Hasan Salihamidžić: Macher oder Mitläufer? Eine Einordnung.

Justin Trenner 12.04.2021

Als Hasan Salihamidžić im Sommer 2017 als Nachfolger von Matthias Sammer beim FC Bayern München vorgestellt wird, ist das öffentliche Gelächter spürbar laut. Selten wurde eine derart wichtige und zukunftsweisende Entscheidung beim Rekordmeister so stark hinterfragt und tatsächlich vielerorts belächelt. Von Uli Hoeneß persönlich, der bis heute als der Mann gilt, der Salihamidžić in diese Position brachte, soll der neue Sportdirektor eingearbeitet werden.

Und die ersten Monate sollen der Öffentlichkeit recht geben. Salihamidžić, der kaum nennenswerte Erfahrungen für diesen Job vorzuweisen hat, tut sich vor allem in der Außendarstellung extrem schwer. Nervöse Interviews, inhaltlich widersprüchliche Aussagen – immer wieder ist es notwendig, dass sich die Alphatiere Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge vor ihn stellen. Fleißig sei er und sehr engagiert. Konkret werden sie aber nicht. Bereits im Dezember 2018 lässt Salihamidžić dann öffentlich verlauten, dass er „wahrscheinlich mehr bewegt“ habe als seine „Vorgänger in ihrer gesamten Amtszeit beim FC Bayern“.

Ein Statement, das von Fans kritisch und vom restlichen Fußball-Deutschland abermals mit Gelächter aufgenommen wird, hat er doch bis dato recht wenig geleistet. Denn das liegt eben nicht nur an einer unsicher wirkenden Außendarstellung, die für einen Nicht-Muttersprachler auch dann kompliziert ist, wenn er die Sprache schon jahrelang spricht. Es liegt an den offensichtlich nicht gut vorbereiteten Interviews, einer prekären sportlichen Situation und einer Kaderpolitik, die sich von jener stark entfernt hat, die in den Vorjahren so erfolgreich war.

Einige Fehler, viel Gegenwind zu Beginn

Bereits unter Carlo Ancelotti, also als Salihamidžić in München noch gar kein Thema ist, entscheidet man sich in München dazu, den Kader auszudünnen. Eine Entscheidung, die der spätere Sportdirektor heute ausbaden muss. Als der ehemalige Flügelspieler dann am 31. Juli 2017 der neue Sportdirektor wird, ist allen klar, dass zunächst Hoeneß wieder stärker in den Fokus rücken wird. Salihamidžić bekommt öffentlich dennoch viel Kritik für die eine oder andere Entscheidung. Vor allem die Geschichte rund um Callum Hudson-Odoi sorgt für Verwunderung. Nie hatte sich ein Sportdirektor des FC Bayern zuvor derart selbst in der Öffentlichkeit bloßgestellt. Ist das in dieser Form tragbar? Die Bayern halten den Gegenwind aus. Auch weil sie von der Perspektive weiterhin überzeugt sind. Learning by doing quasi. Anders habe es Hoeneß ja auch nicht gelernt, heißt es damals gerne mal mit einem leichten Augenzwinkern.

Gerade die große Trainer-Diskussion um die Nachfolge von Interimscoach Jupp Heynckes wird 2017 und 2018 aber zum großen Streitpunkt innerhalb der Führungsetage und zeigt: Salihamidžić ist zwar ein leichtes Ziel für Kritik, aber er bekommt auch viel ab, was so gar nicht stimmt. Ein besonders beliebtes Narrativ, das auch wir damals fälschlicherweise bedienen: Salihamidžić steht zwischen den Stühlen der beiden Alphatiere und soll lediglich als Moderator versuchen, zu schlichten, wo nicht mehr zu schlichten ist. Er sei eine Marionette der Bosse.

Ihm wird häufig unterstellt, er habe sich einfach auf die Seite seines Mentors Hoeneß gestellt und sei so mitverantwortlich für die Verpflichtung von Niko Kovač gewesen. Nach heutigen Miasanrot-Informationen ist das aber eine unfaire Beurteilung der damaligen Situation. Tatsächlich hat der heutige Sportvorstand andere Kandidaten auf seiner Liste gehabt. Gemeinsam mit Rummenigge präferierte er sogar eine konkrete andere Lösung. Hoeneß aber setzt sich schließlich durch, hält zunächst zu lange an Heynckes fest und drückt später Kovač durch. Öffentlich wird das selbstverständlich als einheitliche Wunschlösung verkauft.

