Vorschau: FC Bayern München – Tottenham Hotspur FC
Fußball ist manchmal nicht so einfach. Oder, um es mit Thomas Müller zu sagen: „Fußball ist schnelllebig, auch während einer Partie.“ Gegen Gladbach sieht es 60 Minuten lang hervorragend aus, was die Bayern auf den Rasen zaubern. Doch dann kommt es zum Bruch im Spiel.
„Wir hätten nicht abwarten dürfen“, sagte Manuel Neuer in der Analyse nach dem Spiel. Es habe das Selbstverständnis gefehlt, so der Kapitän weiter. Vielleicht ist das schon der entscheidende Punkt, an dem die interne Analyse ansetzen muss: Warum gelingt es nicht, nach Rückschlägen zurückzukommen?
Denn auch wenn Gladbach nach der Führung deutlich besser in die Partie kam, so waren sie nur nach Standards gefährlich. Erst eine Ecke brachte den Ausgleich und eine damit verbundene Schlussphase, die eher auf einen Sieg für die Heimmannschaft als auf einen für die Gäste hinauslief. Dass dieser dann schlussendlich noch durch ein Geschenk der Bayern zustande kam, passte ins Bild.
FC Bayern: Der Weg führt trotzdem nach oben
Sowohl Peter Bosz als auch Marco Rose nahmen nach ihren Triumphen über den Rekordmeister das Wort „Glück“ in den Mund. Es ist zu einfach, die beiden Niederlagen der Bayern auf Glück oder Pech zu begrenzen. Wer aus addierten 4,1 zu 2,5 Expected Goals1 (folgend „xG“) in zwei Spielen keinen einzigen Punkt mitnimmt, ist zwar vor allem über sich selbst gestolpert, hat es aber auch nicht anders verdient.
Nun war das xG-Ergebnis gegen Gladbach etwas enger: 1,7 zu 1,2. Allerdings ist zu beachten, dass 0,8 xG auf der Seite der Borussia vom Last-Minute-Elfmeter kommen. Ein durchaus legitimes Fazit ist also, dass die Bayern eine der stärksten Offensivreihen der Liga über 90 Minuten weitestgehend still halten konnten. Unabhängig vom Endergebnis keine so schlechte Erkenntnis.
1,7 xG sind wiederum vorne etwas zu wenig. Allerdings lag das vor allem an den letzten 30 Minuten. Gerade nach dem Ausgleich zeigte sich recht deutlich, wo für den Rekordmeister noch Luft nach oben ist.
Details verändern Spiele
Während Gladbach von der von uns in der Vorschau vorgestellten Mittelfeldraute auf ein 4-2-3-1 wechselte, blieben die Bayern bei ihren Mustern. René Marić, Co-Trainer der Borussia, erklärte auf Twitter, dass die Umstellung einerseits andere Anlaufwinkel, andererseits aber auch andere Positionierungen für Konter bezwecken sollte. (Nur der untere Tweet behandelt das Bayern-Spiel, der obere gilt dem Spiel gegen Union.)
Der Zugriff auf die Bayern wurde besser und die fanden wiederum keine passende Gegenlösung. Zur Verteidigung von Hansi Flick lässt sich argumentieren, dass seine personellen Möglichkeiten durch zwei verletzungsbedingte Wechsel und den ebenfalls angeschlagenen Serge Gnabry stark begrenzt waren. Allerdings darf von einem Trainerteam des FC Bayern hier durchaus mehr Einfluss von außen erwartet werden.
Klammert man das Elfmetergeschenk am Ende mal aus, bleiben nur kleine Chancen für Gladbach, wie die Visualisierung von understat.com zeigt. Das unterstreicht, dass die Bayern gegen den Ball im Moment mehr richtig als falsch machen. Sie zeigt aber auch nochmal, wie ungefährlich der Rekordmeister nach dem Ausgleich war.
Es fehlen die Torjäger
Ein kleines Detail, von René Marić und dem Gladbacher Trainerteam initiiert, führte dazu, dass die Bayern das Spiel letztendlich verloren. Eine weitere Lehrstunde dafür, wie wichtig taktische Aspekte sind.
