FC Bayern Frauen in der Champions League: Große Bühne, „Arschkarte“ für Scheuer

Justin Trenner 22.03.2022

Es kommt nicht oft vor, dass Verbände wie die UEFA die progressiven Vorreiter des Fußballs sind. Wer aber in die Gesichter der Spielerinnen in dieser Champions-League-Saison blickt, wenn die eigens für sie komponierte Hymne ertönt, der versteht, welche Bedeutung der neu reformierte Wettbewerb für sie hat.

„The time is now“, heißt es darin. Und tatsächlich: Wenn jemand bisher kein großes Interesse am Frauenfußball entwickeln konnte, so ist jetzt vielleicht der beste Zeitpunkt der bisherigen Geschichte. Die neu geschaffene Gruppenphase war auf allen Ebenen ein Erfolg.

Beginnend beim Sport für sich genommen. Spielerinnen sprechen zwar über ihre Probleme, die sie mit der neuartigen Belastung durch deutlich mehr englische Wochen haben, aber sie beschweren sich nicht darüber. Im Gegenteil: Eine Studie der FIFPRO hat gezeigt, dass die Frauen zu selten auf höchstem Niveau gefordert werden.

Champions League: Reform ein Riesenerfolg

Die Bayern mussten sich in der Hinrunde gegen BK Häcken, Benfica und Olympique Lyon behaupten. Lyon war über viele Jahre das dominanteste Team Europas. Schon im kleinen Zeitraum zwischen Hin- und Rückspiel war bei den Münchnerinnen eine Weiterentwicklung zu erkennen. Das Hinspiel wurde verloren – im Ergebnis knapp, im Leistungsunterschied deutlich – und im zweiten Aufeinandertreffen gewannen die Bayern verdient mit 1:0.

Der VfL Wolfsburg setzte sich in einem Herzschlagfinale gegen den FC Chelsea durch. Die Vorjahresfinalistinnen aus London schieden somit in der Gruppenphase aus – ein sportliches Highlight, das es so in den vergangenen Jahren nicht geben konnte.

Auch medial findet der Wettbewerb viel größere Beachtung als in den Vorjahren. DAZN zeigt in Deutschland, wie unterhaltsam Frauenfußball sein kann, wenn er mit Liebe zum Detail behandelt wird. Vor- und Nachberichte mit verschiedenen Expert:innen, Kommentatoren-Duos und, vielleicht der wichtigste Punkt, die Möglichkeit, das alles auch frei zugänglich auf YouTube anzusehen.

FC Bayern: Mindestens 10.000 Fans erwartet

Aktuell geht es im Frauenfußball darum, Sichtbarkeit zu erzeugen. Pay-TV-Verträge bringen zwar Geld, aber sie bringen kein breites Publikum, wenn du gerade am Anfang deiner Entwicklung stehst. Deshalb ist es gut, dass DAZN diese Möglichkeit anbietet und die Spiele, anders als beim Großteil der Bundesliga-Partien, kostenlos angesehen werden können.

Die Aufwertung der Champions League führt in letzter Konsequenz auch dazu, dass selbst Klubs, die insgesamt eher konservativ geführt werden, den Schritt wagen, ihren Frauenteams die große Bühne zu verschaffen. Der FC Bayern, der in den letzten Jahren sehr viel investiert hat, hat sich nun auch dazu entschlossen.

Angesichts der Erfolge und der Weiterentwicklung des Teams von Trainer Jens Scheuer ist das der einzig logische Schritt. In München werden mindestens 10.000 Zuschauer:innen erwartet. Im Vergleich zum Clasico zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid, der am 30. März 85.000 Fans ins Stadion locken wird, wirkt diese Zahl enttäuschend.

Unabhängig vom Ausgang: Das kann und muss erst der Anfang sein

Das ist sie aber keinesfalls. In Deutschland ist der Weg nach wie vor sehr weit. Das hat diverse Gründe, die auch, aber längst nicht nur beim DFB und dessen stiefmütterlicher Behandlung des Frauenfußballs beginnen. Auch der FC Bayern muss sich fragen lassen, ob er vor diesem Highlight alles getan hat, um möglichst viele Menschen in die Arena zu locken.

