Vorschau: Stern des Südens gegen Roter Stern Belgrad

Justin Trenner 16.09.2019

Zufrieden konnten die Bayern mit dem 1:1 in Leipzig nicht sein. Zu gut war die Leistung in der ersten Halbzeit, zu durchwachsen war der zweite Durchgang. Und doch hatte man quasi mit dem Abpfiff die große Gelegenheit verpasst, die drei Punkte mitzunehmen. Dem eigenen Anspruch, die Tabellenführung zu übernehmen, wurde der amtierende Meister schlussendlich nicht gerecht.

Gerade die ersten 45 Minuten dürften den Bayern aber Mut machen. Sie haben dort eindrucksvoll gezeigt, dass sie weiterhin die stärkste Mannschaft in Deutschland sind. Die Frage im Kampf um die Meisterschale wird nur sein, wie oft sie dieses Niveau abrufen können.

Auch in der Champions League sind die Ansprüche der Münchner aber groß. Nach der verdienten und deutlichen Niederlage gegen den Liverpool FC in der vergangenen Saison will die Mannschaft von Niko Kovač es in dieser Saison besser machen. Das Ziel: Mindestens das Viertelfinale erreichen und sich so im Vergleich zum Vorjahr verbessern. Auf dem Weg dorthin dürfte die Gruppenphase nur dann ein Problem werden, wenn der FC Bayern es sich selbst unnötig kompliziert macht.

FK Roter Stern Belgrad: Auf den Spuren einer großen Vergangenheit

Zum Auftakt trifft der fünfmalige Champions-League-Sieger auf einen einmaligen Gewinner der Königsklasse: den FK Roter Stern Belgrad. Die Serben konnten den damaligen Europapokal der Landesmeister 1991 in die Hauptstadt holen. Im Finale schlugen sie Olympique Marseille mit 5:3 nach Elfmeterschießen.

Auf dem Weg nach Bari, wo das Endspiel stattfand, besiegte Belgrad Grasshopper Club Zürich, die Glasgow Rangers, Dynamo Dresden und im Halbfinale auch den FC Bayern. Nach einer 1:2-Heimniederlage gelang es den Münchnern im Rückspiel nicht mehr, den Rückstand zu drehen (2:2). Ein tollpatschiges und kurioses Eigentor, das Klaus Augenthaler und Raimond Aumann gemeinsam in der 90. Minute produzierten, markierten das Ende der bayerischen Europapokalträume.

Der damalige Trainer Jupp Heynckes hatte noch im Vorjahr auf dem Marienplatz versprochen, den Europapokal der Landesmeister nach München zu holen. Die Niederlage gegen Belgrad war dann der Anfang vom Ende seiner ersten Amtszeit bei den Bayern. 1991 wurde er von seinem Freund Uli Hoeneß entlassen. Im Jahr 2013 gelang es Heynckes immerhin, sein Versprechen mit etwas Verspätung einzulösen.

Ein Niedergang mit vielen Facetten

22 Jahre liegen zwischen diesen beiden Ereignissen. 22 Jahre, in denen es bei den Bayern Höhen und Tiefen gab. Aber vor allem 22 Jahre, in denen Belgrad zunehmend von der europäischen Bühne verschwand. Nach dem Triumph 1991 musste der Klub seine bisher härteste Zeit durchleben. Aufgrund des Jugoslawienkriegs, den UN-Sanktionen sowie deren wirtschaftliche Auswirkungen konnte Roter Stern nicht mehr an die erfolgreichen Jahre zuvor anknüpfen.

Die erfolgreiche Mannschaft fiel beispiellos auseinander. Auch der Ausschluss aus der UEFA traf den Klub sehr hart. Gerade finanziell verlor Belgrad den Anschluss an Europas Spitze endgültig und kehrte seitdem auch nie wieder richtig zurück. Mit dem FC Bayern kreuzten sich die Wege deshalb nur noch einmal: 2007 im UEFA-Pokal. Der bayerische Exkurs in den kleineren Europapokal führte zu einer weiteren Begegnung in der Gruppenphase. Die Münchner gewannen in Belgrad knapp mit 2:3 durch späte Tore von Miroslav Klose und Matchwinner Toni Kroos. Damit glichen sie die Gesamtbilanz aus: 2 Siege, 1 Unentschieden, 2 Niederlagen bei 10:9 Toren.

