere offensiven Stärken noch beibehalten. Firmino, Salah und Mane sind alle drei extrem torgefährlich und aus dem Mittelfeld sind Shaqiri und Wijnaldum auch für den ein oder anderen Torschuss gut. Das macht uns im Angriffsspiel unberechenbar und die meisten Gegner schaffen es nicht, diese geballte Offensive am Torerfolg zu hindern.

Miasanrot.de: Ist der Tanz auf vielen Hochzeiten für den Kader vielleicht trotzdem ein Problem?

Sven: Durch die hohe Belastung in der Premier League und die beiden Pokalwettbewerbe muss jeder englische Spitzenverein gewisse Prioritäten setzen. In den vergangenen Spielzeiten zeigte sich immer wieder, wie Liverpool zwar stark startete, am Ende der Saison aber kräftemäßig einfach nicht mehr konnte und darum den Anschluss an die Spitze verpasste. Auch die fehlende Kadertiefe war ein grosses Problem.

In dieser Saison hat man nun erstmals das Gefühl, als könnte die Mannschaft personell bis zum Ende durchhalten. Trotz gewichtiger Neuverpflichtungen weiß aber auch Klopp, dass man nicht überall dabei sein kann, entsprechend stellt er auch seine Mannschaft auf. Dass Liverpool daher sowohl im Ligapokal als auch im FA Cup nicht besonders weit kam, stellte für kaum einen Fan eine große Überraschung dar, die Prioritäten liegen anderswo.

Miasanrot.de: Welcher Wettbewerb wird denn priorisiert und wieso?

Richard: Ich glaube, für Klopp und das Team sind sowohl die Premier League als auch die Champions League von gleicher Bedeutung. Obwohl die Liverpool-Fans eine besondere Beziehung zum Europapokal haben, würde fast jeder den Meistertitel vor den Champions-League-Erfolg stellen. Wir warten seit 29 Jahren auf einen Ligatitel, es ist der heilige Gral für jeden Red. Eine ganze Generation Fans hat dies noch nicht erlebt. Es wird eine Party epischen Ausmaßes geben, wenn wir im Mai als Premier-League-Sieger 18/19 gekürt werden sollten. Kein Titel in der langen Vereinshistorie würde so sehr abgefeiert werden wie die nächste Meisterschaft.

Miasanrot.de: Welche Schwächen hat Liverpool trotz aller Erfolge noch?

Sven: Bis zum Jahreswechsel konnte man meinen, dass die Reds gar keine Schwächen zeigen würden. Dann aber änderte sich die Situation drastisch, plötzlich geriet die Mannschaft in eine Negativspirale. Die große Schwäche liegt dabei meiner Ansicht nach vor allem in der Kaderbreite der Offensive. Wenn Mohamed Salah und Roberto Firmino schwächeln, sind sie nur sehr schwer zu ersetzen, entsprechend fehlt dann auch die Torgefahr. Schwierig ist auch die Situation auf der rechten Verteidigerposition, nach dem Ausfall von Trent Alexander-Arnold und Joe Gomez standen wir plötzlich ohne Rechtsverteidiger da. Immerhin scheint Alexander-Arnold wieder fit für den Dienstag zu sein, das ist sicherlich ein unglaublich wichtiger Faktor.

Zu guter Letzt ist es auch wichtig, dass die Innenverteidigung einen guten Tag erwischt. Van Dijk dürfte im Rückspiel gesetzt sein, doch sowohl Joel Matip als auch Dejan Lovren zeigten in den grossen Spielen immer wieder schwache Momente. Hier braucht es 90 Minuten volle Konzentration.

Miasanrot.de: Welche Stärken und welche Schwächen seht ihr beim FCB?

Richard: Die Stärken des FC Bayern liegen ganz eindeutig in der Kadertiefe im Mittelfeld. Mit Goretzka, Thiago, Javi Martínez und Tolisso strotzt es nur so vor Qualität. Dasselbe gilt für die Außen. Ribéry und Robben sind zwar im Spätherbst ihrer Karriere, aber sie können Spiele entscheiden. Lewandowski ist mit acht Toren aus der Gruppenphase enorm wichtig für die Bayern und Liverpool muss auf ihn achtgeben.