Nach wie vor ist die Außendarstellung ein Problem

Schon damals gibt es eine große Diskrepanz zwischen dem, was Leute von außen über Salihamidžić berichten und dem, was intern über ihn erzählt wird. Das liegt bis heute auch daran, dass es undurchsichtig ist, wo der Sportvorstand seine Finger entscheidend im Spiel hat und wo nicht. Alle Entscheidungen sind interpretierbar und so ist es Kritiker:innen möglich, alles Negative in seine Verantwortung zu schieben und alles Positive als „Teamarbeit“ abzutun, bei der er zwar irgendwie dabei ist, nicht aber entscheidend.

Der Fehlstart wirkt in dieser Sache besonders nach. Sein öffentlicher Lernprozess in den ersten beiden Jahren führt dazu, dass ihm noch heute ein Image aufgedrückt wird, aus dem er nur schwer herauskommt. Zumal sich gerade seine Außendarstellung zwar verbessert hat, im Vergleich zu anderen Größen des Klubs aber nach wie vor unsicher wirkt.

Salihamidžić tritt ausgewählter vor die Mikrofone. Er schwimmt seltener und wirkt selbstbewusster. Und doch verhaspelt er sich häufig. Nicht etwa rein sprachlich, was für ihn in einer Fremdsprache akzeptabel ist, sondern inhaltlich. Interviews wirken nach wie vor wie große Stresssituationen und auf unangenehme Fragen findet er nur selten passende Antworten. Was hätte beispielsweise Hoeneß wohl in der jetzigen Situation getan? Vermutlich hätte er verbal so aggressiv in Richtung DFB geschossen, dass das Thema eine neue, viel größere Baustelle bekommen hätte, die aber vom eigentlichen Thema für einen Moment ablenkt. Salihamidžić kann sich das wegen seines Standings natürlich nicht erlauben, aber wirklich beruhigen kann er die Lage auch nicht. Was zudem wirklich ärgerlich ist: Einige Interviews wirken nach wie vor kaum vorbereitet. Als er vor dem Paris-Hinspiel bei Sky mit vorhersehbaren Fragen zu Flick konfrontiert wird, gerät er inhaltlich in den Schwimmmodus und macht die Lage damit eher schlimmer als besser. Auch seine öffentliche Zurückhaltung bei einigen prekären Themen war vielsagend.

Was zudem ein großes Problem des gesamten Klubs ist: Immer wieder werden konkrete Gerüchte über Gehaltsvorstellungen von Spielern verbreitet. Es ist naheliegend, dass hier der FC Bayern selbst seine Hand im Spiel hat. Manuel Neuer beschwerte sich einst relativ deutlich über dieses Vorgehen, das nicht zum Klub passe. Auch bei Alaba geschah ähnliches. Hier ist Salihamidžić als Sportvorstand mitverantwortlich. Zu viele Interna, ob nun wahr oder nicht, gelangen nach außen und es gelingt bisher nicht, das in den Griff zu bekommen. [Dieser Absatz wurde nachträglich ergänzt, Anm. d. Red.]

Trotz Salihamidžić zum Triple?

Diese Störfeuer sind gerade ob des sportlichen Erfolgs gänzlich unnötig. Auf dem Weg zum Triple, so heißt es ganz gern mal, sei Salihamidžić aber ohnehin nur ein Hindernis gewesen. Da passen solche Auftritte dann gut rein. Trotz Sportvorstand also zum Erfolg? Fakt ist, diese Betrachtungsweise seiner Arbeit hinkt gewaltig. Wenn ihm unterstellt wird, für nahezu alles Negative Verantwortung zu tragen, dann kann er nicht gleichzeitig für alles Positive unverantwortlich sein.

Das beliebteste Diskussionsobjekt ist der Kader. Eine Extremposition ist, dass er als Sportvorstand den Kader zusammengestellt habe, der mit sechs Titeln Geschichte geschrieben habe. Die andere ist, dass er mit der Stammelf nur wenig zu tun hatte.

Beides ist in dieser Deutlichkeit natürlich nicht richtig. Fakt ist aber, dass in die Amtszeit von Salihamidžić die Transfers von Jamal Musiala, Lucas Hernández, Leon Goretzka, Alphonso Davies, Benjamin Pavard, Philippe Coutinho, Ivan Perišić und Leroy Sané fallen, die allesamt – einer mehr, der andere weniger – ernsthafte Aktien an mindestens einem der sechs Titel haben. Zugleich wird komplett unter den Tisch gekehrt, dass während seiner Zeit beim FC Bayern die Verträge folgender Spieler verlängert wurden, die beteiligt waren: Jamal Musiala, Manuel Neuer, Thomas Müller, Alphonso Davies, Robert Lewandowski, Serge Gnabry, Joshua Kimmich und Kingsley Coman.

