Vorschau: FC Bayern München – RaBa Leipzig

Justin Trenner 04.12.2020

Im Moment ist es noch ein Dreikampf an der Tabellenspitze. Leverkusen und Wolfsburg sind ebenfalls in Schlagdistanz, aber angesichts der letzten Jahre ist bei ihnen wohl kaum zu erwarten, dass der ganz große Wurf gelingt.

Bayerns Konkurrenten sind vor allem Borussia Dortmund und RaBa Leipzig. Der BVB spielt eine recht stabile Saison, strauchelte zuletzt aber daheim gegen Köln und unter der Woche gegen Brügge, wo er mit Mats Hummels und Erling Haaland zwei wichtige Spieler verlor. Beim Innenverteidiger ist noch fraglich, wie lange der Ausfall andauern wird, wohingegen ausgerechnet Haaland nach Angaben von Lucien Favre bis Anfang Januar fehlt. Das könnte in der Bundesliga noch teuer werden.

Und so könnte RaBa vielleicht die unliebsame letzte Hoffnung auf einen anderen Titelträger als den FC Bayern sein. Unter Julian Nagelsmann scheint sich die Mannschaft endgültig dort etabliert zu haben, wo sie hinsichtlich ihrer Mischung aus Qualität, Transfers und Investitionen hingehört: ganz oben.

Betrachtet man allein die letzten Wochen, könnte Leipzig mit dem Spiel in München sogar ein gutes Zeitfenster erwischt haben. Die Bayern gehen auf dem Zahnfleisch. Zumal Nagelsmann weiß, wie man den Serienmeister stressen kann. Aus acht bisherigen Duellen verlor er nur drei. Doch er gewann auch nur zwei und RaBa ließ zuletzt selbst Punkte liegen: 0:1-Niederlage in Gladbach, ein 1:1-Unentschieden in Frankfurt und am vergangenen Wochenende beinahe ein erneutes Remis im Heimspiel gegen Bielefeld, das knapp mit 2:1 gewonnen wurde.

RaBa: Flexibilität ist Trumpf

Sogar der Last-Minute-Sieg unter der Woche gegen Besaksehir war recht wackelig, obwohl die Mannschaft von Julian Nagelsmann in einigen Phasen sehenswerten Fußball bot.

Doch das ist der Punkt: „in einigen Phasen“. Leipzig geht wie vielen Spitzenteams in Europa derzeit ein bisschen die Konstanz ab – gerade in der Offensive. Die Gründe sind offensichtlich. Auch RaBa war lange im vergangenen Champions-League-Turnier vertreten und hatte dementsprechend nahezu keine Vorbereitung auf diese Saison. Das gerät in der Öffentlichkeit oftmals in den Schatten der Diskussionen um die Bayern.

Umso höher ist die aktuelle Leistungsfähigkeit der Mannschaft einzuordnen. Sicher profitiert Nagelsmann von einem breiten Kader, doch ihm gelingt es zugleich in den meisten Fällen, seinem Team taktisch einen Vorsprung zu verschaffen, den es aufgrund der hohen Belastung auch dringend braucht.

Leipzigs ständige Manipulationen

RaBa ist vielleicht gemeinsam mit den Gladbachern die wandlungsfähigste Mannschaft der Liga, was es schwer macht, sich auf sie einzustellen. Viele kluge Bewegungen insbesondere im Mittelfeldzentrum prägen ihr Spiel. Bereits im Februar analysierten wir einige ihrer Prinzipien im Detail. Oberflächlich beschrieben geht es darum, die gegnerischen Defensivketten ständig zu stressen und sie in ihren Entscheidungen auf dem Platz zu manipulieren. Dafür sind die Spieler ständig auf dem Sprung in Zwischenräume und provozieren so innerhalb von Sekunden so viele Entscheidungen wie möglich beim Gegner. Die Nagelsmann’sche Rechnung: Je mehr Entscheidungen jemand in kurzer Zeit treffen muss, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für Fehler.

Rautenbildung auf den Flügeln und eine flexible Besetzung des Zwischenraums: Leipzig ist auf dem Platz viel unterwegs.