Falls er aber nicht performen sollte oder sich verletzt, verliert Bayern einiges an Torgefahr, vor allem, da Müller auch noch gesperrt ist. Die Abwehr ist die Achillessehne der Mannschaft. In dieser Saison hat Bayern zu viele leichtsinnige Gegentore kassiert, vor allem gegen die kleineren Teams aus der Bundesliga. Unser Angriff hat bewiesen, dass er zu den Besten in Europa gehört.

Ich vermute, dass Spieler wie Boateng und Hummels mit dem Tempo nicht zurecht kommen werden und falls Alaba und Kimmich zu weit nach vorne gehen, könnten gefährliche Lücken entstehen. Manuel Neuer ist in dieser Saison auch nicht mehr die große Stütze, die er vor seiner Verletzung war. Trotzdem ist er immer noch ein klasse Keeper.

Miasanrot.de: Welche Art von Spiel erwartet ihr im Hinspiel und wie geht es aus?

Richard: Ich erwarte von beiden Mannschaften ein Offensivfeuerwerk an der Anfield Road. Bayern wird auf das Auswärtstor spielen und die Abwehr ohne van Dijk gehörig unter Druck setzen wollen. Doch wenn der FCB das Spiel gestalten möchte, spielt das Liverpool mit unserem Pressing und unserer Konterstärke gehörig in die Karten. Ein 0:0 werden wir sicher nicht erleben. Auch ohne van Dijk glaube ich nicht, dass der FC Bayern uns in Anfield schlagen wird. Das hat noch keine deutsche Mannschaft hinbekommen. Ich tippe auf ein 3:1 für Liverpool. Im Rückspiel in der Allianz Arena gibt es dann ein Unentschieden und Liverpool kommt weiter.

Auf der nächsten Seite analysieren wir die Probleme des FC Bayern.


Wird es für den FC Bayern das große Erwachen oder ein unerwarteter Rausch? Große Spiele haben oft ihren eigenen Charakter, ihre eigene Geschichte. Doch reicht das? Können die Münchner gegen Liverpool ihre Probleme abstellen?

Vor allem die Defensive ist in den Fokus der Kritik gerückt. 2, 1, 2, 3, 1, 1 – das sind von Augsburg bis Hoffenheim die Gegentore, die der FC Bayern in seinen Pflichtspielen des Jahres 2019 bisher kassierte.

Tiefpunkt waren dabei die drei Gegentreffer in einer Halbzeit gegen Leverkusen – eine Mannschaft, die zumindest annähernd als Generalprobe für Liverpool gesehen werden konnte. Zu hoch sei die Anzahl an individuellen Fehlern, zu hühnerhaufenartig die Formation in Phasen ohne Ball. Spieler rücken offensichtlich ohne Gefühl für den Raum heraus und verursachen Kontersituationen oder gefährliche Angriffe.

Doch kann man die insgesamt 34 Gegentore in 32 Pflichtspielen nur auf individuelle Fehler, schlechtes Verhalten einzelner Mannschaftsteile und eine insgesamt schlechte Defensivorganisation reduzieren? Man kann. Doch vor allem die Reduktion auf das Endprodukt – die schwache Abwehrleistung – führt dazu, dass das eigentliche und viel wesentlichere Problem ausgeblendet wird.

Bayerns Sorgen

Denn es greift viel zu kurz, die geschossenen Tore mit den kassierten aufzuwiegen und davon auszugehen, dass die Defensive der Ursprung aller Probleme ist. Der Ursprung liegt darin, dass der FC Bayern in den meisten Phasen eines Spiels eine Ballbesitzmannschaft ist und damit nicht mehr zurechtkommt.

Bei der individuellen Qualität, die die Offensive des fünfmaligen Champions-League-Siegers hat, sollte man davon ausgehen, dass eine geordnete Defensive ausreicht und vorne immer irgendwie irgendetwas geht. Doch das ist eben der völlig falsche Ansatz.

