Vorschau: FC Bayern München – FC Schalke 04
Die Frage nach dem sportlichen Potenzial dieser Partie muss zunächst jedoch nach hinten gestellt werden. Wieder mal passierte unter der Woche etwas, was Fußball-Deutschland zeigte, dass der Sport bestenfalls die schönste Nebensache der Welt ist. Rudi Assauer verstarb nach langer Alzheimer-Erkrankung am Mittwoch, einige Stunden bevor der FC Schalke 04 – sein FC Schalke 04 – gegen Fortuna Düsseldorf mit 4:1 in die nächste Runde des DFB-Pokals einzog. Ein Tag, an dem die Trauer überwog. Auch in Berlin, wo die Bayern das Viertelfinal-Ticket später am Abend einlösten, war man kurz vor dem Anpfiff zumindest kurz beim ehemaligen Manager der Schalker.
Wenn über Typen des Fußball diskutiert wird, endet dies meist in nicht greifbaren, höchst emotionalen und subjektiven Argumentationen. Über Rudi Assauer dürfte sich Deutschland aber weitestgehend einig sein: Er zählte zu den Großen dieses Geschäfts. Mit Schalke erreichte er nicht nur den bis heute unvergessenen UEFA-Cup-Sieg 1997. Er sorgte dafür, dass der Klub in finanzieller Not einem Lizenzentzug entkam. Er prägte den FC Schalke 04 über Jahre und legte eine Basis, auf der Königsblau wachsen und gedeihen konnte.
„Ohne diese Fans, ohne diese Tradition, ohne diese religiösartige Bewunderung wäre dieser Verein schon längst tot. Das ist die Philosophie von Schalke 04“, so Assauer damals. Es sind keine Phrasen. Er lebte die Region und seinen Verein wie kein Zweiter. Menschen wie er machten und machen den Fußball besonders. Auch die Miasanrot-Redaktion trauert deshalb um die Schalker Legende und wünscht allen Fans und Angehörigen viel Kraft in der kommenden Zeit.
Der Alltag geht weiter …
Doch das kühle Fußballgeschäft läuft weiter. Weil es muss. Anders hätte es Assauer selbst wohl auch nicht gewollt. Als seine Schalker am Mittwoch Düsseldorf schlugen, wird er von oben einen Zug von seiner Zigarre genommen und ein leichtes, stolzes Grinsen aufgesetzt haben. Dieses leichte Grinsen wollen die Schalker am Wochenende zu einem Lachen wandeln.
Dann sind sie zu Gast beim FC Bayern. Auch Domenico Tedesco weiß, dass die Münchner in dieser Saison verwundbar sind. Im Hinspiel hatte er sie noch sehr dominant erlebt. So ließ er in der Pressekonferenz mindestens zwischen den Zeilen durchklingen, dass seine Mannschaft es zu keinem Zeitpunkt schaffte, die Bayern in ihrem Spiel zu stören.
Das soll sich im Rückspiel ändern. „Du brauchst einen guten Tag. Man muss in gewissen Situationen auch leiden können und das Quäntchen Glück haben. Dann hast du eine Chance. Wir müssen zu 100% konzentriert sein und alles abrufen“, sagte Tedesco. Er fordert Mut, um in München etwas mitnehmen zu können.
Kontinuität auf Schalke?
Von Hertha konnte Tedesco lernen, wie man es im Idealfall nicht macht. Hertha war in den gesamten 120 Minuten nur drei Minuten lang gefährlich – bis zum 1:0. Danach konnten die Bayern in den meisten Fällen ruhig kombinieren. Hertha kam zwar zu einigen Ballgewinnen, war jedoch nicht in der Lage, Konter richtig auszuspielen. Die Idee Dardais, im kompakten Mittelfeldpressing das Zentrum zu schließen, ging auch deshalb nicht auf, weil die sonst so konterstarken Herthaner ihr Tempo nicht auf den Platz bekamen.
