Vorschau: Jahresfinale gegen Wolfsburg und Leverkusen

Justin Trenner 15.12.2020

In entscheidenden Phasen einer Saison wird oft von den „Wochen der Wahrheit“ gesprochen. Eine Phrase, die suggeriert, dass eine Mannschaft dort ihren Status-quo erfährt. Für den FC Bayern steht nun eine solche entscheidende Phase an, aber eine Wahrheit wird auch diese nicht offenbaren.

Zu vielschichtig sind die Probleme, zu schwer sind sie zu lösen. „Es wird eine schwere Saison, das haben wir vorher gewusst“, so Hansi Flick nach dem enttäuschenden 1:1 gegen Union Berlin. Ausgerechnet der historische Sieg in der Champions League wird in diesem Jahr zum Stolperstein.

Vielschichtige Probleme beim FC Bayern

Doch nicht allein. Es sind auch eigene Fehler, die dem Klub jetzt auf die Füße fallen. In den letzten Jahren hatte man den Kader sukzessive verkleinert, um den jeweiligen Trainern entgegenzukommen. Das Resultat: In diesem Sommer musste man zwingend nachlegen.

Die Folgen sind schwerwiegend. In einem normalen Sommer wäre die Taktik der Überbrückung durch die Leihgeschäfte mit Coutinho, Odriozola und Perišić vielleicht sogar aufgegangen. Im Corona-Sommer allerdings führte das zu einer Öffnung von mehreren Baustellen, die es alle gleichzeitig zu schließen galt – auf einem extrem komplizierten Markt.

Und als wäre das alles nicht genug, ging mit Thiago auch noch einer der besten und wichtigsten Spieler des Kaders – eine weitere Leerstelle im Kader, die unerwartet geschlossen werden musste.

Keine Zeit für Verbesserung

An dieser Stelle lassen sich dann die Probleme wunderbar zusammenführen, die der FC Bayern jetzt gerade hat: Durch die notwendigerweise späten Verpflichtungen (man wollte den Teamspirit beim Champions-League-Turnier nicht gefährden) und die komplett fehlende Vorbereitung gelingt es dem Trainerteam bis jetzt nicht, die Neuen gut zu integrieren. Selbst einem Spieler wie Leroy Sané fällt es an vielen Stellen noch schwer, sich an den neuen Stil anzupassen.

Flick hat keine Zeit, die Laufwege und Abläufe mit den Spielern zu trainieren. Er ist gefangen in einer Dauerschleife aus Belastungssteuerung und Gegneranalyse. Selbst in den Länderspielpausen konnte er mit den Neuzugängen nur begrenzt arbeiten, weil der Großteil der Mannschaft für die Abstimmung fehlte.

Auf ein bewährtes Gerüst konnte er nicht so wirklich setzen. Zu eng getaktet der Terminkalender, zu schwerwiegend einzelne Ausfälle – insbesondere jener von Joshua Kimmich. Und so musste er Spiel für Spiel mehr rotieren, als ihm eigentlich lieb war.

Leipzig, Leverkusen und Co. haben leichte Vorteile

Nun könnte man zurecht anmerken, dass Leipzig eine ähnliche Belastung hat wie die Bayern. Doch das wäre nur ein Teil der Wahrheit. Das schmälert die starke Leistung der Leipziger nicht, aber sie waren einerseits nicht so sehr darauf angewiesen, dass die Neuzugänge schnell funktionieren. Ihr Grundgerüst ist stabiler und auch wenn mit Werner ein wichtiger Torschütze den Klub verlassen hatte, so ist diese Problemstelle anders gelagert als die der Bayern im Mittelfeldzentrum.

Andererseits hatte Leipzig einen kleinen, aber entscheidenden Vorteil in der Anfangsphase der Saison, als die Bayern mit dem Champions-League-Finale und den beiden Supercup-Spielen zusätzliche Partien austragen mussten.