Er impliziert nämlich, dass Offensive und Defensive strikt voneinander getrennt werden können. Spätestens seit Louis van Gaals Vier-Phasen-Modell sollte aber klar sein, dass beide sehr stark miteinander verbunden sind: durch Umschaltmomente. Nach Ballverlusten entscheidet die Positionierung der Spieler darüber, wie gut sie in ihre defensive Ordnung oder ins Gegenpressing kommen. Bei Ballgewinnen ist die Positionierung der Spieler ebenfalls für die Folgeaktionen in Ballbesitz entscheidend.

Positionsspiel?

Ganz besonders in den Umschaltmomenten nach Ballverlusten sehen die Bayern in dieser Saison schlecht aus. Sie haben bereits in Ballbesitz Probleme, längere Ballzirkulationen zu ermöglichen. Es gibt kein Positionsspiel mehr und keine klare Zonenbesetzung. Vor allem das Zentrum leidet darunter. Die Formation der Bayern ist in der Grundordnung mittlerweile zwar ein 4-2-3-1, doch dieses äußert sich gegen tiefstehende oder kompakt verteidigende Mannschaften oft als 2-1-0-5, wenn die Rolle der Außenverteidiger zunächst mal außen vor bleibt.

Hinten bilden die beiden Innenverteidiger mit einem Sechser ein relativ flaches Dreieck, wodurch dieser sehr tief steht. Thiago löst das in der Umsetzung noch intelligenter als Martínez. Die Aufgabe dieser drei Spieler ist es, das Mittelfeld zu überbrücken und für ein direktes Spiel ins Angriffsdrittel zu sorgen. Kovač weiß hier vor allem um die Qualitäten Thiagos und seiner Innenverteidiger – auch wenn Süle ein bisschen abfällt.

Davor ist das Mittelfeld deshalb häufig unbesetzt. Dann kommen – zuletzt mit James und Goretzka – zwei Mittelfeldspieler, die als Verbindungsglied und Unterstützung für die Offensivreihe dienen sollen. Sie positionieren sich in den Halbräumen oder um Lewandowski herum. Goretzka ist hier noch etwas mehr bemüht, auch mal den Zwischenraum zu Thiago zu schließen. Vorne stehen dann im Extremfall fünf Spieler auf einer Linie, um Gleich- oder Überzahl gegen die Defensive des Gegners zu schaffen. Die Außenverteidiger schieben nur an der Linie entlang und höchstens mal in den Halbraum. Entweder tief, um den Aufbau zu verstärken, oder hoch, um den Flügelspielern zu helfen.

Verbesserungsmöglichkeiten

Fünf Spieler in der letzten Linie machen in der Theorie Sinn. Auch unter Pep Guardiola wurde das gelegentlich als Stilmittel genutzt, um tiefe Defensivreihen zu knacken. Allerdings sind diese fünf Spieler durch die fehlende Verbindung oft abgeschnitten und insgesamt selbst auch zu statisch. Dadurch geht den Bayern in dieser Saison auch jegliches Umschalten in die Defensive ab, weil die Abstände nicht stimmen. Das Dreieck ist im Spielaufbau zu isoliert vom Rest der Mannschaft und deshalb fehlt es im Raum davor an Absicherung.

Das klassische „U“ (grün) wird durch die (mangelhafte) Positionierung des FC Bayern verstärkt. Das Zentrum (rot) bleibt unterbesetzt und die Passwege (gestrichelt) werden zu lang.

Eine Möglichkeit wäre es, dass die Außenverteidiger noch stärker einrücken und Thiago so bei der Absicherung, oder die Offensivspieler beim Gegenpressing entlasten. Auch in Ballbesitz gäbe es dadurch mehr Anspieloptionen, worunter dann auch kürzere Wege wären, die das Risiko minimieren, ohne die Durchschlagskraft vorne zu nehmen. Ein weiterer Weg wäre es, vorne eine W-Staffelung zu nutzen, bei der James und Goretzka insgesamt etwas mehr aus der Tiefe kommen. Manchester City beispielsweise nutzt beide Varianten fast in Perfektion.