Schalke will das anders machen. In den letzten fünf Pflichtspielen holten sie sich mit drei Siegen, einem Unentschieden und einer Niederlage das Selbstbewusstsein für den Gastauftritt beim Tabellendritten. Erstmals seit dem 8. Spieltag der Bundesliga, als die Knappen mit 0:2 gegen Bremen verloren, stellte Tedesco auf ein 4-2-3-1 um. Erstmals überhaupt hielt der Trainer fünf Spiele am Stück an einer Grundformation fest. Mit Kontinuität aus der Krise?
Auch gegen die Bayern wird vom Umfeld erwartet, dass Schalke im 4-2-3-1 die Räume im Zentrum dicht machen will. Aggressivität, Kompaktheit und schnelles Umschaltspiel – Tedesco weiß, dass die Münchner von Außenseitern nur so zu verwunden sind und Schalke muss im Moment kleine Brötchen backen. Doch auch wenn der Trainer in der PK verlauten ließ, dass ihm keine größeren Schwachstellen beim Gegner auffielen, so wird er in den letzten Wochen genau aufgepasst haben.
Das Übel bei den Bayern beginnt im Ballbesitz
Kovač lässt dieser Tage tiefer blicken als sein Gegenüber. Pressegespräche, in denen er über die Probleme in der Defensive spricht und darüber, dass man in einigen Phasen zu offensiv sei und dabei die Kompaktheit verlieren würde, sind nur ein Teil der Offenbarung. Der Trainer zeigt vor allem, dass er kaum einen Fokus auf die Organisation eigener Ballbesitzphasen legt. Und das sieht man dann auch auf dem Platz.
In Berlin standen gegen Ende der zweiten Halbzeit bis zu vier Spieler auf einer vertikalen Linie im ballfernen Raum. Neben ihnen entstand ein riesiger Raum, der ausschließlich von Herthanern besetzt wurde. Daneben wiederum waren Gnabry und Kimmich – durch die Seitenauslinie begrenzt – auf sich gestellt. Sie versuchten, sich irgendwie aus der heftigen Unterzahlsituation heraus zu kombinieren. Mit etwas Pech wäre daraus ein tödlicher Konter entstanden. Doch sie konnten den Ball gerade so zu Süle bringen, der wiederum neu aufbaute.
Es war längst nicht die einzige Situation, in denen die Münchner eine Grundstruktur vermissen ließen. In einer weiteren Szene aus dem ersten Durchgang kombinierten vier Spieler am Flügel wie im Trainingsrondo – lediglich ohne Raumgewinn. Die Optionen? Entweder ein Pass nach hinten zur Viererkette oder ein sukzessives Vorschieben. Im Halbraum und im Zentrum herrschte Leere. Thiago musste absichern, James begab sich in die Traube aus Bayern-Spielern an der Seitenlinie und auch Goretzka war dort zu finden. Letztendlich erkannte Kimmich, dass es im Zentrum an Besetzung fehlte und machte – als Spieler mit dem weitesten Weg – einen Lauf in diese Zone. Geholfen hat auch das nicht, weil Hertha sich darauf einstellen konnte.
Entscheidungslahm oder fehlende Optionen?
Oft werden solche Situationen als Trägheit wahrgenommen. Die Pässe kämen gar nicht, zu ungenau oder zu spät. Doch letztendlich ist es eben das fehlende Konzept in Ballbesitz, das die Basis aller Probleme bildet – vor allem in Spielen, in denen der Gegner kein Interesse daran hat, selbst das Spiel zu machen. Kovačs Defensivkonzept geht in mindestens 90% der Fälle einfach nicht auf.
Es mag ein Faktor sein, dass Spieler wie Hummels, Boateng, Süle und selbst Thiago im Spielaufbau in dieser Saison anfälliger für Fehler sind. Doch warum ist das so? Sie schlicht als zu alt oder außer Form zu bezeichnen, wäre der einfache Weg. Bei genauerem Hinsehen erkennt man die Hauptursachen aber schnell. Ein Pass besteht aus Passgeber, Passempfänger und vielleicht auch noch den Gegebenheiten, die ein Gegner zulässt. Für die Aufbauspieler ist es deshalb relevant, wie das Mittelfeld und der Angriff mit den Gegebenheiten umgehen und wie sie sich bewegen.
