Vorschau: Pokalfinale gegen Leverkusen
Thematisch beherrschten vor allem die Transfers diese letzte Woche vor dem Endspiel. Leroy Sané und Tanguy Nianzou wurden als Neuzugänge präsentiert, während die Gerüchte um einen Abgang von Thiago immer mehr zu einer Gewissheit reiften. Der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge bestätigte kürzlich, dass der Spanier nochmal etwas anderes in seiner Karriere machen möchte. Zumindest sehe es danach aus. Überdies sei ein Transfer von Kai Havertz in diesem Sommer unwahrscheinlich. Rummenigge wünschte seinem Kollegen Rudi Völler fast schon mit einem kleinen Augenzwinkern, dass der Angreifer noch ein Jahr in Leverkusen verweilt.
Dort lag der Fokus voll und ganz auf dem Finale gegen die Bayern. Peter Bosz weiß, dass seine Mannschaft am Wochenende Großes erreichen kann. Mit Leverkusen bestritt er bereits drei Partien gegen die Münchner und zweimal ging er als Sieger vom Platz.
Gerade der letzte Erfolg (2:1 im Hinspiel der Bundesliga) könnte dabei als Blaupause dienen – aber auch nur bedingt. Leverkusen begann damals mutig, lief aber nicht direkt ins offene Messer. Gerade im Mittelfeldzentrum stellte die Werkself die Schaltzentrale der Flick-Bayern gekonnt zu und lenkte sie so immer wieder zu frühen Pässen auf die Außenverteidiger, wo dann großer Druck erzeugt wurde. So verlor Davies beispielsweise den Ball vor dem 0:1, weil seine Pass- und Laufwege optimal zugestellt wurden.
Peter Bosz weiß, wie man die Bayern schlägt
Die Bayern brauchten damals eine gewisse Zeit zur Eingewöhnung, Leverkusen profitierte aber auch von der frühen Führung. Je länger das Spiel dauerte, umso häufiger überspielten die Münchner das Pressing der Gäste und dann wurde es auch gefährlich.
Am Ende zeigte sich Peter Bosz sogar recht unzufrieden mit der Leistung seiner Mannschaft: „Das Glück war heute auf unserer Seite. Wir haben die ersten 30 Minuten mutig gespielt, Druck nach vorn gemacht.“ Und danach ließ sich Leverkusen immer weiter hinten reindrücken.
Deshalb kann dieses Spiel auch nur bedingt eine Blaupause für das Finale sein. Bosz weiß, dass sein offensiver Stil ein Akt der Balance ist. Funktioniert das Pressing nicht optimal, können die Bayern die Schnittstellen mit ihrem Kombinationsfußball so gut bespielen wie kaum eine andere Mannschaft. Es wird für Leverkusen darum gehen, das Mittelfeldzentrum der Bayern und die Passwege der Innenverteidiger insbesondere in die Halbräume möglichst oft zuzustellen. Dann gibt es eine realistische Chance darauf, Fehlpässe oder Balleroberungen auf den Flügeln zu erzwingen. Spielt das Team zu mutlos und passiv, fehlen die Phasen der Entlastung. Dann kann Bayern mit zu viel Raum und Zeit aufbauen und sich den Gegner zurechtlegen. Das zeigten insbesondere die letzten 60 Minuten des Hinspiels. Im Bundesliga-Rückspiel, als die Bayern Leverkusen trotz eines frühen Rückstands nach Belieben dominierten, bekam Bosz zudem die Quittung für ein nicht greifendes Pressing.
Bosz weiß auch, wie es nicht geht
Der Trainer setzte damals auf eine Dreier- beziehungsweise Fünferkette, die gerade bei langen Bällen der Bayern sehr anfällig war. Immer wieder kamen die Münchner hinter die Kette und gingen so schnell mit 4:1 in Führung. Leverkusen selbst wurde erst gegen Ende durch eine dahinplätschernde Schlussphase nochmal ins Spiel geholt.
Es ist kaum vorstellbar, dass Bosz wegen solcher Erfahrungen auf einen abwartenden Stil setzen wird, um im Pokalfinale nicht zu sehr ins Risiko zu gehen. Damit machte er keine guten Erfahrungen. Der Trainer ist in der Auslegung seiner Philosophie konsequent. Er möchte, dass seine Mannschaft auch dann selbst versucht zu agieren, wenn der Gegner nominell stärker ist. Nicht selten wird ihm deshalb fehlende Flexibilität vorgeworfen. Doch wer die Entwicklung Leverkusens genau beobachtet hat, der muss sein Bild vom BVB-Bosz nochmal überdenken. Bosz hat aus dieser Zeit gelernt, geht noch intensiver in die Gegneranalyse und schafft es oft, sein Team im Detail auf den Gegner abzustimmen und für die eine oder andere Überraschung zu sorgen.
