Vorschau: Flick auf dem Prüfstand?

Justin Trenner 15.01.2021

Aufgrund des äußerst erfolgreichen Jahres 2020 ist es gefühlt eine Ewigkeit her, dass die Münchner derart verwundbar waren wie zurzeit. Tatsächlich ist der Herbst 2019 aber gar nicht so lange her. In diesem Artikel wollen wir versuchen, die taktisch geprägten Probleme des FC Bayern zu analysieren.

Umfassend wird das kaum gelingen. Hansi Flick selbst sprach nach dem Ausscheiden gegen Kiel von vielen kleineren Puzzleteilen, die aktuell nicht optimal passen würden. Am Ende dieses Artikels wird aus den von uns beschriebenen Puzzleteilen kein fertiges Puzzle entstehen. Dafür ist die Situation zu komplex. Aber wir wollen dennoch einen Beitrag dazu leisten, sie ein Stück weit zu erfassen und zu erklären.

Darüber hinaus werden wir Lösungsansätze anbieten. In den letzten Tagen haben wir uns mit verschiedenen Trainer*innen unterhalten, deren Arbeitsniveau vom DFB-Level bis zur Kreisliga reicht. Was uns hinsichtlich der Lage des FC Bayern vor allem interessiert hat: Was ist in der aktuellen Coronasituation für Hansi Flick möglich? Und inwiefern sind die Probleme vom Trainer hausgemacht? Die Trainer*innen werden wir nicht nennen, weil die Gespräche nicht mit dem Ziel geführt wurden, daraus einen Artikel zu machen. Dennoch war es uns wichtig, diesen Prozess offen zu legen.

Bayerns größte Probleme

Bevor wir ins taktische Detail gehen, schauen wir nochmal auf die verschiedenen Probleme im Bayern-Spiel:

  • Ladehemmung in der Offensive: Bayern spielt sich in der Bundesliga pro Spiel nur noch 15 Abschlüsse heraus (18,1 in der letzten Saison); auch bei den Expected Goals haben sich die Münchner verschlechtert (2,08 pro Spiel in dieser Saison, 2,42 in der letzten) – die Vergleichswerte zur letzten Saison beinhalten dabei auch die Auftritte unter Niko Kovač (2,32 xG zu 1,21 xGA in den ersten 10 Spielen // 2,46 zu 0,93 danach)
  • Gegentorflut: Die Bayern kassieren massig Gegentore (nach 15 Liga-Spielen schon 24); auch bei den Expected Goals against sind die Werte schlecht (20,7 bzw. 1,38 pro Spiel); im Schnitt lassen die Münchner 1,4 Abschlüsse des Gegners mehr pro Spiel zu als in der letzten Saison (10,7)
  • Fehlende Souveränität: Selbst nach einer deutlichen 2:0-Führung und einer recht dominanten Anfangsphase gelang es den Bayern gegen Gladbach beispielsweise nicht mal, das Ergebnis in die Pause zu bringen. Konstanz ist aktuell ein Fremdwort und die Stärken flackern höchstens phasenweise auf.
  • „Kein Druck auf den Ball“: Diesen Satz hat Hansi Flick in den letzten Wochen schon häufig gesagt. Verbesserung im Spiel selbst gab es nicht. Damit meint Flick vor allem, dass es den Münchnern nicht mehr gelingt, den Gegner an langen Bällen zu hindern beziehungsweise sie so unter Druck zu setzen, dass die Schläge unkontrolliert ausgeführt werden.

Es gäbe sicher noch andere Punkte, doch alle ließen sich vermutlich hier einordnen. Im nächsten Schritt gehen wir ins Detail und schauen uns zunächst einzelne Ursachen für die aufgezählten Schwächen an, um dann zu analysieren, inwiefern es zuvor besser lief und wie Flick dem jetzt entgegenwirken könnte.

Das 4-Phasen-Modell von Louis van Gaal eignet sich gut, um der Aufzählung der taktischen Probleme eine Struktur zu geben. Auch wenn das Modell mittlerweile in der Trainerwelt diskutiert wird, ist es eine gute Grundlage. Allerdings trennen wir unsere Analyse hier nicht strikt in die vier Phasen, sondern in Ballbesitz sowie dem dazugehörigen Umschalten in die Defensive (also bei Ballverlusten) und in die Verteidigungsphase (ohne Ball) sowie dem dazugehörigen Umschalten in die Offensive (Ballgewinne).

