Problemzone Abwehr
Pep Guardiola hat in der Länderspielpause bzw. in den folgenden zwei Heimspielen gegen Eintracht Frankfurt und Benfica die Chance, den Abwehrverbund neu aufzustellen. In jüngster Vergangenheit überraschte der Trainer auf der Zielgerade seiner Tätigkeit nur mit wenigen Anpassungen. Was eher untypisch zu seiner bisherigen Arbeit ist. Im Regelfall setzte er auf ein 4-1-4-1 Standardsystem, das durchweg seit der Rückrunde bis auf wenige Ausnahmen gespielt wurde. Lediglich vereinzelt kam es zu kleineren Umstellungen. Dies mag sicherlich auch den Verletzungen auf der Innenverteidigerposition geschuldet sein und dennoch nutzte Pep Guardiola in den vergangen Wochen kaum die Chance zur Umstellung. Das könnte sich in den nächsten Wochen ändern, wenn Spieler wie Javi Martinez, Medhi Benatia und im verlaufe des Aprils auch Jerome Boateng wieder in die Mannschaft zurückkehren. Ob die Dreierkette dann wieder zur ernsthaften Option wird, ist zu diesem Zeitpunkt nur Spekulation. Natürlich ist ein 3-3-3-1 System mit Martinez und Boateng einfacher denkbar, als in der jetzigen Situation. Umso spannender ist an dieser Stelle, welche Rolle die drei rückkehrenden Innenverteidiger in den nächsten Wochen haben werden.
Medhi Benatia
Die 1 3/4 Jahre, die Benatia mittlerweile für den FC Bayern spielt, lassen sich wohl am abstraktesten im Begriff „unglücklich“ subsumieren. Unglücklich deshalb, weil es einerseits ausdrückt, dass Benatia nicht immer seine Leistung abrufen konnte. Was zum einen an vielen aufeinanderfolgenden kleineren Muskelverletzungen lag, aber auch an inkonstanten Auftritten. War er gegen Mainz noch fast der beste Feldspieler, so folgte ein desaströser Auftritt gegen Turin. Vielleicht in einem Spiel, in dem der FC Bayern ihn am meisten gebraucht hätte. Konnte man das 1:0 von Juventus noch mit der „Gesamtsituation“ der Szene begründen, verpasste Benatia beim 2:0 das taktische Foul. Er war schlichtweg zu langsam – gedanklich, aber auch körperlich. In den 45 Minuten auf dem Feld konnte Benatia nur zwei Abwehraktionen verbuchen. Zu wenig gegen einen zunächst furios aufspielenden italienischen Meister. In der Pause wurde er ausgewechselt. Guardiola vertraute lieber dem ebenfalls wackelnden Bernat. Benatia hat trotz langsamen Aufbau sein Talent nicht abrufen können.
Gleichwohl drückt sich in der Bezeichnung „unglücklich“ das Potenzial von Benatia aus, da es ja impliziert, dass er besser spielen kann. In der bisherigen Saison gewann Benatia im Schnitt fast 70% seiner Zweikämpfe. In der Bundesliga sogar 71% und in der Champions League 64%. Im Aufbauspiel ist Benatia grundsolide und wenig fehleranfällig. In der aktuellen Saison hat er zusammen mit Boateng die wenigstens Ballverluste nach individuellen Fehlern und noch keinen Zweikampf bei eigenem Ballbesitz verloren. Das zeigt, welche Qualität er auf den Rasen bringen kann. Ungeachtet seines Kopfballspiels, das den Standardsituationen des FC Bayern überhaupt erst einen Hauch von Gefahr verleiht.
Gegen Turin sollte Benatia das Abwehrzentrum tragen. Dafür ist er in der jetzigen Form noch nicht bereit. Benatia kann nur funktionieren, wenn er einen Nebenmann an seiner Seite weiß, der ihn tragen kann. Der ihn bei der Positionierung und im Aufbauspiel unterstützt. Boateng kann einer dieser Spieler sein. Kimmich, das hat der Härtetest gegen Turin gezeigt, kann es auf ganz hohem Niveau (noch) nicht. Und dennoch wird Benatia weiter Einsatzzeiten sammeln. Wohl aber mehr auf nationaler, als auf internationaler Bühne. Für ihn persönlich wäre es zunächst am wichtigsten, eine möglichst lange Zeit ohne Beschwerden Fußball zu spielen und so über mehr Stabilität seine Leistung abzurufen.
Javi Martinez
Der Saisonverlauf von Martinez gleicht dem von Benatia. Spielfähigkeit und Ausfall wechseln sich ab, was daran liegt, dass der Spanier die ersten vier Spiele in dieser Saison verpasste und nun seit Ende Januar verletzungsbedingt fehlt. Aus den zunächst zwei bis vier Wochen Krankenstand wurden sechs bis acht Wochen. Zuletzt kehrte Martinez ins Mannschaftstraining zurück und dürfte für die anstehenden Aufgaben wieder eine ernsthafte Option sein.
Seine Zahlen im Abwehrzentrum lesen sich ähnlich wie die von Benatia, wobei seine Werte etwas weiter auseinander gehen. Seine Zweikampfquote liegt in der Bundesliga gute zehn Prozent unter den Werten von Benatia (61% gewonnen). Dafür sind seine Leistungen in der Champions League besser (71% gewonnen). Ähnlich lesen sich Verteidigungswerte, wie beispielsweise abgefangene Bälle, die aufgrund der sehr hoch stehenden Abwehr besonders wichtig sind. Benatia hat in der Bundesliga im Schnitt mit 2.1 die meisten Eroberungen aller Bayernspieler. Boateng und Martinez bewegen sich mit 1.5 Eroberungen auf ähnlichem Niveau. In der Champions League sind hier wiederum beide Werte fast vertauscht. Martinez (2.5) führt hier klar vor Benatia mit 1.6. Ein wirklicher Unterschied lässt sich mit Blick auf Zahlen nicht festmachen. Ein kleiner Vorteil von Martinez ist sicherlich, dass er sich bereits in einigen Top-Spielen in dieser Saison bewiesen hat. So stand er beim wichtigen Heimsieg gegen Borussia Dortmund ebenso auf dem Platz, wie beim Heimspiel gegen Arsenal. Mit 1.259 Einsatzminuten trägt er zudem einen höheren Anteil am bisherigen Saisonverlauf.
