FC Bayern: Bambi ist kein Stier – ohne Goretzka, ohne Power
„Es war verdient, dass wir verloren haben“, sagte Julian Nagelsmann deutlich ernüchtert nach der 0:1-Niederlage beim FC Villarreal: „Wir waren heute nicht gut, haben in der ersten Halbzeit sehr wenig Power im Verteidigen gehabt, hatten eigentlich keinen richtig guten Ballgewinn, auch keine Torchancen.“ Es war nicht das erste Mal in der laufenden Spielzeit, dass sich der Trainer derart kritisch zu seinem Team äußern musste.
Insofern kann auch nicht von Zufall die Rede sein. Auch nicht von einem Ausrutscher. Die Bayern haben in dieser Saison diverse Probleme, die sie davon abhalten, auf absolutem Top-Niveau zu agieren. An guten Tagen sind sie dazu fähig, jeden Gegner zu schlagen. Das muss auch der Anspruch sein. Zugleich kommen die schlechten Tage deutlich zu häufig vor, als dass man in München vom großen Wurf in der Champions League träumen könnte.
Ein ganz wichtiger Faktor ist ganz offensichtlich Leon Goretzka. Der Nationalspieler fehlte den Bayern seit dem 3:2-Sieg im Bundesliga-Hinspiel gegen den BVB. Mit Blick auf die Punkteausbeute wird das gar nicht so deutlich. Ohne Goretzka in der Startelf holten die Münchner in allen Wettbewerben 2,4 Punkte pro Spiel, mit ihm 2,42.
Leon Goretzka: Unersetzlich für die Bayern?
Der 27-Jährige stand beispielsweise beim 1:1 in Gladbach und auch bei den 1:2-Niederlagen gegen Frankfurt und in Augsburg auf dem Platz. Auch beim 0:5-Debakel im Pokal hatte er große Aktien an den Gegentoren. Doch warum entsteht dann trotzdem der Eindruck, dass es ohne ihn bedeutend schwerer für die Bayern wurde? Vermutlich, weil sich insbesondere in den vielen Bundesliga-Partien nur selten Unterschiede im Ergebnis bemerkbar machen.
Gegen den SC Freiburg erzielte er aber das wichtige 1:0, gegen Villarreal lief es zumindest etwas runder, als er eingewechselt wurde. Mit Goretzka ist die Mittelfeldstruktur eine andere. Er ist der einzige Achter im Kader, der als Balancegeber zwischen Joshua Kimmich und Thomas Müller taugt. Corentin Tolisso wäre auf dem Papier eine weitere Lösung, aber der Franzose steht fast nie zur Verfügung.
Marcel Sabitzer könnte so jemand sein, hat es bisher aber nicht geschafft, sich auf dem Niveau des FC Bayern zu etablieren. Der Österreicher ist damit, ohne ihn für die wechselhafte Saison verantwortlich zu machen, die tragische Personifizierung der Kaderprobleme. Zu oft leben die Münchner im Konjunktiv.
Sabitzer und Roca finden nicht in die Spur
Was wäre beispielsweise, wenn Sabitzer seine vorhandene Qualität auf den Platz zu bringen? Für Leipzig war er über Jahre hinweg ein Schlüsselspieler, auch in der Champions League hat er schon mehrfach bewiesen, dass das Potential vorhanden ist. Aber in der Realität bleibt das bisher eben nur eine Vorstellung.
Marc Roca schien in der Abstinenz mehrerer Mittelfeldspieler zu einer echten Option zu werden, Nagelsmann lobte ihn damals in den höchsten Tönen. „Heute hat er mir gezeigt, dass es ein Fehler war, ihn so selten zu bringen“, sagte der Trainer nach der Partie in Stuttgart im Dezember. In den folgenden Partien gegen Wolfsburg, Gladbach und in Köln stand der 26-Jährige fast schon folgerichtig in der Startelf.
Dann verschwand er wieder in der Versenkung. Vier Minuten gegen Fürth, acht in Frankfurt, 24 in Salzburg, 15 gegen Union und die undankbare Einwechslung bei Villarreal, die ihm wegen der Kopfverletzung von Goretzka eine zusätzliche Minute einbrachte. Rund vier Monate nach der Lobeshymne von Nagelsmann wird klarer: Mehr als eine kurzfristige Maßnahme zum Aufbau des Selbstvertrauens steckte wohl nicht dahinter.