Probleme in Ballbesitz und beim Umschalten in die Defensive

1. Einfache Ballverluste – Dynamik ist nicht immer Trumpf

Was die Bayern in der vergangenen Saison unter Flick so stark gemacht hat, ist ein dynamisches Positionsspiel. Das bedeutet, dass Räume bewusst offen gelassen werden, um sie dann im weiteren Verlauf des Spielzugs zu besetzen und zu bespielen. Bei den Bayern sieht das in etwa so aus:

Die Halbräume rechts und links von Kimmich sind größtenteils offen und können von den Spielern in der letzten Linie erlaufen werden. Dargestellt ist die extrem offensive Variante. Oft lässt sich Goretzka auch neben Kimmich fallen, um den Spielaufbau zu unterstützen – gerade gegen druckvolle Teams. Am Prinzip der dynamischen Raumbesetzung ändert das dann aber auch nichts.

Der Vorteil liegt darin, dass der Gegner nicht weiß, wann diese Läufe erfolgen. Bayern kann dadurch mit einem vertikalen Pass das Tempo anziehen und die Gegenspieler unter Druck setzen. Der sich anbietende Spieler hat in er Regel mehr Zeit für seine Anschlussaktion als aus dem Stand heraus, weil der Gegenspieler erst noch Zeit für eine Reaktion braucht.

Als das Spiel der Flick-Bayern auf dem Höhepunkt war, waren diese Läufe perfekt aufeinander abgestimmt. Während einige Spieler sich fallen ließen, gingen andere in die Tiefe, um den Raum zwischen den Linien auseinanderzuziehen. Als Anschlussaktion boten sich meist ein Klatscher auf den nachrückenden Sechser, ein direkter Ball auf den Flügel oder ein Aufdrehen mit anschließendem Dribbling oder Kombinationsspiel an.

In dieser Saison stocken diese Aktionen. Die Gründe dafür sind schwer zu ergründen. Es ist möglich, dass die Läufe der Spieler nicht mehr optimal aufeinander abgestimmt sind. Die Bayern schaffen es nicht mehr so konsequent, den Zwischenlinienraum zu öffnen und sich dort Zeit zu verschaffen. Stattdessen gelingt es den Gegnern zu oft, die Bälle abzufangen. Gegen Gladbach führten beispielsweise drei einfache Fehlpässe zu den Gegentoren.

Wird der Ball beispielsweise zu früh gespielt oder abgefangen, kann es zu einer Kontersituation für den Gegner kommen, in der die Bayern in Unterzahl sind. So extrem wie in der Grafik dargestellt ist es nur selten, aber es soll das Problem verdeutlichen.

2. Fehlende Tiefe – zu viele Planlos-Flanken und überhastete Abschlüsse

Daran knüpft die fehlende Tiefe im Spiel der Bayern an. Denn wo Spieler entgegen kommen, sollten idealerweise eben auch welche in die Tiefe gehen. Stehen die Münchner in der letzten Linie aber so wie oben dargestellt, ist es schwerer, für überraschende Tiefenläufe zu sorgen. Gerade Goretzka und Müller sind optimale Spieler für diese Aufgabe.

Das Problem ist, dass Goretzka lange in einer tieferen Rolle gefangen war und dann mit seiner Fitness zu kämpfen hatte. Müller hingegen steckt in einer kleinen Formkrise. Seine Einbindung ins Spiel ist nicht optimal, er vertändelt viele Bälle und kann nicht den Einfluss nehmen wie sonst. Gerade bei ihm und Gnabry ist deutlich zu merken, dass sie überspielt sind. Und so kommt es häufig zu Fernschüssen, die in der Regel wenig Gefahr ausstrahlen.

Steht der Gegner so kompakt wie Kiel, haben die Bayern oft nur noch eine Lösung anzubieten: Flanken. Nicht etwa gut herausgespielte Flanken, sondern schrotflintenartig in den Strafraum gebolzte Bälle. Quasi die „Hail Mary“ des Fußballs. Wir schlagen den Ball einfach mal rein und schauen, ob was möglich ist. Statt dann aber auf zweite Bälle zu gehen, fehlt den Bayern selbst hier zu oft der Zugriff. Strafraumbesetzung und Qualität der Flanken sind in den meisten Fällen nicht gut.

3. Die Rolle der Außenverteidiger

Auch hier ist eine Überleitung zum nächsten Punkt nicht allzu schwer. Die Außenverteidiger sind im Spiel von Hansi Flick sehr wichtig. Nicht nur, weil sie im Pressing gebraucht werden, sondern auch in der Spieleröffnung. In der letzten Saison waren die Bayern im Spielaufbau kaum zu verteidigen, weil sie verschiedene Wege nach vorn hatten. Einer davon war der Versuch, das gegnerische Pressing über die Außenverteidiger zu triggern.

