Vorschau: Hamburger SV – FC Bayern München

Justin Trenner 23.09.2016

Mit Ulrich, der eine enge Bindung zum HSV hat, haben wir über das Chaos im Verein gesprochen. Er betreibt seit viereinhalb Jahren den Blog „HSV-Arena“.

Hallo Ulrich, erzähl uns kurz wer Du bist und was den HSV für dich so besonders macht.

Gern. Ich bin 52 Jahre alt, gebürtiger Hamburger, habe selbst 8 Jahre für den HSV gespielt (2. Mannschaft), seit ca. 40 Jahren HSV-Anhänger und früherer Westkurven-Gänger. Als Fußball-Fan, der selbst halbwegs erfolgreich gekickt hat, gab es für mich in meiner Stadt keine Alternative zum HSV, wobei ich alles andere als ein St. Pauli-Hasser bin. Ich habe 8 Jahre für die SportBild gearbeitet und betreibe nun seit ca. 4 ½ Jahren den größten privaten HSV-Blog.

Hamburg ist seit einigen Jahren der erste Klub, den man mit dem Wort “Chaos” verbindet. Letzte Saison dachte man, dass der HSV endlich stabil ist. Nach dem Fehlstart ist die Unruhe zurück. Wie ist dein Eindruck zur Situation?

Der Eindruck ist eine einzige Katastrophe. Der HSV hängt am Tropf des Milliardärs Klaus-Michael Kühne und die aktuellen “Machthaber” haben alles getan, damit es dazu kommt. Der Verein ist in keinster Weise stabil, sondern nach wie vor ein fragiles Gebilde, in dem Seilschaften und Intrigen an der Tagesordnung sind.

Es gehen Gerüchte um, dass Labbadia kein gutes Verhältnis zu Investor Kühne hat und deshalb bald den Hut ziehen müsse. Wie beurteilst Du das?

Ich denke, dass Labbadia überhaupt kein Verhältnis zu Kühne hat bzw. umgekehrt. Kühne ist es am Ende des Tages komplett egal, wer Trainer des HSV ist, er will Erfolg sehen. Wenn Kühne allerdings den Daumen senkt, wird das Gleiche passieren wie bei Peter Knäbel und Oliver Kreuzer. Beiersdorfer wird den Trainer noch am selben Tag feuern, damit er selbst nicht in die Schusslinie gerät.

Steht bei HSV-Fan Ulrich hart in der Kritik: Dietmar Beiersdorfer.(Foto: Matthias Hangst / Bongarts / Getty Images)
Steht bei HSV-Fan Ulrich hart in der Kritik: Dietmar Beiersdorfer.
(Foto: Matthias Hangst / Bongarts / Getty Images)

Ist der Trainer deiner Meinung nach der richtige Mann für den HSV?

Die Frage muss anders gestellt werden: Gibt es in der aktuellen Konstellation überhaupt den richtigen Trainer für den HSV (hierzu empfehle ich die Lektüre der wöchentlichen Kolumne von Daniel Jovanov). Der Trainer Labbadia macht Fehler, aber die macht jeder Trainer. Der Trainer ist im Gesamtkonstrukt HSV das geringste Problem.

Viele Gegentore in der Bundesliga fielen ziemlich spät. Haben die Hamburger ein Fitness-Problem?

Nein, sie haben ein Kopf-Problem.

Kommen wir zum Spiel am Wochenende. In welcher taktischen Ausrichtung erwartest Du den HSV gegen die Bayern?

Ich gehe davon aus, dass der HSV aus einer massiven Abwehr versuchen wird, mit langen Bällen auf Gregoritsch zu arbeiten und so für temporäre Entlastung zu sorgen. Ansonsten wird es darum gehen, das Ergebnis in erträglichen Grenzen zu halten.

Wie geht das Spiel aus und wo geht die Reise für den Dino kurz-, mittel- und langfristig hin?

