Vorschau: Hertha BSC – FC Bayern München

Justin Trenner 17.02.2017

Für eine optimale Einschätzung der alten Dame haben wir uns erneut Marc Schwitzky eingeladen. Er ist Chefredakteur von Hertha Base und gibt uns Einblicke in die kleine Formkrise der Berliner.

Hallo, Marc. Bereits in der Hinrunde haben wir miteinander gesprochen. Damals aber über eine sehr erfolgreiche Hertha. Wieso folgte jetzt ein Einbruch und war das zu erwarten?

Herthas Rückrunden der letzten Jahre haben es zumindest nahegelegt, dass es einmal so laufen könnte. Die Wintervorbereitung war von der Frage geprägt, wie man einen erneuten Einbruch verhindern könnte. Anscheinend haben die Verantwortlichen keine wirkliche Antwort gefunden.

Wieso nicht?

Die Antwort auf deine Frage fällt schwer, denn es gibt viele, aber auch unbegreifliche Faktoren. Der Einbruch ließ sich bereits in der Hinrunde erkennen, sogar der genaue Zeitpunkt. Seit dem Spiel gegen den FC Augsburg (11. Spieltag), also seitdem Mitchell Weiser fehlt, läuft es spielerisch nicht mehr rund. Doch die damaligen Gegner, wie Wolfsburg, Mainz und Darmstadt verziehen dies und man holte aus den sieben letzten Spielen der Hinrunde noch zehn Punkte. Keine großartige Ausbeute, aber eben eine, die so gut war, dass sie die bereits aufgetretenen Probleme verschleierte.

Du sprichst den Ausfall Weisers an. Ist die Mannschaft so abhängig von ihm?

Durch den Ausfall Weisers verloren wir unseren wohl wichtigsten Feldspieler, der durch seinen Spielstil, seine Technik und Schnelligkeit ein Hauptfaktor für Herthas Offensive ist. Mit Weiser erreichte Hertha bis hierhin zehn Pflichtspielsiege, in sechs von ihnen war er an einem oder mehreren Toren direkt beteiligt. Zudem ist er sechsmal am ersten Treffer der Mannschaft beteiligt gewesen. Man ist nicht unwesentlich von ihm abhängig.

Im Jahr 2017 folgte dann doch ein etwas größerer Einbruch. Das kann ja nicht nur mit einem Spieler zusammenhängen, oder?

In der Rückrunde hat die Mannschaft ihren ohnehin schon gestörten Rhythmus nicht gefunden, bei allen Niederlagen (DFB-Pokal gegen Dortmund ausgenommen) wirkte sie blutleer und orientierungslos. Als ob die Mannschaft vergessen hätte, was sie stark macht, eine Kollektivamnesie. Es wäre viel zu leicht, die Krise an Weiser festzumachen, schließlich hat man auch sonst einen guten Kader, aber dieser befindet sich in einem absoluten Formtief. Ein Ibisevic trifft nicht mehr, ein Kalou wirkt nach zehn Minuten ausgelaugt und ein Brooks ist mal wieder Bruder Leichtfuß – es kommt also vieles zusammen. Einzig Rune Jarstein zeigt sich in überragender Form. Aktuell fehlt ein offensiver Ideengeber wohl am meisten, da Stocker für diese Rolle viel zu fahrig und Darida kein reiner Spielmacher ist. Hertha löst aktuell beinahe alles mit langen Bällen und eingestreuten Umschaltaktionen, was für eine Mannschaft im oberen Tabellendrittel einfach zu wenig ist.

Mitchell Weiser ist zu Herthas wichtigstem Spieler gereift.
(Foto: Kern / Bongarts / Getty Images)

Woran liegt es, dass Hertha den nächsten Schritt zu einer Spitzenmannschaft nicht ganz packt?

Wie ich es bereits angeschnitten habe, ist es wohl die Kaderbreite, denn wir können Ausfälle zwar temporär, aber nicht für lange auffangen. Der Star-Einkauf und benötigte Spielmacher, Ondrej Duda, konnte noch keine Minute spielen, aber auch sonst gelingt es Hertha nicht, einen fehlenden Weiser oder einen formschwachen Kalou zu ersetzen.

