Miasanrot-Awards: Spielerin der Saison 2020/2021

Justin Trenner 04.06.2021

Rund ein Jahr ist es her, da beerbte Lina Magull ihre Vorgängerin Melanie Leupolz als Kapitänin des FC Bayern. Als Leupolz ihren Wechsel zu Chelsea bekannt gab, waren viele Fans enttäuscht und unsicher, was die Zukunft betrifft. Wieder eine Top-Spielerin, die das Sprungbrett des FC Bayern nutzt, um woanders den Schritt zur Weltklasse zu gehen. Ein herber Verlust, der große Fußstapfen hinterlassen hat. Zu große für Nachfolgerin Magull?

Man kann vorwegnehmen: Keinesfalls. Wenn die neue Kapitänin heute über die Stärken der FC Bayern Frauen spricht, dann dauert es nicht lange, bis die Worte „Zusammenhalt“ oder „Team“ fallen. Das dürfte ein wesentlicher Faktor dafür sein, wie es den Münchnerinnen gelang, Leupolz zu ersetzen. Als Team. Schon im November 2020 schrieben wir nach dem 4:1-Erfolg über Wolfsburg im Blog: „Es ist nicht weniger als beeindruckend, wie spürbar der Teamgeist dieser Mannschaft ist.“ Es ist ganz sicher auch ein Verdienst der Kapitänin, die nach innen wie nach außen entscheidend dazu beigetragen hat, dass die vielen Einzelspielerinnen zusammengewachsen sind.

Für die Miasanrot-Awards der Frauen haben wir uns Expert:innen außerhalb unserer Redaktion hinzugeholt. Neben meiner eigenen flossen die Stimmen von Ex-Spielerin Verena Schweers, den Journalistinnen Ellen Hanisch und Jasmina Schweimler, dem Fotografen und Podcaster Sven sowie Bayern-Fan Sebastian Buch mit ein. Das Ergebnis: Eine Stimme für Lohmann, zwei für Schüller und drei für die Gewinnerin: Lina Magull.

Imago Images

Lina Magull: Großes Talent gepaart mit Führungsqualitäten

Beigetragen hat aus ihrer Sicht auch die Pandemie. In Zeiten, in denen es für viele Trainer:innen schwer ist, im Bereich Teambuilding voranzukommen, weil dazu aufgrund der in den letzten Monaten getroffenen Maßnahmen die Möglichkeiten fehlen, sind die Bayern Frauen noch enger zusammengerückt. „Wir haben jetzt eine ganz besondere Mannschaft“, sagte Magull im Interview mit den Vereinsmedien des FC Bayern. „Wir hatten Zeit, mal über uns selbst und uns als Mannschaft nachzudenken. In dieser Zeit haben wir uns als Team so richtig gefunden.“

Auch weil Magull selbst Verantwortung übernimmt. Auf und neben dem Platz. Sie ist Wortführerin, wenn es um die Weiterentwicklung des Frauenfußballs und gesellschaftliche Themen geht, sie ist aber auch immer da, wenn die Mannschaft sie braucht. Sportlich hat sie sich in den letzten Jahren ohnehin enorm weiterentwickelt, aber auch als Führungsspielerin ist sie in dieser Saison weiter gewachsen.

Die gebürtige Dortmunderin absolvierte bereits früh viele Spiele auf sehr hohem Niveau. Zwischen 2012 und 2015 kam sie für den VfL Wolfsburg 42-mal zum Einsatz und wurde dann zunächst nach Freiburg verliehen, wohin sie im Januar 2017 schließlich fest wechselte. Mit 21 Jahren debütierte sie im Oktober 2015 auch für die Nationalmannschaft, für die sie heute schon auf 48 Länderspiele kommt.

Magull scheut das Risiko nicht

Ihr Talent war und ist unverkennbar. Vor allem technisch hat die Mittelfeldspielerin anderen viel voraus. Ihre Ballbehandlung und ihr Passspiel sind bis heute Qualitätsmerkmale Magulls. Kurze Dribblings im Mittelfeld, raumöffnende Zuspiele und schnelle Drehungen heraus aus Drucksituationen – die heutige Bayern-Kapitänin bringt alle Qualitäten mit, die es im modernen Fußball auf der Sechser- und/oder Achterposition braucht. Vor allem aber ist sie mutig. Manchmal führt das zwar zu eigentlich unnötigen Ballverlusten wie vor dem 0:1 bei Chelsea im Rückspiel des Champions-League-Halbfinals, aber wiegt man solche Momente mit den Vorzügen auf, dann würde ihr diese Risikofreude wohl kein Trainer und keine Trainerin der Welt nehmen wollen.

