Manuel Neuer: „Wir haben Pep-Fußball gespielt“

Justin Trenner 18.02.2020

Als Pep Guardiola vor den Spielen seine Mannschaft zur Teambesprechung zusammentrommelte, um sie auf letzte taktische Details vorzubereiten, soll Manuel Neuer oft in der ersten Reihe gesessen haben. Aus dem Umfeld war damals zu hören, dass der Torhüter einer der größten Anhänger seines Trainers war.

Wenig verwunderlich ist es daher auch, dass dem 33-Jährigen nach der ersten Halbzeit in Köln nicht etwa der Vergleich zur Triple-Saison unter Jupp Heynckes, sondern der extrem durchgeplante und den Gegner erdrückende Fußball unter Guardiola einfiel. „Wir haben Pep-Fußball gespielt.“ So wird Neuer bei Sport1 zitiert.

Der Redakteur Carsten Arndt ließ es sich dort nicht nehmen, die Flick-Bayern mit den Guardiola-Bayern zu vergleichen. Sein Ergebnis: Offensiv macht die aktuelle Mannschaft einen richtig guten Eindruck. Trotz weniger Pässe und Ballbesitz kommen sie aktuell auf mehr Abschlüsse (20 zu 18) und mehr Großchancen (5,2 zu 3,2) als die erfolgreiche Pep-Mannschaft. Auch die Chancenverwertung ist im Moment etwas besser (19 zu 17 Prozent). Was die Tore angeht, ist der Unterschied sogar recht deutlich: 3,1 Treffer pro Spiel unter Flick stehen 2,5 pro Spiel unter Guardiola gegenüber.

Und was ist mit der Defensive?

Was im Artikel aber gänzlich unerwähnt bleibt, ist die Defensive. Im Schnitt lassen die Bayern in der Bundesliga seit der Übernahme von Hansi Flick 9,33 Abschlüsse des Gegners pro Spiel zu. Unter Niko Kovač lag dieser Wert in dieser Spielzeit bei 10, in der letzten aber bei 7,6. Auch in den Saisons 2017/18 (8,5) und 2016/17 (8,9) lag dieser Wert unter dem jetzigen Schnitt.

Im ersten Guardiola-Jahr ließen die Bayern ebenfalls 8,9 Abschlüsse pro Spiel zu, in den darauffolgenden beiden Jahren aber nur noch 7,5. Da Abschlüsse allein nicht alles sind, sollte auch die Qualität der Chancen einbezogen werden. Vielleicht lassen die Bayern unter Flick ja nur Halbchancen zu?

Hier eignet sich das Expected-Goals-Modell von StatsBomb, dessen Werte auf der Seite fbref.com frei zugänglich sind. Im Vergleich zur Vorsaison unter Kovač hat sich die Anzahl an erwarteten Gegentoren pro Spiel ebenfalls erhöht: von 0,77 auf aktuell 0,96.

Leider reichen die Daten auf fbref.com nicht bis zu den Jahren zuvor zurück. Sieht man sich aber die Daten von anderen, womöglich ungenaueren Modellen an, so dürfte ein Schätzwert für die Guardiola-Zeit bei ungefähr 0,6 bis 0,7 erwarteten Gegentoren pro Spiel liegen.

Wo holen sich die Bayern ihre Erholung?

Zweifellos ist der offensive Flick-Stil der Hauptgrund, weshalb die Bayern wieder erfolgreich sind und Spaß an dem haben, was sie auf dem Platz machen. Im Schnitt erlaubt der amtierende Meister seinem Gegner nur 6,35 Pässe, bis eine Defensivaktion erfolgt. Ein Wert, der unter Guardiola recht ähnlich war.

Die große Kunst des Fußballs, der unter dem Katalanen über drei Jahre Stück für Stück weiterentwickelt wurde, lag aber darin, dass alle Phasen des Spiels durchgeplant wirkten. Zu jeder Handlungsmöglichkeit gab es zu jeder Zeit eine Alternative. Die Spieler wussten immer, was sie zu tun hatten. Selbst dann, wenn es mal nicht lief.

Kein Vergleich zu den aktuellen Leistungen. Denn auch wenn die Entwicklung der Bayern unter Flick mehr als bemerkenswert ist und seine Beförderung für die Rettung der Saison eine goldrichtige Entscheidung war, so bleibt seine Mannschaft aktuell den Nachweis schuldig, dass sie flexibel ist.

