Thomas Tuchel in Bochum

FC Bayern: Das Ende von Thomas Tuchel! Chance oder Risiko?

Justin Trenner 21.02.2024

Obwohl sich der Rekordmeister zuletzt noch recht deutlich zu Thomas Tuchel bekannt hatte, wurde nun entschieden, dass eine gemeinsame Zukunft nicht mehr zielführend ist. Rund ein Jahr nach der Anstellung des Trainers ist damit klar, dass die Zusammenarbeit im Sommer endet.

Im März 2023 hatte man sich von Julian Nagelsmann getrennt und dann Tuchel als Nachfolger installiert. Im Kalenderjahr 2024 hagelte es für den FCB bereits vier Niederlagen. In 44 Pflichtspielen holte der 50-Jährige 28 Siege, fünf Unentschieden und verlor elfmal. Noch ist unklar, wer den Trainerstuhl für die kommende Saison übernimmt. Laut Dreesen wolle man sich sportlich für die neue Spielzeit neu aufstellen.

Der Rückblick: Keine große Überraschung

In den letzten Tagen wurde viel darüber diskutiert, ob Thomas Tuchel noch der richtige Mann für den FC Bayern München ist. Auch bei Miasanrot war sowohl ein Pro-und-Contra-Debattenstück zu lesen als auch eine größere Analyse, die sich unter anderem damit befasst hat, wie die Schuldfrage zu bewerten ist.

Einfach machen kann man es sich hier nicht. Tuchel ist ebenso verantwortlich für die Krise wie die seit Jahren unstimmige Kaderplanung und die Führungsspieler des Kaders selbst. Streng genommen wartete man in München quasi seit dem Ende der Guardiola-Jahre auf den Gang zurück in die Normalität.

Dass dieser nicht erfolgte, hatte viele Ursachen – unter anderem auch jene, dass die nationale Konkurrenz nicht in der Lage war, gleich mehrere Schwächephasen des Rekordmeisters zu nutzen. Weil der finanzielle Abstand enorm ist, weil Bayern trotz schwächerer Jahre fast immer in der Lage war, an die 80 Punkte zu holen und weil man es wie der BVB in der vergangenen Saison eben auch selbst nicht schaffte, zum richtigen Zeitpunkt „da zu sein“, wie es immer so schön heißt.

Ein Scheitern mit Ansage?

Die vielen Titel in der Vergangenheit konnten überdecken, was in der strategischen Planung eigentlich alles falsch lief. Fast Jahr für Jahr wechselte die fußballerische Stoßrichtung des Clubs mit Trainern, die jeweils kaum unterschiedlicher sein könnten. Es kamen und blieben Spieler, die irgendwann im Großen und Ganzen nicht mehr zusammengepasst haben.

In diesem Kontext war die Saison 2019/20 für den FC Bayern fast schon eine Katastrophe. Unter Hansi Flick marschierten die Münchner zum Triple, gewannen auch in der Saison danach weiterhin Titel und somit das historische Sextuple. Schon damals kursierende Meinungen, dieser Titellauf sei nicht nachhaltig, weil wegen der Besonderheiten der Coronakrise einmalig und nicht reproduzierbar, wurden ignoriert.

Unter Nagelsmann schaffte es der Club nicht, dessen Position in Zeiten der Krise zu stärken. Man zeigte weder Einsicht für die eigenen Fehler in der Kaderplanung, noch hatte man die Geduld, einen Weg der Entwicklung zu gehen. Nagelsmann hat Fehler gemacht, hatte wie Flick und nun Tuchel Anteil daran, dass der ganz große Schritt nach vorn nicht gelang. Doch wäre es durchaus interessant gewesen, zu sehen, was er mit diesem Kader und vor allem mit Harry Kane geleistet hätte.

Eine Führungsetage, die kurz nach ihm ging, verlor jedoch die Nerven – und es wurden Narrative in die Welt gesetzt, die der Wahrheit offenkundig nicht entsprachen. Beispielsweise der Verlust der Kabine oder dass Nagelsmann der sportlichen Leitung aufgetragen habe, keinen Ersatz für Lewandowski zu verpflichten.