Trotzdem gibt es keinen Grund dafür, jetzt alles bei den Bayern zu hinterfragen. Die Münchner haben ihrerseits den selbstbewussten Tabellenführer in deren Stadion fast 60 Minuten lang hergespielt. Gladbach hatte keinen nennenswerten Torschuss.
Dass so ein Spiel nochmal kippt, wird zum Teil Gründe haben, die sich von außen nur schwer ergründen lassen. Hier die Bayern, die nach einer bisher durchwachsenen Saison längst nicht so selbstbewusst sein können, wie es nötig ist. Und dort die Gladbacher, die nach ihrem Höhenflug nur schwer einzuschüchtern sind.
Es hat aber auch Gründe, die sich durchaus beobachten lassen. Nach Robert Lewandowski gibt es beispielsweise keinen konstanten Torjäger im Kader mehr, wie es einst Arjen Robben und Thomas Müller waren. Auf personeller Ebene fehlen darüber hinaus mit Lucas Hernández und Niklas Süle die beiden zweikampfstärksten Spieler der Bayern. Hinzu kommt ein Thiago, der zwar viele positive Momente hatte (siehe Tweet von Marić), insgesamt aber längst nicht in seiner besten Verfassung ist. Auch die Form von Kingsley Coman ist seit einigen Wochen nicht auf dem notwendigen Niveau, weshalb Flick vorn immer wieder rotieren muss. Und abschließend können die taktischen Abläufe nach nur einem Monat noch gar nicht so gut aufeinander abgestimmt sein, dass der aktuelle Spitzenreiter der Bundesliga über 90 Minuten keinen Stich mehr sieht. All diese Faktoren führen dann dazu, dass die Bayern zum jetzigen Zeitpunkt zwar erstaunlich weit sind, aber längst nicht in ihrer besten Verfassung.
Fortschritt trotz Niederlage
Es mag nicht der Anspruch des FC Bayern sein, mit zwei Niederlagen zufrieden zu sein. Mit etwas mehr Weitblick lässt sich auf diese beiden Leistungen aber aufbauen. „Am Ende haben wir jetzt zwei Spiele gut gespielt, aber beide verloren“, lautet das enttäuschte Fazit von Joshua Kimmich.
Doch der Weg ist richtig und er fühlt sich richtig an. Das scheint die Mannschaft auch zu spüren. Im Endergebnis mag sich das noch nicht gezeigt haben, aber das Gladbach-Spiel war bereits ein Fortschritt zur Niederlage gegen Leverkusen. Bayern ließ weniger zu, spielte in den meisten Phasen geduldiger, verlor dabei aber nicht den Druck nach vorn.
Für den Rekordmeister führt der Weg deshalb trotz der jüngsten Enttäuschungen nach oben. Es wird bis zur Winterpause darauf ankommen, die neue Spielweise weiter zu verinnerlichen, aber auch das eigene Selbstvertrauen mit wichtigen Punkten in der Liga zu stärken. Kommt dann noch eine Leistungssteigerung von wichtigen Schlüsselspielern wie Thiago oder Coman dazu, ist dieser Mannschaft eine ähnliche Aufholjagd zuzutrauen wie im letzten Jahr.
Mourinhos Tottenham: Furioser Start
In der Champions League ist eine solche Aufholjagd nicht mehr von Nöten. Für die Bayern und für ihren Gegner Tottenham geht es um nichts mehr. Deshalb kündigte Gästetrainer José Mourinho bereits eine größere Rotation an. Von den Bayern ist dies nicht zu erwarten.
Flick wird die Bühne in der Champions League nutzen wollen, um die Mannschaft wieder auf Kurs zu bringen. Dass der Gegner rotiert, macht die Sache nicht unbedingt einfacher. Denn detailliert analysieren kann man die Spurs vor dem Aufeinandertreffen wegen des Trainerwechsels so schon nicht und durch die Rotation wird die Unbekannte auf der anderen Seite nochmal größer.