Kaderplanung: Ein erkennbares Konzept

Natürlich hat Salihamidžić nicht an allen Spielern die gleichen Anteile. Aber eine solche Diskussion wäre schon deshalb müßig, weil es dahingehend nie Alleingänge gibt. Beim Goretzka-Transfer, der ihm gern komplett abgesprochen wird, war er nach unseren Informationen aber zumindest nicht unbeteiligt. Je weiter die Entscheidung jedoch von seinem Amtsantritt 2017 weg ist, auch das ist klar, umso mehr Verantwortung trägt der heutige Sportvorstand.

Die Liste beinhaltet zudem zwei echte Scoutingerfolge des FC Bayern, die schon sehr klar unter die Hauptverantwortung von Salihamidžić fallen: Alphonso Davies und Jamal Musiala. Zwei Spieler, die in der Zukunft des Klubs eine wichtige Rolle spielen könnten und für die man die Verantwortlichen – und somit auch den Sportvorstand – nicht genug beglückwünschen kann. Insbesondere die enge Zusammenarbeit zwischen Chefscout Marco Neppe und Salihamidžić funktioniert sehr gut. Zumal sie nicht die einzigen Spieler sind, die in diese Kategorie fallen. Salihamidžić hat viele Transfers von jungen Spielern zu verantworten, die mal mehr und mal weniger gut funktioniert haben, die aber allesamt auf dem Papier sinnvoll erscheinen. Es ist (wieder) ein offensichtlicher Teil des Konzepts, junge und talentierte Spieler rechtzeitig zu binden und dabei das eine oder andere Risiko einzugehen.

Beispielsweise Mickaël Cuisance, der für rund 8 Millionen Euro aus Gladbach kam, jetzt nach Marseille verliehen wurde und von den Franzosen für rund 18 Millionen Euro gekauft werden könnte. Hätte es in München geklappt, wäre das ein Top-Transfer geworden, so geht man immerhin mit Gewinn aus der Geschichte raus – oder, wenn man es zynisch mit dem Sarr-Transfer aufrechnen möchte, zumindest ohne Verlust.

In eine ähnliche Kategorie fällt der Transfer von Fiete Arp. 3 Millionen Euro Ablöse sind für ein Talent seiner Kategorie bemerkenswert. Zugleich konnte er dieses Talent beim FC Bayern nie unter Beweis stellen. Der Kritikpunkt: Sein Gehalt von geschätzten 5 Millionen Euro (unklar, ob Grundgehalt oder mit Klauseln/Boni). Für einen Klub wie den FC Bayern sicher kein Drama, angesichts der gezeigten Leistungen bei den Amateuren aber nicht angemessen. Trotzdem dürfte klar sein, dass sein Transfer keinerlei Risiko darstellte. Nicht jeder Neuzugang in dieser Kategorie wird zwangsläufig ein Davies oder Musiala, aber allein schon jetzt zwei solcher Erfolge zu verbuchen, ist nicht ganz so schlecht. Bei Alexander Nübel bleibt abzuwarten, wie er sich entwickelt. Aber auch sein Transfer war für den FC Bayern sehr sinnvoll. So hat man zumindest eine Option mehr, sollte Neuer in naher Zukunft beerbt werden müssen. Zumal der Berater trotz der aktuellen Situation sehr optimistisch zu sein scheint, was die Planungen von Salihamidžić angeht.

Konsequent bei den Abgängen

Interessant ist auch ein erweiterter Blick auf die Abgänge in seiner Amtszeit. Schon früh zeichnet sich ab, dass Salihamidžić eine klare Vorstellung von der Kaderstruktur hat. Ältere Spieler wie Arturo Vidal und Mats Hummels wurden relativ schnell aussortiert, weil sich bereits angedeutet hat, dass sie das ganz hohe Niveau nicht mehr gehen können. Selbiges passiert jetzt bei Jérôme Boateng. Das mag mitunter unromantisch sein, führt aber dazu, dass Neuzugänge nicht unnötig lange blockiert werden. Der Weggang von Vidal machte beispielsweise Platz für Goretzka, der Transfer von Hummels führte mittelfristig dazu, dass Hernández, Pavard und Davies mehr Chancen erhalten haben – je nachdem wie man es betrachtet. Teil eines notwendigen Übergangs also.