Ich gehe davon aus, dass das Ergebnis deutlich ausfallen wird, abhängig natürlich davon, inwiefern die Bayern das Spiel zu Ende spielen wollen. Die Reise für den HSV wird auch in dieser Saison wieder gegen den Abstieg gehen, daran bestehen nur wenig Zweifel. Mittel- und langfristig ist im Grunde alles von Kühne abhängig und davon, wie lange er an dem Underperformer Beiersdorfer festhalten möchte.

Inwiefern Underperformer? Was kritisierst Du im Detail an seiner Arbeit?

Alles. Er wurde von der Mitglieder-Initiative HSVPLUS ins Amt gehoben, die ganz klare Zielsetzungen hatte. 1 ½ Jahre später wusste Beiersdorfer nichts mehr von diesen Zielen. Er hat mehr als 90 Millionen Euro in 2 Jahren für sportlichen Durchschnitt verpflichtet, einen Trainer nach dem anderen gefeuert, dem Verein kein Profil gegeben, nichts. Er stopft sich die Taschen voll, ist der teuerste Vorstand in der Geschichte des Vereins und hat den HSV an Investor Kühne verschenkt, ohne den der Verein nicht mehr lebensfähig ist.


Die Situation in Hamburg ist mehr als kurios. Mittlerweile kann man diesen Satz in jeder Saison wiederholen.

Die Gründe dafür scheinen in der Vereinsstruktur zu liegen. Wir wollen uns dennoch mit der Mannschaft und dem sportlichen Konstrukt der Hanseaten beschäftigen. Können die Hamburger überhaupt etwas gegen den FC Bayern holen?

Die Stärken des HSV

Man kann im Moment schlicht keine großen Stärken festmachen und deshalb ist es auch schwierig, die Labbadia-Elf in eine aussichtsreiche Position für das Spiel am Samstag zu bringen. Grundsätzlich muss der HSV versuchen aus einer kompakten Defensive Umschaltmomente zu kreieren. Auf dem Papier haben sie mit Müller und Kostic zwei sehr gute Konter-Spieler in ihrem Kader. Speziell bei letzterem ist ein Einsatz aber noch fraglich.

Es klingt nach einer unmöglichen Aufgabe und bei Hamburg muss sich im Moment so vieles in diesem einen Spiel ändern, dass ein Punktgewinn maximal unwahrscheinlich scheint. Vielleicht liegt genau darin die große Gefahr. In der vergangenen Saison lagen die Stärken der Hanseaten in einem recht ordentlichen Gegenpressing im Mittelfeld und daraus resultierenden Umschaltmomenten. Das direkte Spiel in die Spitze führte zu vielen Zweikämpfen und einem chaotischen Spiel.

Dieses Chaos war speziell beim Heimsieg über den BVB zu beobachten. Man zog die Ballbesitzhungrige Mannschaft von Thomas Tuchel auf dieses Niveau und beschränkte die Partie darauf, dass die Zweikämpfe im Mittelfeld entscheidend waren. Aktuell ist der HSV aber nicht in der Lage das auf den Platz zu bringen. Die sonst sehr durchschnittliche und für den Klassenerhalt ausreichende Qualität ist noch nicht vorhanden.

Lediglich gegen Leverkusen deuteten die Hamburger an, dass sie es einem starken Gegner durchaus schwer machen können. Wenn die Hanseaten nicht das Spiel machen müssen, fühlen sie sich deutlich wohler. Immerhin gewinnen sie etwas mehr als die Hälfte ihrer Zweikämpfe. Grundsätzlich ist auch nicht alles schlecht. Es wirkt sogar, als wäre die Mannschaft einfach noch nicht auf einem physischen und psychischen Level, das sie 90 Minuten ihr Niveau halten kann. Alle Gegentore fielen in dieser Saison nach der 60. Minute. Teilt man die Spiele in sechs 15-Minuten-Abschnitte, so kassierten die Hanseaten drei Treffer im fünften Sechstel und sechs im letzten.

