Vorschau: FC Bayern München – VfL Wolfsburg

Justin Trenner 19.12.2019

26 Pflichtspiele, 24 Niederlagen und nur 2 Unentschieden – die Bilanz des VfL Wolfsburg in München ist verheerend, wenn es gegen den FC Bayern geht. 17 zu 76 Tore sprechen eine klare Sprache. Gerade in den letzten Jahren gab es das eine oder andere Mal fünf oder sechs Gegentreffer für die Wölfe.

Immerhin: Eines der beiden Unentschieden gelang dem VfL 2017 beim 2:2 in der Allianz Arena. Und gerade in der Defensive scheinen die Wolfsburger so stabil zu sein wie seit Jahren nicht mehr. Unter dem neuen Trainer Oliver Glasner kassierten sie erst 16 Gegentore (Bestwert in der Liga). Dass das kein Zufall ist, unterstreichen weitere Statistiken: Mit nur 16 Expected Goals Against1 steht der VfL auf Platz 1 der Liga und 11,3 zugelassene Schüsse pro Spiel sind der drittbeste Wert.

Für den Sprung nach ganz oben reicht es aber noch nicht. Dafür ist die Mannschaft bisher zu ungefährlich. 18 Tore (zweitschwächster Wert mit Köln und Paderborn), 13,8 Schüsse pro Spiel (Platz 8) und 21 Expected Goals (Platz 10) sind allenfalls durchschnittlich. Nur Wout Weghorst strahlt echte Gefahr aus (11 Tore, 3 Vorlagen in 23 Spielen).

VfL Wolfsburg: Aggressivität und Umschaltmomente

Dabei zählte Wolfsburg in der letzten Saison zu den torgefährlichsten Mannschaften. 62 Treffer (Platz 6) und somit 1,82 Tore pro Spiel (aktuell 1,13) waren ein ordentlicher Wert. Doch Glasner setzte eben den Fokus auf die Defensivarbeit.

Zunächst mit großem Erfolg. Ein Tor pro Spiel reicht schließlich aus, wenn der Gegner nicht trifft. Wettbewerbsübergreifend gewannen die Wolfsburger in dieser Saison schon viermal mit 1:0. Allerdings gab es auch sechs 1:1-Unentschieden. Ohnehin ist die Mannschaft von Glasner gemeinsam mit Borussia Dortmund der Unentschieden-König: Sechsmal teilten sie sich die Punkte mit dem Gegner allein in der Bundesliga.

Der Trainer sagte noch im August, dass es keinen „Glasner-Fußball“ gebe. Und doch lässt sich eine klare Handschrift erkennen. Wolfsburg legt längst nicht mehr so viel Wert darauf, den Ball lange in den eigenen Reihen zu halten. Das Risiko im Passspiel hat sich darüber hinaus erhöht – 75% Passquote sind der drittschlechteste Wert. Vieles hängt im Spiel des VfL vom Gegenpressing ab.

Probleme im 5-2-3 bzw. 3-4-3

Dafür wird das Mittelfeld auch mal überbrückt, um in Zonen zu gelangen, wo die Offensive sofort auf den Gegner zugreifen kann. Sind diese Situationen nicht gegeben, wird der Ball meist zwischen den fünf Aufbauspielern (Verteidiger + Sechser) hin und her gespielt, bis sich eine Option für einen langen Pass ergibt. 68 lange Pässe spielt Wolfsburg pro Partie – dazu zählen auch lange Flachpässe.

Zwischen dem 1:1 gegen Leipzig im Oktober und dem 2:0-Sieg bei Eintracht Frankfurt Ende November schien das Vorhaben von Glasner aber mächtig zu wackeln. Doch der Trainer hat in den vergangenen Wochen reagiert.

Eine Szene aus der ersten Halbzeit in der Bundesliga-Partie zwischen Dortmund und Wolfsburg.

Bis zur 0:1-Niederlage beim SC Freiburg Anfang Dezember setzte er auf eine Dreier- beziehungsweise Fünferkette. Häufig spielte der VfL gegen den Ball in einem 5-4-1. Das Hauptproblem dieser Grundausrichtung lag allerdings in der vertikalen Kompaktheit. Die drei zentralen Verteidiger und die Doppelsechs waren in einigen Situationen nicht gut aufeinander abgestimmt und so kam es zu Szenen, wie der oben dargestellten in Dortmund. Zwischen der Fünferkette und dem offensiveren Fünferblock entstand zu häufig ein größeres Loch.

