Round-Up: Schatten­stürmer im Wandel der Zeit

Maurice Trenner 25.02.2018

Da die Frage nach der Notwendigkeit von einem oder gar mehreren Ersatzstürmern mit dem Spielsystem einer Mannschaft – also einzelner Mittelstürmer oder Doppelspitze – variiert, wollen wir uns anhand der Systemfrage durch die Jahrzehnte hangeln.

Der Backup vom Flügel

Ähnlich wie auch in der heutigen Zeit gab es in den 60er und 70er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts auch nur einen Mittelstürmer und ähnlich wie heute hatte dieser zentrale Angreifer Weltklasseformat. Der Bomber Gerd Müller war unangefochten.

In den frühen Jahren war zudem – hier der erste Unterschied zur heutigen Zeit – eine Rotation unüblich. Wenn Müller fit war, spielte Müller. Einen Ersatz konnte also nur bei Verletzungen oder Sperren des Bombers seine Chance bekommen.

Einen zweiten Klassestürmer konnte man mit dieser Stellenbeschreibung natürlich nicht locken. Außerdem waren weder die Kadergrößen damals für eine solche Doppelbesetzung ausgelegt, noch hätte sich der Rekordmeister damals einen Spieler solcher Klasse für die Bank leisten können.

Aufstellungsgrafik Europäischer Supercup 1975: FC Bayern – Dynamo Kiew

Daher wich man auf die Flügel aus. Im damals üblichen 4-3-3-System konnte man einen zweiten oder dritten Mittelstürmer nach links oder rechts verschieben. Der Außenstürmer war damals in seiner Rolle noch nicht so starr fixiert. Neben dem typischen Flügeldribbler gab es auch immer einige verkappte Mittelstürmer, deren eigentliche Stärke im Strafraum lag.

Dementsprechend spielten auch an der Isar viele unterschiedliche Typen: Der heutige Vorstandsvorsitzende Rummenigge als eigentlicher Mittelstürmer, der jedoch durch seine Schnelligkeit und Dribbelstärke den Flügel beleben konnte, ein prototypischer Wingback wie “Wipf” Dürnberger oder auch der heutige Präsident Hoeneß, der in seiner Interpretation am ehesten einem heutigen Robben oder Ribery entsprach.

Für Rummenigge war dies ein Glücksfall. Im Schatten von Müller konnte er reifen, ohne selbigen jedoch verdrängen zu müssen. Vielmehr bekam er ab jungem Alter viel Spielpraxis und konnte befreit aufspielen, ohne dass ihm die beinharten Vorstopper des Gegners auf den Füßen standen.

Mit Doppelspitze zum Wandel

Ein Wechsel im System ergab sich erstmals unter Pal Csernai. Der Ungar etablierte in München ein 4-4-2-System mit Doppelspitze. Im übrigen sehr zum Leidwesen eines gewissen Calle Del’Haye, der als Flügelstürmer im 4-3-3 geholt wurde und nun erkennen musste, dass seine Position schlichtweg nicht mehr existierte.

Von Ende der 70er-Jahre bis 2009 spielte Bayern nun, unterbrochen von einer kurzen Zeit unter Lattek, mit zwei Stürmern.

Aufstellungsgrafik Europäischer Supercup 2001: FC Bayern – FC Liverpool

Die Auswirkung auf die Besetzung der offensiven Kaderplätze und auf die den Stürmern zugedachten Rollen im Gefüge war durch diesen Systemwechsel enorm. Anstatt eines klaren 1a-Stürmers und eines Backups, der in der Hierarchie ganz am Ende stand und allenfalls zu sporadischen Einsätzen kam, erforderte ein System mit zwei Spitzen einen weiteren Mittelstürmer von Format.

Eine klare Rangordnung dieser beiden Stürmer gab es oft nicht, oder sie war zumindest nicht in Stein gemeißelt und von den gezeigten Leistungen abhängig. Zudem wurde die Rolle des Backup, nun also Stürmer Nr. 3, insofern aufgewertet, als sich seine Einsatzchancen quasi verdoppelt hatten. Schließlich musste nun nur eine der beiden etatmäßigen Spitzen ausfallen, um in die Mannschaft zu rücken.

Durch diese gestiegenen Einsatzmöglichkeiten war auch die Fluktuation im Kader und speziell im Sturm deutlich größer. Der Verein zeigte sich hier experimentierfreudig und teilweise planlos. Auf der Suche nach dem großen Wurf wurde eine Vielzahl an Stürmern verschlissen (u.a. Lars Lunde, Johnny Ekström, Alan McInally, Mark Hughes, Radmilo Mihajlovic, Jürgen Wegmann, Brian Laudrup, Bruno Labbadia, Adolfo Valencia, Marcel Witeczek, Jean-Pierre Papin, Emil Kostadinov, Alain Sutter, Ruggiero Rizzitelli). Letztendlich setzte sich bis auf Roland Wohlfahrt keiner wirklich dauerhaft durch.