Doch dafür müsste das Problem erstmal erkannt werden. Tatsächlich wird die öffentliche Wahrnehmung gerade durch Aussagen der Verantwortlichen auf individuelle Fehler und schwaches Defensivverhalten gelenkt. Gemeint ist damit aber nicht die Positionierung mit Ball, obwohl hier anzusetzen wäre.

Wo ist das Defensivkonzept?

Gegen Mannschaften, die wie Dortmund oder Leverkusen stärker einzuschätzen sind und die sich auch selbst mehr zutrauen, sind die Probleme ähnlich. Zwar gibt es da seltener den Fünf-Spieler-Angriff zu sehen, doch auch hier bleibt das Zentrum meist unterbesetzt, weil entweder aus dem Aufbaudreieck ein Aufbauviereck wird und der Zehner mit Lewandowski auf einer Höhe steht, oder weil die beiden offensiven Mittelfeldspieler zu sehr an den Flügeln kleben – teilweise sogar auf dem gleichen Flügel, wie gegen Hertha BSC. Außerdem stehen manchmal bis zu vier Spieler auf einer vertikalen Linie, was dem eigenen Spiel die Diagonalität nimmt, die so wichtig wäre, um kompakte Mannschaften auseinander zu spielen.

Eine Szene aus dem Pokalspiel bei Hertha BSC: In der zweiten Halbzeit standen vier Spieler in einer vertikalen Linie im ballfernen Raum. Es fehlt an Unterstützung und Raumverständnis.

Ob nun gegen hochpressende Mannschaften oder gegen tiefstehende Mannschaften: Die schlechte Positionierung in Ballbesitz führt zu mehr Ballverlusten und in der Folge zu völlig verrückten Mechanismen in den Folgesekunden. Quasi alle Spieler verfallen in einen Notmodus, in dem jeder das laufende Elend irgendwie verteidigen möchte.

Dahinter stehen aber kein Prinzip, keine Vorgabe und auch keine Idee. Jeder versucht es nach seinem eigenen Kopf. Hier rückt Alaba mal heraus und öffnet den Raum für Kotucu. Da stimmen Süle und Hummels sich mal nicht ab, wer sich jetzt an wem orientiert, um auf Abseits zu spielen und dort rennt Kimmich halbherzig von vorne nach hinten, weil er sowieso die Hoffnung verloren hat, dass irgendjemand seinen Raum absichert, wenn er nach vorn geht. Und auch in Phasen, in denen die Bayern dann mal in einer defensiven Ordnung angekommen sind, schwimmen sie von einer Notsituation in die Nächste. Vielleicht auch deshalb, weil sie es gewohnt sind, zu agieren. Nicht zu reagieren. Es ist nicht jeder einzelne individuelle Fehler, der das Problem darstellt. Es ist die taktische Einstellung (oder Nicht-Einstellung), die diese Fehler provoziert und verstärkt.

Die Saison als Spiegelbild des Umschaltverhaltens

Und zu guter Letzt stellen sich Niko Kovač und Hasan Salihamidžić vor die Kameras und erzählen etwas davon, dass man ja das taktische Foul hätte ziehen können. Oder dass die individuellen Fehler Schuld waren. Oder dass man hinten endlich Konstanz in die Leistungen kriegen müsse. Oder dass die vielen Gegentore nur abgestellt werden müssen, denn vorne fällt immer irgendwie ein Tor.

Dass es aber in Wirklichkeit in Ballbesitz losgeht und dort die Wurzel aller Probleme liegt, sagt keiner. Nicht Kovač. Nicht Salihamidžić. Nicht die Spieler. Nicht der Osterhase. Und solange das Verständnis dafür nicht da ist, dass der FC Bayern zwangsweise eine Mannschaft ist, die in Ballbesitz alle anderen Phasen des Spiels steuert, wird es auch keine positive Entwicklung geben. Selbst durch die Positionsspiel-Linien auf dem Trainingsplatz nicht, die Kovač übrigens ausschließlich für das Training der Defensive nutzt. Vermutlich ohne dabei den eigenen Ballbesitz zu bedenken.

