Thomas Tuchel ist die beste Lösung für den FC Bayern

Justin Trenner 15.05.2024

Dieser Text wurde zuerst vor einigen Tagen veröffentlicht und nun etwas angepasst.

„Das schöne im Leben ist, wenn eine Tür zugeht, gehen andere Türen auf, wo man vorher gar nicht wusste, dass sie offen sein können“, sagte Max Eberl in Bezug auf die Rangnick-Absage noch vor der Stuttgart-Partie bei Sky. Auch Christoph Freund und Herbert Hainer äußerten deutlich, dass eine Rolle rückwärts unwahrscheinlich ist.

Tuchel selbst sagte damals: „Von meiner Seite aus ist das im Moment eindeutig.“ Im Moment? Auch hier gilt: Die Tendenz war klar. Eine Weiterbeschäftigung wäre nach allem, was passiert ist, eine Überraschung. The Athletic berichtete von einer Person aus dem Umfeld des Trainers, die entsprechende Berichte über einen Verbleib dementiert habe. Doch genau zu dieser Überraschung könnte es jetzt doch kommen.

Laut verschiedenen Medienberichten ist der Verbleib von Tuchel eine Option. Der kicker und die SZ berichten, dass Eberl und Freund nun um einen Verbleib kämpfen. Unklar ist, wie die Forderungen von Tuchel aussehen könnten.

Angetrieben wurde die Kehrtwende laut Sky von Spielern selbst. Es wäre eine Entwicklung, die in der Geschichte des FC Bayern besonders ist.

Als der Trainer im Februar entlassen wurde, war das eine nachvollziehbare Entscheidung des FC Bayern München. Nach einer guten Hinrunde bekam der 50-Jährige eine anhaltende sportliche Krise nicht mehr in den Griff. Die Kritikpunkte waren vielfältig.

Von Kadermanagement bis unattraktivem Fußball war nahezu alles dabei. Auch von außen wuchs der Druck damals. In einer ausführlichen Analyse kamen auch wir zu dem Fazit: „Vor diesem Hintergrund ist Tuchel zwar alles andere als alleinschuldig, aber mindestens mitverantwortlich. Er zeigte sich nicht nur taktisch, sondern auch kommunikativ wenig flexibel, war schon zu Saisonbeginn stark darum bemüht, sich hinter dem dünnen Kader zu verstecken und schaffte es vor allem in Zeiten der Krise nicht, sich darauf einzustellen und die richtigen Anpassungen vorzunehmen.“

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Trotzdem sollte der FC Bayern jetzt ernsthaft darüber nachdenken, seine Entscheidung zu revidieren. Denn die Lage hat sich verändert.

Thomas Tuchel ist jetzt die beste Alternative für den FCB

Obwohl die Entscheidung gegen Tuchel nachvollziehbar war, so ist er jetzt die beste verbliebene Alternative. Ein Grund dafür ist natürlich, dass die Alternativen auf dem Trainermarkt allesamt nicht überzeugend sind. Doch das ist nicht mal der entscheidende Faktor.

Wagen wir ein kleines Gedankenexperiment: Wäre Tuchel aktuell nicht Trainer, der FC Bayern aber in derselben Situation, wäre der Champions-League-Sieger von 2021 dann ein Kandidat? Die kurze Antwort: Ja.

Denn wonach suchen die Bayern ganz offensichtlich? Jemand mit Erfahrung, der im Idealfall der deutschen Sprache mächtig ist, nachgewiesen hat, dass er ein Team weiterentwickeln und erfolgreich machen kann und dem zugetraut wird, im Zirkus an der Säbener Straße zu bestehen. Tuchel checkt, klammert man seine Zeit in München für einen Moment aus, all diese Boxen. Er wäre vermutlich sogar absoluter Top-Kandidat.

Nun scheitert das Gedankenexperiment an der konkreten Erfahrung, die man mit Tuchel jetzt hatte. Der Trainer zeigte während seiner Amtszeit klare Schwächen. Die eklatanteste davon war die ständige öffentliche Ratlosigkeit, die er repräsentierte. Während sein Team von Woche zu Woche abzubauen schien, hatte Tuchel einfach keine Ansätze, um den Trend zu stoppen. Fairerweise fehlten ihm aufgrund von Verletzungen und einem nicht optimal strukturierten Kader aber auch häufig Alternativen.

Trotz Skepsis: Bayern muss die Chancen mit Tuchel sehen

Das gelang ihm alles besser, als sein Ende beschlossene Sache war. Nun kann zu Recht argumentiert werden, dass diese Energie von der Mannschaft ausging, da sie sich nicht mehr hinter dem Trainer verstecken konnte. Aufklären lässt sich das nicht.

Nur gilt Tuchel nicht ohne Grund als einer der besten Trainer der Welt. Sein Verhältnis zur Mannschaft ist zudem offensichtlich gut. Bei all seinen Stationen hat er bewiesen, dass er ein zum Klub passendes Spielsystem entwickeln kann. Immer mit einem klaren Fokus auf Kontrolle. Bei Dortmund und PSG waren es ballbesitzorientierte Ansätze, bei Chelsea lag der Schwerpunkt klar auf der Defensive.

Spektakel bekommt man mit Tuchel nicht. Aber eine gute Chance auf Erfolg allemal – auch in der Champions League, wie sich auch beim FCB zeigt. Bayerns ganz großes Ziel ist das Finale der Königsklasse im eigenen Stadion 2025. Ein Trainerwechsel bedeutet immer ein gewisses Grundrisiko. Insbesondere dann, wenn man bereits bei der D-Lösung angelangt ist.