Beworben wurde das Spiel durchaus intensiv. In der Stadt, mit Interviews und auch Cross-Promotion auf den Social-Media-Kanälen. Aus der Perspektive eines Menschen, der dem Frauenfußball skeptisch gegenüber steht, wurden jedoch wenige Antworten geliefert, warum er sich am Dienstagabend ins Stadion begeben sollte.

Vielleicht hätte es andere Ansätze gebraucht, andere Anreize und Ideen. Andererseits sind das Erfahrungen, die gemacht werden müssen, um für die Zukunft daraus zu lernen. Denn eines ist auch klar: Selbst wenn nach diesem Spiel der Eindruck entstehen sollte, dass es kein Erfolg war, so darf es nicht das letzte Mal gewesen sein. Das kann und muss der Anfang sein.

Jordyn Huitema und Paris Saint-Germain haben gut lachen: In der Champions League kamen sie wie die Bayern in der letzten Saison bis ins Halbfinale, scheiterten dort knapp am FC Barcelona.
(Foto: Clive Brunskill/Getty Images)

Bayern gegen Paris: Potential für einen denkwürdigen Abend

Sportlich besteht durchaus das Risiko, dass die Bayern nicht gewinnen. Es besteht aber auch die Chance, für einen ganz besonderen Abend zu sorgen. Paris spielt eine starke Saison, hat erst ein Pflichtspiel verloren. Dieses allerdings recht deutlich. Mit 1:6 gingen sie bei Lyon unter. Das hatte nicht nur sportliche Gründe. Damals wurde eine Spielerin von PSG mit einer Eisenstange attackiert, eine andere befand sich in Polizeigewahrsam, weil sie dafür verantwortlich gemacht wurde.

Der Wunsch auf Spielverlegung wurde nicht berücksichtigt und so kam es zum Debakel. Die beschuldigte Spielerin wurde später frei gesprochen. Ab davon spielt PSG aber einen guten Fußball mit technisch starken und schnellen Spielerinnen.

Sie haben zudem etwas geschafft, was den Bayern noch nicht gelungen ist: Einen großen Klub in einem K.-o.-Spiel zu besiegen. Die Münchnerinnen waren letztes Jahr nah dran, schieden aber doch im Halbfinale gegen Chelsea aus. Paris setzte sich im Viertelfinale gegen Lyon durch, um dann knapp am besten Team der Welt und den späteren Champions-League-Siegerinnen des FC Barcelona zu scheitern.

Im Kader der Französinnen stehen einige Weltklasse-Spielerinnen. Aus deutscher Perspektive natürlich allen voran Sara Däbritz, die selbst einst für die Bayern auflief. Auch Jordyn Huitema dürfte vielen Bayern-Fans ein Begriff sein. Die Kanadierin ist die Partnerin von Alphonso Davies und traf allein in der Champions League bereits sechsmal. Sie wird in der Offensive das eine oder andere Mal für Schweißperlen bei den Münchnerinnen sorgen, das ist sicher.

Magull in Top-Form, Paris mit klarem Auftrag

Verstecken muss sich hier aber keines der beiden Teams. Fußballerisch wird es ein interessantes Duell. Beide spielen in ihren Ligen mit einem eher dominanten Ansatz. Beide versuchen, ihre schnellen Angreiferinnen über die Halbpositionen in die Tiefe zu schicken. Bayern fokussiert sich dabei noch stärker auf die Flügel und ihr Flankenspiel. Paris kommt mehr über ein spielstarkes Mittelfeld.

„Das wird eines der wenigen Spiele sein, in denen wir nicht Favorit sind, denn aus meiner Sicht gibt es keinen Favoriten“, analysierte Scheuer vorab: „Beide Mannschaften begegnen sich auf Augenhöhe. Der Mut wird entscheiden.“ Aus Sicht der Gäste wird ein Schlüssel darin liegen, wie sie Bayerns Dreieck im Zentrum zustellen können. Vor allem Lina Magull war zuletzt in Top-Form.

Durch ihre klugen Bewegungen in die Zwischenräume konnten die Münchnerinnen sich zuletzt auch unter großem Pressingdruck gut vom Flügel befreien, um dann auf die andere Seite zu verlagern. Das ist womöglich ihre größte Stärke. Schafft Paris es aber, diese Verlagerungen zu verhindern oder gar abzufangen, bieten sich Räume im offensiven Umschaltspiel. Oft muss Sarah Zadrazil auf der Sechs einen großen Raum alleine verteidigen, wenn Magull zu Linda Dallmann aufrückt. Ballverluste sollten sie dann verhindern.