Boatengs Weggang wird den Weg ebenfalls für junge Spieler freimachen. Von Tanguy Nianzou wird beispielsweise viel erwartet. Ein weiterer Transfer unter der Verantwortung von Salihamidžić, auf den viele europäische Top-Klubs neidisch blicken. Thomas Tuchel, so heißt es, sei damals sehr sauer gewesen, dass Paris ihn ziehen ließ. Nianzou ist zweifellos eines der größten Talente auf seiner Position. Das garantiert ihm nicht, dass er es bei den Bayern packt, aber sollte der Körper mitspielen, stehen seine Chancen gut. Bayern hat für ihn keine(!) Ablöse bezahlt.

Allein aufgrund der Situation, dass Süle, Hernández und Nianzou immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen haben, ist es durchaus ein Risiko, das die Kaderplaner eingehen. Die große Frage ist jedoch, ob Boateng finanziell und sportlich derart starke Einschränkungen mitgemacht hätte. Und eine Sache ist schließlich immer noch ungeklärt: Vielleicht ist durch die geplanten Wechsel von Boateng und Alaba nun doch noch ein Türchen offen für Javi Martínez, der als fünfter Innenverteidiger die Rolle übernehmen könnte, die für Boateng vielleicht zu wenig wäre. Er selbst sagte im vergangenen Jahr noch, dass er gern eine neue Herausforderung vor dem Karriereende suchen würde. Aber selbst wenn Martínez ebenfalls noch geht, sind die Bayern innen mit Upamecano, Hernández, Süle, Nianzou und notfalls Pavard gut aufgestellt. Weil Salihamidžić und sein Team in den letzten Jahren vorausschauend, teils kontrovers und letztendlich doch klug agiert haben.

Thiago-Abgang ist der signifikante Unterschied

Weniger klug lief es auf anderen Positionen ab. Beispielsweise bei Thiago. Der Spanier, da würde wohl kaum jemand widersprechen, täte dem FC Bayern in der aktuellen Saisonphase sehr gut. Kimmich geht auf dem Zahnfleisch und braucht zwingend Pausen. Auch hier ist die Geschichte aber komplexer, als sie mitunter dargestellt wird. Thiago wollte weg. Er hat seinen Wunsch eingereicht und den Klub vor eine schwere Wahl gestellt: Einen verdienten Spieler ziehen lassen in dem Wissen, dass er nicht zu ersetzen sein wird oder ihn dazu zwingen, beim FCB zu bleiben und damit womöglich für Unruhe sorgen, die auch zukünftige Vertragsverhandlungen negativ beeinflussen könnte?

Ein drittes Szenario wäre gewesen, dass Salihamidžić und die Bayern früher an Thiago herantreten. Letztendlich wurde wohl einfach zu spät verhandelt. Hätte man sich einige Wochen zuvor mit dem Mittelfeldmann zusammengesetzt, wäre vielleicht eine vorzeitige Verlängerung möglich gewesen. Mit dieser im Rücken wäre Liverpool vielleicht gar nicht erst auf die Idee gekommen, ihn zu holen. Und wenn doch, wäre es von Seiten des FC Bayern einfacher gewesen, dem einen Riegel vorzuschieben, oder zumindest die Ablöse nach oben zu treiben. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass Thiago zuvor unter Kovač und auch zu Beginn unter Flick nicht die allerbesten Leistungen zeigte. Das wird dazu beigetragen haben, dass man eher abwartend agiert hat. Dennoch wäre es mittelfristig wohl klüger gewesen, den Vertrag zu verlängern. Allein schon für eine höhere Ablösesumme.

So aber ging Thiago für rund 22 Millionen Euro. Eine Summe, mit der er schlicht nicht zu ersetzen gewesen ist. Aber auch eine, die in der Ausgangslage nicht viel stärker verhandelbar war. Dass es überhaupt erst soweit kam, ist jedoch ein berechtigter Kritikpunkt an Salihamidžić. Heute ist Thiago der eine signifikante Unterschied zur Qualität des Kaders im letzten Jahr.

Gut gepokert bei Sané

Darauf folgt eine Sommertransferperiode, die für viel Aufsehen sorgen wird. Frühzeitig steht fest, dass Leroy Sané zum FC Bayern kommen würde. Schon im Sommer zuvor wird eifrig mit Manchester City verhandelt, dann verletzt sich der Nationalspieler schwer. Ob es tatsächlich dort schon zu einer Einigung gekommen ist, ist aufgrund unterschiedlicher Medienberichte nicht nachzuvollziehen. Wahrscheinlich ist aber: 80 Millionen Euro hätten die Bayern mindestens bezahlt. Einige berichten damals sogar von 100 Millionen Euro oder mehr. Wer den FC Bayern kennt, dürfte aber wissen, dass das sehr unwahrscheinlich ist.

