Vorschau: 1. FC Union Berlin – FC Bayern München

Justin Trenner 11.12.2020

Die Überraschungsmannschaft der ersten Bundesliga-Spieltage kommt aus Berlin. Es ist nicht Hertha BSC, sondern Union. Nach zehn Spielen stehen die Köpenicker mit 16 Punkten auf Platz sechs. Dass das kein Zufall ist, zeigen auch verschiedene Statistiken: Mit bisher 14 Gegentoren stellen sie eine der besten Defensivreihen der Liga.

Geht es nach dem Expected-Goals-Modell von StatsBomb, hätte Union sogar erst acht Gegentreffer (8,2 xGA). Das ist knapp der beste Wert in der Bundesliga. Und auch in der Offensive steht man mit 17,6 xG (Platz 6) und 22 tatsächlichen Toren (Platz 3) gut da.

Das Stichwort ist „Balance“. Union hat die drittbeste Expected-Goals-Differenz (+9,4) und die fünftbeste reale Tordifferenz (+8). Schon in der letzten Saison wusste die Mannschaft von Urs Fischer durchaus mit ihrer Abwehrarbeit zu überzeugen – allerdings nur punktuell. Achtmal spielten sie zu Null, sieben weitere Male kassierten sie nicht mehr als ein Gegentor. Dass es am Ende dennoch 58 Gegentreffer waren, lag auch an deutlichen Niederlagen gegen Hertha, Gladbach, Hoffenheim, Dortmund und Leipzig.

Reality Check: Wo steht Union wirklich?

Einerseits scheint sich die Defensive also auf Bundesliga-Niveau weiter stabilisiert zu haben, was die Konstanz angeht. Andererseits wirkt das Spiel nach vorn ruhiger, präziser und durchschlagskräftiger. Neben der weiteren Zeit, die Fischer mit seiner Mannschaft hatte, um sich im Oberhaus zu etablieren, ist hier eine kluge Transferpolitik zu nennen.

Allen voran die Verpflichtung von Max Kruse war entscheidend. Der Ex-Nationalspieler strukturiert die Offensive nahezu von allein so um, dass Union nicht mehr allein auf lange Schläge nach vorn angewiesen ist. Man merkt ihm an, dass er eigentlich mindestens eine Klasse über seinen Teamkollegen steht, was das Leistungsniveau angeht, und doch schafft er es, seine Mitspieler mit hochzuziehen. Kruse ist der Ausnahmespieler, der am Ende den Unterschied machen könnte, um Union aus dem Abstiegskampf herauszuhalten.

Doch auch weniger spektakuläre Neuzugänge wie Marvin Friedrich, Anthony Ujah, Robert Andrich, Marcus Ingvartsen (alle 2019 gekommen) und Robin Knoche bringen einen guten Mix aus Entwicklungsfähigkeit und gestandener Bundesliga-Erfahrung mit. Hinzu kommen Leihgaben wie Joel Pohjanpalo oder Loris Karius, die den Kader als kurzfristige Stützen verstärken.

Täuscht der Eindruck?

Die Transferpolitik scheint sich also gut mit der sportlichen Entwicklung unter Fischer zu ergänzen. Und doch ist selbst nach dem starken Saisonstart noch nicht klar, wo Union wirklich steht.

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Die Zweifel am derzeitigen Höhenflug lassen sich am besten an dieser Statistik des Twitter-Users @bimbeshausen erklären: Addiert man alle Punkte der Gegner des jeweiligen Teams T, so wird deutlich, dass Union auf dem Papier die „einfachsten“ Gegner aller Mannschaften in der Liga hatte. Hertha hingegen hatte die theoretisch schwersten.

Und so könnte es gut sein, dass Union eher früher als später den Weg nach unten geht, während der Rivale aus Charlottenburg nun die Möglichkeit hat, die Aufholjagd zu starten.

Flexible Verteidigungsarbeit

Trotzdem: Das Selbstbewusstsein der Unioner ist riesig und gerade im Stadtderby zeigten sie trotz Unterzahl letzte Woche, warum sie ein so unangenehmer Gegner sind. Aus einer eigentlich tiefen Formation (meist mit Fünferkette) gelingt es ihnen, trotzdem Druck auf den Spielaufbau des Gegners auszuüben.

Unter Fischer schiebt die Mannschaft immer wieder clever raus und stellt damit das zentrale Mittelfeld gut zu. Außerdem verschiebt Union schnell, präzise und effizient. Wenn der Ball vom Gegner beispielsweise auf die Außenbahn gespielt wird, schieben die Flügelverteidiger druckvoll heraus, während die restlichen vier Abwehrspieler nachschieben.