Die Entscheidung gegen Thomas Tuchel

Fast ein Jahr später ist klar: Es war ein Fehler, Nagelsmann rauszuwerfen. Oder anders: Es war zumindest ein Fehler, dem Lockruf des verfügbaren Thomas Tuchel zu folgen. Dieser avancierte schnell zum größten Missverständnis der letzten Jahre. Trotz aller Ambivalenzen. Denn einerseits gilt es festzuhalten, dass Tuchel eine fast schon sensationelle Hinrunde unter den Umständen eines dünnen Kaders und vieler Verletzungen ablieferte.

Tuchel als schlechten Trainer zu betiteln, wäre absurd. Und fairerweise ist es auch einfach, die Entscheidung pro Tuchel und contra Nagelsmann im Nachhinein als falsch zu bewerten. Denn auch Nagelsmann schaffte es unabhängig von Umständen nicht, seinen Stempel vollends zu hinterlassen.

Dass man sich dann für jemanden entscheidet, der mit verschiedenen Clubs erfolgreich war und unter anderem in kürzester Zeit sensationell die Champions League mit dem FC Chelsea holte, ist für sich genommen und aus der damaligen Zeit heraus betrachtet kein dramatischer Fehler. Wenngleich der Zeitpunkt kurz vor entscheidenden Saisonspielen seltsam war.

Dennoch ging das Vorhaben für alle Beteiligten nach hinten los. Trotz der starken Hinrunde hatte man nie zu hundertprozentig das Gefühl, dass intern an einem Strang gezogen wird. Wieder gab es bedingt durch den Wechsel in der sportlichen Leitung einen holprigen Transfersommer, wieder gab es offenkundige Streitpunkte zwischen Trainer und Führungsetage. Wieder gelang es nicht, endlich die langersehnte Ruhe in den Club zu bekommen.

FCB: Entscheidung gegen Tuchel ist nachvollziehbar

Vor diesem Hintergrund ist Tuchel zwar alles andere als alleinschuldig, aber mindestens mitverantwortlich. Er zeigte sich nicht nur taktisch, sondern auch kommunikativ wenig flexibel, war schon zu Saisonbeginn stark darum bemüht, sich hinter dem dünnen Kader zu verstecken und schaffte es vor allem in Zeiten der Krise nicht, sich darauf einzustellen und die richtigen Anpassungen vorzunehmen.

Aber die Verletzungen! Richtig. Mit einem Kader zu arbeiten, der einerseits nicht gut ausbalanciert ist, andererseits auf Schlüsselpositionen viele Verletzungen aufzuweisen hat, ist nicht leicht. Gleichwohl muss bei einer Vielzahl von Muskelverletzungen auch immer das Trainerteam hinterfragt werden. Stimmt die Belastungssteuerung? Wie sehen die Trainings aus? Was wird präventiv gegen Verletzungen unternommen? Frei nach dem Motto „immer Glück ist Können“ ist immer Pech wohl irgendwann kein Zufall mehr.

Wägt man die Argumente für und gegen Tuchel ab, ist die Entscheidung gegen ihn nachvollziehbar. Zuletzt gab es kaum noch Indizien, dass die Zusammenarbeit nachhaltig erfolgreich sein kann. Nachdem Tuchel beachtliche Erfolge bei der Stabilisation der Defensive erzielt hatte, fehlte die Weiterentwicklung im Spiel mit dem Ball. Und so brach zuletzt alles zusammen wie ein Kartenhaus – wenngleich auch hier nochmals zu betonen ist, dass die alleinige Verantwortung nicht bei Tuchel liegt. Wohl aber eine große.

Der Zeitpunkt: Tut sich Bayern einen Gefallen?

Noch kontroverser als die Schuldfrage ist die Frage danach, wann eine solche Trainerentlassung erfolgen sollte. Die Bayern haben sich dazu entschieden, Tuchel bis zum Sommer weitermachen zu lassen und sich ab jetzt um einen Nachfolger zu bemühen. Das birgt offensichtliche Risiken. Eine Kernfrage ist, mit welcher Einstellung und Energie der 50-Jährige seine Arbeit fortsetzt.