In der Bundesliga versuchen viele Mannschaften, die Außenverteidiger des Gegners zu isolieren und unter Druck zu setzen, weil ein Ballgewinn dort einerseits sehr verlockend ist und andererseits die Außenverteidiger durch die Seitenlinie in ihrem Aktionsradius eingeschränkt sind. Pavard und Davies wurden deshalb immer wieder ganz bewusst in Drucksituationen geschickt. Die Mannschaft konnte sich auf ihre Qualitäten verlassen. Während Pavard sich über sein gutes Passspiel zu befreien wusste, schaffte es Davies über seine Dribblings.

In dieser Saison haben beide damit Probleme. Pavard ist in einer offensichtlichen Formkrise, Davies scheint es an Unterstützung zu fehlen. Die diagonalen Wege zwischen die Linien des Gegners sind gefühlt länger geworden, beide finden die Auswege aus den Drucksituationen nicht mehr zuverlässig genug und leiten damit Konter des Gegners ein.

Lösungsansätze mit dem Ball

Wäre es einfach, für all diese Probleme in Ballbesitz eine Lösung zu finden, hätte Flick sie wohl längst gehabt. Zumal der 55-Jährige in Kolleg*innenkreisen als jemand bekannt ist, der sich und seine Mannschaft ständig hinterfragt. Bisher hat er es mit kleineren Anpassungen versucht, um die Lage wieder in den Griff zu bekommen. Darunter war neben personellen Wechseln auch eine konsequent tiefere Positionierung des rechten Verteidigers zu beobachten. Darüber hinaus versuchte Flick sich an einer veränderten Staffelung im Mittelfeld. Statt einer Doppelsechs probierte er ein 4-1-2-3 aus.

Hier könnte vielleicht wirklich der Schlüssel für ein souveräneres Ballbesitzspiel liegen. Als Flick gegen Kiel auf diese Formation wechselte, entwickelten die Bayern mehr Dominanz und Kontrolle in ihrem Spiel, drückten Kiel in der Verlängerung phasenweise hinten rein. Die Spieler hielten sich dann mehr an ihre Positionen auf dem Papier, standen enger beieinander und hatten so auch besseren Zugriff auf den Gegner bei Ballverlusten.

Dementsprechend könnte es ein Lösungsansatz sein, das dynamische Positionsspiel gegen ein strikteres und statischeres Positionsspiel zu tauschen. Klarere Achterrollen, engere Staffelung und so auch mehr Unterstützung in Ballnähe. Die Vorteile liegen auf der Hand: Wer in Ballbesitz enger beieinander steht, hat kürzere Passwege und so weniger Risiko. Verliert man doch in einer überraschenden Situation den Ball, ist man direkt für das Gegenpressing bereit und muss nicht so weite Wege gehen, um sich zu sortieren. Auch die fehlende Tiefe kann dadurch behoben werden, indem man wieder mehr auf Läufe der Achter in die Spitze setzt und insbesondere Goretzka eine passendere Rolle gibt.

Ebenso sind die Nachteile relativ offensichtlich: Bayern verliert an Dynamik und ist leichter auszurechnen, was das Angriffsspiel angeht. Hier müssen sie dann womöglich mehr mit Seitenverlagerungen arbeiten, um die Flügelspieler in Dribblings zu bekommen. Eine Spielweise, die zumindest aus der letzten Dekade bekannt ist. Die individuelle Klasse der Mannschaft sollte aber ausreichen, um auch – überspitzt formuliert – aus dem Stand heraus Chancen zu kreieren. Und vielleicht führen die Vorteile einer statischeren (nicht statisch, sondern statischer als jetzt) Ausrichtung zu mehr Balance und Stabilität.

Mit zwei klareren Achtern würde man zudem die Außenverteidiger natürlicher unterstützen können. Die stehen wiederum im Aufbauspiel manchmal einen tick zu hoch. Besonders Davies beraubt sich zu oft seiner Stärken, indem er fast schon in die letzte Linie schiebt. Kommt er hingegen aus einer weniger hohen Position, kann er mit Tiefenläufen sein Tempo womöglich besser ausspielen – und bei Ballverlusten schneller hinten aushelfen. Flick hat in den vergangenen Pressekonferenzen immer wieder davon gesprochen, dass die Mannschaft schon mit Ball kompakter agieren soll. Gut umgesetzt wurde das in der ersten halben Stunde gegen Gladbach und eben in der Verlängerung gegen Kiel. Hier kann das Trainerteam ansetzen.