Die Schwächen des HSV

Bruno Labbadia ist bekannt dafür, dass er einen direkten Weg ins Mittelfeld sucht. Dafür überbrückt seine Mannschaft im Aufbau gerne die zweite Linie und versucht den Ball ohne Umwege in die gegnerische Hälfte zu bringen. Meist ist eine 3-1-5-1-Staffelung im Aufbau zu erkennen. Der eine Sechser steht zudem ziemlich hoch und lässt den Sechserraum häufig frei. Hier ist der Zugriff für die Gegner ziemlich einfach.

Das Problem ist allerdings nicht dieser Abstand zwischen den Mannschaftsteilen an sich, sondern die Spielertypen, die Labbadia dafür hat. In der aufbauenden Dreierkette gibt es keinen Spieler, der ein überdurchschnittliches, vertikales Passspiel beherrscht. Außerdem ist die Positionierung der Akteure im Mittelfeld häufig so schlecht, dass es den Verteidigern zusätzlich erschwert wird. Auf 289,75 erfolgreiche Pässe kommen pro Spiel 104,25 Fehlpässe.

Die Passmap aus dem Spiel gegen Leverkusen bestätigt diese chaotische Struktur. Zwar spielten sie dort gegen einen deutlich stärkeren Gegner, aber gerade das vertikale Spiel im Aufbau wird hier nochmal unterstrichen. Dort sind Hunt und Holtby zurzeit nicht in der Lage den Weg zu den gefährlichen Spielern zu finden. Nicolai Müller ist viel unterwegs, kann aber ebenfalls nicht für die entscheidenden Momente sorgen. Sowohl er als auch Bobby Wood und Kostic hängen in der Luft.

Es fehlt im Moment an kollektiver Qualität. Es braucht im Idealfall einen Spieler im Achter- und Zehnerraum, der Verbindungen kreieren kann und die durchaus vorhandene individuelle Qualität von Holtby, Hunt, Müller, Wood und Kostic strukturiert. So ein Spieler könnte Alen Halilovic sein. Der Neuzugang von Barcelona zeigte einige sehr gut Ansätze, ist laut Bruno Labbadia aber noch nicht bereit für die Startelf.

Auch die Expected-Goals-Tabelle bestätigt den katastrophalen Start der Hamburger. Bei Expected Goals geht es darum, die Torchancen zu bewerten. Je nach Entwicklung, Entstehung und Entfernung der Möglichkeit werden Werte bis zu 1,0 ausgegeben. Natürlich hat dieser Wert keine Aussagekraft über den tatsächlichen Sieger, aber sehr wohl über die Qualität der herausgespielten Torszenen. Der HSV ist hier letzter mit 0 Punkten und unterperformt in allen Bereichen.

Bruno Labbadia ist durchaus kein schlechter Trainer und auch im Kader steckt weitaus mehr. Ein vernünftiger Aufbauspieler sowie ein Nadel- und Verbindungsspieler in der offensiven Zentrale würden bereits einiges verbessern. Darauf muss der 50-Jährige aber verzichten und so gilt es Lösungen zu finden.

Darauf sollten die Bayern achten

Am Samstag wird der HSV sehr wahrscheinlich versuchen, die Bayern über Aggressivität und Zweikampfstärke auf ein niedrigeres Level zu ziehen. Davon dürfen sie sich nicht beeindrucken lassen. Spielt der Rekordmeister ein so ordentlich strukturiertes Spiel wie gegen Hertha, so dürfte nichts anbrennen. Vidal und Thiago haben mit ihrem Herauskippen auf die Flügel endlich wieder für Dreiecke gesorgt. Der FC Bayern tut gut daran diese auch in Hamburg wieder zu zeigen.