Trainer wie Tuchel arbeiten selten ausschließlich für den kurzfristigen Erfolg. In der Regel verfolgen sie eine Idee, arbeiten an einem Prozess und denken schon jetzt daran, wie sie langfristig ihr Team zu definierten Zielen bringen können. Wird einem Menschen kommuniziert, dass er an diesen langfristig definierten Zielen nicht mehr arbeiten kann, kann das negative Folgen haben. Zumal es für Tuchel jetzt kaum noch Gründe gibt, sich zurückzuhalten.

Er ist ohnehin schon nicht für Zurückhaltung bekannt, nun aber könnte man auf einem Pulverfass sitzen, dessen Explosion die Saison dramatisch verschlimmern würde. Einzig und allein die Tatsache, dass es für Tuchel noch um Empfehlung für andere Clubs geht, könnte ihn dahingehend mäßigen. Doch um seine Zukunft wird er sich mit seiner Vita kaum sorgen müssen.

Kurzfristig könnte es also dazu kommen, dass eine verunsicherte und aktuell wenig mit dem Trainer harmonierende Mannschaft keinen frischen Wind erhält, dafür aber die Motivation vor allem auf der Trainerseite sinken könnte, daran mit allen Mitteln etwas zu verändern.

Was dennoch für den Zeitpunkt spricht

Wie so oft gibt es aber auch hier Argumente, die für das Vorgehen des FC Bayern sprechen. Frühe Klarheit dürfte auf vielen Ebenen ein wesentlicher Aspekt sein. Statt wochenlang herumzueiern und womöglich doch noch abzuwägen, ob Tuchel der Richtige ist, kann man nun den vollen Fokus auf die Nachfolge legen.

Man stelle sich vor, die Bayern duseln sich bis ins Halbfinale der Champions League und Leverkusen lässt unerwartet so viele Federn, dass die Münchner wieder heranrücken. Fußballerisch aber tut sich nichts. Was wäre dann die Entscheidung in einem Szenario, in dem Tuchels Zukunft weiterhin offen wäre?

Zum jetzigen Zeitpunkt haben die Verantwortlichen alle Argumente auf ihrer Seite, können die Trennung nachvollziehbar argumentieren. Und auch für Tuchel selbst dürfte es trotz aller oben genannter Faktoren gut sein, Klarheit zu haben. Vielleicht wirkt das für alle Beteiligten sogar befreiend – auch für die Mannschaft selbst.

Sollte es stimmen, dass einige Spieler kein gutes Verhältnis zum Trainer haben, wäre die Kommunikation dieser Entscheidung womöglich auch zentral für mögliche Vertragsverlängerungen. Zwar sind etwaige Berichte mit Vorsicht zu genießen, weil sie meist sehr reaktiv sind und die für die Öffentlichkeit sichtbaren Indizien bisher eher überschaubar sind, doch dass ein aktuell unerfolgreicher Trainer innerhalb der Mannschaft zumindest hinterfragt wird, wäre nicht abwegig.

Die Mannschaft: Droht der XXL-Umbruch beim FC Bayern?

Keine Mentalität, keine Qualität, überschätzt, ein Horror für jeden Trainer – wer Social-Media-Kommentare über die Spieler des FC Bayern liest, muss sich wohl fragen, ob die letzten Jahre nur ein Traum waren. Wer mit diesen Attributen nicht nur die Champions League gewinnt, sondern auch zahlreiche weitere nationale und internationale Titel, kann so schlecht nicht sein.

Zumal auch die starke Hinrunde unter widrigen Bedingungen nicht allein Tuchel anzukreiden ist, sondern auch den Spielern, die in dieser Zeit starke Leistungen gezeigt haben. Natürlich sind Ergebnisse und Titel nicht der Mittelpunkt einer solchen Bewertung. Und selbstverständlich ist es beim Kader so wie bei der Führungsetage und dem Trainer: Es gibt Faktoren, die für einen großen Umbruch und dagegen sprechen.