Goretzka ist der beste Balancegeber
Und so führen letztendlich alle Wege zu Goretzka. Der letzte Versuch des Trainers, den Ex-Bochumer zu ersetzen, war das Experiment mit Jamal Musiala. Der 19-Jährige sollte die Achterposition neben Kimmich übernehmen, spielte dabei aber stets sehr offensiv ausgerichtet.
Musiala machte seine Sache in vielen Spielen gut. Besonders seine Ballbehandlung ist ein großes Upgrade für das bayerische Mittelfeld, weil er nicht nur fast immer in guten Positionen anspielbar ist, sondern sich auch unter Druck zu befreien weiß. Bambi ist eben ein bewegliches und graziles Reh, weiß sich dennoch vor allem mit dem Ball durchzusetzen.
Aber er ist eben kein Stier. Er ist niemand, der Defensive und Offensive ausbalancieren kann. Musiala ist meist in höheren Räumen unterwegs und versucht, sich zwischen den Ketten des Gegners anzubieten. Damit agiert er als Achter wie eine zweite Zehn. Letztendlich führt das zu vielen Situationen, in denen Joshua Kimmich auf der Sechs allein die Arbeit verrichten muss.
Goretzka hat über die Jahre ein besseres Gespür dafür entwickelt, wann es richtig ist, vertikal anzuschieben und die Tiefe zu suchen. Denn auch er spielt häufig in höheren Positionen. Er ist aber als Spielertyp eher geeignet für diese Rolle, weil er wuchtiger im Gegenpressing ist und defensiver denkt. Seine Power und seine Dynamik machen ihn unersetzbar. Musiala bemüht sich zwar darum, gegen den Ball aktiv zu bleiben, aber ihm fehlt es an grundsätzlichen Dingen wie Stellungsspiel und Physis.
Bayern hinten wieder schwach: Villarreals Tor in der Analyse
Beim 1:1-Ausgleich der Freiburger spielte er eher eine nebengeordnete Rolle, ließ sich aber zu leicht von seinem Gegenspieler wegziehen. Als Villarreal das 1:0 schoss, war der Mittelfeldspieler schon eher unter den Hauptverantwortlichen.
Die Abstimmung mit Kimmich war schon in der Entstehung des Gegentores nicht gut. Einerseits muss die Frage gestellt werden, warum Kimmich so hoch steht, auf der anderen Seite ist der Lauf von Musiala zu impulsiv. Bleibt er in seiner tieferen Position, kann er den Angriff des Gegners besser verzögern.
An dieser Szene werden aber auch grundsätzliche Probleme deutlich: Kaum ein Bayern-Spieler ist trotz hohem Pressing und ballnaher Überzahl (5-gegen-4) in der Lage, Zugriff auf einen ballführenden Spieler herzustellen. Stattdessen kann Villarreal sich mit zwei Pässen durch sechs Gegenspieler kombinieren. Der Matchplan von Unai Emery ging auch deshalb auf, weil er die Viererkette der Bayern gut auseinander gezogen hat. Beide Angreifer stehen fast maximal breit, die Münchner haben eine Scheinüberzahl. Doch schon wenige Sekunden später spielen die Spanier die nun sehr breit aufgestellte Hintermannschaft klug her.
Aus der eigentlichen ballnahen Überzahl wird nämlich eine 3-gegen-2- Überzahl auf dem Flügel. Musiala und Kimmich laufen nur hinterher, es gibt keinen Sechser, der den ballführenden Spieler aufnehmen kann.
Im Zentrum rückt Hernandez als ballnaher Innenverteidiger viel zu spät heraus, um am Flügel zu unterstützen, was den Raum für den Pass an Davies vorbei in den Strafraum öffnet. Dieser ist aber auch nur deshalb möglich, weil Musiala stehen bleibt und auf den Gegenspieler von Gnabry spekuliert. Der stellt aber eine deutlich kleinere Gefahr dar, weshalb der 19-Jährige eigentlich mitlaufen muss.
Der zweite entscheidende Fehler kommt anschließend von Kimmich, der intuitiv zur Grundlinie läuft und so den Rückraum öffnet. Dass Villarreal das offensive Zentrum erst so spät bespielt, ist clever. Die meisten Bayern-Verteidiger hatten bis zur letzten Sekunde keine klare Zuordnung, trotzdem ließen sie sich so aus ihren Positionen ziehen, dass sich den Spaniern große Räume ergaben.