Und so bleibt es eine Saison, die ein Spiegelbild des Verhaltens der Bayern nach Ballverlusten darstellt. Man hangelt sich von Notsituation zu Notsituation und versucht, sich von Spiel zu Spiel irgendwie den Arsch zu retten – unter dem Deckmantel des Übergangs. Ob das gegen Liverpool ein weiteres Mal gelingt, ist äußerst fraglich. Das ist auch völlig egal. Große Spiele schreiben immer ihre eigene Geschichte und der FC Bayern hat immer die Qualität, um diese irgendwie zu gewinnen. Nur ist „irgendwie“ nicht der Anspruch. Und die Wahrscheinlichkeit auf einen Erfolg wäre höher, wenn eine klare Vorstellung davon erkenntlich wäre, wie der FC Bayern Fußball spielen möchte und dementsprechend auch eine Entwicklung zu sehen wäre. Denn dann könnte man auch negative Ergebnisse viel einfacher rechtfertigen.

Auf der letzten Seite analysieren wir den Liverpool FC. Gibt es Schwachstellen?


Als das Duell zwischen Liverpool und den Bayern ausgelost wurde, waren sich viele sicher, dass die Münchner unter die Räder geraten würden. Das lag daran, dass die Engländer zwischendurch in der Liga davon rannten und Jürgen Klopp in seiner vierten Saison endgültig angekommen zu sein schien. Zuletzt gab es jedoch eine kleine Durststrecke.

Ist das der Strohhalm, nach dem der FC Bayern greifen kann? Ist das Team, das Guardiola im Januar als “die beste Mannschaft der Welt” adelte, doch schlagbar? In der Analyse wird man jedenfalls mehr Stärken als Schwächen finden. Aber es gibt sie. Es gibt Punkte, wo Liverpool verwundbar ist. Die Frage wird sein: Können die Bayern diese Punkte für sich nutzen?

In den letzten Jahren waren die Schwächen bei Liverpool recht deutlich und offensichtlich zu erkennen. Vor allem dann, wenn Klopps Mannschaft der klare Favorit war. Der Spielaufbau war zu träge, die schnellen Angreifer bekamen ihr Tempo nicht auf den Platz, lange Bälle über das Angriffspressing wurden schnell gefährlich und in der Abwehr war man anfällig unter Druck sowie für zu große Räume im Zwischenlinienraum.

Liverpool konnte den Favoriten der Liga zwar stets Punkte abnehmen, verlor im Meisterschaftsrennen auf der langen Strecke aber zu viel, um City ernsthaft gefährlich zu werden. Vielleicht lag es auch am Kader, der in der Breite nicht mit anderen Top-Teams zu vergleichen war.

Klopps Underdog-Image funktioniert

Klopp versteht es, seine Mannschaften zu inszenieren. Selbst bei Liverpool, wo allein in dieser Saison 246,3 Millionen Euro für vier neue Spieler flossen, schafft er es irgendwie, sich immer wieder geschickt als Außenseiter zu positionieren. Und Fans sowie große Teile der Medien kaufen ihm das ab.

Er ist ein absoluter Medien-Profi und weiß, wie er was kommunizieren muss, um Druck von seiner Mannschaft zu nehmen. Vor allem in dieser Saison macht es den Eindruck, dass Liverpool noch ein Stück befreiter und zeitgleich selbstbewusster aufspielt.

Auch vor dem Champions-League-Achtelfinale wusste Klopp die Favoritenrolle gekonnt wegzuschieben. Obwohl es seine Mannschaft ist, die nach wie vor eine souveräne Saison spielt und obwohl sein Liverpool der Vorjahresfinalist des Wettbewerbs ist, schiebt er den Druck clever weg: „Es wird so getan, als wären wir der Favorit. Das finde ich extrem witzig. Ich sehe zwei starke Mannschaften, die aufeinander treffen, wo ich nicht weiß, wer da weiterkommt.”

Jürgen Klopp weiß genau, wie er medial den Druck von seiner Mannschaft nimmt.
(Foto: Alex Livesey/Getty Images)

Die Entwicklung des Liverpool FC

Viele Experten sind sich dagegen einig, dass Liverpool mindestens leicht favorisiert ist. Das liegt daran, dass Klopp die meisten der Probleme aus den Vorjahren beheben konnte. Der Kader ist qualitativ etwas besser und breiter geworden und die Reds kassieren nicht mehr so viele Gegentore. Vor allem sind es aber die taktischen Anpassungen, die für die dringend notwendige Balance sorgten.

