Vorschau: VfL Wolfsburg – FC Bayern München

Justin Trenner 26.06.2020

In den nationalen Wettbewerben stehen noch zwei Spiele an. Lediglich das Pokalfinale am kommenden Wochenende hat dabei noch eine wirklich große Bedeutung. Gewinnen die Bayern auch gegen Leverkusen, gewinnt Hansi Flick innerhalb eines Dreivierteljahres das Double.

Doch Vorsicht ist geboten, denn die Begegnung gegen den VfL Wolfsburg wird deshalb nicht unbedeutend. Es geht am letzten Spieltag der Männer-Bundesliga um Dinge wie Moral, Fitness, Spielrhythmus und ein emotional wie auch psychologisch gutes Gefühl für die entscheidende Woche. Ein Blick in die jüngere Klubgeschichte zeigt, wie wichtig ein guter Abschluss in der Bundesliga trotz Vorentscheidung im Titelrennen sein kann.

Im Jahr 2018 wurde Eintracht Frankfurt Pokalsieger. Kurz zuvor verloren die Bayern mit 1:4 ihr letztes Heimspiel mit Jupp Heynckes auf der Trainerbank. Ein Ergebnis, das auch aufgrund der Deutlichkeit, vor allem aber wegen der Umstände geschmerzt haben dürfte. Spannend ist aber auch die Reise ins Jahr 2013, als die Bayern den größten Erfolg ihrer Vereinsgeschichte feierten: Das Triple.

Genug Anreize für eine Top-Leistung

Damals fand das Champions-League-Finale vor dem Pokalfinale statt. Mit dem Sieg gegen Borussia Dortmund brachen alle Dämme und die Spannung fiel so sehr ab, dass Jupp Heynckes und Peter Hermann unter der Woche harte Kritik an Körpersprache, Einstellung und Trainingsleistung äußern mussten. Das Resultat war ein gegen Ende sehr wackeliges 3:2 gegen den VfB Stuttgart. Ziel erreicht, aber zittriger als erhofft.

Viele solcher Beispiele gibt es in der Geschichte des FC Bayern sicher nicht. Deshalb und weil die Situationen vor jedem Finale anders sind, sollte die Bedeutung der genannten Beispiele nicht überhöht werden. Doch als Warnung taugen sie allemal. Wenn die Spannung zu früh abfällt, und das haben die Münchner dann doch schon das eine oder andere Mal erlebt, wanken die ganz großen Saisonziele.

In einer Saison wie dieser, wo die Champions League höchstwahrscheinlich im August ausgetragen wird, ist alles sogar nochmal anders. Die Mannschaft gegen Wolfsburg zu motivieren, dürfte aber eigentlich nicht allzu schwer sein. Zu viele unerreichte Ziele sind direkt greifbar.

Ein hoher Sieg könnte gleich mehrere Rekorde sichern

Beispielsweise die 100-Tore-Marke: 96 Treffer hat der FCB in der laufenden Spielzeit erzielt. Nur einmal gelang es einer Mannschaft, diese Grenze zu überqueren. In der Saison 1971/72 schossen die Bayern 101 Tore. Dass Flicks Mannschaft gegen den defensiv recht stabilen VfL Wolfsburg fünf Tore erzielt, scheint unwahrscheinlich zu sein. Doch diesem Team ist unter Flick alles zuzutrauen.

Alles zuzutrauen ist auch Robert Lewandowski, der aktuell bei 33 Saisontoren allein in der Bundesliga steht. Damit ist er nicht nur der beste Legionär der Geschichte des Wettbewerbs (vorher Aubameyang mit 31 Toren), sondern auch der beste Nicht-Müller der Bundesliga-Historie. Nur Dieter Müller (35 Tore) und Gerd Müller (36, 38 und 40 Tore) stehen aktuell noch vor ihm. Besonders interessant: Wolfsburg ist so etwas wie der Lieblingsgegner Lewandowskis: Der Pole netzte in 18 Bundesliga-Duellen mit den Wölfen 20-mal. Die durchschnittliche Quote von 1,11 Toren pro Spiel wird am Wochenende nicht reichen. Wiederholt er aber seine fünf Tore in 9 Minuten, dürften alle, die es noch sehr nostalgisch mit dem Müller-Rekord halten, ins Schwitzen kommen.