Aber auch das Herausrücken der drei zentralen Verteidiger ist kein Problem. Es ist im Vergleich zur letzten Saison deutlich schwerer geworden, die Kompaktheit von Union zu zerstören und Räume zwischen den Linien zu kreieren.

Personalprobleme bei Union

Damit ist auch vorgezeichnet, wie das Spiel am Samstagabend aller Voraussicht nach läuft: Union wird aus einer tiefen Grundordnung heraus versuchen, Bayern unter Druck zu setzen. Die Gefahr, dass sie dabei zu passiv werden, wie es stellenweise beim letzten Aufeinandertreffen in der letzten Rückrunde war, ist durchaus gegeben, aber einerseits sind die Bayern nicht so stark wie damals und andererseits dürfte Union daraus gelernt haben – zumindest lässt der bisherige Saisonverlauf darauf schließen.

Allerdings haben die Eisernen vor dem Duell mit den Münchnern Personalnot: Es fehlen nicht nur Schlüsselspieler wie Andrich (gesperrt) und Max Kruse, sondern auch Pohjanpalo, Ujah und Schlotterbeck. Hinzu kommt, dass Hübner womöglich nicht rechtzeitig fit wird, was wiederum bedeutet, dass Fischer hinten improvisieren muss. Der flexibel einsetzbare Julian Ryerson könnte hinten starten, wenn sein Trainer nicht mit ihm im Mittelfeld startet.

Immerhin sieht es bei Christian Gentner gut aus. Der erfahrene Ex-Stuttgarter könnte als ähnlicher Spielertypus Andrich ersetzen, dessen Lauf- und Zweikampfstärke sehr fehlen wird. Allerdings ist unklar, ob Fischer ihm schon 90 Minuten zutraut.

Striktere Außenverteidigerrollen bei den Bayern?

Bei den Bayern sind Lewandowski und Alaba rechtzeitig fit. Allerdings hat Flick angekündigt, mit dem Trainerteam Veränderungen an der aktuellen Ausrichtung zu diskutieren. Gerade gegen die umschaltstarken Unioner dürfte sich bereits zeigen, ob er Grund zur Anpassung sieht, oder ob die Bayern sich jetzt so durch die letzten Tage schleppen.

In unserem exklusiven Patreon-Artikel haben wir die Defensiv- und Ballbesitzprobleme des FC Bayern unter der Woche ausführlich analysiert und Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, die das Trainerteam jetzt hat.

Die simpelste, aber vielleicht auch effizienteste Anpassung wäre eine noch konsequentere Anweisung für die Außenverteidiger. Bayern spielt hier grundsätzlich mit einer kleinen Asymmetrie, die allerdings nicht klar definiert zu sein scheint. Das typische Muster war vor dem 0:1-Rückstand gegen Leipzig zu sehen: Linksverteidiger Alaba agierte als ballnaher Außenverteidiger hoch, während Pavard an der Mittellinie bei den eigenen Innenverteidigern stand.

Dann aber setzte Pavard zum Sprint nach vorn an, um sich in der Lücke auf der rechten Seite als Verlagerungsoption anzubieten. Im gleichen Moment spielte Müller aber den Fehlpass und plötzlich konnte RaBa zum Konter ansetzen. Pavard hatte durch seinen Sprint einige Meter Rückstand. Hätte er den Sprint nicht gemacht, wäre Bayern mit einer stabileren Dreierkette vielleicht in der Lage gewesen, den Konter noch zu verteidigen.

Flick könnte hier also die offensive Flexibilität für etwas mehr strikte Stabilität opfern, indem er klar definiert, dass der ballnahe Außenverteidiger mit vor darf, während der andere absichern muss – egal, welche Räume sich vorne ergeben. Womöglich gehen dadurch ein paar gute Angriffsmöglichkeiten verloren, aber das sollte für eine Mannschaft wie Bayern verkraftbar sein.

Fazit: Wie weit ist Union?

Gegen Union können sich die Münchner jedenfalls keine solcher Einladungen erlauben. Dafür sind die Eisernen auch ohne Kruse zu stark im Umschaltspiel.

Für den FC Bayern wird diese Partie ein größerer Gradmesser, als es auf dem Papier den Anschein macht. Und auch für Union wird es eine Standortbestimmung: Wie nah sind sie schon dran an der oberen Tabellenhälfte?

Union bringt mit seiner Defensiv- und Umschaltstärke genau das Rüstzeug mit, das es in den letzten Wochen brauchte, um die Bayern zu schlagen. Es wird spannend zu sehen, ob Flick Dinge verändert, die über Personalentscheidungen hinausgehen.



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