Leverkusen, Leipzig, auch die zurzeit kriselnden Dortmunder – sie alle haben den großen Vorteil, dass nur ein Teil ihrer Spieler in den Nationalmannschaften zu den tragenden Säulen zählt. Die Belastung ist bei ihnen zwar ebenfalls zu hoch, aber dennoch geringer als bei den Bayern. Allein der Anteil an deutschen und französischen Nationalspielern hatte eine extreme Belastung auf sehr hohem Leistungsniveau (womit im Fall der deutschen Nationalmannschaft vor allem die Gegner gemeint sind).

Kann Flick überhaupt etwas tun?

All das hat sich in den vergangenen Wochen solange summiert, bis selbst der unbändige Wille der Mannschaft nicht mehr jedes Spiel gewinnen konnte. Es ist eine vollkommen normale Entwicklung. Zumal es nach einem Triplegewinn nochmal schwerer ist, mental wieder hochzufahren. Allein dafür hätte es eine längere Pause gebraucht.

Man kann nun also taktisch wieder bei all dem ansetzen, was in den vergangenen Wochen allein in unserem Blog rauf- und runteranalysiert wurde: Wo liegen die Probleme? Wie kann Flick jetzt anpassen? Warum reicht es nicht zu mehr?

Oder man blickt den Tatsachen in die Augen und konstatiert: Vielleicht ist im Moment einfach nicht mehr drin. Es ist nahezu egal, wie Flick umstellt – und einige Dinge hat er zuletzt versucht. Letztendlich fehlt es dem Spiel zu sehr an Präzision, Dynamik und Timing. Das ist auch dann ein Problem, wenn die Bayern mit zehn Mann am eigenen Strafraum verteidigen. Genauso ist es ein Problem, wenn sie die Pressinglinie nur zehn Meter tiefer stellen.

Auch mit Kimmich: Diese Saison wird verdammt schwer

Ohne eine hohe Grundintensität gewinnt keine Mannschaft konstant ihre Spiele. Und die können die Bayern im Moment einfach nicht gehen. Flick muss zweifelsohne trotzdem hinterfragen, ob der jetzige Weg an der Taktiktafel der richtige ist. Seine Aussagen deuten darauf hin, dass er das auch macht. Doch anders als in vielen anderen kniffligen Situationen in den letzten Jahren scheint der Trainer hier nur einen begrenzten Einfluss zu haben. Im Gegenteil darf die Frage erlaubt sein, ob irgendjemand aus dieser komplexen Situation mehr Punkte hätte holen können. Denn bei aller Kritik: Mit nur einer Niederlage fast direkt nach einem intensiven Supercup-Spiel gegen Sevilla stehen die Bayern aktuell sehr gut da.

Jetzt geht es aber gegen Wolfsburg und Leverkusen – die einzigen ungeschlagenen Teams der Bundesliga. Zwei Mannschaften, die den Bayern wieder alles abverlangen werden. Die Wölfe mit einem kompakten und extrem gut organisierten Mittelfeldzentrum, Leverkusen hingegen mit einem druckvollen Pressing und hoher Ballsicherheit. Wieder wird es das Mittelfeldzentrum sein, das für Probleme sorgen könnte – zumal Kimmich gegen Wolfsburg definitiv noch nicht einsetzbar ist, während auch Goretzka ausfällt. Wenn die Münchner aus diesen Partien mindestens vier Punkte mitnehmen, können sie wohl zufrieden sein.

Die Mannschaft ist durch für dieses Jahr. Und ob eine extrem kurze Weihnachtspause das ändern wird, bleibt fraglich. Immerhin sorgt diese Pause aber dafür, dass die Bayern in dieser Woche ihren Tank nochmal richtig leer machen können. Der größte Lichtblick ist aber die Rückkehr von Kimmich. Er könnte im Mittelfeld ein bisschen Ordnung zurückbringen und so für einen Push sorgen. Aber auch mit einem fitten Kimmich dürfte Flick mit seiner Prognose recht behalten: Das wird eine verdammt schwere Saison für die Bayern.