Dennoch ein grober Versuch: Mourinho wird häufig damit in Verbindung gebracht, in großen Spielen den Bus parken zu wollen. Dass er mit Real Madrid bis heute den Rekord für die meisten geschossenen Tore in der spanischen Liga hält, wird gern vergessen. Seine Bilanz mit Tottenham nach fünf Spielen spricht eine ähnliche Sprache: 15 Tore, acht Gegentore, vier Siege, eine Niederlage.
Hohe Intensität als Basis für den Sieg
Gegen die Bayern wird sich wieder ein Stück mehr zeigen, wohin Mourinho mit den Spurs will. Natürlich dürfte klar sein, dass der Fokus auf der Arbeit gegen den Ball und die daraus entstehenden Umschaltmomente liegt. Höhe und Intensität des Pressings sind aktuell aber kaum vorherzusagen. Gegen Manchester United variierten die Spurs zwischen tieferem und höherem Mittelfeldpressing.
Die kompakte 4-4-2-Formation offenbarte aber gerade in den Halbräumen die eine oder andere Schwachstelle. Das heißt im Detail, dass zwischen der Doppelsechs und den Flügelspielern oftmals Räume durch United-Spieler freigelaufen werden konnten. Hier könnte es für die Bayern Möglichkeiten geben.
Mit dem Ball scheint Tottenham weiterhin Probleme im Positionsspiel zu haben. Ist das Mittelfeldzentrum zugestellt, lassen sie sich relativ einfach zu langen Bällen oder berechenbaren Pässen auf die Außenbahnen zwingen. Allerdings sind die Spieler sehr reaktionsschnell. So kamen die Spurs gegen Manchester United in der zweiten Halbzeit deutlich besser ins Spiel, weil der Gegner im Zentrum einen Tick zu passiv wurde. Bayern wäre also gut beraten, die Intensität hoch zu halten. Eine interessante Variante im Spielaufbau der Spurs war zudem die Bildung einer Dreierkette durch asymmetrische Außenverteidiger. So entstand zeitweise eine 3-2-4-1-Staffelung in Ballbesitz. Bayern sollte sich also zumindest darauf vorbereiten, dass die Gäste nicht stur in ihrem 4-2-3-1 bleiben, sondern auch das Anlaufverhalten bei einer gegnerischen Dreierkette mit einbeziehen.
Qualität braucht seine Zeit
Viel mehr Anhaltspunkte gibt es im Spiel der Spurs aber noch nicht. Mourinho hat einen Berg voller Aufgaben, ist dafür aber recht gut gestartet. Die Bayern werden nicht zuletzt aufgrund des Hinspiels und der Rotation bei den Gästen als Favorit in das letzte Gruppenspiel der Champions-League-Saison gehen.
Für Flick ist das nochmal ein wichtiger Test, bevor es in der Bundesliga im Jahresendspurt um viel geht. Die beiden Niederlagen sind jetzt erstmal in den Köpfen der Spieler verankert. Und das ist dann eben doch die Macht der Ergebnisse.
Gelingt es nicht, die guten Leistungen in Siege umzuwandeln, ist der Aufwand automatisch weniger wert. Doch für grundlegende Debatten ist es nach 6 Flick-Spielen viel zu früh. Und so schnelllebig ist der Fußball dann auch wieder nicht, dass man wegen zwei Niederlagen seine Überzeugungen über den Haufen werfen und den Weg ändern sollte. Dafür läuft im Moment zu vieles richtig. Bis zum Winter kommt es jetzt darauf an, die Details in den Griff zu bekommen. Schritt für Schritt. Denn auch beim Rekordmeister sind solch komplexe Prozesse nicht innerhalb eines Monats abzuschließen.
1 Expected Goals ist eine Metrik, die versucht Qualität von Torabschlüssen zu messen, indem sie jedem Abschluss eine Wahrscheinlichkeit zuordnet. Die Modelle funktionieren jeweils unterschiedlich, weshalb es zu starken Abweichungen zwischen ihnen kommen kann. Im Verbund mit anderen Statistiken und dem subjektiven Eindruck können sie aber eine Annäherung an Objektivität ermöglichen. Hier und folgend (außer es wird explizit anders angegeben) wurden die Daten von fbref.com verwendet, weil die ihre Werte von Statsbomb beziehen, die wiederum als Goldstandard in Sachen Expected Goals gelten.