Die Unterstützung im Halbraum tut vor allem Ribéry gut, der neben Alaba noch eine zentralere Anspielstation benötigt, um sich voll zu entfalten. Was weiterhin etwas abgeht ist allerdings das Gegenpressing. Der direkte Zugriff auf den Gegner ist nicht immer so gut. Während Thiago und Vidal Spielertypen sind, die gerne sofort attackieren, lassen sich andere voll auf den Ancelotti-Stil ein. Das führt manchmal zu ganz kleinen Unordnungen in der Staffelung gegen den Ball. Speziell Gegner wie Atlético Madrid sind immer in der Lage diese kleinen Unachtsamkeiten zu bestrafen. Ob der HSV das kann wird sich zeigen, aber grundsätzlich wird es wichtig sein hier die Ordnung über 90 Minuten zu behalten. Entweder pressen alle aggressiv oder die Mannschaft lässt sich kompakt etwas fallen.

Ist der Fokus bei den Bayern auf diese Partie vorhanden, dürfte der HSV keine Chance haben. Gerade in den letzten drei Gastauftritten in Hamburg war es jedoch nicht immer so einfach.

Bruno Labbadia wirkt angeschlagen, gibt sich aber kämpferisch.(Foto: Matthias Hangst / Bongarts / Getty Images)
Bruno Labbadia wirkt angeschlagen, gibt sich aber kämpferisch.
(Foto: Matthias Hangst / Bongarts / Getty Images)

Statistiken zum Spiel

Die letzten fünf Spiele gegen die Hamburger

Bilanz

  • 116 Pflichtspiele, 70 FCB-Siege, 22 HSV-Siege, 24 Unentschieden
  • 266:121 Tore für den FC Bayern
  • Aktuelle Serie: Der Rekordmeister ist 15 Spiele gegen die Hanseaten ungeschlagen (12 Siege, 3 Unentschieden, 55:7 Tore).

Fun Facts

  • Mit dem 3:0-Erfolg über Hertha BSC haben die Münchner nun nach vier Spieltagen die beste Bilanz aller Teams in der Bundesliga-Historie.
  • Hamburg hat hingegen seinen schlechtesten Saisonstart seit fünf Jahren hingelegt. Erst einen Punkt konnten sie holen.
  • Drei Spiele in Folge hat Bruno Labbadias Mannschaft jetzt verloren. So viele Niederlagen am Stück gab es in Hamburg unter ihm noch nie.
  • Acht der neun HSV-Gegentreffer wurden von Einwechselspielern erzielt. Sollte Lewandowski vielleicht von der Bank kommen?
  • Der Pole war übrigens in zwölf Spielen gegen die Hanseaten an 15 Treffern direkt beteiligt.
  • In sieben der letzten 13 Pflichtspiele kassierte der HSV mindestens vier Gegentore gegen den Rekordmeister.
  • In 102 Bundesliga-Duellen der beiden Teams gab es erst sieben Platzverweise. Atouba, Benjamin, Stein, Spörl und Kovacevic flogen beim HSV und van Bommel sowie Boateng bei den Bayern.
  • 23 Bundesliga-Partien konnte der amtierende Meister bereits in Hamburg gewinnen. Nur in Stuttgart gelangen mehr Siege (27).
  • Den höchsten Heimsieg des HSV gegen die Bayern gab es am 1.4.1977 (5:0). Der FCB wiederum feierte den höchsten Sieg in Hamburg am 14.02.2015 (8:0).
  • Bruno Labbadias Mannschaften sind eine Art Lieblingsgegner des FC Bayern. In 16 Duellen hagelte es für den ehemaligen Bayern-Stürmer 14 Niederlagen. Immerhin konnte er die anderen beiden Spiele für sich entscheiden.

Fünf Thesen zum Spiel

  1. Die Bayern kassieren kein Tor.
  2. Lewandowski beendet seine unfassbar lange Durststrecke von einem Spiel und trifft mindestens ein Mal.
  3. Arjen Robben wird wieder an mindestens einem Treffer direkt beteiligt sein.
  4. Es fallen mehr als drei Tore.
  5. Der Schiedsrichter wird die gelbe Karte mehr als drei Mal zeigen.

Lediglich Dardais Viererkette brachte mir in der Hertha-Vorschau ein Pünktchen. Sonst blieben die Berliner weit unter meinen Erwartungen.
Gesamtstand: 15/30