Ein weiterer Punkt ist die mangelnde taktische Variabilität, denn die Mannschaft kann anscheinend nicht auf die Formkrise reagieren bzw. es verändert sich nichts. Hertha spielt den absolut gleichen Fußball, wie in der Hinrunde, jedoch in allen Bereichen schlechter. Man steht eben nicht mehr so kompakt und verlor auch die Effizienz vor dem gegnerischen Tor, was Hertha ja am meisten auszeichnete. Unser Aufbauspiel war noch nie von Tempo geprägt, doch während es früher abwartend und unaufgeregt war, ist es nun phlegmatisch und ideenlos. Momentan ist man in nichts wirklich schlecht, aber eben niemals über dem Durchschnitt. Auch das ist zu wenig für eine Mannschaft, die nach Europa will.

Aber ist das nicht der Anspruch der Hauptstadt? Auf Dauer wieder oben dabei sein?

Ist es, und auch wenn die letzten Rückrunden nicht gut liefen, hat man es ja schon geschafft, sich in der ersten Tabellenhälfte festzusetzen. Der aktuellen Krise zum Trotz darf man nicht alles schlecht reden und muss erkennen, dass Hertha weiterhin eine großartige Entwicklung erlebt. Vielleicht ist es nun an der Zeit, zu realisieren, dass der Kader für mehr noch nicht im Stande ist. Hertha hat keine Ausnahmespieler wie sie etablierte Top-Teams haben. Spielt sich unsere Mannschaft in Bestbesetzung in einen Rausch, ja, dann kann solch eine Hinrunde mit Platz drei und dreißig Punkten entstehen, aber stecken ein paar Spieler in einer Formschwäche fest und ein paar andere verletzen sich, dann wird es sehr schwierig, dieses Niveau zu halten. Ich bin mir recht sicher, dass wenn wir im Sommer clevere Transfers tätigen und ein Duda eine gesamte Vorbereitung mitwirken kann, wir erneut eine erfolgreiche Saison spielen können.

Was fehlt der Mannschaft, um auch Teams aus dem oberen Drittel regelmäßig wehzutun?

Teilweise ist es der Mut, wirklich angreifen zu wollen. Zu oft stellt Pal Dardai seine Mannschaft gegen einen FC Bayern oder zuletzt gegen RB Leipzig um. Plötzlich glaubt man nicht mehr an sich und versteckt sich hinter einer Fünfer-Kette und wirft noch ein paar Talente in die Startelf (ihr werdet euch sicher gut an Allans Auftritt im Hinspiel erinnern), denn anscheinend ist es egal, wer spielt. Es fühlt sich dann meist nach Abschenken an.

Gegen Borussia Dortmund, sowohl in der Liga als auch im Pokal, hat Hertha gezeigt, wie überraschend gut man mitspielen kann, wenn man es sich auch zutraut. In diesen Spielen war man zu keiner Minute unterlegen und glich die fehlende Qualität durch Kampf und Wille aus. Diese Spiele machen mir Mut für die Rückspiele mit den Top-Mannschaften der Liga.

Bist Du optimistisch, dass die alte Dame bald den nächsten Schritt gehen kann?

Wenn der nächste Schritt bedeutet, dass man sich unter den ersten acht festsetzt, dann ja. Herthas Führung ist mittlerweile hoch professionell und die Mannschaft hat großes Potenzial. Sicherlich ist davon auszugehen, dass uns die vielversprechendsten Spieler wie Weiser, Brooks oder Darida in den nächsten Jahren verlassen werden, aber wenn man das dadurch generierte Geld gut investiert, kann man den nächsten Schritt gehen. Die Basis stimmt und Mönchengladbach hat vorgemacht, wie es geht.

Kommen wir zum Spiel gegen die Bayern. Mit welcher taktischen Herangehensweise erwartest du die Dardai-Elf?

Pal Dardai ließ bereits verlauten, dass man die Fünferkette im Schrank lässt und mutig auftreten will, das deutet stark auf die gleiche Herangehensweise wie gegen den BVB hin. Ich glaube, dass man die gleiche Formation wählt, wie sonst auch, sie bloß ein wenig defensiver interpretiert. Hertha wird in einem 4-2-3-1 bis 4-3-3 spielen und vermehrt auf Konter setzen, weshalb auch der schnelle und agile Genki Haraguchi eine große Rolle spielen wird.