Probleme ohne Ball und beim Umschalten in die Offensive

Vorweg: Beim Umschalten in die Offensive gibt es derzeit noch am wenigsten Probleme. Zwar könnten die Bayern aus ihren Ballgewinnen noch mehr machen, aber grundsätzlich ist das einer der Aspekte im Spiel, die noch gut funktionieren.

1. „Kein Druck auf den Ball“

Schwerwiegender ist es, dass die Bayern im Moment zu wenig hohe Ballgewinne verbuchen. In nahezu jeder Pressekonferenz spricht Flick davon, dass seine Mannschaft wieder mehr Druck auf den Ball bekommen müsse. Was meint er damit? Ein Blick auf das erste Gegentor in Kiel zeigt das Problem.

Edit: Lewandowski stand zu diesem Zeitpunkt nicht auf dem Platz.

Es ist nicht so, dass die Bayern hier extrem viel falsch machen. Der Ball wird vom Innenverteidiger unter Druck auf den Außenverteidiger gespielt. Gnabry macht alles richtig, indem er durchläuft. Auch Sané schiebt gut mit rüber. Während all das passiert, hätte aber Musiala schon schneller reagieren müssen, indem er eben „Druck auf den Ball“ macht, also sofort ins Pressing geht. Stattdessen zögert er den Tick zu lange und erlaubt den langen Ball.

An dieser Stelle wird es schwer für die Bayern, weil sie sehr stark auf die linke Seite und nach vorn geschoben haben. Dabei wäre eine derart hohe Position gar nicht von jedem nötig gewesen. Bei Davies ist es für den Fall eines Dribblings des Außenverteidigers noch okay, dass er höher positioniert ist, aber Hernández muss seinen Vordermann zumindest hier gar nicht so sehr absichern. Selbst wenn der Ball hinter Davies käme, hätte er immer noch genug Zeit, um nachzuschieben. Auch Kimmich wäre noch da. Wenn Hernández hier also tiefer gestanden hätte, hätte er den langen Ball vielleicht noch ablaufen und Süle unterstützen können.

Ein weiterer Punkt ist die Position von Sarr. Der Franzose will hier das Mittelfeld mit absichern, falls Kiel irgendwie den diagonalen Weg findet. Kein komplett falscher Gedanke, aber gerade in der aktuellen Situation der Bayern wäre es wohl sinnvoller, defensiver zu denken und eher gemeinsam mit den beiden Innenverteidigern abzusichern – gerade wenn Davies schon so hoch steht. Zwei hohe Außenverteidiger flogen den Bayern schon häufiger um die Ohren.

Dass die Münchner mit ihrer hohen Positionierung anfällig sind für lange Bälle, hat sich auch schon in der vergangenen Saison gezeigt. Man denke nur zurück an die Spiele gegen Barcelona oder Lyon im Champions-League-Finalturnier. Es ist eben das Risiko, das man bewusst eingeht. Doch im Moment kommt es viel zu oft zu solchen Szenen und so wiegen die Nachteile eben mehr als der Ertrag.

2. Schlechte Abstimmung

Sowohl mit Ball als auch ohne Ball fehlt einfach die Abstimmung. Die Laufwege und Positionierungen wirken deutlich improvisierter als noch in der letzten Saison. Es entsteht der Eindruck, dass einzelne Spieler ständig aus der Reihe tanzen, was wiederum zu solchen Fehlerketten führt.

Die Rotation dürfte da einen großen Anteil haben. Eine eingespielte Viererkette würde wohl dabei helfen, gewisse Abläufe wieder zu verbessern. Es ist schon absurd, wie oft Gegner mit Pässen durch die Lücken zwischen den Innenverteidigern oder zwischen Innen- und Außenverteidiger erfolgreich zu Chancen kommen. Wenn auf Abseits gespielt wird, müssen alle rausrücken. Wenn man sich fallen lässt, müssen alle mitziehen. Beides gleichzeitig geht nicht.

Offensichtlich reicht es nicht aus, das immer wieder anzusprechen. Es braucht Zeit, die Flick nicht hat, um die Spieler wieder aufeinander abzustimmen.

3. Zu kompakte Tiefenverteidigung

Aber die Bayern sind hinten nicht nur anfällig, wenn sie hoch stehen. Selbst wenn sie Zeit haben, sich zu sortieren, stehen sie oft nicht optimal. Schon Julian Nagelsmann machte vor dem 3:3 seiner Mannschaft als Schwachstelle aus, dass die Bayern manchmal zu kompakt stehen. Das führt zu großen Lücken auf den Flügelpositionen, die bei Verlagerungen nur schwer zuzulaufen sind.