Welcher Stürmertyp im speziellen den Anforderungen bei Bayern München am besten hätte gerecht werden können, war in der Regel sekundär. Ein gemeinsamer Nenner von Mark Hughes, Mazinho und Alexander Zickler wird heute noch gesucht. Vielmehr war der einzige Anspruch, den man in München an einen potentiellen neuen Stürmerstar stellte, dass er 15 Tore pro Saison garantieren sollte.

Der Edel-Joker Alexander Zickler schießt am 33. Spieltag der Saison 2001 sein wohl wichtigstes Tor für den FC Bayern.
(Foto: Michael Kienzler/Bongarts/Getty Images)

Als sich Ende der 90er-Jahre das damals neuartige Konzept der Rotation breit machte und demzufolge die Kader der Mannschaften größer wurden, kam sogar ein vierter Kaderstürmer hinzu. Vorreiter an der Isar war hier Ottmar Hitzfeld, auch wenn dieser in seiner ersten Saison 98/99 noch sehr variabel agieren ließ und öfter von dem System mit zwei Spitzen abrückte, indem er Spieler wie Basler, Scholl oder Salihamidzic als Außenstürmer aufbot.

Mittelfristig aber etablierte sich das folgende Prinzip: Man hatte einen 1a-Stürmer, zwei etwa gleichstarke 1b-Stürmer und ein Talent mit Außenseiterchancen. Der große Vorteil dieser Logik war, dass das Talent gar nicht zwingend am millionenschweren Starstürmer vorbei musste, um an Spielzeit oder einen Stammplatz zu kommen. Dies gewährte eine hohe Durchlässigkeit von unten nach oben.

Die hohe Anzahl an Kaderplätzen führte auch dazu, dass im Sturm permanent nachgerüstet wurde. Aus Klose oder Toni wurde so schnell Klose und Toni. Und Podolski.

Die EM 2008 als Umbruch

Im Finale der Europameisterschaft 2008 standen sich in Wien Spanien und Deutschland gegenüber. Beide Teams verzichteten auf dieser größtmöglichen Bühne auf einen zweiten Stürmer und agierten im 4-5-1 bzw. 4-2-3-1. Ein System, das nach dieser EM schnell den Weg in den Vereinsfußball finden sollte.

So war es nur eine Frage der Zeit, bis dieses System auch an der Säbener Straße etabliert wurde. Dieser Punkt war 2009 gekommen, als Arjen Robben zum FC Bayern wechselte und Louis van Gaal, ohnehin ein Verfechter des 4-3-3, somit eine echte Flügelzange zur Verfügung hatte. Mit nur noch einem Mittelstürmer auf dem Feld mussten die Einsatzzeiten der vier Stürmer im Kader natürlich sinken.

Aufstellungsgrafik Europäischer Supercup 2013: FC Bayern – FC Chelsea

Gomez setzte sich letztendlich durch und wurde für sein Ausharren belohnt, indem man den Konkurrenzkampf um den einzigen Platz im Sturm deutlich entschärfte. Die Kaderplaner beim FC Bayern hatten mittlerweile erkannt, dass der Wechsel zu einem System mit nur einer Spitze offenbar von Dauer sein sollte. So kam Petersen vor der Saison 11/12 als klarer Backup.

Aber schon nach einer Saison wurde dieser Ansatz wieder verworfen. Uli Hoeneß kritisierte nach dem verlorenen CL-Finale 2012 Gomez öffentlich als lediglich guten Stürmer, mit einem sehr guten Stürmer wiederum hätte man die Champions League gewonnen.

Um den Konkurrenzkampf anzuheizen verpflichtete man im Sommer 2012 Mandzukic nach dessen starker Europameisterschaft für Kroatien, zudem kehrte Pizarro nach München zurück. Beide waren nicht als Stammkräfte eingeplant und wurden vor allem geholt, weil man in der zu geringen Tiefe des Kaders einen Hauptgrund für die titellose Saison 2011/12 sah. Doch aufgrund einer frühen Verletzung von Gomez konnte sich der Kroate am deutschen Nationalspieler vorbei schieben und einen Stammplatz sichern, so dass Gomez zum Backup wurde.