Läuft alles nach Plan, deuten die Bayern im Moment an, dass sie einen erdrückenden und dominanten Fußball spielen können, mit dem selbst Mannschaften wie Raba Leipzig überfordert sind. Doch dass in Köln zum vierten Mal in Folge ein Einbruch nach der Pause zu beobachten war, lässt die Frage offen, ob es einen Plan B gibt. Das gilt auch für jene Situationen, in denen das hohe Pressing der Bayern doch mal geknackt wird. In der Rückwärtsbewegung bleibt die Mannschaft anfällig – und eben auch anfälliger als vor einigen Jahren.

Die Bayern absolvieren im Moment so viele Sprints, dass sie zwingend Ruhephasen brauchen. Unter Guardiola äußerten sich diese in längeren Ballzirkulationen ohne nennenswerten Raumgewinn. Das eigene Positionsspiel war aber so gut, dass der Gegner kaum die Möglichkeit hatte, an den Ball zu kommen. Und so sparte man selbst Körner. Entweder für kommende Partien, weil genug Tore erzielt wurden, oder aber für eine Schlussoffensive. Sobald die Bayern aktuell nur mit 5 % weniger Intensität spielen, verlieren sie aber ihre Grundstruktur und öffnen dem Gegner Tür und Tor. Eine enorme Diskrepanz zu dem, was die Mannschaft in den starken Anfangsphasen andeutet.

Eine der größten Qualitäten der Pep-Bayern waren zudem die ungeheuerlichen Tempowechsel. Nach teilweise zehnminütigen Ruhephasen war das Team in der Lage, gegen Ende nochmal anzuziehen. In Gladbach und gegen Leipzig fehlte das in dieser Saison komplett, obwohl es nötig gewesen wäre. Womöglich auch deshalb, weil die Münchner nicht auf Anpassungen des Gegners reagieren konnten. Eine weitere Qualität, die Guardiola so einzigartig macht: Es gelingt ihm überdurchschnittlich oft, den Spielverlauf zu lesen und darauf entsprechend zu reagieren – personell oder mit taktischen Umstellungen.

Eine Pep-Halbzeit macht noch keinen Pep-Fußball

Alles in allem tut man sich also selbst keinen Gefallen, wenn bereits jetzt von den besten Zeiten geträumt wird. Nicht umsonst brauchte die damalige Mannschaft ebenfalls mehrere Jahre, um ihr Level zu erreichen. Das jetzt von Hansi Flick in nur wenigen Monaten zu verlangen, wäre Utopie.

Die Bayern spielen wieder guten Fußball und sind zurück an der Tabellenspitze. Flicks Anteil daran ist so groß, dass er sich selbst womöglich in eine gute Verhandlungsposition für eine Verlängerung seines Engagements bringen konnte. Aber nein, Pep-Fußball spielen die Bayern noch lange nicht. Dafür ist die Liste an Hausaufgaben für Trainerteam und Mannschaft weiterhin zu lang.

In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, wie selbstzufrieden die Bayern aktuell wirken. Klar, hier und da gibt es auch mal leichte Kritik an den schwächeren zweiten Halbzeiten, aber die wird dann relativ schnell mit dem Argument klein geredet, dass man ja in der ersten Halbzeit angedeutet hätte, wozu man in der Lage ist. Es liege an der Psychologie, heißt es dann nicht zuletzt bei Thomas Müller. Wenn aber nicht bald in den Köpfen der Spieler ankommt, dass Selbstgefälligkeit eine entscheidende Ursache für die starken Leistungsschwankungen innerhalb einer Partie sein könnte, verbaut man sich womöglich die Chance, noch in dieser Saison Großes zu erreichen.

Einer Saison, die viele im November bereits abgeschrieben hatten, die nun aber plötzlich wieder zur großen Chance wird. Dafür braucht es aber die Fähigkeit, Spiele souverän runterzuspielen und bei Bedarf das Tempo nochmal zu erhöhen. Es bleibt die Frage: Haben die Bayern auch im Jahr 2020 einen Mahner, der intern klar und deutlich aufzeigt, dass eine Pep-Halbzeit noch lange kein Pep-Fußball ist? Das Champions-League-Achtelfinale wird hier vermutlich weitere Erkenntnisse liefern.



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