Umstellung auf ein 4-1-4-1

Glasner stellte in den letzten drei Partien auf ein 4-1-4-1 um und besiegte damit nicht nur St. Étienne in der Europa League (1:0), sondern auch den damaligen Tabellenführer Borussia Mönchengladbach (2:1). Darüber hinaus spielten sie 1:1 gegen formstarke Schalker.

Weniger Abstimmungsprobleme? So hätte die Szene gegen Dortmund womöglich besser verteidigt werden können.

Legt man die Schablone der aktuellen Grundordnung über die oben dargestellte Szene in Dortmund, lässt sich der Vorteil der Umstellung sofort erkennen. Mit einem Spieler mehr im Mittelfeld kann der Zwischenraum etwas natürlicher besetzt werden. Es braucht weniger herausrückende Bewegungen aus der Abwehr und die beiden vorderen Mittelfeldspieler können sich mehr auf das konzentrieren, was vor ihnen passiert.

Doch so wie jede Formation hat auch das 4-1-4-1 seine Schwachstellen. Die offensichtlichste Veränderung zu vorher ist, dass die Breite nicht mehr so effizient verteidigt werden kann wie vorher. Außerdem kann es weiterhin zu Abstimmungsproblemen kommen, wenn die Achter und der Sechser zu weit auseinander stehen. Dann bieten sich Möglichkeiten über die Halbräume. Wieder das angepasste Beispiel gegen den BVB:

Der Zwischenraum ist zwar besser abgedeckt, doch neben dem Sechser öffnen sich natürliche Lücken, die bespielt werden können.

Mögliche Lösungen für den FCB mit Ball

Und genau dort zeigte der VfL trotz seiner erfolgreichen letzten Spiele auch weiterhin Schwächen: Die vertikale Kompaktheit bleibt ein Problem, das allein mit der Umstellung nicht behoben ist. Für den FC Bayern wird es in Ballbesitz darum gehen, das Wolfsburger Pressing und so vor allem das Anlaufen der Achter zu provozieren, um dann in die Räume neben dem Sechser des VfL zu kommen. Die diagonalen Steil-Klatsch-Ansätze aus dem Freiburg-Spiel eignen sich dafür recht gut. Eine weitere Möglichkeit bietet sich über die spielstarken Außenverteidiger:

Wenn die beiden Flügelstürmer einrücken und ein Achter in die letzte Linie schiebt, sind die vier Verteidiger gebunden. Je nach Geschwindigkeit der Bewegungen und Positionierung des Wolfsburger Sechsers kommt es darauf an, ob sich der Zwischenlinienraum öffnet. Über den passstarken Alaba könnte eine solche Situation aber durchaus gelingen.

Wolfsburg ist gerade im Übergeben von Spielern noch nicht so stabil, wie es die wenigen Gegentore andeuten. Wenn Bayern die insgesamt gut sortierte Defensive des VfL also irgendwie knacken kann, dann wahrscheinlich über das Anlocken der vorderen Pressinglinie und das anschließende Bespielen der Zwischenräume. Bekommen sie ihre schnellen Außenspieler (Davies und Gnabry) in aussichtsreiche Situationen, wäre das ein wichtiger Schritt.

Wolfsburg in Ballbesitz: Kurze Dribblings und Überladungen

Mit dem Ball wird der VfL vor allem durch Rautenbildungen auf den Außenbahnen gefährlich. Gerade links ergaben sich in den letzten drei Spielen verschiedene Muster. Xaver Schlager rochiert viel mit dem jeweiligen Linksaußen (Josip Brekalo oder Joāo Victor) und so tauchen auch mal beide in zentralerer Position auf, um die linke Bahn für den aufrückenden Linksverteidiger zu öffnen (Jérôme Roussillon oder Paulo Otávio). Der VfL arbeitet hier mit vielen Überladungen auf den Flügeln, die bei Ballverlusten aber auch schmerzhaft sein können.