Jedenfalls macht die schwere Verletzung sowieso einen Strich durch die komplette Rechnung. Und der FC Bayern tat etwas, was für ihn zuletzt nicht immer typisch war: Er handelt in einer sehr stressigen Situation, die auch durch alle Verantwortlichen öffentlich befeuert wird, überlegt. Auch wenn die Leihen von Perišić und Coutinho zunächst als Panikaktionen gedeutet werden, so macht man an der Säbener Straße damit viel mehr richtig als falsch. Zwar sind auch diese Spieler mit Ausgaben verbunden (gerade Coutinhos Gehalt ist teuer), doch man verschafft sich dadurch wichtige Zeit. Einerseits, um Sanés Entwicklung in Ruhe zu beobachten, andererseits, um sich Alternativen zurecht zu legen.

Die Rechnung geht auf. Coutinho und Perišić überzeugen zwar nicht immer tadellos, aber im Sommer darauf bekommt Salihamidžić seinen Wunschspieler aus Manchester – sogar für 45 Millionen Euro statt der zuvor kolportierten, viel größeren Summe. Ein Coup? Zumindest wird er als solcher kaum gewürdigt. Wie wäre die Geschichte wohl unter Sammer beurteilt worden?

Salihamidžić versucht, alte Versäumnisse auszubaden

Vermutlich wird der Transfer aber auch deshalb nicht so sehr gewürdigt, weil der Kader noch viel mehr Baustellen hat. Der Thiago-Abgang reißt im Mittelfeld ein großes Loch, hinten rechts braucht es eine Alternative zu Pavard, vorn wäre ein Backup für Lewandowski ganz nett und drei Flügelspieler sind zwar super, aber ein vierter wäre nicht schlecht.

Was sowohl in der heutigen Bewertung als auch in der damaligen aber häufig vergessen wird: Die Coronasituation sorgt für einen nicht absehbaren finanziellen Schaden. Gut möglich, dass der Fußball einen Weg finden würde, im Jahr 2021 wieder gewohnte Einnahmen zu generieren. Genauso ist es damals aber möglich, dass auch im gesamten kommenden Jahr der Umsatz stark einbricht.

Salihamidžić muss jetzt ausbaden, was unter anderer Verantwortung entschieden wurde: Der zu dünne Kader muss breiter werden. Mit der Thiago-Geschichte hat er sich zudem noch selbst ein Bein gestellt. Sein Budget, davon kann ausgegangen werden, ist durch die Pandemie stärker eingeschränkt, als er es im Sommer zuvor noch vermutet hätte. Ein Vorwurf ist dahingehend wohl kaum zu machen. Niemand hat damit gerechnet. Am Ende wird der FC Bayern etwas mehr als 62 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben haben – 45 Millionen Euro davon gehen für Sané nach Manchester.

Zu dünner Kader? Flick trägt Teilverantwortung

Selbst wenn man das Budget großzügig auf 80 Millionen Euro aufrundet und sagt, dass das innerhalb der Schmerzgrenze gewesen sein könnte, ist es unfassbar schwer, letztendlich mehr zu präsentieren als Salihamidžić. Für Roca zahlt er 9 Millionen Euro (im Vorjahr wurden noch 40 Millionen Euro verlangt), Choupo-Moting kommt ablösefrei, Costa ist eine Leihgabe, die mit für den Klub überschaubaren Kosten verbunden ist.

Alle drei Spieler ergeben selbst aus heutiger Sicht immer noch viel Sinn, wenn die Erwartungshaltung mitgedacht wird. Choupo-Moting zeigt in der aktuellen Saisonphase, dass er mit etwas Rhythmus ein verlässlicher Spieler sein kann. Bei Roca ist es ein wenig komplexer. Doch auch der Spanier zeigt in seinen Einsätzen, dass er über gute Ansätze verfügt, die er aufgrund der fehlenden Intensität gegen den Ball nie häufiger zeigen darf. Flick ist da sehr konsequent. Kritiker:innen würden es stur nennen.

Jedenfalls sollte er aber nicht aus der Verantwortung genommen werden. Für einen Trainer ist es zwar extrem schwer, Neuzugänge ohne Sommervorbereitung zu integrieren, aber trotz aller berechtigten Argumente wäre mehr Einsatzzeit für Roca möglich gewesen. Stattdessen kommt er nur sehr sporadisch oder gar nicht zum Einsatz. Flick hat sich die Geschichte damit recht einfach gemacht, gewollt oder ungewollt den Fokus auf die Kaderplanung gelenkt, zugleich aber seine eigene Situation zusätzlich erschwert und Verletzungen von Spielern in Kauf genommen.

