Bayern krönt sich im ebenbürtigen Finale
Nach einer turbulenten Transferperiode, in der man zwar die Wunschspieler für die Defensive bekam, musste Bayerns Sportdirektor spät noch zwei Spieler per Leihe nach München holen. Wunschspieler Leroy Sané wechselte erst in diesem Sommer an die Isar. Bei einer Offensive, die durch einen Coutinho im Formloch und einen Ivan Perisic, der mit Ausnahme der WM 2018, seit längerem keine herausragenden Spiele mehr machte, war es nur logisch, dass viele den FC Bayern nicht zu den Topfavoriten auf den CL-Titel zählten. Zu stark wirkten die Mannschaften aus England, Spanien oder auch Italien.
Der schleppende Saisonstart unter Niko Kovac bestätigte diese Hypothese nur weiter. Alles in allem wirkten die Bayern oft lethargisch, einfallslos und nicht wirklich wie ein Team, das Großes erreichen will.
Auch bei Paris war die Lage angespannt. Zwar besitzt man bereits seit Jahren eine herausragende Mannschaft, musste sich aber regelmäßig früh aus der Champions League verabschieden. 2019 beispielsweise gegen Manchester United, die mittlerweile wahrlich nicht mehr zu der Spitzengruppe im europäischen Fußball zählen. Entsprechend hätte man mit einer Wette auf die Finalbegegnung zwischen den Bayern und PSG sicherlich viel Geld verdienen können.
Doch bei beiden Teams schienen sich über die Saison hinweg gut zu entwickeln, besonders nach der Corona-Pause. In Paris findet Thomas Tuchel einen Draht zur Mannschaft, während Hansi Flick seine wichtigsten Spieler hinter sich weiß. Dazu implementierte der Weltmeister von 2014 eine funktionierende Offensive, die die Stärken der einzelnen Akteure perfekt zum Vorschein bringt. Unerwartet entwickelte sich das Pressing zum Prunkstück der Münchner, jenes sollte auch zum wichtigsten Punkt des Finales werden.
Auf der Suche nach Räumen
Nach zehn intensiven Anfangsminuten dominierte allerdings PSG erst einmal mit seinem Pressing das Geschehen. Gut, vielleicht ist dominieren das falsche Wort, schließlich hatte keine der beiden Mannschaften über einen längeren Zeitraum die volle Kontrolle über die Partie. Allerdings schaffte es Paris mit einem cleveren Plan die Bayern vor Probleme zu stellen.
Wir alle kennen Thomas Tuchel aus seiner Zeit bei Mainz und Dortmund und wissen, dass der schlanke Perfektionist stets clevere Anpassungen vornimmt, um seiner Mannschaft einen Vorteil zu erarbeiten. So auch dieses Mal.
Um den Plan und den Gedankengang von Tuchel nachzuvollziehen, müssen wir uns bewusst machen, wer im System der Bayern entscheidend für das Aufbauspiel ist.
Eine wichtige Säule ist ein Österreicher in neuer Position. Seit David Alaba als Innenverteidiger aufläuft, zeigt er regelmäßig starke Leistungen und ist im Gespann mit Alphonso Davies auf links eine Gefahr für jeden Gegner. Folglich war dies Priorität Nummer eins von Thomas Tuchel.
Des Weiteren spielen Joshua Kimmichs Spielmacherfähigkeiten auf der rechten Seite eine wichtige Rolle. Gerade im Zusammenspiel mit Jerome Boateng, Thomas Müller und Serge Gnabry war die rechte Seite in Portugal tonangebend.
Der dritte zentrale Mann für den Aufbau ist Thiago. Der Spanier übernimmt meist die tiefere Rolle auf der Doppelsechs, strahlt jede Menge Ruhe aus, wechselt intelligent die Seite und ist vor allem unfassbar pressingresistent. Gerade gegen Paris konnte er hier zum wiederholten Male seine Wichtigkeit unter Beweis stellen.
Also halten wir fest. Die wichtigsten Akteure für das erfolgreiche Aufbauspiel der Bayern sind:
- David Alaba bzw. die Verbindung in den Halbraum und zu Alphonso Davies
- Joshua Kimmich
- Thiago
Was hat sich das Trainerteam rund um Thomas Tuchel nun gegen das Münchner Aufbauspiel einfallen lassen? Interessanterweise schauten sie sich ein paar Aspekte von Olympique Lyon ab.