Klar ist aber auch, dass die Situation standesgemäß stärker dramatisiert wird, als sie ist. Dem FC Bayern fehlen Details in jedem Mannschaftsteil. Offensiv jemand, der neben Kane konstant performen und ihn regelmäßig einbinden kann. In der Hinrunde war das Leroy Sané, dessen abermals nach unten zeigende Formkurve entblößte nicht nur, dass Tuchel die taktischen Ideen ausgingen, sondern auch, dass keiner die Lücke adäquat füllen konnte. Auch Jamal Musiala nicht.

Der wiederum ist dennoch einer der Bausteine für die Zukunft, muss noch enger mit Kane in Verbindung und in eine Schlüsselposition gebracht werden. Und dann braucht es womöglich einen dritten Spieler, der die erwartbaren Schwankungen des 20-Jährigen auffangen kann.

Umstrukturierung im Mittelfeld des FCB nötig

Der größte Umbruch muss aber im Mittelfeld stattfinden. Weg von der Vielzahl an Achtern und hin zu einer besseren Aufteilung mit defensivorientierten, aber gleichzeitig technisch starken Spielern und spielstarken Achtern.

Inwiefern Joshua Kimmich und Leon Goretzka da noch eine Schlüsselrolle einnehmen können, ist fraglich – und hängt auch von der Art Fußball ab, die die sportliche Führung demnächst sehen möchte. Bei aller Kritik, die Kimmich aktuell erhält, ist ein Umbruch innerhalb eines Sommers auf allen Kernpositionen des Teams schlicht nicht zu bewältigen – und wohl auch gar nicht nötig.

Viele der Spieler, die aktuell scharf kritisiert werden, sind in einem Alter, in dem sie das Gegenteil beweisen können. Vielen von ihnen ist eine Reaktion zuzutrauen. Die sportliche Leitung muss diese Entscheidungen gewissenhaft treffen. Ein kleiner, aber dafür fokussierter Umbruch kann möglicherweise deutlich effizienter sein als ein kompletter Neuaufbau.

Die Architekten: Christoph Freund und Max Eberl

Jetzt gilt es also. Christoph Freund und Max Eberl müssen den FC Bayern möglichst schnell wieder auf Kurs bringen. All die genannten Punkte und vermutlich noch einige mehr liegen auf dem Tisch.

Es gilt, eine strategische Entscheidung darüber zu treffen, wofür der FC Bayern in Zukunft stehen soll. Davon ausgehend werden Trainer und das Ausmaß des Kaderumbruchs bestimmt. Weg vom Klang der Namen, hin zu einer Idee, die über diesen steht. Welcher Trainer letztendlich übernimmt, bleibt abzuwarten. Spekulationen wird es von vollkommen absurden Gerüchten bis hin zu wahrscheinlicheren Kandidaten zahlreich geben – die Liste muss schließlich lang sein, um sich am Ende darauf berufen zu können, dass man die Meldung zuerst hatte.

Der FC Bayern ist zu einer Herausforderung geworden. Eine, an der Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn gescheitert sind – und mit ihnen auch Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge. Jetzt gilt es, aus den Fehlern zu lernen. Es gab in der Vergangenheit schon viele vergleichbare Situationen, die gezeigt haben, dass der Weg zurück zum Erfolg mitunter kürzer sein kann, als es in Zeiten des Misserfolgs scheint. 2011 oder das Frühjahr 2019 sind gute Beispiele.

In München muss man sich fast schon bei Leverkusen bedanken, dass sie die Schwächen des Rekordmeisters so gnadenlos offenbart haben. Denn in jeder normal verlaufenden Saison wären die Bayern immer noch auf Meisterkurs. Doch das kann und darf nicht das entscheidende Kriterium sein.

Wie oft wurden Transfersommer in den letzten Jahren rund um den FCB als richtungsweisend bezeichnet? Diesmal ist die Bezeichnung wohl so treffend wie lange nicht mehr. „Die Zeit bis dahin birgt mehr Gefahren als Chancen“, schrieb der kicker. Das mag sein. Dennoch liegt es an den (neuen) Architekten, das bestmögliche aus den Chancen zu machen, die sich jetzt ergeben.



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