Tuchel ist der erste Trainer seit Hansi Flick, der den FC Bayern tatsächlich konkurrenzfähig im Kampf um den Henkelpott gemacht hat. Das Weiterkommen gegen Arsenal und auch das Hinspiel gegen Real Madrid waren keine Spektakel, aber im Kontext der letzten Jahre die stärksten Auftritte auf internationaler Bühne.

Thomas Tuchel: Auch national nicht katastrophal

Hinzu kommt, dass die Bayern auch national alles andere als eine katastrophale Saison spielen. 75 Punkte sind noch möglich. Das wäre besser als in der Saison vorher. Auch davor holte man mit 77 und 78 Punkten ein ähnliches Endresultat.

Bayerns Niveau sollte besser sein, keine Frage. Doch die Bewertung der aktuellen Saison wird auch durch ein außergewöhnlich starkes Bayer 04 Leverkusen geprägt. Und auch der sportliche Verlauf wurde dadurch beeinflusst. Die 0:3-Niederlage in Leverkusen war der Knackpunkt der Bundesliga-Saison. Sie nahm dem Rekordmeister offenbar den Glauben daran, noch etwas erreichen zu können.

Im Verbund mit der ständig gewinnenden Werkself brach man zusammen. Tuchel erlebte nun mit Bayern, was er auch beim BVB einst erlebte: Einen Einbruch nach einer bis dato guten Saison. Das muss kritisiert werden, das muss als klares Manko dieser Spielzeit analysiert werden. Doch welchen Anlass gibt es, vom FC Bayern eine Saison mit 80 Punkten und mehr zu erwarten?

Der FCB ist mitten im größten Umbruch seit Jahren

Offenbar haben die Erfolge der 2010er Jahre den Sinn für Realismus etwas getrübt. Die Zeiten der ganz großen Dominanz sind vorbei. Von einem Trainer zu erwarten, dass er das innerhalb eines Kalenderjahres lösen kann, wäre vermessen. Vor diesem Hintergrund sind Vergleiche mit vorherigen Bayern-Trainern auch kaum angemessen, wenn sie sich rein auf den Punkteschnitt oder die Anzahl der Niederlagen beziehen. Jede Zeit muss mit allen Einflüssen für sich aufgearbeitet werden.

Auch mit Blick auf die Veränderungen in der Führungsetage sowie dem sukzessiven Verlust von tragenden Säulen der großen Ära muss man festhalten: Dieser Klub befindet sich im wohl größten Umbruch seit vielen Jahren. Tuchel wiederum war in einer Zeitspanne tätig, in der das Machtvakuum durch die vielen Wechsel in Vorstand und sportlicher Leitung auch seine Arbeit ganz direkt beeinflusst haben.

Er fing mitten in der Saison an, übernahm eine stark verunsicherte Mannschaft. Im darauffolgenden Sommer war Tuchel zwar Teil des berühmten Transferkommittees, doch sein tatsächlicher Einfluss auf das Geschehen auf dem Markt war schon deshalb eingeschränkt, weil es schlicht zu viele Personen waren, die am Kader rumwerkelten. Eine Linie war nicht zu erkennen. Kurz darauf kam Christoph Freund, später noch Max Eberl. Für einen Trainer eine herausfordernde Aufgabe, denn eine klare Richtung gab es nie.

Warum also nicht mal einem Trainer die Möglichkeit geben, etwas zu entwickeln? Statt komplett neu anzufangen, könnte man auf den guten Aspekten aufbauen, die es unter Tuchel zweifelsfrei gab. Diese Saison war unabhängig vom Ausgang in der Champions League nicht gut, sie war aber auch nicht so schlecht, wie sie häufig dargestellt wird.

Mit Thomas Tuchel aufarbeiten statt einfach weitermachen

Natürlich wäre ein „weiter so“ fatal. Darum sollte es auch nicht gehen. Aber Tuchels Verhältnis zur Mannschaft ist intakt, sein Verhältnis zum operativ tätigen Personal ist intakt, fußballerisch gibt es Tendenzen, die in die richtige Richtung zeigen – es gibt eine Basis, auf der man die Zusammenarbeit fortsetzen könnte. Es ist mittlerweile offensichtlich, dass die Probleme dieses Klubs nicht hauptsächlich auf der Trainerbank sitzen.

Teile davon sitzen am Tegernsee, andere Teile haben sich aus der fehlenden Linie ergeben, die es in der Führung des Klubs generell gibt. Dass Hoeneß und Rummenigge immer noch riesigen Einfluss auf die Entscheidungen von Eberl und Freund haben, lähmt den Klub eher als es helfen würde.

Hinzu kommt, dass Geduld ein wesentlicher Aspekt sein sollte. Erfolgreiche Mannschaften wie Bayer Leverkusen entstehen nicht über Nacht. Sie werden in einem Entwicklungsprozess geschliffen, der nicht immer nur Höhen kennt. Begleitet von Personen, die Vertrauen in den Weg haben und die gemeinsam daran arbeiten. Was diesen Aspekt angeht, kann der FC Bayern auch mal einen Blick auf die Frauenabteilung werfen, die in Sachen Führungskultur und Entwicklungsprozess ein Vorbild sein kann.

Doch zurück zu den Männern: Beide Seiten haben voneinander gelernt, was funktioniert und was nicht. Sowohl Christoph Freund und Max Eberl einerseits als auch Tuchel andererseits ist zuzutrauen, dass sie daraus die richtigen Schlüsse ziehen könnten.

Und so kann ausgerechnet die negative Erfahrung ein Vorteil sein im Vergleich zu anderen Kandidaten. Statt stur auf einem Standpunkt zu beharren, der im Februar noch logisch schien, sollte der FC Bayern die neue Dynamik berücksichtigen. Thomas Tuchel ist die beste verbliebene Alternative. Und eine weitere Zusammenarbeit bietet, wenn sie denn richtig angegangen wird, mehr Chancen als Risiken.



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