Sarr ist der einzige Knackpunkt

Die Leihe von Costa ist eigentlich sogar ein No-Brainer. Er kennt den Klub, er kann auf einem mindestens ordentlichen Niveau Fußball spielen und er kennt einige Mitspieler. Dass es am Ende nicht geklappt hat, ist auch deshalb verkraftbar, weil Bayern mit Sané und Musiala zwei Spieler geholt hat, die das auffangen. Costa wäre die Kirsche auf der Torte gewesen, konnte immerhin ein paar Minuten Entlastung für die Stammspieler bringen. Ein großer Erfolg war er nicht, versagt hat hier aber auch niemand. Schon deshalb, weil Musiala dadurch mehr Spielzeit bekommt. Costas Rolle im Kader ist also letztlich irrelevant.

Der zugleich berechtigste und am heißesten diskutierte Fall ist Bouna Sarr. Der Franzose kam für rund 8 Millionen Euro aus Marseille. In einem Interview mit „RMC Sport“ sagt Sarr 2020 sogar, dass Flick ihm während des Testspiels vor dem Champions-League-Turnier in Lissabon gesagt habe, dass er ihn wolle. Anders als häufig dargestellt, ist Flick also nicht ohne Aktien, was die Verpflichtung anbelangt.

Trotzdem ist bekannt, dass Flick und auch Salihamidžić gern Sergiño Dest geholt hätten, der für 21 Millionen Euro zu Barcelona ging. Eine Summe, die für die Bayern im letzten Jahr nicht so einfach aufzubringen ist. Durchaus vorstellbar, dass Salihamidžić hier klare Grenzen vom Aufsichtsrat gezogen bekommt, der in Coronazeiten, wie die aktuelle Geschichte von Boateng zeigt, wahrscheinlich noch intensiver auf die Ausgaben des Klubs schaut. Umso fragwürdiger ist es aber, dass Sarr in München gleich einen Vierjahresvertrag bekommt.

Auch mit einem anderen Rechtsverteidiger wäre die Situation nicht wirklich besser

Retrospektiv betrachtet wäre wohl jeder andere Transfer sinnvoller gewesen als Sarr. Womöglich hätte man auch einfach Chris Richards behalten können. Mit Benjamin Henrichs ist damals zudem ein deutsches Talent auf dem Markt, das auf Leihbasis zu Leipzig geht. Eine Leihgabe wäre wohl optimal gewesen.

Zugleich muss eingeordnet werden, dass sowohl Dest als auch Henrichs bei ihren jeweiligen neuen Klubs nicht überragen. Ersterer tut sich in einem zugegebenermaßen schwierigen Umfeld schwer damit, seinen Offensivdrang einzubringen und auch hinten wirkt es mitunter instabil, was Dest anbietet. Henrichs schien sich zu Beginn in Leipzig durchzusetzen, verletzte sich dann an der Patellasehne. Auf der Rechtsverteidigerposition darf er jedoch nur selten ran.

Es ist fraglich, ob einer der beiden die jetzige Situation entscheidend verbessert hätte. Letztendlich läuft doch alles darauf hinaus, dass Pavard seine Form aus dem Vorjahr nicht halten konnte und sich erst jetzt wieder etwas zu stabilisieren scheint. Wirklich anders diskutiert würde jetzt aber wohl auch mit Dest im Kader nicht. Viel mehr ist es möglich, dass hinterfragt würde, warum Salihamidžić 21 Millionen Euro (oder mehr) für ihn ausgegeben hat. Denn wie diverse Beispiele in Europa zeigen: Selbst die teuersten Transfers brauchen in dieser besonderen Saison eine lange Anlaufzeit. Vielleicht also gar nicht so verkehrt, wenn die Bayern sich im kommenden Sommer erneut auf die Suche nach einer besseren Alternative machen, statt den erstbesten Weg zu gehen. Zumindest wird der langfristige Blick von Salihamidžić immer wieder intern herausgehoben.

Fazit zur Kaderplanung

Wie man es dreht und wendet: Der Kader des FC Bayern wird schlechter gemacht, als er tatsächlich ist. Dabei werden viele harte Fakten ignoriert. Beispielsweise die finanzielle Lage des Klubs, die fehlende Sommervorbereitung, die mentale Herausforderung nach dem Gewinn aller Titel, die schwierigen Ausgangsbedingungen aufgrund einer nicht optimalen Kaderpolitik in den Vorjahren (nicht allein von Salihamidžić verantwortet), die Müdigkeit vieler Schlüsselspieler und nicht zuletzt auch die Verletzungen. Neun Ausfälle gegen Union? Das würde kein Klub der Welt mal eben so wegstecken. Zumal teils absolute Stützen des Teams fehlten und immer noch fehlen.

