Kovač: „Auf gewisse Situationen reagieren“

Justin Trenner 05.09.2018

Robert und Niko Kovač wirken sehr gelassen. Transfergerüchte, die Coman-Verletzung, Diskussionen um die Superstars auf den Flügeln – es gab durchaus ein wenig Unruhe in München. Bei den Dreharbeiten für Paulaner sahen sich die Brüder beim Anstoßen tief in die Augen und lächelten. Als wollten sie sich gegenseitig für ihre ersten Wochen gratulieren.

Man müsse „immer auf gewisse Situationen reagieren können“, sagte Kovač noch im letzten Trainingslager der Vorbereitung. Flexibilität war eines der Worte, das der Trainer am häufigsten gebrauchte, um seine Pläne zu erklären. Er habe den Kader dazu und wolle beispielsweise, dass die Mannschaft aus einer Vierer- schnell eine Dreierkette machen kann.

Schon gegen die TSG Hoffenheim zeigte sich in der Anfangsphase der Partie, dass Kovač kein Phrasendrescher ist. Zur Halbzeitpause konnten sich die Gäste glücklich schätzen, dass es nur 1:0 für den Rekordmeister stand. Intensität, Laufbereitschaft, Disziplin – diese Werte fordert der 46-Jährige ein.

Doch gerade im ersten Auswärtsspiel der Bundesliga-Saison offenbarte Kovač, dass er noch viel mehr sein kann als ein „Quälix“, der seine Spieler ans physische Maximum führt. Zweifel waren ja durchaus da, dass seine Zeit in Frankfurt überschätzt wurde.

Schon da war er als Trainer bekannt, der auf Spielsituationen reagierte, das System wechselte und in der strategischen Ausrichtung Flexibilität bewies. Doch würde das alles für den großen FC Bayern reichen?

Erster Fingerzeig von Kovač

Die Frage ist definitiv zu groß, um sie nach nur vier Pflichtspielen beantworten zu können. Kovač gelang gerade einmal der erste Schritt in das Alltagsgeschäft in München. Er hatte bis jetzt noch nicht viele Rückschläge zu verkraften und im Team gibt es keinerlei Unruhen.

Doch genau das ist auch ein großer Verdienst des Trainers, der in seinen ersten Wochen ein unfassbares Selbstbewusstsein ausstrahlt. Mit seinen Aussagen zu Jérôme Boateng setzte er seine Bosse fortlaufend unter Druck. Ein Verkauf des Innenverteidigers wäre somit auch eine Watschn für den Trainer gewesen. Am Ende behielt er die Oberhand und Hoeneß sagte dem kicker: „Außerdem wollten wir unserem Trainer, der diesen Spieler unbedingt behalten wollte, diesen Gefallen tun.“

Mit seiner Art und Weise scheint er nicht nur die Bosse zu beeindrucken, sondern auch den Kader im Griff zu haben. Erste kleine Anzeichen, dass Robben und Ribéry mit ihrem Ehrgeiz für Unruhe sorgen könnten, erstickte er im Keim. Gleichzeitig sendete er aber auch klare Signale, dass die beiden Stars keinerlei Vorrecht auf eine Stammelf-Position haben. Schon im ersten Spiel saß Robben auf der Bank, weil Coman den stärkeren Eindruck machte.

Kovač gibt dem Verein derzeit eine Ruhe in der Außendarstellung, die andere nicht ausstrahlen können.
(Foto: Alexander Hassenstein/ Bongarts / Getty Images)

Allein durch James und Gnabry, die nach Verletzungen zurück sind, bieten sich Kovač nun noch mehr Möglichkeiten, um zu rotieren. Er kündigte bereits an, die Breite seines Kaders voll ausnutzen zu wollen.

Gegen Stuttgart rotierte Javi Martínez aus zwei naheliegenden Gründen auf die Bank. Einerseits war der Spanier zuletzt nicht in überragender Form und andererseits sah der Trainer in Goretzka eine Option, die mehr Durchschlagskraft gegen eine Mannschaft bringen könnte, die er sehr tiefstehend erwartete.

Kovač behielt Recht. Seine Spieler akzeptieren diese Entscheidungen bis jetzt genau aus diesem Grund. Spannend wird es, wenn der Trainer erste Fehlentscheidungen trifft. Dann wird sich zeigen, wie viel seine Ruhe und seine Ausstrahlung wert sind. Gerade in diesem Bereich liegen aber seine Stärken. Besonders wichtig ist dabei, dass er sich für jeden Spieler die Zeit nimmt, um seine Entscheidungen zu erklären. Und so darf gehofft werden, dass Kovač auch in schwierigeren Phasen der richtige Mann ist, um die positive Teamdynamik aufrecht zu erhalten.

Wieder mehr Werkzeuge für die Strategie?

Wenn man ein Baumhaus bauen möchte, braucht man Bretter, Nägel und einen Hammer. Wer talentiert genug ist, wird damit klarkommen und ein Endprodukt erschaffen, das zufriedenstellend ist. Carlo Ancelotti war ein Handwerker, dem es auf Zeit gelang, seine Anleitung in aller Kürze so zu formulieren, dass die Mannschaft ein ordentliches Baumhaus errichtete.