Ein simples Beispiel ist das ständige Kreuzen der Laufwege. Gegen Besaksehir eröffnete RaBa gleich in der ersten Szene des Spiels über die rechte Außenbahn, wo der Flügelstürmer dem Außenverteidiger ein bisschen entgegenkam. Durch diese Bewegung lockte er seinen Gegenspieler heraus. Aus dem Halbraum startete gleichzeitig ein Spieler aus dem zentralen Mittelfeld in den nun geöffneten Raum auf dem Flügel. Der Flügelspieler kreuzte wiederum seinen Laufweg durch einen Sprint ins Zentrum, um sich direkt wieder anzubieten.

Wahrscheinlich wäre es hier sinnvoll gewesen, wenn der Außenverteidiger von Besaksehir den Raum nicht geöffnet und den Gegenspieler übergeben hätte. Durch das gute Positionsspiel bindet Leipzig aber viele Spieler in Ballnähe. Fangen diese auch noch an, sich von ihren Gegenspielern zu lösen und klug zu rochieren, entsteht die beschriebene Entscheidungswelle beim Gegner – oft mit Raumgewinn verbunden.

Probleme in der Offensive bei Leipzig?

Ob nun 4-2-2-2, 4-Raute-2, 4-3-3, oder gar ein Dreierkettensystem – bei kaum einem Trainer sind diese Zahlenkombinationen so zweitrangig wie bei Nagelsmann. Leipzig wechselt ständig die Grundordnung, weil die Spieler ihre Positionen ständig tauschen und je nach Spielsituation andere Anordnungen auf dem Platz gebraucht werden.

Im nun zweiten Jahr unter Nagelsmann wirken die Läufe der Spieler noch besser aufeinander abgestimmt. Kein anderes Team hat in der Bundesliga mehr Abschlüsse pro Spiel als RaBa (16,6). Doch Quantität ist nicht immer Qualität und hier macht sich das Fehlen Timo Werners in der Offensive stark bemerkbar.

Nach dem Expected-Goals-Modell von StatsBomb hat Leipzig nur den vierthöchsten Wert (16,8). Dortmund (21,4), Bayern (20,8) und Union (17,2) haben jeweils mehr. Mit 18 erzielten Toren ist also gar nicht so sehr die Chancenverwertung ein Problem, sondern eher das Kreieren von noch mehr hochwertigen Möglichkeiten.

Defensive Stabilität

Yussuf Poulsen ist als zentraler Stürmer jemand, der zwar Räume erlaufen und bespielen kann, aber seine Tiefenläufe sind von anderer Qualität als jene von Werner. Poulsen funktionierte und ergänzte sich optimal mit Werner, kann den Chelsea-Transfer aber nicht ersetzen. In der internen Torschützenliste taucht im Moment mit Angeliño ein Linksverteidiger an der Spitze auf (6 Tore in 15 Spielen).

Das könnte mittelfristig zum Problem werden, wenn die Mannschaft nicht nachjustieren kann. Zwar zählt RaBa immer noch zu den gefährlichsten Teams in der Offensive, aber wenn am Ende der Meistertitel stehen soll, wird es zwangsläufig noch mehr Tiefe im Spiel brauchen. Beispielsweise wenn die Chancenverwertung mal nicht den erwarteten Toren entspricht.

Andererseits scheint die Balance im Team derzeit zu stimmen. Hinten lassen die Leipziger nur wenig anbrennen. Mit erst sechs Gegentoren stellen sie die im Moment beste Abwehr der Liga. Und das lässt sich auch mit anderen Statistiken unterstreichen: 7,6 Expected Goals against sind ein absoluter Topwert, auch wenn Leverkusen (7,4), Union (7,5) und Dortmund (7,6) auf Augenhöhe oder gar einen Tick besser sind. RaBa lässt zudem nur 8,2 Abschlüsse des Gegners pro Partie zu.

Wie tritt Leipzig gegen Bayern auf?

Auch hier zeigt sich die Mannschaft sehr flexibel, indem sie nicht nur in der Grundformation sehr anpassungsfähig zwischen verschiedenen 4-4-2-Variationen wechselt, sondern auch die Intensität anpasst, ohne die Kontrolle übers Geschehen zu verlieren.

Leipzig schiebt mal höher, kann aber auch gut einige Minuten in einer etwas tieferen Mittelfeldpressing-Formation verteidigen und es dem Gegner schwer machen, in die Zwischenräume zu kommen. Gegen die Bayern wird wieder beides von hoher Bedeutung sein.