Der enge Spielplan ist sicher ein Faktor dafür und Ursachen für muskuläre Verletzungen lassen sich nur schlecht von außen bewerten. Dass Flick aber nur dann rotiert, wenn er sich dazu gezwungen sieht, dürfte mindestens ein wenig dazu beigetragen haben. Vielleicht hätte er häufiger das Ergebnis in den Hintergrund stellen sollen. Kaum vorstellbar, dass der häufigere Einsatz von Roca beispielsweise im Bundesliga-Alltag dazu geführt hätte, dass die Münchner jetzt viel schlechter dastehen.

Wenn es also um einen aktuell vermeintlich dünnen Kader geht, dann sollte der Finger nicht ausschließlich in Richtung Salihamidžić zeigen. Da spielen viele Faktoren rein. Rein numerisch ist der Kader sogar recht breit aufgestellt im Vergleich zu den vergangenen Jahren. Nur hat man sich in den Vorjahren eine optimale Reaktion auf die im vergangenen Sommer veränderte Gesamtsituation verbaut, indem stark ausgedünnt wurde. Und da spielen viele Entscheidungen rein, die Salihamidžić faktisch nicht zu verantworten hat. Aber auch welche, die in seine Amtszeit fallen.

Macher oder Mitläufer?

Schlussendlich ist das größte Problem in der Bewertung von Salihamidžićs Arbeit wohl, dass sie recht intransparent ist. Der Klub sieht natürlich keine Notwendigkeit, zu veranschaulichen, wer für welche Entscheidung verantwortlich ist. Das wäre eher noch schädlich für das Arbeitsverhältnis. In der öffentlichen Meinung wird aber schnell klar, dass alles Negative sofort auf den Sportvorstand projiziert wird. Stimmen muss das deshalb nicht immer.

Der Klub befindet sich unter seiner Leitung nach wie vor in der erfolgreichsten Phase der Klubgeschichte. Genauso wie Salihamidžić gern für alles zur Rechenschaft gezogen wird, könnte man behaupten: Seit er im Sommer 2017 kam, ging es stetig bergauf. Zunächst ein Titel unter Heynckes, dann zwei unter Kovač, schließlich drei unter Flick und in dieser Saison sogar noch der Sechserpack. Das wird der Komplexität ebenfalls nicht gerecht, veranschaulicht aber das Problem in der Bewertung.

Ist der 44-Jährige nun also ein Macher oder eher Mitläufer? Vielleicht beides nicht. Im Klub genießt Salihamidžić nach wie vor hohes Ansehen. Das, was ehemals als „Fleiß“ und „Engagement“ vage beschrieben wurde, wird mittlerweile mit Worten wie „klares Konzept“, „klare Idee“, „Vision für die Zukunft“ oder „tolle Entwicklung“ ausgeschmückt. Viel konkreter ist das auch nicht, aber immerhin. Selbstverständlich könnte man dem unterstellen, dass es ganz normale Werbung für einen Mitarbeiter in wichtiger Position ist. Aber die Erfolge und die Entwicklung des FC Bayern geben ihnen eben recht. Und so ist Salihamidžić womöglich mehr „Macher“, als ihm von außen zugetraut wird.

Zumal das auch den Campus betrifft, für den Salihamidžić die Hauptverantwortung trägt. Über die Zusammenarbeit mit Campusleiter Jochen Sauer ist wenig bekannt. Deshalb kann kaum darüber geurteilt werden, wer für welche Entscheidungen wie viel Verantwortung trägt. Allerdings sind die Amateure in die 3. Liga aufgestiegen und konnten dort die Meisterschaft holen. Der Weg von Miroslav Klose, wenn auch mit zwischenzeitlichem Konflikt mit Salihamidžić verbunden, ist durchaus positiv. Genauso darf die Entscheidung pro Martin Demichelis als U19-Trainer retrospektiv als Erfolg bezeichnet werden. Allgemein gibt es mittlerweile einige Trainer am Campus, die viel Qualität mitbringen. Wie erfolgreich Demichelis bei den Amateuren gemeinsam mit Danny Schwarz sein wird, ist noch nicht absehbar.