Auf nationaler Ebene gelang es Roter Stern zuletzt immerhin wieder, an die alten Zeiten zu erinnern: Seit 2014 holten sie viermal die Meisterschaft (2014, 2016, 2018 und 2019). Mit fünf serbischen Meistertiteln seit der Auflösung des Staatenbundes Serbien und Montenegro (2006) sind sie aktuell aber nur auf Platz 2 hinter Stadtrivale Partizan Belgrad (acht Meistertitel, von 2008 bis 2013 durchgängig Meister). In der „ewigen Tabelle“ seit der serbischen Unabhängigkeit trennen die beiden Hauptstadt-Klubs nur 23 Punkte. 2018 gelang dem serbischen Rekordmeister (30 Meistertitel und 24 Pokalsiege) erstmals die Qualifikation für die UEFA Champions League und damit zumindest auf dem Papier die Rückkehr in Europas Elite.

Wieder für eine Überraschung gut?

In einer Gruppe mit Paris Saint-Germain, Liverpool FC und dem SSC Neapel präsentierte sich Belgrad dabei mehr als ordentlich. Zwar schieden sie erwartungsgemäß mit nur 4 Punkten aus, doch konnten einige Highlights gesetzt werden. Mit einem 0:0 gegen Neapel und dem 2:0-Sieg gegen Liverpool gelangen den Serben zwei Überraschungen vor jeweils rund 50.000 Zuschauenden im heimischen Stadion Rajko Mitić.

Und auch in dieser Saison will Belgrad in einer Gruppe mit den Bayern, Tottenham und Piräus überzeugen. In der heimischen Super Liga startete Roter Stern mit sechs Siegen aus sechs Spielen erfolgreich. Trainer Vladan Milojević setzt dabei meist auf ein klassisches 4-2-3-1, variiert aber auch gern mal die Staffelung vor der Viererkette. Selbst gegen die Top-Mannschaften aus Neapel, Liverpool und Paris wich er davon nicht ab.

Etwas aussagekräftiger als die eigene Liga dürfte der Weg in der Qualifikation für die Champions League gewesen sein. Hier tat sich Belgrad schon erheblich schwerer. Gegen Suduva (0:0, 2:1) und Helsinki (2:0, 1:2) setzte man sich schon sehr knapp durch. Gegen Kopenhagen ging es bis ins Elfmeterschießen und die Young Boy Bern wurden nach einem 3:3 in Addition nur durch zwei Auswärtstore geschlagen.

Marko Marin zieht die Fäden

Es steht daher außer Frage, dass Roter Stern in beiden Duellen mit dem FC Bayern nur kleine Außenseiterchancen haben wird. Allerdings wissen sie diese zu nutzen. Auch in der Qualifikation präsentierten sie sich als eine sehr effiziente Mannschaft, die nicht wenige Abschlüsse für ein Tor benötigt.

Ein Faktor dafür ist Marko Marin, der in Deutschland zwar häufig belächelt wird, letztendlich aber doch eine ordentliche Karriere hinlegte. Der ehemalige Nationalspieler ist wendig, technisch stark und gut darin, die Mannschaftsteile im sonst eher zufällig strukturierten Angriffsspiel zu verbinden. Er löst regelmäßig Unterzahlsituationen auf und sorgt mit seinen klugen Pässen für Tiefe im Spiel der Serben.

Auch wenn damit zu rechnen ist, dass der FC Bayern in beiden Spielen mit rund 70 Prozent Ballbesitz den Fokus auf die Arbeit mit dem Ball legen muss, gilt es den Aktionsradius von Marin in den Phasen ohne Ball einzuschränken.

Fehlende Kompaktheit

Die Schwachstellen Belgrads liegen vor allem in der Konstanz gegen den Ball. Sie können ihre Kompaktheit nur selten über längere Phasen halten und bieten Räume zwischen den Linien an, sobald sie mit vielen Läufen des Gegners beschäftigt werden.

Bern (Gelb) nutzt einen Moment der Schläfrigkeit bei Belgrad (Rot) aus.

Diese Szene aus der 63. Minute des Qualifikations-Rückspiels zwischen Bern und Belgrad zeigt, dass schon kleine Tricks ausreichen, um die Mannschaft von Milojević zu destabilisieren. Die breiten Außenverteidiger Berns ziehen die Flügelspieler an die Außenlinien, während das zentrale Mittelfeld und die eingerückten Außenstürmer das Mittelfeld Belgrads zusammenziehen. Durch eine abkippende Bewegung eines Berner Offensivspielers wird der Außenverteidiger der sonst engen Viererkette herausgezogen und es entsteht ein leicht bespielbarer Zwischenraum (Grün) für die Young Boys.

Für den FC Bayern bedeutet das, dass sie raumöffnende Bewegungen brauchen, um ähnliche Situationen zu erzwingen. Thomas Müller machte das in Leipzig sehr gut. Bei rund 70% Ballbesitz könnte Niko Kovač sogar darüber nachdenken, eine sehr offensiv ausgerichtete Aufstellung zu testen. Thomas Müller als Raumöffner und Coutinho als derjenige, der diese Zwischenräume nachrückend besetzt wären ein gutes Mittel, um Belgrad im Zentrum zu beschäftigen. Dafür müssten die Außenverteidiger dann aber in den Halbräumen entsprechend absichern.