Lösungsansätze ohne Ball

Eine Lösung zu formulieren ist hier noch schwieriger als in Ballbesitz. Wenn die Mannschaft trotz kleinerer Anpassungen aber keinen Druck auf den Ball bekommt, dann muss Flick einlenken und etwas größere Dinge anpassen. Möglich wäre beispielsweise ein 10 bis 15 Meter tieferes Pressing – also ein hohes Mittelfeldpressing. Das würde den Bayern zwar die Stärke nehmen, den Gegner unter Druck zu setzen und angesichts der teils schwachen Tiefenverteidigung ist das allein keine Garantie für weniger Gegentore, aber der Versuch sollte zumindest unternommen werden.

Das größte Problem für Flick ist es, dass die nicht funktionierenden Automatismen im Training kaum angegangen werden können. Flick muss sich hier auf wenige Aspekte fokussieren und hoffen, dass das ausreicht, um kurzfristig etwas zu verbessern.

Mit einer etwas tieferen Ausrichtung wäre es zumindest schon mal schwerer, die Bayern mit langen Bällen auszuhebeln. Flick kann sich jedenfalls nicht darauf verlassen, dass die Offensive schon bald wieder besser funktionieren wird und die Gegentore dadurch egal werden.

Der Schlüssel zu mehr Balance liegt womöglich im eigenen Ballbesitz. Schafft Flick es, dort eine kompaktere Grundausrichtung zu etablieren, könnten den Bayern vielleicht ein paar Probleme erspart bleiben. Mehr Geduld, mehr Ruhe, mehr Erholung mit dem Ball – das sind zumindest die Punkte, die Flick auch selbst immer wieder einfordert, weiß er doch darum, dass sein „Vollgasfußball“ nicht über eine ganze Saison, schon gar nicht über eine wie diese funktionieren kann.

Es ist zweifelsohne die Aufgabe des Trainers, einen Energiesparmodus zu etablieren, der dem Team ruhigere Phasen erlaubt. Gleichwohl muss immer wieder der Hinweis erlaubt sein, dass Flick noch keine einzige Sommervorbereitung hatte, um das zu tun. Für Trainer ist diese Phase der Saison elementar wichtig. Insofern wurde der große Erfolg des vergangenen Sommers vielleicht auch ein Stück weit zum Preis einer holprigen Folgesaison erkauft.

Kaderprobleme

Dass viele der kleinen Puzzleteile nicht passen, liegt zu großen Teilen auch an der Veränderung des Kaders im Sommer. Bis auf Sané funktionieren die Neuzugänge noch gar nicht und selbst der hat seine Probleme. Hinzu kommt, dass Spieler wie Tolisso von der Bank keinen Impact haben und etablierte Stammspieler ihre Form suchen (Müller, Gnabry, Alaba, Pavard …). Es gibt also kein Gerüst auf dem Platz, das junge, neue oder formschwache Spieler auffangen kann.

Einen Vorwurf kann man hier aber kaum machen. Dass die Stammspieler überspielt sind, ist den Umständen geschuldet. Auch die fehlende Sommervorbereitung, die bei diesem Spielplan und der Kaderveränderung zwingend notwendig gewesen wäre, hat einen riesigen Anteil an der Situation. Mannschaften in ähnlicher Situation profitieren davon, dass sie eingespielter sind, die jeweilige Achse funktioniert und/oder auch die Spieler von der Bank größtenteils schon integriert sind.

Insofern ist es nicht absehbar, dass die Bayern ihre Probleme einfach so beheben können. Es geht darum, gegen die äußeren Faktoren anzukämpfen und zumindest an so vielen Stellschrauben zu drehen, dass man die notwendigen Ergebnisse einfahren kann. Dazu zählt auch, dass Flick mehr probiert als beispielsweise bei der Niederlage in Gladbach.

Eines ist klar: Für den Trainer ist es eine undankbare Aufgabe. Dennoch wird Flick in den kommenden Wochen verstärkt in den Fokus rücken. Wird er etwas verändern? Wenn ja: Was und wie? Die Trainer*innen, mit denen wir im Austausch waren, sind sich jedenfalls größtenteils einig: Eine Systemumstellung mitten in der Saison ist ohne entsprechende Vorbereitung gefährlich und kompliziert – insbesondere in dieser Saison. Es wird darum gehen, im Rahmen seiner Philosophie die passenden Stellschrauben zu finden, um die Mannschaft zu stabilisieren. Vielleicht wird die Partie gegen Freiburg schon einen ersten Eindruck davon geben, ob ihm das gelingt.