Sie ist eine Strategin auf dem Platz, die ihrer Mannschaft Struktur geben und Spielsituationen vor allen anderen lesen kann. Vor allem aber versteckt sie sich auch dann nicht, wenn es mal nicht so gut läuft. Sie zählt stets zu den Spielerinnen mit den meisten Ballkontakten, fordert die Anspiele und versucht, das Angriffsspiel ihrer Mannschaft anzutreiben. In 21 Bundesliga-Partien haben die Bayern 78 Tore geschossen – das eine oder andere könnte beim wichtigen Meisterschaftsspiel gegen Frankfurt am Sonntag (14 Uhr) noch dazu kommen. Fünf Tore hat Magull davon selbst erzielt, 13 hat sie ihren Kolleginnen aufgelegt. Damit ist sie die beste Vorlagengeberin sowie Topscorerin (gemeinsam mit Schüller) bei den Bayern.

Was die Statistik aber nicht zeigt, ist, wie viele Angriffe die 26-Jährige entscheidend einleitet. Unzählige vorletzte oder vorvorletzte Pässe sorgen dafür, dass die Offensivpower der Bayern überhaupt erst möglich ist. Gemeinsam mit Sarah Zadrazil und Sydney Lohmann bildet Magull ein Mittelfelddreieck, das für Gegenspielerinnen nur schwer aufzuhalten ist. Selbst gegen die Top-Mannschaft von Chelsea zeigte sich in vielen Spielphasen, wozu die drei in der Lage sind. Wenngleich genau diese beiden Partien auch aufzeigen konnten, dass es für die gesamte Mannschaft noch Luft nach oben gibt.

Würdige Nachfolgerin von Leupolz

Diese drei recht unterschiedlichen Spielertypen ergänzen sich aber hervorragend. Magull ist die Denkerin und Lenkerin, Zadrazil läuft viele Räume zu und treibt die Mannschaft mit überraschenden Vorstößen in die Offensive an und Lohmann ist der Kopf der Offensive. Gemeinsam könnten sie das Mittelfeldtrio der Zukunft beim FC Bayern sein. Auch wenn mit Saki Kumagai eine große Spielerin auf dem Weg an die Säbener Straße ist, wird Trainer Jens Scheuer sicher nicht einfach das aufbrechen, was in dieser Saison ein großes Geheimnis für den Erfolg war.

Ganz unabhängig davon, wer letztendlich spielt, wird Magull aber wohl weiter ein zentraler Bestandteil im Mittelfeld bleiben. Mit ihren klugen Laufwegen, ihrer Präsenz auf dem Platz, ihren technischen Fähigkeiten und ihrer Erfahrung ist sie ein wichtiger Anker für das junge Team. Und sie ist vielleicht die Kapitänin der ersten Meistermannschaft der Bayern Frauen seit 2016.

Denn auch das ist eben eine Qualität, die es zu berücksichtigen gilt. Als Führungsspielerin hat sie großen Anteil am in diesen Zeiten so schwierigen Teambuilding. Als verlängerter Arm des Trainers übernimmt sie nicht nur auf dem Platz, sondern auch in der Kabine eine wichtige Rolle. Rund ein Jahr nach ihrer Berufung als Nachfolgerin von Leupolz kann man durchaus urteilen: Die Fußstapfen waren ihr nicht zu groß. Im Gegenteil: Magull ist auf dem besten Wege, eigene Spuren zu hinterlassen. Gemeinsam mit einer Mannschaft, die so ausgeglichen und breit aufgestellt ist, dass es eigentlich keine eindeutige Spielerin der Saison gibt. Aber wenn man es doch darauf anlegt, dann ist Lina Magull aufgrund ihrer in allen Bereichen vorbildlichen Leistung eine sehr gute Wahl.



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