Die Innenverteidiger sind im Spielaufbau des VfL meist für die Initialaktion zuständig. Oft geht der Ball zunächst auf den Außenspieler, um dann diagonal den Achter zu suchen. Zuletzt drehte sich hier viel um Schlager. Gefährlich wird es für die Bayern, wenn sie mit ihren hoch pressenden Außenverteidigern keinen Zugriff bekommen und Wolfsburg sich in die offenen Räume kombinieren kann. Wie es nicht geht, hat die Flick-Elf in der Phase rund um den Ausgleich der Freiburger am Mittwochabend eindrucksvoll gezeigt.

Die Wolfsburger sind in ihren Kombinationen gerade in engen Räumen nicht ganz so stabil wie der Sport-Club, aber dafür haben sie mehr Qualität in kurzen Dribblings. Gerade Schlager, Brekalo, Victor, Otávio und auch Kevin Mbabu (Rechtsverteidiger) sind hier zu nennen. Ebenfalls Schlager und Maxi Arnold sorgen zudem in den Halbräumen für kurze Anspielstationen, damit die Außenspieler nicht an der Seitenlinie festgenagelt werden. Hier müssen die Bayern Lösungen finden. Um Wolfsburg früh zu stören, könnte die Isolation des Sechsers ein gutes Mittel sein. Im Spielaufbau sind die Achter der Wölfe meist sehr hoch positioniert. Pressingfallen im Zentrum wären dementsprechend ein logischer Versuch.

Alles raushauen

Wolfsburg mag in der Offensive bisher eine Ladehemmung haben. Doch trotz ihrer wenigen Tore sind sie gerade in Umschaltmomenten nicht ungefährlich. Bei den Bayern kommt zudem ein offensichtliches und nachvollziehbares Fitnessproblem hinzu. Flick hat kaum noch Optionen und mit Thiago fehlt nun ein weiterer Spieler gesperrt, der für die nötige Präsenz gegen das starke Mittelfeldzentrum der Gäste wichtig gewesen wäre.

Vielleicht kehren Leon Goretzka und/oder Corentin Tolisso rechtzeitig zurück. Eine große Frage wird außerdem sein, ob Joshua Kimmich wieder ins Mittelfeld rückt. Damit würde Flick zwar ein klares Tempodefizit in der Innenverteidigung provozieren, aber er braucht eben auch einen Sechser, der das Spiel diktieren und gestalten kann.

Egal wie er sich entscheidet, es wird eine Notlösung brauchen. Wolfsburg kommt mit Selbstvertrauen und guten Ergebnissen im Rücken nach München. Der Rekordmeister muss seine letzten Kräfte mobilisieren und von Beginn an die Kontrolle an sich reißen. Je länger die kompakte Defensive des VfL aber die Null halten kann, umso schwieriger wird es für die Bayern. Vieles deutet auf ein langwieriges, kompliziertes und schwieriges Spiel hin. Es steht aber außer Frage, dass der FC Bayern nur dann von einem einigermaßen ruhigen Weihnachtsfest sprechen kann, wenn die drei Punkte in der Allianz Arena bleiben. Für solche Tage wurde wohl die Phrase „alles raushauen“ erfunden.

1 Expected Goals ist eine Metrik, die versucht Qualität von Torabschlüssen zu messen, indem sie jedem Abschluss eine Wahrscheinlichkeit zuordnet. Die Modelle funktionieren jeweils unterschiedlich, weshalb es zu starken Abweichungen zwischen ihnen kommen kann. Im Verbund mit anderen Statistiken und dem subjektiven Eindruck können sie aber eine Annäherung an Objektivität ermöglichen. Hier und folgend (außer es wird explizit anders angegeben) wurden die Daten von fbref.com verwendet, weil die ihre Werte von Statsbomb beziehen, die wiederum als Goldstandard in Sachen Expected Goals gelten.

Vorschau-Tippspiel

Im Vorschau-Tippspiel tippe ich den gesamten Bundesliga-Spieltag. In unserer Kicktipp-Gruppe könnt ihr euch mit mir und allen anderen messen. Der oder die GewinnerIn der Kicktipp-Runde bekommt von mir ein signiertes Exemplar Generation Lahmsteiger.