Die beiden Bundesligisten im Vergleich.
(Grafik: Lukas)

Bayern hat jetzt gegen Arsenal eine Leistungssteigerung gezeigt. Hoffst Du darauf, dass sie in der Bundesliga wieder etwas schleifen lassen?

Natürlich hoffe ich das, aber dieses Spiel könnte auch ein spielerischer Befreiungsschlag gewesen sein, sodass Bayern wieder über alles hinüberrollt. Zunächst ist einmal davon auszugehen, dass Ancelotti gegen uns rotieren lässt und das hilft Hertha bereits. Doch Bayern konnte es sich gegen Ingolstadt und Co. auch erlauben, etwas schleifen zu lassen, sodass es vielleicht keinen Unterschied macht. Wenn sie keinen guten Tag erwischen, nicht das beste Personal aufstellen und nicht denselben Fokus, wie gegen Arsenal haben, dann kann etwas möglich sein.

Wo siehst Du sonst Schwachstellen beim Rekordmeister, die Hertha nutzen kann?

Ich habe das Gefühl, dass die Mannschaft unter Ancelotti an Mittelfeldkontrolle eingebüßt hat und dort öfter überspielt werden kann, da auch die Rückwärtsbewegung etwas statischer geworden ist. Dadurch kommt es zu mehr direkten Eins-gegen-eins-Duellen mit den Innenverteidigern, auf diese Situationen muss Hertha schielen und einen Haraguchi dementsprechend in Szene setzen.

Wie geht das Spiel aus?

Dardai sagte bereits, dass es das Ziel ist, zumindest ein Tor zu schießen. Ich gebe mich mal meinem Fan-Dasein hin und tippe mutig auf 1:1.

Wenn ich mir einen Spieler von der Hertha aussuchen könnte, wäre es Mitchell Weiser. Wen würdest Du dir von den Bayern holen und wieso?

Wie bereits angerissen, fehlt Hertha ein kreativer Spielmacher, daher fiele meine Wahl eindeutig auf Thiago! Ein unglaublicher Ballverteiler, der selbst den Zuschauer, der ein weitaus besseres Sichtfeld von den Rängen und TV-Geräten aus hat, mit seinen Ideen erstaunen lässt. Viele seiner Pässe lösen in mir das “Achja, stimmt!”-Gefühl aus, da ich dieses Zuspiel nicht habe kommen sehen. Ein Thiago-ähnlicher Spieler würde unserer aktuell ideenlosen Offensive also immens weiterhelfen.

Die Bayern haben einen großen Schritt in Richtung Viertelfinale der UEFA Champions League getan. Mit dem 5:1 gegen Arsenal zeigten sie nicht nur die beste Leistung des Jahres, sondern ließen auch einige Kritik vorerst verstummen.

Bereits in unserer Vorschau zum Hinspiel haben wir angesprochen, dass Ancelotti einer für die großen Spiele ist. Seine Philosophie, die Leistung der Mannschaft so zu steuern, dass sie am Ende der Saison auf dem Höhepunkt angekommen ist, scheint zu funktionieren. Zumindest im Moment, denn eine Einordnung des durchaus guten Auftritts am Mittwoch ist auch nötig.

Arsenal, der schlechteste Gegner seit Bremen?

Taktik-Experte Tobias Escher hielt nach dem Spiel auf Twitter fest, dass Arsenal auf taktischer Ebene der schwächste Gegner in der Allianz Arena seit Werder Bremen war. Damit hat er einen validen Punkt getroffen.

Die Gäste agierten ängstlich, zurückhaltend, passiv und boten den Schlüsselspielern des Deutschen Meisters genügend Raum, um zu glänzen. Es war aus dieser Sicht kein Wunder, dass die Bayern sich in einen Rausch spielten.