Eine große und umfangreiche Bewertung hinsichtlich des Campus wird ohnehin erst in einigen Monaten, vielleicht Jahren möglich sein. Die spannenden Jahrgänge kommen erst jetzt und natürlich muss es gelingen, den einen oder anderen Spieler dann mit einer guten Perspektive zu binden und an die Profis heranzuführen. Und zu dieser Perspektive zählt auch der Klassenerhalt in der 3. Liga, der aktuell gefährdet ist, weil man vor der Saison keinen passenderen Trainer fand als Übergangslösung Holger Seitz. Das ist bei allem Lob genauso Teil der Wahrheit.

Entscheidung zwischen Sportvorstand und Trainer ist immer eindeutig

Wer dem Klub aber unterstellt, er würde Salihamidžić nur aus Nächstenliebe zum Sportvorstand befördern, der macht sich die Welt recht simpel. Wer ihm gar unterstellt, Salihamidžić sei nur da, damit Hoeneß aus der Ferne weiter eingreifen könne, der muss sich sogar Vergleiche mit Verschwörungstheoretiker:innen gefallen lassen. Beide Extrempositionen ignorieren, dass sich Salihamidžić oft genug gegen die Positionen von Hoeneß und Rummenigge gestellt hat und in den letzten Jahren durchaus ein Profil entwickelt hat, das ihm nur wenige zugetraut haben.

Das bestätigen nicht nur Vereinsmitarbeiter:innen, sondern auch Leute aus dem Umfeld, die regelmäßig mit ihm im Kontakt stehen oder mit ihm arbeiten (müssen). Ein Klub, so viel steht jedenfalls fest, ist nicht trotz einer sportlichen Leitung erfolgreich. Es gibt, wie in diesem Text dargestellt, durchaus Kritikpunkte an der Arbeit von Salihamidžić. Doch das, was ihm teilweise in der Öffentlichkeit entgegen gebracht wird, ist nicht immer fair.

Dass der Klub am Ende eher an seinem Sportvorstand als am Trainer festhält, ist nicht nur nachvollziehbar, sondern der einzig richtige Weg. Einen neuen Trainer zu finden, der mit den Bayern weiterhin erfolgreich ist, wird sicher nicht leicht. Aber es ist womöglich ein einfacheres Unterfangen als der Austausch des sportlichen Leiters, weil der ganze Strukturen innerhalb des Klubs zu verantworten hat. Ärgerlich ist aber, dass es für beide Positionen eigentlich keinerlei Notwendigkeit für Veränderung gäbe. Beide sind erfolgreich und waren das zwangsläufig trotz einiger Differenzen sogar gemeinsam. Nur die zwischenmenschliche Auseinandersetzung, die ebenfalls von außen so gut wie gar nicht zu beurteilen ist, führt den Klub in diese Lage.

Der Kritik fehlt die Ausgewogenheit

Der Trainer ist dabei selbstverständlich das schwächste Glied. Beide haben ihre berechtigten Kritikpunkte am jeweils anderen. Beide müssen aber auch verstehen können, warum der jeweils andere so gehandelt hat. Und daran scheint es nun zu scheitern. Im Moment wird deshalb auch alles auf die Goldwaage gelegt. Die Boateng-Geschichte beispielsweise: Bereits seit Monaten rumort es, dass der Innenverteidiger den Klub verlassen müsse. Am Montag vor dem Paris-Hinspiel berichtet der Kicker dann über die endgültige Entscheidung, die wohl der Aufsichtsrat mindestens bestätigt habe. Natürlich ist es dann die Pflicht des Sportvorstands, sich nochmal mit dem Spieler zu unterhalten, um Missverständnisse zu vermeiden.

Zumal der Kicker auch davon berichtet hat, dass der Berater von Boateng längst Bescheid wisse. Für niemanden – nicht für den Spieler und auch nicht für den Trainer – kam diese Entscheidung also wirklich überraschend. Aber weil Salihamidžić eben immer noch ein leichtes Ziel ist, spielt das in der Bewertung vielerorts keine Rolle. Umfragen verschiedener Portale zeigen, wie eindeutig sich die Teilnehmer:innen für Hansi Flick entscheiden würden, wenn es darauf ankäme.

Flick hat sehr viel geleistet. Er profitiert dabei aber auch von der Arbeit der sportlichen Leitung. Es ist sicher keine steile These, dass sich der eine oder die andere Teilnehmer:in darüber wundern würde, wie groß der Anteil von Salihamidžić in den letzten Jahren wirklich am Erfolg ist. Zumindest, wenn man sich nicht von Vorurteilen leiten lässt. Das schützt ihn sicher nicht vor Kritik. Aber eine ausgewogene und faire Bewertung sollte im Rahmen der Möglichkeiten liegen. Salihamidžić nur dann als Verantwortlichen zu betrachten, wenn etwas nicht gut läuft, zählt nicht dazu.



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