Ein hoher Sieg könnte übrigens zu einem weiteren Rekord führen. Im Triplejahr spielten die Bayern die bisher beste Rückrunde der Bundesliga-Geschichte: 16 Siege und ein Unentschieden bei 54:11 Toren. Aktuell stehen die Münchner bei 15 Siegen, einem Unentschieden und 50:10 Toren.

VfL Wolfsburg: Nicht unzufrieden und nicht zufrieden

Flick hat also genug Material, um seine Spieler nochmal heiß zu machen. Denn es geht neben all diesen Faktoren ja auch darum, sich am Ende nichts nachsagen zu lassen. Für Wolfsburg geht es am Samstag nochmal um sehr viel. Gewinnen sie, stehen sie sicher auf Platz 6 und qualifizieren sich direkt für die Europa-League-Gruppenphase. Bei jedem anderen Ergebnis haben die punktgleichen Hoffenheimer in Dortmund die Chance, am VfL vorbeizuziehen.

Gehen die Bayern das Spiel so an wie jedes bisherige Spiel unter Hansi Flick, dürfte ein mindestens auf taktischer Ebene interessantes Aufeinandertreffen entstehen. Das Hinspiel taugt aufgrund der damaligen Personalsituation zwar nur bedingt als Richtlinie, doch zeigte Wolfsburg schon damals, wie diszipliniert sie verteidigen können.

Vor der Saison gab es nicht wenige Expert*innen, die dem VfL den Sprung in die Top 5 zugetraut hätten. Ganz so weit ging es in der ersten Saison unter Oliver Glasner noch nicht. Mit der sicheren Qualifikation für die Europa League ist aber zumindest zum zweiten Mal in Folge der internationale Wettbewerb gesichert, nachdem es zweimal in die Relegation ging.

Hinten top, vorne …

42 Gegentore markieren dabei den bisher besten Wert seit der Vizemeister-Saison unter Dieter Hecking 2014/15. Die größte Baustelle für die kommende Saison wird es sein, das Offensivspiel weiter zu schärfen und Stürmer Wout Weghorst noch häufiger ins Spiel zu kriegen. Der Niederländer hat mit seiner körperlichen Präsenz, seiner damit verbundenen Wucht und dem Torriecher große Qualitäten. Mit 17 Toren erzielte er rund 40 Prozent aller VfL-Treffer.

Neben seiner Einbindung wird es aber auch darum gehen, weitere Spieler dauerhaft in der Scoringliste zu integrieren. Ist Weghorst nicht im Spiel, haben die Wölfe Probleme. Glasner hat eine Mannschaft von Bruno Labbadia übernommen, die zumindest ein solides Grundgerüst für Ballbesitzphasen vorzuweisen hatte. Bei Hertha BSC zeigt Labbadia aktuell, welch unterschätzte Qualitäten er mittlerweile im taktischen Bereich hat. Auch bei Wolfsburg war das bereits zu erkennen. Nur schien der letzte Schritt nicht zu gelingen. Ähnliches könnte man nun Glasner vorwerfen.

Gewinnen die Wolfsburger ihr letztes Spiel nicht, droht ein kleiner Rückschritt zur vergangenen Saison. Wie der Klub damit umgeht, wird sich zeigen. Glasner dürfte nachvollziehbarerweise trotzdem fest im Sattel sitzen. Fakt ist aber auch, dass es der Anspruch des eng mit VW verbundenen Werksklubs ist, in Zukunft wieder um die Champions-League-Plätze zu spielen. Glasner wird in der nächsten Saison unter Beweis stellen müssen, dass er die Mannschaft dementsprechend entwickeln kann – vor allem im Offensivbereich und wenn es um den Ballvortrag in längeren Ballbesitzphasen geht. Für den Moment dürfte der VfL aber weder unzufrieden noch überschwänglich zufrieden sein.

Hinweis: Das Vorschau-Tippspiel werde ich am Ende der (nationalen) Saison in einem gesonderten Saisonrückblick auswerten und den Sieger oder die Siegerin dann benennen und kontaktieren.



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