Arsenal präsentierte sich in München desolat.
(Foto: Alex Grimm / Bongarts / Getty Images)

Wengers Elf zeigte ganz Europa, wie man es in München nicht angehen sollte. Und doch gab es Momente, in denen die Engländer hätten in Führung gehen können. Die Bayern starteten dominant, aber auch ideenlos in diese Partie. Abgesehen von Robbens Traumtor lief im ersten Durchgang nicht viel zusammen.

Der fehlende Rhythmus, das fehlende taktische Gerüst und die Probleme der letzten Wochen machten sich wieder bemerkbar. Ein taktisch besser eingestellter Gegner als Arsenal, die lange nicht mehr zur europäischen Spitze gehören, hätte diese Anlaufschwierigkeiten genutzt.

In der zweiten Halbzeit gab es an der Bayern-Leistung nichts mehr zu kritisieren. Doch auch hier spielten die Geschichte rund um Koscielnys Ausfall und die Tatsache, dass jeder Schuss der Münchner ein Tor war, eine große Rolle.

Am Ende stand eine Leistung zu Buche, die als „okay“ bis „gut“ zu bewerten ist. Quasi als erster Schritt für die kommenden Aufgabe und als Möglichkeit, darauf aufzubauen.

Den Rhythmus finden, Verletzungen vermeiden

Die Partie mit dem FC Arsenal zeigte nämlich eines ganz deutlich: Den ominösen Schalter sofort umzulegen, ist fast unmöglich. Ein anderer Gegner hätte die Zeit, die der Rekordmeister zum hochfahren benötigte, eiskalt ausgenutzt.

Daher ist es wichtig, nun einen Rhythmus zu finden. Die Schlagzahl sollte nun auch in Bundesliga und Pokal erhöht werden. Der Trainer muss dafür die richtige Balance aus Rotation und Beständigkeit finden.

Ancelotti kann in dieser Phase seine ganze Erfahrung ausspielen und muss darauf achten, dass sich sein Team für die großen Partien einspielt, gleichzeitig aber auch Verletzungen vermieden werden.

Die Abhängigkeit von der individuellen Klasse ist enorm. Noch stärker, als in den vergangenen Jahren.

Die Münchner sind in Ballbesitz ebenso sehr auf Einzelaktionen von Robben, Thiago und Lewandowski angewiesen, wie auf Javi Martínez‘ Zweikampfstärke in der Defensive. Das war auch in den vergangenen Jahren so, aber jetzt vielleicht höher denn je.

Arjen Robben ist in herausragender Verfassung und in der Lage, die ganze Offensive zu tragen.
(Foto: Marc Mueller / Bongarts / Getty Images)

Es war auch gegen Arsenal eher ein Sieg des Willens, der mentalen Stärke und der Klasse einzelner Akteure, als ein Sieg der Taktik.

Der Anfang ist gemacht

Diese mentale Stärke ist allerdings ein großes Plus im letzten Saisondrittel. Wer die Mannschaft am Mittwoch genau beobachtet hat, konnte erkennen, dass es einfach stimmt.

Der Wille von Vidal, die Leidenschaft von Thiago oder das Vorangehen von Robben: Diese Elf präsentierte sich als Einheit, die alle Probleme zumindest in einem Spiel über Effizienz und Mentalität kaschieren konnte.

Ob das immer so funktionieren kann, steht auf einem anderen Blatt, aber es war ein großer Schritt nach vorne. In den nächsten Wochen liegt es am gesamten Team, auf diesen Schritt weitere folgen zu lassen. Bereits gegen Hertha BSC können die Münchner den nächsten machen und sich Selbstvertrauen aufbauen.

Denn bei aller Euphorie: Die Leistungssteigerung ist nichts wert, wenn sie aufgrund von fehlendem Rhythmus nicht ausgebaut werden kann. Und das ist für die ganz großen Ziele zwingend notwendig.

Fünf Thesen zum Spiel

  1. Arjen Robben wird an mindestens einem Tor direkt beteiligt sein.
  2. Robert Lewandowski trifft.
  3. Kimmich spielt von Anfang an.
  4. Hertha trifft nicht.
  5. Die Bayern gewinnen dieses Auswärtsspiel.

Volltreffer! Alle fünf Thesen aus der Arsenal-Vorschau trafen zu. Gesamt: 71/135.