Mit Fabinho kam für 45 Millionen Euro eine Art Brecher für das Mittelfeld. Er ist groß, physisch stark, aber – und das wird oft unterschätzt – auch technisch begabt. Der Brasilianer ist im Aufbauspiel nicht unsichtbar, sondern streut durchaus clevere Pässe ein. Damit konnte Klopp zwei Probleme angehen: Einerseits ist die Mannschaft mit ihm stabiler bei langen Bällen und andererseits kann Fabinho ein belebendes Element im spielerischen Bereich sein.

In diese Kerbe schlug auch Virgil van Dijk, den Hummels im Moment als besten Innenverteidiger sieht. Zu Recht. Der Niederländer brachte die Zweikampfstärke der Restverteidigung sowie das Aufbauspiel auf ein neues Level. Und dann ist da noch Torwart Alisson, der auch im Torwartspiel ein klares Upgrade zu Loris Karius ist – fußballerisch und auf der Linie.

Variabilität

Doch es sind nicht nur die namhaften Transfers, die Liverpool endgültig zu einer Top-Mannschaft machten. Es ist auch die Flexibilität des Trainers, der sich in dieser Saison von seiner Vergangenheit emanzipieren will, indem er etwas Großes erreicht. Klopp liebt es, nach 6-7 Spielen mindestens ein taktisches Detail anzupassen.

In der Formation wechselte er in dieser Spielzeit mehrmals. Neben den häufigsten Ausrichtungen – 4-3-3 und 4-2-3-1 – spielte Liverpool auch mal im 4-4-2 oder 4-1-4-1: Das sind alles Formationen, die sich extrem ähneln, im Detail aber Unterschiede machen können.

Das betrifft vor allem das Pressing. Klopps “Vollgasfußball” ist in dieser Saison besser dosiert. Liverpool presst klüger, effizienter und letztendlich einfach besser. Nach dem 3:2-Sieg über PSG in der Champions-League-Gruppenphase sprach Klopp davon, dass das Gegenpressing wichtig sei, aber nur dann, wenn der Gegner es zulassen würde.

Noch besseres Pressing

Damit sprach er indirekt eine weitere Verbesserung seiner Mannschaft an. Liverpool versteht es gut, das Pressing stark zu variieren. Ist der Druck für den Gegner im einen Moment noch extrem, lässt Liverpool ihn im nächsten etwas mehr kommen. Stets aber mit einer klaren Idee und einem Ziel im Kopf.

Gegen Paris ließ Klopp häufig kleine Räume für Neymar im Zentrum, weil er wusste, dass PSG diese bespielen würde. Allerdings positionierte sich die Mannschaft clever um ihn herum, um dann die Pressingfalle zuschnappen zu lassen. Neymar kam lediglich zu zwei Abschlüssen, hatte eine Passquote von nur 75,6% und verlor viermal den Ballbesitz. Immerhin legte er aber vier Torschüsse vor und sammelte einen Assist. Doch ganz ausschalten lässt sich ein solcher Spieler nie.

Der Punkt ist, dass Liverpool nicht die eine Pressingfalle hat, sondern sich dahingehend sehr intelligent am Gegner anpasst. Gegen Bayern wird Liverpool wohl versuchen, Lewandowskis Ausweichbewegungen zu verteidigen und lange Flachpässe in den vermeintlichen Zwischenlinienraum zu provozieren, um dann schnelle Konter zu fahren. Wie bereits analysiert, ist das die Achillesferse der Münchner.

Schwächen des Liverpool FC

Doch perfekt ist niemand und so hat auch Liverpool Schwachstellen, die selbst in der aktuell hervorragenden Saison aufgedeckt werden konnten – und das von Teams aller Klassen. Die Mannschaft, die Bayern in England vielleicht am ähnlichsten ist, dürfte immer noch Manchester City sein. Ja, ja. Natürlich auf einem anderen Niveau. Guardiolas Positionsspiel ist mindestens, naja, viele Stockwerke über der Etage der Münchner.