Als Gomez im Sommer 2013 deshalb den Verein verließ, wurde die Position des ersten Backup-Stürmers gar nicht erst neu besetzt. Da Guardiola ohnehin kein Verfechter eines reinen Mittelstürmers war, verwendete er gerne variable Spieler wie Götze oder Müller in der Rolle einer “falschen Neun”, einziger “echter” Ersatzstürmer blieb Claudio Pizarro.

War beim FC Bayern am Ende hauptsächlich in Trainingsklamotten zu sehen: Ersatzstürmer Claudio Pizarro
(Foto: Christof Stache/AFP/Getty Images)

Zur Saison 2015/16 wurde dann auch dieser Kaderplatz noch eingespart: Robert Lewandowski stellte sich als sehr robuster und kaum verletzungsanfälliger Spieler heraus, der zudem den Anspruch hatte, immer zu spielen. Pizarro war in der Vorsaison kaum noch zu nennenswerten Einsatzzeiten gekommen, und so wurde der Posten des Backup-Stürmers erstmalig in der Geschichte des FC Bayern München komplett vakant.
Bis zur Verpflichtung von Sandro Wagner.

Nur wenige überzeugten

Wie haben sich nun die Backup-Stürmer beim FC Bayern über die Jahre geschlagen?

Der erfolgreichste von ihnen war sicherlich Roland Wohlfahrt, der von 1984 bis 1993 Jahr für Jahr als Ersatzspieler in die Saison ging, am Ende jedoch fast immer Stammspieler und Stürmer Nr. 1 war. Bis zur Saison 1991/92 gelang es ihm jedes Jahr, auf eine zweistellige Anzahl Tore zu kommen, zweimal wurde er sogar Torschützenkönig.

Dennoch wurde ihm regelmäßig in der Sommerpause mindestens ein neuer Stürmer vor die Nase gesetzt. Wohlfahrt mangelte es an Flair und Starpotential, galt für die Säbener Straße als zu farblos. 119 Tore in 254 Bundesligaspielen unterstreichen aber den enormen Wert den Wohlfahrt als einzige Konstante im Sturm eine Dekade lang für den Verein hatte. Und nebenbei ist er auch ein Beleg dafür, dass nicht automatisch jeder aus der Bayern-Stammelf automatisch Nationalspieler wird.

Auch Alexander Zickler sollte an dieser Stelle gesondert Erwähnung finden: Er war der Edel-Joker der letzten 90er- und ersten 00er-Jahre. Bis vor zwei Jahren hielt der 12-fache Nationalspieler noch den Rekord für die meisten Tore eines Einwechselspielers mit 18 Toren bei 102 Einwechslungen.

Für mehr sollte es bei Zickler vor allem auch verletzungsbedingt jedoch nicht reichen. Immer wenn es den Anschein machte, als würde ihm nun doch noch der endgültigen Durchbruch zum Stammspieler gelingen, fiel er verletzungsbedingt aus. Exemplarisch dafür sei das Frühjahr 2000 genannt, als ihm innerhalb von drei Wochen 5 Tore in der Bundesliga gelangen und er zudem noch Real Madrid in der Champions League zwei Treffer binnen 16 Minuten einschenkt. Im bedeutungslosen letzten Gruppenspiel gegen Dynamo Kiew verletzte er sich jedoch schwer und fiel für den Rest der Saison aus.

Hauptgrund für die lange erfolglose Suche nach einem Stürmer in den 80er- und 90er-Jahren war, dass es überhaupt kein definiertes Anforderungsprofil gegeben zu haben scheint. Nun darf Sandro Wagner die Position bekleiden.

Als Stürmer zeichnet Wagner sicherlich seine Physis gerade im Strafraum aus. Dies war für den größten Teil seiner Karriere sein Markenzeichen. Im System von Jung-Trainer Nagelsmann in Hoffenheim zeigte der Neu-Nationalspieler jedoch weitere, ungeahnte Qualitäten im Positionsspiel. Immer wieder stand er hier als erste Anspielstation zur Verfügung, verstand es Bälle fest zu machen und mit Übersicht weiterzuleiten.

Speziell diese letzte Qualität kann ihm auch bei Bayern behilflich sein, um Spielzeit zu erhalten. Egal ob diese Saison Müller oder in vorherigen Jahren Götze, beiden fehlte diese Möglichkeit als erste Anspielstation bei schnellen Angriffen zu fungieren. Zudem kann Wagner das Zentrum besser besetzen als die beiden genannten und hat ein mehr als passables Kopfballspiel.

Wenn Lewandowski also mehr Pausen bekommt, ist Wagner hierfür sicher ein geeigneter Ersatz. Für das Anforderungsprofil scheint ein geeigneter Kandidat gefunden. Mit zwei Toren in den ersten fünf Spielen unterstrich Wagner auch seine Qualitäten vor dem Tor.

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