Hier geht es zur Kicktipp-Runde!

Spieltagssieger

Mit 16 Punkten gewannen diesmal 6 Tipper(Innen?) den Spieltag: ChrisCullen, It_s_me, Jonas_, Lupous, timw_98 und zoot_jw. Hier die Top 5:

  1. Dominik – 205 Punkte (0.33 Spieltagssiege)
  2. Edlan – 205 Punkte (0 Spieltagssiege)
  3. Jona_Brauni – 203 Punkte (1 Spieltagssiege)
  4. Beltiboy – 203 Punkte (0 Spieltagssiege)
  5. Andreas, CH1310, dain und Isarläufer – 199 Punkte (0 Spieltagssiege)

Lahmsteiger: Platz 45 – 182 Punkte (0 Spieltagssiege)

So läuft es gegen Wolfsburg …

Ich habe es ja bereits geschrieben und fürchte, es wird so kommen: Dafür wurde die Phrase „alles raushauen“ erschaffen. Wenn die Bayern aus einer möglicherweise guten Anfangsphase zu wenig Kapital schlagen, wird es ein richtig zähes Ding. Ich glaube, dass es entweder ein deutlicher Sieg durch frühe Tore wird oder Wolfsburg das Spiel bis zur letzten Minute offen hält. Bayern gewinnt wieder knapp. 2:1 durch ein spätes Tor.

So könnte Bayern spielen …

4-3-3: Folgt, sobald Flick bekanntgegeben hat, ob Tolisso und/oder Goretzka dabei sind

Es fehlen: Hernández, Süle, Arp, Cuisance, Coman (alle verletzt), Goretzka und Tolisso noch unsicher; Thiago gesperrt (fünfte gelbe Karte)

So läuft der Spieltag …

Hoffenheim 1:1 Dortmund
Bayern 2:1 Wolfsburg
Mainz 1:2 Leverkusen
Köln 2:1 Bremen
Schalke 2:1 Freiburg
Leipzig 4:0 Augsburg
Hertha 1:2 Gladbach
Düsseldorf 1:1 Union
Paderborn 1:2 Frankfurt

Danke und eine erholsame Winterpause!

Wer meine kleine Blogger-Karriere seit 2015 verfolgt, der weiß, dass ich ein Mann der vielen Worte bin! In depth oder nix! Deshalb möchte ich mich in aller Ausführlichkeit auch nochmal persönlich bei Euch bedanken, bevor wir das noch als ganzes Team tun werden. Die Diskussionen in den Kommentaren sind meist sachlich, oft ergiebig und noch viel häufiger ergeben sie einen Mehrwert. Ausnahmen gibt es immer wieder. Wenn ich aber die Diskussionskultur in unseren Kommentaren mit der auf anderen Seite vergleiche, hätte es uns auch schlimmer treffen können. ;)

Außerdem möchte ich eine kleine persönliche Note mit einbringen: Gerade das Jahr 2019 war für mich in vielen Bereichen ein voller Erfolg. Das Vorschau-Format, das ich nun seit 2016 für Miasanrot vorantreibe, macht mir aber bei allem, was ich so schreibe und mache, immer noch am meisten Spaß. Hier lerne ich nicht nur viel über andere Mannschaften, sondern auch über den Fußball im Allgemeinen. Wer einen solchen Aufwand betreibt, der merkt zumindest im Ansatz, wie schwer die alltägliche Arbeit von Trainer- und Analyseteams ist. Ich freue mich, wenn ich einen Gegner gut treffe. Ich ärgere mich, wenn es mir nicht gelingt. Aber vor allem erdet die regelmäßige Auseinandersetzung mit Problemen und Erfolgen anderer Klubs ungemein.

Noch habe ich die Zeit, das in aller Regelmäßigkeit in dieser Detailtiefe zu tun. Hoffentlich bleibt das noch das eine oder andere Jahr so. Dieses Format liegt mir sehr am Herzen und es ist auch dank des zahlreichen Feedbacks in den Umfragen und den Kommentaren gewachsen. In diesem Sinne: Auf ein schönes Spiel gegen Wolfsburg, eine erholsame Winterpause und eine tolle Rückrunde mit vielen spannenden Spielvorschauen.

Danke
Euer Justin



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