Trotzdem kann sich Kovač von den bisherigen Aufeinandertreffen dieser beiden Mannschaften einiges abschauen. City schaffte es jeweils, das Pressing Liverpools zu provozieren und anschließend mit schnellen Kombinationen durch das Mittelfeld in den Angriff zu kommen.

Liverpools Außenverteidiger schieben mitunter sehr hoch. Anders als die Bayern sichern die Reds die Räume dahinter aber besser ab. Und doch gelang es City mehrfach, den Außenverteidiger herauszulocken und anschließend mit Dreiecken über die Halbräume nach vorn zu gelangen, wo dann die schnellen Flügelspieler mehr Platz hatten.

Lösungsansätze für die Bayern

Ein Modell für Bayern könnte es sein, das Pressing Liverpools auf die eigene linke Seite zu ziehen und Hummels dann auf Thiago eröffnen zu lassen, der wiederum mit Alaba und Coman Dreiecke bildet. In einer etwas ferneren und höheren Zone könnte James unterstützen. Individuell sind diese Spieler fast jedem Gegner überlegen. Allerdings müssen sie als Team funktionieren und sich klug positionieren.

Es braucht zudem Folgeaktionen. Coman, James und Lewandowski können als weiteres Dreieck für Gefahr sorgen. Ist das Spielfeld auf der Seite zu eng, weil Liverpool gut am Mann ist, könnte Thiago nachrücken und auf Kimmich und Gnabry verlagern. Bayern braucht Tempo, Mut und vor allem ein Kurzpassspiel. Die langen und gefährlichen Pässe der letzten Wochen und Monate könnten ihnen das Genick brechen, wenn sie zu häufig kommen oder Liverpool gar darauf lauert.

Und selbst dann ist der Text natürlich einfacher geschrieben als es in der Realität umzusetzen ist. Fakt ist aber, dass Liverpool Probleme bekam, wenn die Räume hinter den Außenverteidigern gut ausgenutzt wurden.

Über Standards zum Erfolg?

Liverpool offenbarte darüber hinaus eine Schwäche bei Standards. Fünf der 15 Liga-Gegentore kassierten die Reds nach einem Standard. Nun sind die Bayern nicht bekannt für ihre extrem gefährlichen Standards. Rund 27% aller Bayern-Abschlüsse in der Bundesliga entstehen nach Standardsituationen. Immerhin sechs Tore nach Ecken (und zwei nach Elfmetern) stehen auf dem Konto. Es wäre zumindest keine Seltenheit, wenn Standards bei großen Spielen aushelfen.

Ein letzter Schwachpunkt, wenn man das bei Liverpool so bezeichnen kann, ist der Ausfall von Virgil van Dijk. Das macht die Reds bei Standards noch anfälliger und auch das Aufbauspiel unsicherer. Ohne den Niederländer müssen die Bayern zusehen, dass sie selbst gute Pressingfallen stellen und Liverpool auch mal hoch anlaufen. Als Vorbild könnte die eigene Leistung in Hoffenheim dienen. Gerade im Mittelfeld sind die Engländer bei Ballbesitz strukturell und technisch nicht so herausragend wie andere Top-Klubs. Das bedeutet aber nicht, dass die Bayern ständig Angriffspressing spielen sollten. Es ist genauso notwendig, mal tief zu verteidigen und Liverpool mit den eigenen Waffen in Kontersituationen zu schlagen.

Es ist eine Mischung aus Drucksituation, guter Staffelung gegen den Ball und eigenem Kurzpassspiel, das ein gutes Ergebnis gegen Klopps Liverpool bringen könnte. Das belegt zum Teil auch die PPDA-Statistik (passes per defensive action) von understat.com. Sie misst, wie viele Pässe der Gegner spielen kann, bis eine Defensivaktion erfolgt.