Dass das nach hinten losgehen kann, zeigte sich in der Gruppenphase bei Olympique Lyon, aber auch bei der 0:1-Heimniederlage gegen Wolfsburg in der Liga. In beiden Spielen haben die Bayern den Flügel mit zu vielen Spielerinnen besitzt. Dadurch gab es keine Befreiungsmöglichkeiten. Eine Gegenspielerin konnte den Pass auf zwei Münchnerinnen unkompliziert zustellen. Die Passquoten der meisten Bayern-Spielerinnen waren in Lyon katastrophal.

https://twitter.com/JustinKraft_/status/1458550790465933316?s=20&t=OUsP8QX4I6HP_upd07fKfg

Bayerns Kaderbreite kann entscheidend sein

Bayerns Schlüssel liegt also klar in der eigenen Staffelung. Aber auch in der zweiten Halbzeit. Der Kader hat gerade offensiv eine Breite, die es in Europa nicht so oft gibt. Angenommen, offensiv laufen neben den wohl gesetzten Lea Schüller und Linda Dallmann noch Klara Bühl und Maximiliane Rall auf, dann kann Scheuer im zweiten Durchgang folgende Spielerinnen im Angriff einwechseln: Sydney Lohmann, Viviane Asseyi, Lineth Beerensteyn, und Jovana Damnjanovic.

Der zweite Anzug steht dem ersten hier in nichts nach. Sowohl gegen Hoffenheim als auch gegen Frankfurt haben die Bayern das zuletzt bewiesen, als sie Rückstände spät noch zu Siegen gedreht haben. „Wir haben zu viele gute Spielerinnen im Kader. Das macht es schwierig für mich zu entscheiden, wen ich aufstellen soll“, meinte Scheuer etwas flapsig: „Mir ist klar, dass ich die Arschkarte habe. Schließlich ist es das Spiel des Lebens für einige Spielerinnen.“

Die Erfahrungen der letzten Wochen geben dem Team aber Selbstvertrauen. In Gesprächen mit Spielerinnen wird deutlich, dass sie ein anderes Selbstverständnis haben als noch vor einem Jahr. Sie wissen, dass sie auch nach Rückschlägen in der Lage sind, ein positives Ergebnis einzufahren. Spiele, die sie noch in der letzten Saison verloren oder zumindest nicht gewonnen hätten, drehen sie noch auf ihre Seite. Ein wichtiger Lernprozess.

FCB: Die Stimmung passt, das Spielerische auch?

Die Stimmung im Team ist zudem gut. Nichts verdeutlicht das mehr, als die Beziehung zwischen Schüller und Damnjanovic. Beide sind absolute Top-Stürmerinnen, beide sind jederzeit für mindestens einen Treffer gut und beide verfügen über verschiedene, aber in jedem Fall herausragende Qualitäten. Trotzdem müssen sie sich meist einen Platz im Team teilen.

Damnjanovic kam zuletzt häufig von der Bank. Grund zur Unzufriedenheit? Keinesfalls. Stattdessen traf sie gegen Hoffenheim und Frankfurt zuverlässig trotz Kurzeinsatz. Als Schüller gerade ihren dritten Treffer gegen Köln vor einigen Wochen erzielt hatte, rannte sie zur Bank, um mit Damnjanovic zu jubeln.

Es ist dieser Teamspirit, der das Team trotz einiger fußballerischer Schwächen schon in der letzten Saison weit getragen hat. Die Frage wird dennoch sein, ob sie gegen PSG auch spielerisch den nächsten Entwicklungsschritt gehen können. Bewahren sie die Ruhe im Spielaufbau und bringen sie ihre technische Qualität in den vorderen beiden Dritteln auf den Rasen, könnte aus dem jetzt schon großen Highlight in der Arena ein denkwürdiger Abend werden.

Wer überträgt die Partie?

Die Partie wird heute Abend bei DAZN übertragen. Anstoß ist 18.45 Uhr, auch dieses Spiel wird auf dem YouTube-Kanal des Anbieters übertragen. Außerdem gibt es immer noch Karten zu kaufen. Wer bei gutem Wetter Lust auf hochklassigen Fußball in München verspürt, sollte sich diese Chance nicht entgehen lassen. Hier gibt es Tickets.



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