David Alaba nach rechts abdrängen
Damit die Verbindung zwischen Davies und Alaba gekappt werden konnte, lief Angel Di María, ähnlich wie Ekambi bei Lyon, von außen nach innen an und versuchte, mittels des Deckungsschattens, den Pass zu Davies zu unterbinden. Des Weiteren konnte er Alaba bereits früh bei der Ballannahme stören und dafür sorgen, dass sich der Österreicher mehr ins Zentrum orientieren musste, statt in den Halbraum zu drehen.
Folglich gelang es den Bayern seltener durch den linken Halbraum nach vorne zu gelangen. Dies lag auch an der Mittelfeldkette, über die wir später noch sprechen werden.
Kimmich konsequent pressen und isolieren
Damit auch Joshua Kimmich über halbrechts nicht zur Entfaltung kommen konnte, ordnete Tuchel Kylian Mbappé an den Nationalspieler zu pressen. Dementsprechend orientierte sich der Franzose an Kimmich und setzte ihn unter Druck, sobald er den Ball erhielt. Unterstützung erhielt er dabei von Neymar, der sich zentral orientierte, das Mittelfeld in der Verteidigung von Goretzka und Thiago unterstützte, oder eben Boateng presste. So gerieten die Bayern immer wieder in enge Situationen am rechten Flügel.
Thiago mannorientiert verfolgen
Um auch den Spanier aus dem Spiel zu nehmen, versuchten PSG zum einen mittels Mannorientierungen Druck auszuüben. Meist war es Ander Herrera, der seinen Landsmann verfolgte. Vereinzelt war es in Halbzeit zwei auch Marquinhos, damit Herrera die Löcher hinter Di María einfacher stopfen konnte.
Zum anderen sollte Thiago das Problem fehlender Anspielstationen haben. David Alaba und Joshua Kimmich konnten leicht unter Druck gesetzt werden, gleiches galt für Leon Goretzka und auch Jerome Boateng war aufgrund von Neymars Positionierung nicht immer frei. Thiago reagierte auf die fehlenden Anspielstationen aber sehr geschickt mit kurzen Dribblings in die freien Räume.
Was machte PSGs Mittelfeldkette?
Grundsätzlich agierte Paris aus einem 4-5-1/4-3-3 heraus, das aufgrund des Anlaufens von Di María häufiger zu einem asymmetrischen 4-4-2 wurde. Schob der Argentinier weiter nach vorne, stellte Ander Herrera aber kein klassisches 4-4-2 her. Ganz im Gegenteil, er blieb weit in Zentrum und verfolgte Thiago. Mit ihren Dreierblock aus Herrera, Marquinhos und Paredes gelang es PSG Pässe in den Zwischenlinienraum geschickt zu unterbinden. Wer die Bayern ein wenig kennt, dem wird aufgefallen sein, dass sie meist den Raum zwischen Abwehr und Angriff versuchen zu überladen und mit Pässen von Thiago, Boateng, Kimmich oder Alaba vor die gegnerische Abwehr zu kommen. Gegen Tuchels Team gelang dies aufgrund des intelligenten Pressings allerdings eher seltener, weswegen sich die Offensivmaschinerie der Bayern auch lange schwertat.
Wo lagen nun die Schwächen von PSG?
Die obige Grafik zeigt bereits den offenen Raum im Pressing von PSG, den die Bayern versuchten anzusteuern. Natürlich hinterließ das hohe Aufrücken von Di María und die zentralere Position von Ander Herrera Räume von Alphonso Davies. Da Kingsley Coman mit seiner Schnelligkeit stets eine reale Gefahr darstellte, konnte Thilo Kehrer nicht weit aus der Position rücken. Folglich konnten die Bayern das Spiel schnell nach vorne bringen, sobald sie Davies freispielten.
Die Frage lautete nun, wie dies gelingen konnte. Es gab verschiedene Wege diesen Raum zu bespielen. Logischerweise kann ein Torhüter wie Manuel Neuer mit einem langen Ball den Kanadier auf links erreichen. Speziell wenn PSG höher schob, war diese Aktion das ein oder andere Mal zu beobachten.
Jedoch sind hohe Bälle stets lange unterwegs, geben der pressenden Mannschaft folglich mehr Zeit zu verschieben und den Passempfänger bereits bei der Ballannahme zu stören. Dementsprechend benötigte es andere Lösungen, um den Raum konstant zu nutzen. Dabei spielte Manuel Neuer wieder eine wichtige Rolle.