Selbst ins Spiel kommen

Ende September ließ Liverpool gegen Chelsea im Schnitt knapp über 15 Pässe beim Gegner zu. Resultat: 1:1. Gegen Manchester City waren es im Oktober ebenfalls knapp über 15. Das Spiel endete mit 0:0. Auch beim 1:1 gegen Arsenal (24,6 PPDA), der 2:1-Niederlage gegen Manchester City (25,79 PPDA) und dem nur knappen 1:0-Erfolg gegen Huddersfield, der in jede Richtung hätte kippen können (18,94 PPDA), kam Liverpool nicht so gut in die Zweikämpfe. Das sah bei souveränen Siegen wie dem 2:0 gegen Fulham (4,57 PPDA) oder dem 3:1 gegen Manchester United (8,59 PPDA) anders aus.

Der Zusammenhang kann durchaus auch zufällig sein. Es gibt Gegenbeispiele, bei denen Liverpool viele Pässe zuließ, und trotzdem gewann, oder wenige Pässe zuließ, und schlussendlich verlor. Doch auch der subjektive Eindruck sowie der logische Menschenverstand behaupten: wenn Mannschaften es irgendwie schaffen, Klopps (Gegen-)Pressing mindestens teilweise auszuhebeln, bekommt Liverpool Probleme.

Und das war zumindest keine Seltenheit in den letzten Wochen und Monaten. Liverpool ist ein herausragendes Team und den Bayern bisher in vielen Bereichen überlegen. Doch vielleicht schaffen es die Münchner, die wenigen Schwachstellen für sich zu nutzen. Schon die Anfangsphase des Hinspiels könnte hier entscheidend werden. Klopp lässt seine Mannschaft dort gern ein hohes Tempo gehen.

Wo steht der FC Bayern? Oder wo nicht?

In der Vergangenheit sorgte das hin und wieder für große Siege wie dem Erfolg über Manchester City in der vergangenen Saison. Es gab dadurch aber auch heftige Niederlagen, in denen sein Team nach rund einer Stunde stark an Kraft verlor – Bayern-Fans werden sich an Wembley 2013 erinnern.

Die Frage wird sein, ob Kovač vor allem auswärts auf die eigene Spielstärke mit Goretzka, James und Thiago setzt, oder ob Javi Martínez den Weg in die Startelf findet – als Staubsauger vor der Abwehr. Dann würde er vermutlich für Goretzka oder James kommen. Ein Formationswechsel dürfte jedenfalls nicht in Frage kommen, obwohl ein 4-3-1-2 mit Martínez, Goretzka, James und Thiago Sinn ergeben könnte. Ebenso wäre eine Dreierkette spannend, weil man so Kimmichs und Alabas Vorstöße besser absichern könnte.

Bei Liverpool schien es hingegen lange so, dass Klopp in dieser Saison die Balance gefunden hat, die Kovač weiterhin sucht. Doch wer weiß? Vielleicht können die Bayern die hitzige Anfangsphase überstehen und im Endspurt einen Vorteil daraus ziehen. So oder so müssen sie dafür unter Druck kluge Entscheidungen treffen. Schon das Hinspiel wird klar offenbaren, wo die Mannschaft von Niko Kovač steht. Oder wo sie eben nicht steht.

Das Thesen-Duell

Die Regeln findet ihr hier. Die Zahl für These 3 wurde diesmal von Justin gewählt. Kurzfristige Änderungen sind bis zum Spieltag noch möglich.

Ergebnis des letzten Spieltags: Justin 2,6 : 1 Fatbardh

Zwischenstand insgesamt: Justin 85,2 : 73,6 Fatbardh

Justins Tipps

  1. Torschütze: Mohamed Salah
  2. Freie These: Bayern verliert, trifft aber.
  3. Über/Unter 3,5: Über!
  4. Aufstellung: Neuer – Kimmich, Süle, Hummels, Alaba – Thiago, Martínez – Goretzka – Gnabry, Lewandowski, Coman

Fatbardhs Tipps

  1. Torschütze: Robert Lewandowski
  2. Freie These: Bayern gewinnt nicht.
  3. Über/Unter 3,5: Über
  4. Aufstellung: Neuer – Kimmich, Süle, Hummels, Alaba – Thiago, Martínez – James – Gnabry, Lewandowski, Coman