Wie schon so oft in der Vergangenheit des Klubs ist es die fehlende Konstanz, an der vieles hängt. Boszs große Aufgabe für die Zukunft ist es, dieses Problem zu lösen. Doch angesichts der Tatsache, dass Leverkusen nach dem Wechsel von Julian Brandt im vergangenen Jahr nun auch Kai Havertz zu verlieren droht, ist dieses Vorhaben nicht ganz so einfach. Leverkusen hat gewiss einen der breitesten, stärksten und spannendsten Kader in der Bundesliga. Doch Ausnahmespieler zu ersetzen, ist auch für die Werkself kein Selbstläufer.
Der erste Titel seit 27 Jahren für Leverkusen?
Umso bemerkenswerter ist es, wie Leverkusen nach einer durchwachsenen ersten Saisonhälfte insbesondere in der Rückrunde aufspielen konnte. Was wäre mit dieser Mannschaft erst möglich, wenn sie einerseits zusammenbliebe und punktuell verstärkt würde und andererseits ihre Ausrutscher wie beim 1:4 gegen eigentlich offensivschwache Wolfsburger oder beim 0:2 gegen Hertha BSC abstellen könnte?
Die Ansprüche bei Leverkusen sind unverändert groß. Deshalb wird Bosz in der kommenden Saison auch am Fortschritt zur jetzigen gemessen werden – unabhängig von den Abgängen. Gegen Bayern kann dem Niederländer aber ein historischer Erfolg gelingen. Seit 27 Jahren ist die Werkself jetzt schon ohne Titel, mehrfach war sie nah dran. Und wer weiß? Vielleicht kommt es Leverkusen sogar zu Gute, dass ohne Publikum ein erheblicher Teil des Finaldrucks fehlen wird.
Den Bayern ist dieser Aspekt egal. Sie kennen den Druck nicht nur, sondern können aus ihm sogar Kraft für solche Spiele schöpfen. Gerade unter Hansi Flick hat sich wieder eine Atmosphäre innerhalb der Liga gebildet, die sich mit einer Mischung aus Angst, Respekt und Unbehagen ob einer drohenden Langeweile beschreiben lässt. Für die Bayern ist das isoliert betrachtet ein großes Kompliment, weil es bedeutet, dass sie zuletzt fast alles richtig gemacht haben.
Der letzte große Test für die Flick-Bayern?
Innerhalb kürzester Zeit haben sich die Bayern zu einer Pressingmaschine entwickelt, die auf physischer und taktischer Ebene gegen den Ball so stark ist, dass einige Probleme in Ballbesitz zuletzt nur im Detail auffielen. So konnte auch das Fehlen von Thiago kompensiert werden. Goretzka, Kimmich, Müller – das ist nicht nur ein laufstarkes, sondern auch zweikampfstarkes Mittelfeld, das ohne Ball die richtigen Wege findet, um einen Gegner aus dem Spiel zu nehmen.
Gerade gegen Leverkusen wird es aber noch einen Tick mehr brauchen als diese Qualität. Dieser Gegner bringt den Mut und die Fähigkeiten mit, um an einem guten Tag das hohe Pressing der Münchner zu überspielen und nicht sofort in ein Festival der langen Bälle zu verfallen. Umso interessanter wird die Herangehensweise der Bayern sein, wenn dieses Szenario eintrifft. Gegen Dortmund ließ Kimmich beispielsweise nach dem Spiel durchblicken, dass er und seine Mitspieler gern mehr lange Bälle des Gegners gesehen hätten, dieser es aber teilweise gut gelöst hätte.
Wenn es nicht allein über das Pressing geht, brauchen die Bayern alternative Wege. Beispielsweise über längere Ballbesitzphasen, die den Gegner hinten festschnüren. Das Pokalfinale ist deshalb nicht nur ein sehr guter Test dafür, ob die Münchner die nötige Ruhe dafür aufbringen können, sondern auch dafür, wie ein Spiel auf hohem Niveau ohne Thiago aussehen kann.
Das Pokalfinale der Agierenden
Auf dem Papier verspricht dieses Endspiel jedenfalls ein sehenswertes zu werden. Zwei Mannschaften, die ihre größten Qualitäten im Offensivspiel haben. Zwei, die sich gegenseitig auf dem Platz unter Druck setzen werden. Zwei, die selbst agieren wollen und sich in der Rolle des Reagierenden unwohl fühlen. Zwei, die Tore schießen können und jeweils genügend Spieler in den eigenen Reihen haben, die auch auf individueller Ebene den Unterschied machen können.
Leider wird dieses Fußballspiel nicht die Atmosphäre erhalten, die es verdient hätte. Das macht einiges von der sonst so besonderen Stimmung in Berlin kaputt. Doch rein sportlich hat dieses Spiel das Potenzial dazu, eines der besseren Finals der letzten Dekade zu werden. Es liegt nun an beiden Teams, das auch umzusetzen. Und es liegt vor allem auch daran, wie sehr Leverkusen in der Lage sein wird, die Bayern unter Druck zu setzen, ohne ins offene Messer zu laufen.