Probleme bei zweiten Bällen

Eine weitere Schwäche Belgrads liegt in der Verteidigung von zweiten Bällen. In der gesamten Champions-League-Qualifikation ließen die Serben viele Chancen zu, weil sie den Rückraum nicht gut verteidigten.

Eine weitere Szene aus dem Spiel gegen Bern: In der Nachspielzeit verschenkte Belgrad fast das Ticket für die Champions League.

Beim Spielstand von 1:1 drückte Bern gegen Roter Stern nochmal auf das entscheidende Tor zum Weiterkommen. Belgrad beschränkte sich dabei ausschließlich auf die Verteidigung des eigenen Strafraums und kassierte in mehreren Situationen beinahe das Gegentor. In der oben dargestellten Szene entstand zunächst Chaos rund um den Ball, der schließlich aber trotz klarer Überzahl im Strafraum den Weg in den Rückraum fand. Der Abschluss blieb erfolglos.

Dennoch können die Bayern hieraus mitnehmen, dass sie nicht nur eine gute Besetzung in letzter Linie brauchen, um den Gegner am Strafraum zu binden. Sie brauchen darüber hinaus eine gute Staffelung dahinter, um Belgrad auch bei zweiten Bällen unter Druck setzen zu können. Da haben sie große Schwierigkeiten.

FC Bayern: Auf einem guten Weg?

Die Bayern zeigten wiederum nach schwächeren Auftritten auf Schalke und gegen Mainz, dass sie auch anders können. Die großen Löcher im Mittelfeld wussten sie diesmal durch kleinere Anpassungen zu schließen.

Überladungen der rechten Seite, viele Anspieloptionen: Das Positionsspiel gegen Leipzig passte bei den Bayern.

Die 31. Spielminute ist hier nur eines von vielen positiven Beispielen. Statt zwischen die Innenverteidiger abzukippen, blieb Joshua Kimmich diesmal konsequenter im Sechserraum. Das lag nicht zuletzt daran, dass er ballnah stärker unterstützt wurde. Thiago war als nomineller zweiter Sechser sowieso häufig in seiner Nähe und auch Müller sorgte dafür, dass das Dreieck im Zentrum im Schnitt enger positioniert war als zuletzt. Außerdem rückte Serge Gnabry immer wieder stark ein, um die Überladung auf der rechten Spielfeldhälfte zu ermöglichen.

Kovač reagierte damit perfekt auf Leipzigs Plan, Benjamin Pavard zu Ballverlusten zu zwingen. Der Franzose war stets mit genügend Anspieloptionen ausgestattet und konnte dem Druck dadurch standhalten. Tiefe kreierten die Münchner durch sukzessives Nachrücken, ohne dabei an Kompaktheit zu verlieren. Meist wurden kurze Steil- und Diagonalpässe zwischen die Linien sofort in einen Rückraum abgelegt, von wo dann ein nachrückender Spieler das Geschehen vor sich hatte. Eine taktische Variante, die in dieser Häufigkeit bisher selten genutzt wurde, seit Kovač Trainer ist.

Einmal im Zwischenlinienraum angekommen, wussten die Bayern ihre Außenspieler und Lewandowski klug einzusetzen. Dass es letztendlich mit einem 1:1 in die Pause ging, lag nicht ausschließlich an einem Moment der Fahrlässigkeit durch Thiago, sondern auch daran, dass diese tollen Spielzüge wegen kleiner Ungenauigkeiten nicht vollendet wurden. Über einen deutlichen Rückstand hätte sich Leipzig jedenfalls nicht beschweren können.

Druckvolles (Gegen-)Pressing

Beschweren können sich Bayern-Fans in letzter Zeit auch nicht über die Leistungen der Bayern gegen den Ball. Das mag bei sieben Gegentoren in sechs Pflichtspielen zunächst widersprüchlich klingen, doch die Treffer entstanden allesamt aus Momenten der Unachtsamkeit oder aus Fehlern im Positionsspiel mit dem Ball und somit in schwachen Umschaltsituationen nach Ballverlusten.

Haben die Münchner aber mal längere und sortierte Phasen gegen den Ball, stehen sie häufig sehr sicher. Und auch das Angriffs- und Gegenpressing scheint sich in dieser Saison nochmal verbessert zu haben. Schon gegen Hertha variierten die Bayern sehr klug, als sie auf die Dreierkette des Gegners mit einrückenden Flügelspielern und somit einem 4-3-3 antworteten und nach der Umstellung der Berliner auf ein 4-4-2 anpassten.

