FC Hollywood: Abstimmungsprobleme auf und neben dem Platz

Justin Trenner 08.04.2021

Mittwochabend. Für den FC Bayern München steht das so wichtige Hinspiel gegen Paris Saint-Germain in der eigenen Arena kurz bevor. Letzte Interviews werden am Spielfeldrand geführt. Im Fokus: Sportvorstand Hasan Salihamidžić, Trainer Hansi Flick und Jérôme Boateng, der an diesem Tag etwas überraschend nicht in der Startelf steht. Bereits weit vor diesen Interviews wurde dem Boulevard durchgestochen, dass Boateng den Klub im Sommer verlassen werde. Eine Verlängerung, so heißt es, wurde vom Aufsichtsrat abgelehnt.

Kurz vor dem Anpfiff bestätigt Salihamidžić, dass Boateng am Ende der Saison „durch das große Tor“ gehen werde. Das große Tor also. Der Umgang in den letzten Jahren wurde auch mit verdienten Spielern immer kälter. Rafinha etwa, der bei seiner letzten Möglichkeit, vor heimischem Publikum zu spielen, 90 Minuten auf der Bank saß. Oder eben Boateng, der schon 2019 mehrfach aus den eigenen Reihen angegangen wurde. Gerade Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge waren sich der einen oder anderen Spitze nicht zu schade.

Auch bei David Alaba darf durchaus mal hinterfragt werden, wie der Klub mit ihm umgegangen ist. Bevor sich Herbert Hainer auf einer professionellen Ebene sachlich und fair geäußert hat, war der Klub sehr darum bemüht, den Österreicher öffentlich zu diskreditieren. Alaba selbst, so viel ist klar, war sicher nicht unschuldig daran. Aber hat es der FC Bayern wirklich nötig, diese Geschichte in aller Öffentlichkeit zu befeuern? Der Umgang mit verdienten Spielern, er ist mitunter rauer geworden in den letzten Jahren.

Unruhe neben dem Platz

Es sind nur drei Beispiele, die jeweils anders gelagert sind. Aber neben dem Platz häufen sich die Themen, die letztendlich auch an Spielern nicht spurlos vorbeigehen können. Welche Spieler bleiben für die kommende Saison? Wer kommt? Und wer sitzt überhaupt auf der Trainerbank? Die Trainerdiskussion ist das zweite große Thema, das vor der Partie gegen Paris abermals groß aufflammt. Nachdem Rummenigge unter der Woche zum wiederholten Male klargestellt hatte, dass es aus Sicht des FC Bayern keinen anderen Plan gebe, als mit Flick weiterzumachen, tat der sich erneut schwer, auch nur ein klares Wort zu formulieren. Er wolle nichts dazu sagen und dabei sagt er dann eben doch recht viel.

Heißt das nun, dass Flick vielleicht doch lieber zum DFB will? Kann sein. Aufgrund der Klarheit, mit der die Verantwortlichen des FC Bayern sich äußern, scheint aber ein anderes Szenario realistischer zu sein: Flick will eine mächtigere Position, wenn es beispielsweise um die Kaderplanung geht. Dass Alaba und Boateng gehen, gefällt dem 56-Jährigen vermutlich überhaupt nicht. Beide sind wichtige Eckpfeiler seiner fußballerischen Idee.

Im Moment nutzt der Trainer jede sich ihm bietende Gelegenheit, um klar zu machen, dass er gar nichts klar machen möchte. Damit nimmt er zugleich in Kauf, dass auch die Spieler langsam genervt sind. Thomas Müller bemüht sich beispielsweise vor den Kameras stets darum, den Fokus wieder aufs Sportliche zu lenken. Trotz seiner Erfahrung und Abgezocktheit ist ihm anzumerken, dass das nicht spurlos an ihm vorbeigeht. Auf dem Platz meckerte Kimmich gegen Paris lautstark in Richtung Bank: „Wir spielen seit fünf Minuten mit einem Mann weniger, man! Ich glaub‘ das nicht, ehrlich!“ Gemeint war die Verletzung von Leon Goretzka. Es wäre nicht fair, daraus eine Ferndiagnose zu stricken, aber wirklich locker wirken die Bayern derzeit nicht.

Auch auf dem Platz herrscht langsam etwas Unruhe

Als es dann endlich zum Sportlichen kam, waren sie dennoch sofort da – mehr oder weniger. Am Ende verlieren sie dieses Spiel jedenfalls nicht, weil sie auseinander gefallen wären oder weil sich da irgendjemand nicht mehr zu 100 % reinwirft. Sie verlieren es, weil es auf dem Platz Abstimmungsprobleme in wenigen entscheidenden Szenen gibt und weil vorn die Chancen nicht ausreichend genutzt werden.