Die Spieler des FC Bayern waren in Berlin teilweise 5-10 Sekunden am Ball. Zeit, in der sich der Gegner organisieren und Druck ausüben kann. Zeit, in denen Ballverluste und schlechte Entscheidungen erzwungen werden können. Zeit, in der die Spieler einfach keine lukrativen Optionen haben und in der beispielsweise Hummels gern eine vertikale Lösung anbieten würde, keine findet und schließlich in einer Notlösung endet.
Auch das Gegenpressing leidet darunter
Diese Notlösung führt wiederum im besten Fall zu sicheren Quer- oder Rückpässen. Im schlimmsten Fall ist der Spieler so unter Druck, dass er trotzdem einen vertikalen Pass in eine Zone spielt, in der der Passempfänger in Unterzahl ist. Thiago löst solche Situationen oft genug mit einer Leichtigkeit und Brillanz, dass das Unheil noch bewahrt werden kann. Doch Spieler wie ihn gibt es nicht wie Sand am Meer, also braucht es gruppentaktische Lösungen. Das „Ballbesitzspiel“ der Münchner zieht sich aber so konzeptlos bis ins letzte Drittel. Es gibt zwar auch Momente wie vor dem 2:1-Führungstreffer, in denen wunderschöne Kombinationen entstehen, doch die machen eher einen zufälligen als einen einstudierten Eindruck.
Die schlechte Positionierung in den Ballbesitzphasen sorgt für eine schlechte Ausganssituation bei Ballverlusten, die wiederum durch das nicht vorhandene Positionsspiel provoziert werden. Es ist ein Teufelskreis und die Frage bleibt bestehen: Warum spricht darüber niemand? Warum werden gute Ergebnisse dazu verwendet, diese Probleme unter den Tisch zu kehren? Kovač äußert sich vor allem dann kritisch über seine Mannschaft, wenn es um die Organisation der Defensive geht. Doch er scheint dabei nicht zu bedenken, dass die Organisation schon weit vor Ballverlusten beginnt.
Immerhin stimmt die Einstellung der Mannschaft. Denn obwohl die Spielanlage derzeit höchstens als konzeptloser Heldenfußball bezeichnet werden kann, stehen dort immer wieder 11 Spieler mit Herz auf dem Platz. Sie kämpfen, sie laufen, sie wollen unbedingt gewinnen. Sie können es nur nicht mehr, wenn von ihnen mehr als das verlangt wird, um als Sieger vom Platz zu gehen. Weil dann die Idee fehlt. Das Konzept, an dem sie sich orientieren können. Ein Rahmen, der ihnen mehrere Lösungsmöglichkeiten für die Situation an die Hand gibt. Das ist in München Vergangenheit. Und Schalke wird am Wochenende probieren, ihnen genau das abzuverlangen. Ob es ihnen gelingt, wird sich zeigen.
Das Thesen-Duell
Die Regeln findet ihr hier. Die Zahl für These 3 wurde diesmal von Justin gewählt. Kurzfristige Änderungen sind bis zum Spieltag noch möglich.
Ergebnis des letzten Spieltags: Justin 3,8 : 2,6 Fatbardh
Hinweis: Fatbardh und ich hatten uns vor dem Spiel darauf geeinigt, dass Torschützen und Über/Unter hier bis zur 120. Minute gelten.
Zwischenstand insgesamt: Justin 79,8 : 71,0 Fatbardh
Justins Tipps
- Torschütze: Robert Lewandowski
- Freie These: In der zweiten Halbzeit fallen mehr Tore als in der ersten.
- Über/Unter 3,5: Unter!
- Aufstellung: Ulreich – Kimmich, Süle, Boateng, Alaba – Thiago, Goretzka – James – Gnabry, Lewandowski, Coman
Fatbardhs Tipps
- Torschütze: Leon Goretzka
- Freie These: Schalke trifft nicht.
- Über/Unter 3,5: Unter!
- Aufstellung: Ulreich – Kimmich, Süle, Hummels, Alaba – Thiago, Goretzka – Müller – Gnabry, Lewandowski, Coman