Der hohe Druck führt dazu, dass die meisten Bundesligisten keine Zeit haben, um kluge Entscheidungen zu treffen. RB Leipzig zeigte, dass sie dem zumindest kurzfristig durch eine Anpassung entgehen konnten. Nach der Umstellung auf ein 4-2-2-2 waren sie das klar spielbestimmende Team. Bayern fand bis zum Schluss nicht mehr zurück zum dominanten und druckvollen Spiel der ersten 45 Minuten. Zwischen dem Anpfiff der zweiten Halbzeit und der großen Süle-Chance mit Abpfiff kreierten die Münchner nur 0,35 Expected Goals (xG; understat.com).

Gegenpressing als Spielmacher

Doch auch Leipzig blieb im gesamten Spielverlauf bei nur 1,65 xG. Der von Thiago eingeleitete und somit verschenkte Elfmeter machte dabei 0,76 xG aus. Bayern hielt RB also über 90 Minuten bei nur 0,89 xG plus Geschenk, was auf diesem Niveau eine beachtliche Leistung ist. Gruppentaktisch gibt es deshalb wenig zu kritisieren.

Die Bayern schafften es gegen Leipzig immer wieder, Überzahlsituationen durch gutes Gegenpressing zu erzeugen.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Ballgewinn in der 33. Spielminute. Durch intelligentes Verschieben gelang es den Bayern, Leipzig zu einem unkontrollierten Pass auf die Außenbahnen zu zwingen. Dort hatten sie schließlich Überzahl, die sie nach Ballgewinn gut ausspielen konnten. Einziger Kritikpunkt: Aus solchen Situationen entstehen noch zu wenig hochkarätige Torchancen. Diese Szene hätte zwingend zu mehr als zu einem ungefährlichen Fernschuss führen müssen.

Gegen Belgrad wird es zudem weniger Situationen geben, in denen das Gegenpressing frei nach Jürgen Klopp den besten Spielmacher darstellen kann. Bayern muss dann Chancen gegen einen tiefen Block mit weniger Raum kreieren. Auch da hatten die Münchner gegen Leipzig wieder einige Probleme.

Es fehlt an Details

Auch wenn das Ballbesitzspiel stark verbessert war, fehlte noch die Genauigkeit in der letzten Aktion. In der zweiten Halbzeit war keine Idee zu erkennen, wie man Leipzigs nun kompakteres Mittelfeld knacken könnte. Bayern fiel in alte Muster zurück, schlug plötzlich deutlich mehr sinnlose Flanken als vorher und kam kaum noch durch das eigene Positionsspiel zu Chancen. Die angesprochenen 0,35 xG im zweiten Durchgang unterstreichen diese Beobachtung. Nur Tolissos Abschluss in der 63. Minute war noch ein kurzer Glanzmoment.

Hier müssen sich die Bayern in den kommenden Wochen steigern. Gegen Belgrad wird es nicht so sehr auf die taktischen Nuancen ankommen. Aber sobald Mannschaften wie Tottenham oder Dortmund die Gegner sind, werden Details wieder eine größere Rolle spielen. Auch Müller sprach nach dem Spiel von seinem Wunsch, dass die Mannschaft auf solche Umstellungen des Gegners schneller reagiert. Durch die Einwechslungen von Alphonso Davies und Corentin Tolisso kam zwar Stabilität, aber keine offensive Durchschlagskraft ins Spiel. Hier wäre womöglich zusätzlich zur personellen eine taktische Anpassung sinnvoll gewesen. Das ist ein kleiner Kritikpunkt an einem Auftritt, der sonst zeigte, dass die Bayern einen großen Schritt nach vorn gemacht haben.

Gerade in der Champions League wird es jedoch entscheidend sein, dass man auf Veränderungen im Spiel reagieren kann. Die Rolle eines Trainers ist dabei nicht zu unterschätzen. Kovač hat gegen Leipzig bewiesen, dass er seine Mannschaft auf einen Top-Gegner vorbereiten und auch taktisch einstellen kann. Der nächste Schritt für ihn wird es sein, entsprechende Alternativen parat zu haben, die verschiedene Szenarien abdecken. Diese Qualität macht nicht nur den Unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten Trainer, sondern auch oft genug den zwischen Erfolg und Misserfolg aus.

So läuft die Partie gegen Belgrad …

Bayern wird etwas rotieren und deshalb nicht so glanzvoll auftreten wie in der ersten Halbzeit gegen Leipzig. Dank einer tollen Coutinho-Leistung wird es aber zu einem lockeren 4:0 reichen.

So könnte Bayern spielen …

4-3-3: Neuer – Kimmich, Süle, Hernández, Davies – Thiago – Müller, Coutinho – Perišić, Lewandowski, Coman

Es fehlen: Goretzka, Alaba