Sowohl der unnötige Lauf zur Grundlinie von Kimmich als auch das Stehenbleiben von Musiala machen diesen Treffer aber erst so richtig möglich. Beide verteidigen zu oft intuitiv. Beide brauchen neben sich eigentlich einen Spieler, der mehr Gefühl für die richtige Defensivaktion mitbringt und besser lesen kann, was als nächstes passiert. Goretzka ist, wenn er fit ist, genau dieser Spieler.
Darum wäre Gravenberch ein guter Transfer
Mit Goretzka wäre die Ausgangssituation im Spielaufbau von Villarreal womöglich schon eine andere gewesen. Nach der Auswechslung des formschwachen Thomas Müller konnte Musiala seine Stärken in der Offensive ohne Defensivgedanken ausspielen. Die Balance im Mittelfeld war deutlich besser und Bayern hatte seinen Gegner besser im Griff. Gebracht hat es nichts mehr.
Will man in der Champions League um den Titel mitspielen, braucht man entweder eine fitte Topelf, oder einen breiten Kader, der die Schlüsselspieler adäquat ersetzen kann. Den Bayern fehlen für einzelne Spieler offenkundig die Optionen.
Mit Ryan Gravenberch (Ajax) kommt aller Voraussicht nach ein Spieler, der wie Goretzka ein gutes Gefühl für Räume mitbringt. Mit dem Ball und auch gegen den Ball bringt der 19-Jährige viel Dynamik und Power mit. Er ist zwar kein tiefer Spielmacher, der dem Kader ebenfalls abgeht, aber er kann Tolissos Rolle sofort übernehmen – und womöglich ein deutlich zuverlässigerer Spieler auf den Kaderpositionen zwölf bis 15 sein.
FC Bayern Frauen: Die Highlightwoche wird zum Albtraum
Kaderprobleme hatten zuletzt auch die Frauen des FC Bayern. Nach der bitteren Niederlage im Hinspiel gegen Paris Saint-Germain war die Hoffnung groß, dass man die eigentlich gute Leistung auch in die entscheidende Woche mit dem Rückspiel und dem meisterschaftsentscheidenden Spiel gegen Wolfsburg transferieren kann.
Stattdessen folgte ein Debakel. Corona traf den Kader der Münchnerinnen und so musste ein Rumpfkader in Paris antreten. Sydney Lohmann, die im Hinspiel noch eingewechselt wurde, weil die medizinische Abteilung nicht mehr Spielzeit erlaubt hatte. Dann spielte sie am Wochenende gegen Essen (4:0) 76 Minuten und anschließend im Rückspiel gegen PSG 120 Minuten.
Es war wieder eine starke Leistung, für die sich die Bayern am Ende schlicht nicht belohnt hatten. Noch kurz vor dem Ende gab es mehrere Abschlusssituationen, darunter auch eine für Paris, die die Partie hätten entscheiden können. Hätten die Münchnerinnen hier das entscheidende 3:1 gemacht, wäre wohl auch das folgende Duell mit Wolfsburg nochmal anders gelaufen. Stattdessen aber ging es in die Verlängerung, wo Ramona Bachmann den Deckel drauf machte.
DFB-Pokal: Die letzte Titelchance
Einen Vorwurf kann man dem Team allerdings nicht machen. Es gibt strukturelle und taktische Probleme, die sich durch die Ära von Jens Scheuer ziehen. Darunter das oft alternativlose Flügelspiel oder das Positionsspiel im Zentrum. Es gibt auch berechtigte Kritikpunkte am Kader, der vor allem defensiv den Ausfall von Marina Hegering nie auffangen konnte.
Allerdings sind sowohl das 2:2 in Paris als auch die bittere 0:6-Niederlage in Wolfsburg nicht der richtige Anlass dazu, diese anzubringen. Dafür ging das Team letztlich zu sehr auf dem Zahnfleisch.
Auf dem Papier sind es dennoch zwei Titelchancen, die jetzt weg sind. In der Liga wird Wolfsburg bei drei verbleibenden Spielen keine vier Punkte mehr liegen lassen. Die Länderspielpause wird den Bayern dennoch helfen. Zwar ist es für die Nationalspielerinnen keine echte Pause, doch so gibt es die Möglichkeit, dass sich der Kader vor dem Pokal-Halbfinale gegen Wolfsburg wieder auffüllt.
Am 17. April um 12.30 Uhr (ja, das ist leider kein Witz) ist es dann die letzte verbliebene Gelegenheit, wenigstens eine Titelchance aufrecht zu erhalten. Gegen formstarke Wolfsburgerinnen allerdings eine schwierige Aufgabe – immerhin aber daheim.