Unter Pep Guardiola war sie es allerdings gewohnt, neben den normalen Werkzeugen auch eine Säge, weitere Arten von Holz und Nägeln sowie ein Pflegeöl zum Imprägnieren zur Verfügung zu haben. Mit Ancelotti als Bauleiter fiel das errichtete Baumhaus schnell wieder ein, weil es einerseits nicht allen Umständen standhalten konnte und weil es auf der anderen Seite nicht ausreichend gepflegt wurde.

Heynckes klebte es irgendwie wieder zusammen, doch so richtig schön sah das letztendlich auch nicht aus – zweckmäßig halt. Nun kommt also Niko Kovač und er deutete in Stuttgart bereits an, dass er seinen Spielern wieder mehr Werkzeuge zur Verfügung stellen wird.

In den ersten vier Spielen war das Gegenpressing der Bayern gut bis herausragend. Aber auch in längeren Phasen ohne Ball wirkte die Mannschaft sehr stabil. Das liegt daran, dass sich das Positionsspiel unter dem neuen Trainer bis jetzt sukzessive verbessert hat. Der Druck in der Offensive ist durchstrukturiert und geplant.

Sehen die Bayern keine Situation, in der sie den Ball gewinnen können, lassen sie sich in ein höheres Mittelfeldpressing fallen. Alles wirkt trainiert und die Handschrift des Trainers ist bereits erkennbar. Schon unter Heynckes wurde das Pressing wieder variabler und besser, Kovač macht genau dort weiter.

Mit Ball gab es zunächst ein paar Probleme, die wiederkehren werden. Gerade auf der Außenbahn fehlt mit Ribéry und Robben eine gewisse Grundgeschwindigkeit. Besonders problematisch war, dass Ribéry in Stuttgart nicht eines seiner 13 Duelle gewinnen konnte.

Er läuft sich fest, verliert Bälle und öffnet dem Gegner damit Räume. Besonders dann, wenn die Bayern wie in Stuttgart sehr viel Risiko in ihrer Positionierung gehen. In der ersten Halbzeit standen die Achter so hoch, dass sie eine bessere Absicherung benötigt hätten.

Normalerweise ist Javi Martínez dafür zuständig, der diesen Bereich in einer Breite verteidigen kann, die im Weltfußball einmalig ist. Doch Kovač entschied sich für Thiago, weil der eben der bessere Spielmacher ist. Ohne Thiago wäre es an diesem Abend kaum möglich gewesen, die weiten Wege zu den Zielspielern auf der Acht zu finden.

Bayerns Positionsspiel in Stuttgart war vielversprechend.

Ohnehin liegt der Fokus im Spiel der Bayern weiter auf den Halbräumen. Müller verschob einige Male sogar auf die Goretzka-Seite, um dort zu überladen. Wichtig ist aber, dass diese Abläufe durchdacht wirken. Es werden bereits erste Ideen des Trainers sichtbar, wie das fehlende Tempo durch Kombinationen aufgefangen werden kann.

Auch Thiagos Vorrücken nach dem Initialpass war ein herausragendes Beispiel für solche Abläufe. Damit bot der Spanier sich direkt hinter den fünf Offensivspielern in gefährlichen Zonen an, und hatte nach Abklatschern das Spiel vor sich.

Das Problem mit der Absicherung löste Kovač im Laufe des Spiels mit seinen Außenverteidigern. Wenn es die Situation hergab, sicherten sie etwas eingerückt ab. Dadurch funktionierte nicht nur die Ballzirkulation besser, sondern das Gegenpressing gewann ebenfalls an Druck. Stuttgart konnte sich in keiner Situation mehr befreien und blieb dem Tor der Gäste damit fern. In einem Video erklären wir anschaulich und im Detail, was das Positionsspiel von Kovač in Stuttgart ausmachte.

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Positive Grundstimmung

Bei aller berechtigten Euphorie muss dennoch ein kleines „Aber“ geäußert werden. Es war eben nur Stuttgart, denen die Lösungen sowie die nötige Form komplett abgingen. Gegen Hoffenheim gab es nach der Coman-Verletzung einen großen Rückschlag im eigenen Spiel. Erst mit der Einwechslung Goretzkas und der diskutablen Entscheidung des Videoschiedsrichters kam ein wenig Stabilität zurück.

Niko Kovač hat dennoch erste Züge seiner Handschrift erkennen lassen. Gerade gegen Hoffenheim brachte er seine Mannschaft in einer schwierigen Situation durch kluge Wechsel wieder auf Kurs. Von seinen Spielern wird er bereits für die gute Vorbereitung in Videoanalysen gelobt und seine Match-Pläne variierten ebenfalls im Detail. Gegen Leverkusen und auf Schalke wird es zwei weitere Herausforderungen für den neuen Bayern-Trainer geben.

Dann wird man der Frage wieder ein Stück näher kommen, ob der FC Bayern „immer auf gewisse Situationen reagieren“ kann. Kovač verspricht Flexibilität, die er bis jetzt im taktischen Bereich liefern konnte. Gepaart mit seiner Ruhe und seinem großen Selbstbewusstsein stimmt das positiv für die nächsten Wochen, die der Trainer zu Recht mit einem Bier bei den Paulaner-Dreharbeiten einläutete – auch wenn es vielleicht nur alkoholfrei war.

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