Dennoch sollte Nagelsmann vor allem aus der ersten Halbzeit des letzten Aufeinandertreffens mitgenommen haben, dass RaBa in den tieferen Verteidigungsphasen nicht gut genug aussah, weil der Zugriff aufs gegnerische Mittelfeld fehlte. Als sie in der zweiten Halbzeit rund zehn Meter nach vorn schoben, ergaben sich große Möglichkeiten zur Führung.

Nagelsmann setzt auf instabile Bayern, die setzen auf müde Leipziger

Bayern ist aktuell das am schlechtesten ausbalancierte Team auf den Spitzenpositionen. Die 31 geschossenen Tore überstrahlen derzeit, dass die Münchner hinten zu viel zulassen. Mit einer Expected-Goals-Differenz von +7,2 (20,3 xG zu 13,6 xGA) stehen sie hinter Leipzig (+9,2), Union (+9,7) und Dortmund (+13,8). Nagelsmann weiß das genau, kündigte deshalb einen mutigen Auftritt seiner Mannschaft an.

Es ist kaum damit zu rechnen, dass Bayern die Probleme gegen Leipzig plötzlich komplett in den Griff bekommt. Umso mehr wird es darauf ankommen, die eigenen Stärken zu betonen. Unter der Woche konnte Flick den Großteil seiner Stammspieler schonen, während es für Leipzig in der Türkei um viel ging und nächste Woche ein wichtiges Finalspiel in der Champions-League-Gruppe gegen Manchester United ansteht. Nagelsmann will mit Blick auf diese Partie „schlaue Entscheidungen“ treffen. Der Kapitän Marcel Sabitzer, Abwehrchef Dayot Upamecano, Nordi Mukiele und Stürmer Alexander Sörloth sind angeschlagen und könnten gegen Bayern fehlen.

Diesen Vorteil muss der FCB trotz eigener Ausfälle für sich nutzen, indem er seine Qualitäten im Pressing auf den Platz bringt und Leipzig an die Lauf- und Leistungsgrenze bringt. Deshalb wird es auch mit dem Ball entscheidend sein, im Mittelfeldzentrum Ruhe reinzubekommen und Leipzig ins Leere laufen zu lassen.

Mittelfeldsorgen bei Flick

Flick steht hier erneut vor einem Dilemma: Marc Roca bringt in Ballbesitz zwar das gewünscht dominante und organisierende Element ins Spiel, scheint im Verhalten gegen den Ball aber genau das Gegenteil zu verkörpern.

Da Tolisso erneut fehlt, wird sich Flick wohl zwischen Roca und Javi Martínez entscheiden. Mit Martínez und Goretzka hätten die Bayern in Ballbesitz gleich zwei Probleme: Sie sind einfacher zu pressen und die notwendigerweise tiefere Positionierung von Goretzka raubt dem eigenen Spiel Durchschlagskraft im letzten Drittel und in der Übergangsphase. Das Spiel wäre wohl weniger fluid.

Mit Roca würde zwar das Risiko im Defensivverhalten einhergehen, dafür hat der Spanier aber gegen Salzburg bewiesen, dass er auch unter Druck gute und wichtige Diagonalpässe in die Halbräume spielen kann. Er wäre ein wichtiges Mittel, um Leipzigs höhere Pressingphasen im Keim zu ersticken und sie somit weiter hinten reinzudrücken. Je länger RaBa hinterherlaufen muss, umso besser für die Bayern.

Spannender Meisterschaftskampf?

Jetzt kommen entscheidende Wochen. Leipzig, Union, Wolfsburg, Leverkusen – wie die Statistiken bereits angerissen haben, sind das nach Dortmund die bisher besten Gegner der Saison.

Ein Taktgeber wie Joshua Kimmich wäre nun wertvoll. Flick hat seit der Verletzung seines Mittelfeldmotors noch keine optimale Lösung gefunden. Vielleicht wird aber ausgerechnet das Leipzig-Spiel einen richtungsweisenden Durchbruch für die schweren Wochen bis Weihnachten bringen.

Und dann kann man womöglich schon eine erste Prognose anstellen, ob es in der Bundesliga einen Dreikampf, einen Zweikampf, oder wieder einen Sololauf im Kampf um die Spitze geben wird. Ein erster großer Schritt ist sowohl für Leipzig als auch für die Bayern bereits am Wochenende möglich.


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