Leopold Zingerle – Plötzlich zweite Wahl

Jan Trenner 26.10.2014

Der 20-jährige Leopold Zingerle sitzt als nominell vierte Wahl plötzlich auf der Bank der Bayern-Profis. Anfang Oktober zog sich Neuzugang Pepe Reina eine schwere Muskelverletzung an der linken Wade zu und bestätigte Guardiolas Wunsch nach drei fähigen Torhütern. Vor dem überragenden Champions League Triumph in Rom erlitt auch der wieder auf die Bank gerückte Routinier Tom Starke eine längerfristige Verletzung. Sein gerissenes Syndesmoseband wurde inzwischen operiert – mehrere Wochen Ausfallzeit erwarten ihn.

Auch bei den Amateuren (fast) zweite Wahl

Der 1.88m große Zingerle ist ein Vereinsgewächs und kommt aus der Jugendabteilung des FC Bayern. Er kämpfte sich über die U17 und U19 bis in den Kader der Bayern Amateure. Bereits in der Spielzeit 2012/13 konnte er 17 Startelfeinsätze verbuchen, wobei er in der Saison noch Partien in der A-Junioren Bundesliga bestritt. In der folgenden Spielzeit wurde Lukas Raeder als Amateure-Stammtorhüter etabliert und Zingerle musste erneut auf der Bank platz nehmen. Spielpraxis konnte er trotzdem mit immerhin zehn Einsätzen sammeln.

In der laufenden Saison 2014/15 hätte es ihm ähnlich ergehen können, da der FC Bayern sich im Sommer zur Verpflichtung des österreichischen Torwarttalents Ivan Lucic entschloss. Von Torwarttrainer Walter Junghans wurde er als »eines der größten Talente auf dieser Position« gelobt. Die Realität sah durchaus anders aus und bestätigte Vermutungen, dass Lucic Zeit zur Ein- und Umgewöhnung brauchen würde. Diese Chance erhielt der junge Österreicher nicht. Ein Bänderriss im rechten Sprunggelenk – der Beginn der FCB-Torhüter-Verletzungsserie – im USA-Trainingslager verhinderte jegliche Bewährungsprobe und den direkten Torhütervergleich. Ivan Lucic stand den Amateuren nicht zur Verfügung und Leopold Zingerle wurde ihr Stammtorhüter.

Stand heute absolvierte er in der laufenden Saison 15 Partien und nur drei davon ohne einen Gegentreffer zu kassieren. Natürlich ist dies im Zusammenspiel der besonders zu Beginn stark schwankenden Defensivleistung der Amateure zu betrachten – die ein oder andere Unsicherheit geht aber auch auf Zingerles Konto.

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Solide – mit Problemen im Offensivspiel

Die neuen Anforderungen an das moderne Torwartspiel, für welches Manuel Neuer wie kein Zweiter steht, wurden bereits mehrfach betont. Pepe Reina wurde unter anderem deswegen verpflichtet, weil Tom Starke Probleme bei dieser Interpretation zeigt. Mit Leopold Zingerle stehtnun ein junger Torhüter für den Ernstfall bereit, der in den Nachwuchsabteilungen des FC Bayern zwar über 100 Partien bestritt, aber ebenfalls weit entfernt von Neuers fußballerischen Fähigkeiten und Offensivakzenten ist.

Zingerle sieht auf der Linie und im 1-gegen-1 als letzter Mann gut aus und verhinderte dadurch einige Gegentore, die zum Beispiel aus Kontern entstanden oder bei denen er den Ball mit einer schnellen Reaktion noch um den Pfosten lenken konnte. Der 20-Jährige verdient definitiv das Prädikat »solide« – mit Steigerungspotential auf seinem weiteren Karriereweg – wobei einem 20-Jährigen ohne Erfahrung in der Bundesliga ein Leistungsunterschied selbstverständlich verziehen werden muss. Zingerles weitere Laufbahn ist noch nicht definiert, bei der Rückkehr von Lucic könnte es auch bei den Amateuren wieder zu einem Kampf um den Stammplatz im Tor kommen.

Probleme zeigt der Amateure-Torhüter in der Spieleröffnung. Ihm blieb dafür oft nur der kurze Pass zu seinen Innenverteidigern oder Spielmacher Oikonomou. Sollten diese Optionen versperrt sein, folgte der lange Ball – mit durchwachsener Präzision. Zingerle versuchte sich aber durchaus als mitspielender Torwart am Kombinationsspiel in der eigenen Hälfte zu beteiligen. Zum Beispiel über eine Seitenverlagerung nach Rückpass auf ihn. Auffällig ist dabei, dass er oftmals die sichere Variante benutzt: Ball annehmen bzw. stoppen, Blick zum Zielspieler aufnehmen und danach weiterleiten. Schnelle, flüssige Kombinationen wurden dabei verschleppt, um keinen Fehlpass zu riskieren. Bei den Bayern-Profis würde so ein entscheidender Teil des Spielkonzeptes wegfallen, aber Zingerle sollte sich im Ernstfall ohnehin nicht »übernehmen« und eine Neuer-Interpretation versuchen. Fehler werden in der Bundesliga wesentlich konsequenter bestraft als in der Regionalliga Bayern. Er rückt nicht bis an den Mittelkreis auf, sondern hält sich konsequent näher zu seinem Tor, wobei er lange Bälle des Gegners durchaus einige Meter außerhalb der eigenen Strafraumgrenze abfängt. Gleiches gilt für die Strafraumbeherrschung nach hohen Flanken oder Bällen. Der 20-Jährige hat in den letzten Jahren ein gutes Auge für die Entscheidung »Zum Ball gehen« oder »Auf der Linie bleiben« entwickelt. Gelegentliche Fehlentscheidungen nicht ausgeschlossen.

Sollte es zum »Worst Case« kommen und Manuel Neuer verletzt ausfallen, muss Leopold Zingerle seinen Platz einnehmen. Er wird dabei solide auftreten, vermutlich Probleme bei sehr schnellen Vorstößen oder im Kombinationsspiel zeigen, aber sich dieser Herausforderung stellen. Entscheidender werden Veränderungen in der Verteidigung des FC Bayern sein. Zingerles Vorderleute müssten sich umstellen, selbst weitere Wege gehen und können nicht so stark wie unter Manuel Neuer auf ihren letzten Mann vertrauen. Es wäre eine Herausforderung für die gesamte Mannschaft, die ihr jüngstes Mitglied auf einer der wichtigsten Positionen unterstützen muss. Für die Bayern Amateure bedeutet die Beförderung von Zingerle schon jetzt, dass ihnen der nächste Stammtorhüter entrissen wird. Sie werden diesen Verlust deutlich spüren.