Pep Guardiola wird ihn sicherlich in den nächsten Wochen testen und überprüfen – ähnlich wie Benatia -, ob er das Abwehrzentrum der Bayern im April tragen kann. Zumindest bis Boateng wieder zurückkehrt. Martinez lebt dabei von seinem Fokus. In wichtigen Spielen fällt er nicht ab. Das hat er in seiner Debütsaison gezeigt. Aber selbst unter schwierigen Bedingungen, wie beim DFB-Pokalsieg gegen Borussia Dortmund 2014. Mit dieser Betrachtungsweise dürfte Martinez eine ernsthafte Option für das Champions-League-Viertelfinale sein. Vorausgesetzt er konnte sein Fitnesslevel während der langen Pause weitestgehend konservieren.
Boateng | Benatia | Martinez | Badstuber | Kimmich | |
---|---|---|---|---|---|
Zweikampfquote | 64% | 71% | 61% | 71% | 54% |
abgefangene Bälle | 1.5 | 2.1 | 1.5 | 0.6 | 0.7 |
Klärungen | 2.3 | 1.7 | 1.9 | 3 | 0.4 |
Fouls | 0.9 | 1 | 0.9 | 0.4 | 0.4 |
gewonnene Kopfballduelle | 69.57% | 75% | 67.44% | 75% | 40,91% |
lange Bälle | 7.4 | 1.6 | 1.7 | 2 | 2.9 |
Jerome Boateng
Jerome Boateng ist einer der Schlüsselspieler im System von Pep Guardiola. Spätestens in dieser Saison wird dies deutlicher denn je. Mit wechselnden Formationen und Partnern stabilisierte er in der Hinrunde die Abwehr. Darüber hinaus entwickelte er sein Aufbauspiel kontinuierlich weiter. Seine langen öffnenden Bälle machten vor allem im ersten Drittel der Spielzeit in vielen Partien der Unterschied. Nicht zuletzt gegen Borussia Dortmund als er mit zwei Torvorlagen die Partie zugunsten der Münchner drehte. In der Bundesliga brachte er pro Partie 7.4 lange Bälle an, während im Schnitt 4.4 nicht ihr Ziel fanden. Nicht ohne Grund gab es eine leichte Veränderung der Spiel- und Denkweise von Pep Guardiola. Der Mittelfeldfokus der ersten beide Jahre ist auch aufgrund des guten Aufbauspiels von Boateng verschwunden. Was früher noch zentrale Mittelfeldspieler übernahmen, können nun Abwehrspieler mit seiner oder ähnlicher Qualität ausführen. Dadurch steigt die Variabilität und Vertikalität im Spiel des FC Bayern.
Sein Ausfall im Januar erschütterte viele Fans. Bei Vielen weckte es Erinnerungen an die Vorsaison. Viele Leistungsträger waren damals in den entscheidenen Partien ausgefallen. Wider Erwarten hat sich der FC Bayern gut durch die schwere Phase gemogelt. Zwar schmolz der Vorsprung in der Liga von acht auf fünf Punkte, aber in den Pokalwettbewerben wurde jeweils die nächste Runde erreicht. Das Champions League Viertelfinale dürfte für Boateng dennoch zu früh stattfinden. Sollte der FC Bayern noch eine Runde weiter kommen, könnte der wohl wichtigste Spieler in einem möglichen Halbfinale wieder zur Verfügung stehen.
Dennoch bleiben einige Fragezeichen. Boateng lebt von seiner Fitness und Körperlichkeit. Wie viel hat er davon während seines Ausfalles eingebüßt? Und wie wirkt sich das auf sein Spiel aus? Zugleich kommt Boateng in einer Phase vieler wichtiger Partien zurück. In der Bundesliga gilt es zum Teil unangenehme Auswärtsaufgaben wie Hertha BSC oder Ingolstadt zu lösen. Zu Hause warten noch Top-Spiele gegen Borussia Mönchengladbach und Schalke 04. Ein wirkliches Experimentieren und Aufbauen ist dann nur schwer möglich, zumal Borussia Dortmund selbst nicht gewillt scheint, Punkte in der Bundesliga abzugeben.
Nichtsdestotrotz dürfte Boateng nach seiner Rückkehr gesetzt sein. Die Frage wird sein, wer neben bzw. mit ihm spielen kann. Benatia hat sich mit seiner Leistung gegen Turin zunächst etwas ins Abseits gestellt. Denkbar ist es daher, dass die variable Dreier- bzw. Viererkette bestehend aus Alaba – Martinez – Boateng – Lahm wieder ihr Comeback feiern könnte. Wobei Kimmich durchaus gezeigt hat, dass er einen Platz in dieser Mannschaft verdient hat. Schlussendlich wird auch die Fitness über die Aufstellung entscheiden. Wie bereits an anderer Stelle formuliert: Pep Guardiola wird keinen Wert mehr auf Kadermanagement legen müssen. Er kann und muss die bestmögliche Aufstellung finden. Mit der Folge, dass es auch in der Abwehr Härtefälle geben kann.