Gerade die Abstimmungsprobleme sind es, die sich im Defensivverhalten durch die komplette Saison ziehen. Es ist nicht die Schuld von Einzelspielern. Das Team ist hier als Kollektiv anfällig für Fehler. Wann lässt sich ein Verteidiger fallen? Wann spielt er auf Abseits? Wann rückt er aggressiv heraus? Wann sollte die Mitte kompakt gehalten werden? Wann kann ich auch mal auf die Seite schieben? Wie reagiere ich bei Pässen zwischen die Linien? Diese Fragen stellen sich den Defensivspielern regelmäßig und pro Partie sogar sehr häufig. Eine kollektive Antwort darauf gibt es aber nur selten. Jeder beantwortet sie für sich, zu oft aber anders als sein Nebenmann.

Der „Defensivverbund“ ist eher ein Haufen aus sehr guten Einzelspielern, die in der Lage sind, die fehlende Abstimmung in sehr vielen Situationen im Alleingang zu beheben. Doch das klappt nicht immer. In der Champions League wird das in der Regel bestraft und auch in der Bundesliga ist das Spiel schon bekannt. Beim 0:1 gegen Paris kommuniziert Hernández zu wenig mit Kimmich, trabt dann selbst nur hinterher. Auch Alaba, Süle, Pavard und Goretzka stimmen sich nicht entsprechend ab, sind dann zwar irgendwie dabei, können aber trotz Überzahl nicht entscheidend eingreifen, weil sie schlecht positioniert sind. Das 0:2 resultiert ebenfalls aus einer Situation, in der die Verteidiger mal mehr, mal weniger energisch herausrücken. Kimmich bekommt keinen Druck auf Neymar, der lange Ball fliegt trotz bayerischer Überzahl zu Marquinhos. Zuordnung? Keine. Sobald die Bayern keine Grundordnung haben, sind sie im Dauerschwimmmodus. Ein Problem, das Flick schon in der letzten Saison hatte. Nur wurde es durch den herausragenden Lauf überdeckt.

Nach vorn ist das Spiel der Bayern ein gänzlich anderes. Tiefenläufe, schicke Kombinationen, variable Angriffe, viele Torraumszenen – einzig die Tore fallen am Mittwochabend nicht oft genug. Ein Vorwurf ist den Spielern hier aber nur bedingt zu machen, auch wenn die eine oder andere Szene noch konsequenter hätte ausgespielt werden können. Letztendlich fehlten mit Lewandowski und Gnabry die abschlussstärksten Spieler. Es sind somit vor allem die Defensivprobleme, die eine gute Ausgangssituation kosten.

Abstimungsprobleme auch neben dem Platz

Abstimmungsprobleme, die, will man es etwas populistisch formulieren, ein Spiegelbild dessen sind, was neben dem Platz passiert. Der FC Bayern bekommt im Moment keine Ruhe rein und auch wenn die Spieler damit umgehen können, so würde wohl niemand bestreiten, dass es angenehmer für sie wäre, würde es nicht so viele Themen außerhalb des Platzes geben.

Im Mittelpunkt stehen immer wieder Flick und Salihamidžić. Ersterer ist unzufrieden mit der vergangenen Transferperiode und den begrenzten Möglichkeiten, die sich ihm bieten. Letzterer hält sich öffentlich hinter Phrasen bedeckt und ist zumindest darum bemüht, nicht noch weiter Öl ins Feuer zu kippen. Fakt ist aber, dass Salihamidžić und der FC Bayern nicht zufrieden sein können damit, wie sich die meisten Neuzugänge in dieser Saison präsentieren.

Bouna Sarr, Marc Roca und Douglas Costa sind unterschiedlich gelagerte Problemfälle. Unterschiedlich gelagert, weil der Transfer von Roca anders zu bewerten ist als jene von Costa oder Sarr. Zwar dürften sich die Münchner auch hier mehr erhofft haben, doch im Vergleich zu Costa oder Sarr hat er noch alle Möglichkeiten, sich entsprechend zu entwickeln. Letztere hingegen konnten, so viel ist jetzt schon klar, die Erwartungen definitiv nicht erfüllen.

Verkorkste Kaderplanung?

