Der Saisonretter
Am 22. Januar 2016 – als sich Jerome Boateng verletzte, sahen viele Beobachter die Chancen auf mögliche Titel der Bayern schwinden. Zumal Medhi Benatia und Juan Bernat ebenfalls verletzt fehlten und sich in den darauffolgenden Wochen Holger Badstuber und Javi Martinez in das mittlerweile kleine, aber granular auf eine Spielposition bezogene, Lazarett gesellten. Joshua Kimmich sprang daher seit dem 19. Spieltag als Aushilfsinnenverteidiger ein und kam nun endlich auf die Spielminuten, die man von ihm bereits im ersten Saisondrittel erwartet hätte. Damals noch als Vertretung von Xabi Alonso.
In sechs Partien als Innenverteidiger in der Bundesliga und in den beiden Pokalspielen (DFB-Pokal und Champions League) gewannen die Münchner fünf Partien und holten drei weitere Unentschieden. Darunter befanden sich teilweise schwere Partien bei heimstarken Gegnern wie Juventus Turin, dem VfL Wolfsburg und Borussia Dortmund. Die einzige Niederlage, die die Münchner seit der Rückunde aufgesammelt haben, fand ohne Kimmich statt. In den besagten acht Partien gaben die Münchner nur vier Gegentore her. Das entspricht einem Gegentor alle 180 Spielminuten. Im Vergleich zur Hinrunde ließen die Münchner zwar mehr Treffer zu, der Unterschied bewegt sich aber in einem vertretbaren Bereich. Zum Vergleich: In der ersten Saisonhälfte kassierte der FC Bayern alle 212 Minuten ein Gegentor.
Warum funktioniert Kimmich in der Abwehr?
Joshua Kimmich hat an dieser guten Statistik einen maßgeblichen Anteil. Trotz seiner geringen Körpergröße von 176cm und nur 70 Kilogramm Kampfgewicht, versteht er es seinen Körper perfekt einzusetzen. Sinnbildlich dafür steht der Konter von Borussia Dortmund, bei dem Mkhitaryan steil auf Aubameyang spielte und dessen Schnelligkeit in die Partie bringt. Kimmich, der natürlich dieses ungleiche Duell nicht gewinnen kann, verhält sich aber vom Laufverhalten her so gut, dass Aubameyang nur der Abschluss aus spitzem Winkel bleibt. Kimmich gab vorher die Innenbahn nicht frei, der direkte Weg zum Tor war für den Gabuner versperrt.
Im gesamten Spiel gegen Borussia Dortmund krönte Kimmich sicherlich seine Form der letzten Wochen. Mit einer Zweikampfquote von 83% war er der Spieler mit der stärksten Quote auf dem gesamten Feld. Hinzu kamen weitere Defensivaktionen: Zwei abgefangene Bälle, eine Klärung und ein geblockter Schuss verzeichnete die Statistik am Ende. Ebenso wichtig: Kimmich foult fast nie. Gegen Dortmund war es nur ein Foulspiel, genauso gegen Wolfsburg und Darmstadt. Gegen Juventus hielt er sich sogar vollkommen schadlos. Durch seine gute Zweikampfführung und die richtige Entscheidung ins Duell zu gehen oder nicht, verhindert er gefährliche Standardsituationen am eigenen Strafraum.
Fast wichtiger für das Spiel waren aber seine offensiven Aktionen. Wer sich noch an den Anfang der 2010er-Jahre zurück erinnert, weiß, wie sehr das Pressing der Dortmunder Klopp-Mannschaften den Innenverteidigern der Bayern zugesetzt hat. Kimmich ist so gut ausgebildet, dass er einerseits die nötige Technik, aber auch das Auge mitbringt, um diese taktische Variante ins Leere laufen zu lassen. Mal für Mal liefen Mkhitaryan, Aubameyang und Reus Kimmich in zum Teil engen Situationen an. Fehler konnten sie allerdings nicht erzwingen. 113 Pässe spielte der 21-Jährige gegen Dortmund. Nur sechs davon fanden keinen Abnehmer. Zum Vergleich: Der ebenfalls sehr gut spielende Mats Hummels kam für Dortmund auf 16 Fehlpässe – bei nur halb so vielen Versuchen (55 Pässe, 71% Passquote).
Natürlich ist Kimmich nicht fehlerfrei. Das zeigte sich gegen Augsburg beim Gegentor, aber auch in Turin. Wer Gegentore isoliert betrachtet und nur eine Aktion als Ursache dafür definieren will, kann hier vielleicht auf ihn zeigen. Unter dem Strich war er meist das Ende einer Fehlerkette – mit der Chance noch eine Klärung herbei zu führen, wie beim zwischenzeitlichen 1:2 von Turin. An dieser Stelle sollten allerdings die Erwartungen nicht in den Himmel gehoben werden. Auch ein Jerome Boateng, auch ein Mats Hummels und andere Innenverteidiger agieren nicht fehlerfrei.
Es ist sicherlich die Leistung von Pep Guardiola, der den Mut bewiesen hat trotz der Kaderergänzung um Sedar Tasci auf Kimmich zu bauen und das Risiko einzugehen mit ihm und Alaba in den entscheiden Wochen im Abwehrzentrum ins Rennen zu gehen.
Stand jetzt hat es sich ausgezahlt. Zwar konnte Dortmund in der bisherigen Rückrunde den Vorsprung der Münchner um drei Punkte verringern, aber dies war wohl mit Blick auf den Terminkalender und den vielen Auswärtsspielen (Leverkusen, Wolfsburg und Dortmund) zu erwarten. Die überwiegend gute Abstimmung der beiden Youngster erlaubt es den Münchnern zugleich Benatia und Martinez wohl langfristig wieder aufzubauen und nicht zu früh zu hohe Belastung ansetzen zu müssen. Angesichts der Formschwäche von Bernat ist es wohl ohnehin denkbar, dass durch die Rückkehr von einem der beiden genannten Spieler eher Alaba wieder auf die Außenbahn rückt, bevor Kimmich zunächst wieder in den hinteren Teil des Kaders rotiert wird. Dort könnte er sich mittelfristig als rechter Verteidiger ein zweites Standbein aufbauen. Die Leistung von Rafinha in den letzten Wochen war jedenfalls nicht derart überzeugend, dass er die erste Option sein muss, sollte Lahm eine Pause brauchen.
So gesehen würde Kimmich dann als Stellverteter von Alonso und Lahm weiter wachsen können. Bis es soweit ist, rettet er aber weiter die Saison der Münchner.