Während Costa aber als Leihgabe nach wie vor jemand ist, bei dem als vierter Flügelspieler und aufgrund des Aufstiegs von Musiala wenig Fläche für Kritik an Salihamidžić vorhanden ist, kommen bei Sarr viele Fragen zusammen. Vordergründig hinsichtlich der Qualität des Spielers, aber auch finanziell ist kaum zu erklären, warum für ihn 10 Millionen Euro ausgegeben wurden. Der Markt ist für Rechtsverteidiger kompliziert, insbesondere in Coronazeiten, aber diese Ablöse und ein Vierjahresvertrag lassen sich sowohl retrospektiv als auch aus der damaligen Perspektive heraus kaum rechtfertigen. Wer jetzt hauptverantwortlich für den Transfer ist, ist nach wie vor unklar. Der Spieler selbst sagte, dass Flick ihn wollte. Trotzdem muss die Entscheidung natürlich von oben getroffen werden.

Doch Salihamidžić hat auch dafür gesorgt, dass Flick flexible Spieler wie Pavard, Hernández, Sané oder Choupo-Moting zur Verfügung hat. In den letzten Jahren hat sich der Klub darum bemüht, den Kader auszudünnen. Das fiel den Bayern in den letzten beiden Transferperioden auf die Füße, als man versucht hat, ihn wieder breiter aufzustellen. Salihamidžić hat aber immerhin erkannt, dass 16-17 Feldspieler nicht ausreichen, um die eigenen Ansprüche zu erfüllen. Rein von der Anzahl an Spielern her ist der Kader in dieser Saison ausreichend breit.

Dass das qualitativ nicht immer aufgeht, liegt an verschiedenen Faktoren wie engem Spielplan, fehlender Sommervorbereitung, der Coronasituation insgesamt (teambuilding und finanziell), aber eben auch daran, dass Salihamidžić sich bei Sarr und Costa verschätzt hat. Dass die Neuzugänge mitunter mehr Qualität haben, als ihnen zugetraut wurde, zeigt Choupo-Moting aktuell. Mit etwas Selbstvertrauen und Spielpraxis weiß er durchaus zu überzeugen, zeigte zuletzt zweimal gegen sehr starke Gegner gute Leistungen. Er ist jemand, auf den sich Flick eigentlich verlassen könnte und der verschiedene Positionen bekleiden kann.

Flick trägt auch Verantwortung

Flick aber wirkt bisweilen fast schon trotzig, wenn es um Rotation geht. Einerseits aus nachvollziehbaren Gründen der Stabilität. Natürlich ist es für alle Trainer in dieser Saison schwer, Spieler zu integrieren. Aber zeigen nicht vor allem die Beispiele Sané und Choupo-Moting, dass es durchaus möglich ist, sie mit angemessenem Risiko an die Mannschaft heranzuführen? Warum bekam Roca beispielsweise diese Gelegenheit nie, obwohl er in einigen Spielen zumindest gute Ansätze gezeigt hat?

Es ist verständlich, dass Flick gerade dann nicht viel rotiert hat, als es in der Liga um zu viel ging. Doch es gab auch viele Momente, in denen er Spieler unnötig links liegen ließ, die er in der jetzigen Situation gut gebrauchen könnte. Auch Spieler, die eigentlich näher an der ersten Elf dran sind als beispielsweise Roca. Wie stark die Vorwürfe des Trainers in Richtung Sportvorstand wirklich sind, ist nicht klar. Dass eine gewisse Zeitung gern mehr aus kleinen Geschichten macht, als letztendlich wirklich dran ist, ist bekannt. Doch Flick sollte nicht so tun, als wäre allein die Kaderplanung dafür verantwortlich, dass er jetzt kaum Optionen zur Verfügung hat.

Beschweren darf sich der FC Bayern über die Berichterstattung aber auch nicht. Wer sich mit besagter Zeitung immer wieder derart ins Bett legt, muss damit rechnen, dass die erstbeste Gelegenheit ausgenutzt wird, sobald es einen Anlass gibt. Die Münchner scheinen daraus auch nicht zu lernen, kennen sie dieses Spiel doch bereits seit Jahren. Intern gibt man sich gern mal überrascht darüber, wie viel das Blatt weiß. Doch diese Überraschung ist allenfalls gespielt. Natürlich weiß man, wer im Klub welchen Zugang zu welchen Redaktionen hat. Und selbst wenn nicht, wäre es wohl ein Einfaches, denjenigen zu finden, der Interna immer wieder durchsteckt. Interesse daran scheint nicht zu bestehen und so sollte sich an der Säbener Straße auch niemand darüber wundern, wenn mal wieder überspitzte Geschichten veröffentlicht werden.

Positionierung im Machtgefüge

Was bei aller Unklarheit darüber, wie tief die Risse im Verhältnis zwischen Trainer und Sportvorstand wirklich sind, aber sehr wohl klar ist: Es gibt Konfliktpunkte, die über einfache Reibung zum Wohle des Klubs hinausgehen. Konfliktpunkte, die am Ende nicht einfach nur darüber entscheiden, ob Flick auch im nächsten Jahr noch auf der Bayern-Bank sitzt. Sie entscheiden mittlerweile auch darüber, wie erfolgreich diese Saison noch wird.

Denn gerade weil der FC Bayern so viel Angriffsfläche nach außen bietet, entsteht Unruhe, die schnell die Mannschaft negativ beeinflussen kann. Es ist gewiss nicht neu, dass es in München schnell mal unruhig wird, sobald es nur den kleinsten Anlass dazu gibt. Neu wäre es aber, wenn interne Machtkämpfe dazu führen, dass der sportliche Erfolg aufs Spiel gesetzt wird.

Dass es diese geben würde, war absehbar. Rummenigge befindet sich bereits auf seiner Ehrenrunde, Hoeneß ist mehr in den Hintergrund getreten. Der Klub braucht neue starke Führungskräfte, die sich nun immer mehr positionieren werden. Ein reibungsloser Übergang? Utopie. Egal wie gut die Zeit nach den beiden Machern des heutigen FC Bayern vorbereitet ist, es wird eine Verschiebung der Hierarchien und Machtverhältnisse stattfinden. Und natürlich werden Kahn und Salihamidžić ausloten müssen, wie ihre Zusammenarbeit in Zukunft aussieht.

In München müssen sie wieder zueinander finden

Mit Flick scheint nun aber auch der Trainer kräftig mitzumischen, wenn es um die Verteilung der Macht geht. Der FC Bayern war schon immer ein Klub, der von oben geführt wurde. Während es in Europa viele Beispiele gibt, in denen Trainer immer mehr Macht erhalten, was Kaderplanung und Transfers anbelangt, war und ist man in München stets darum bemüht, den Trainer zwar einzubinden, aber das letzte Wort bleibt bei der Führungsetage. Dass das zu Reibung führen kann, zeigten die Beispiele van Gaal und Guardiola. So ergeht es jetzt auch Flick, der zurecht eine stärkere Einbindung fordert, wenn der Klub langfristig mit ihm plant.

Salihamidžić aber hat trotz der Kritikpunkte viele Argumente auf seiner Seite. Das wohl stärkste: Er ist der sportliche Leiter in der erfolgreichsten Phase der Klubgeschichte. So schlecht kann ein Kader nicht zusammengestellt sein, wenn er die Champions League gewinnt und trotz aller Probleme weiter so erfolgreich Fußball spielt. Der FC Bayern fuhr auch immer gut damit, sich nicht zu sehr auf einen Trainer festzulegen. Mitbestimmung bei Transfers ist wichtig, aber es muss klare Grenzen geben. Wenn ein Trainer zu stark in den Kompetenzbereich des Sportvorstandes eingreift, kann das nicht nur schädlich für das Arbeitsverhältnis sein, sondern auch für den gesamten Klub. Zugleich schützt Salihamidžić der Erfolg aber nicht vor der Kritik, dass die letzte Transferperiode alles andere als optimal verlief. Auch unter Berücksichtigung der Coronasituation. Zwar musste er vieles ausbaden, was er zu großen Teilen nicht maßgeblich zu verantworten hatte (beispielsweise die Idee, den Kader zu verkleinern oder die Entscheidung für Niko Kovač), aber das schützt nicht vor der Benennung von tatsächlichen Fehleinschätzungen. Die letzte Verantwortung trägt immer er.

Flick muss trotzdem aufpassen, dass er den Bogen jetzt nicht überspannt. Er hat ebenfalls gute Argumente auf seiner Seite. Ohne ihn wäre dieser Erfolg wohl ebenso kaum möglich gewesen. Gleichzeitig ist die Hierarchie jedoch eindeutig festgelegt: Salihamidžić ist sein Vorgesetzter. Und selbst wenn es immer wieder Reibungspunkte gibt, so müssen alle Beteiligten in der Lage sein, Kompromisse zu finden. Auch und gerade Flick, der es sich nicht herausnehmen sollte, seinen Vorgesetzten öffentlich bloßzustellen. Im Zweifelsfall wird er derjenige sein, der diesen Machtkampf verliert und dessen Ruf Schaden nimmt.

Er täte gut daran, sich zu den Konfliktpunkten wirklich nicht mehr zu äußern, wenn er vorgibt, sich nicht mehr äußern zu wollen. Flick mag seine Gründe dafür haben, dass er in aller Regelmäßigkeit Türen aufreißt, die vom Klub geschlossen werden. Und diese müssen nicht mal zwingend darauf hindeuten, dass er den Klub verlassen möchte. Aber in der jetzigen Situation ist es als Trainer des FC Bayern seine Aufgabe, sein Ego zurückzustellen. Zumindest bis es wieder ruhiger geworden ist an der Säbener Straße.



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