Mit Hilfe des Nationaltorhüters stellten die Bayern im tieferen Aufbau einer Torwartkette her, um die Innenverteidiger breiter positionieren zu können (In der Grafik noch Boateng, später dann Süle). Durch die breitere Positionierung der Innenverteidiger erschwerten sich die Anlaufwinkel für die Angreifer der Franzosen, speziell für Di María. Der Argentinier konnte nun nicht mehr von außen anlaufen, ohne den Halbraum zu öffnen. Die Entscheidung für die Zwischenlösung ist meist eher suboptimal. Folglich gelangen Alaba vereinzelte Pässe auf Davies, oder Thiago konnte als dritter Spieler eingebunden werden.
Auch die tiefere Rolle des Spaniers sorgte bei Paris für Probleme. Schob Neymar eng an ihn heran, fehlte PSG der Zugriff im Pressing. Schob Herrera heraus, fehlte ein Spieler, der Davies im Notfall pressen könnte. Darüber hinaus waren die Wege für Herrera recht weit, gleiches galt auch für Marquinhos, da die Bayern das Spiel geschickt in die Tiefe zogen.
Insbesondere der Zugriff auf Thiago stellte sich als problematisch für das Team von Thomas Tuchel im Verlauf des Spiels heraus. Der ehemalige Barcelona-Akteur bewegte sich tiefer im Dunstkreis von Neymar und entzog sich somit geschickt den Fängen des Pariser Mittelfelds.
Durch die tiefe Position von Thiago blieb den Franzosen nichts anderes übrig, als mit einem Spieler herauszurücken, um weiterhin Druck ausüben zu können. Gegen Neuer, Boateng und Alaba gelang es Neymar nicht alleine alle Passwege zu schließen. Nun erhielten die Münchner aber mehr Raum für einen Pass zwischen den Linien. Lewandowski, Coman, Müller und Gnabry versuchten sich so von ihren Verteidigern zu lösen und neben der Mittelfeldkette von PSG zu positionieren. Vor dem Münchner Siegtreffer machte Joshua Kimmich genau dies und konnte von Thiago perfekt in Szene gesetzt werden.
Wie pressten die Bayern das Aufbauspiel von PSG?
Wie in jeder Partie unter Hansi Flick liefen die Bayern wieder aggressiv an und versuchten den Gegner bereits im Aufbauspiel zu stören. Dabei gingen die Bayern dieses Mal aber ein geringeres Risiko ein als in den Partien zuvor. Dies hatte sicherlich mit der immensen individuellen Qualität der Franzosen im Angriff zu tun.
Während das Team von Thomas Tuchel gegen den Ball im 4-3-3/4-4-2 verteidigte, formierten sie sich in Ballbesitz in einem 4-2-2-2, um die Halbräume idealerweise nutzen zu können. Flick reagierte darauf mit der Anpassung im Pressing. Im Finale wurde in einem recht klassischen 4-4-2 verteidigt, dass jedoch stets flexibel gespielt werden konnte.
Normalerweise liefen Lewandowski und Müller die beiden Innenverteidiger an, Thiago und Goretzka schoben weiter nach vorne, um die Sechser zu übernehmen, während Gnabry und Coman zuerst den Halbraum sicherten und dann die Außenverteidiger versuchten zu pressen.
Folglich positionierten sich die Außenverteidiger der Münchner tiefer, um die gefährliche Offensive um Mbappé, Neymar und Di María zu stoppen.
Allerdings gab es auch hier immer wieder Varianten, beispielsweise wenn Müller und Lewandowski die Sechser deckten und Gnabry zusammen mit Coman von außen die Innenverteidiger anliefen.
Generell versuchte PSG entweder ihre Topstars im Halbraum zu finden, was selten gelang, oder die hohe ballnahe Kompaktheit der Bayern zu nutzen, in dem man sich versuchte aus dem Druck zu lösen und dann auf die ballferne Seite zu verlagern. Dafür wurden immer wieder diagonale lange Bälle genutzt und man konnte bei den Bayern hin und wieder die Probleme im Verteidigen der Tiefe erkennen.
Anpassungen bringen Bayern den Erfolg
Die Bayern hatten lange Probleme zwischen die Linien zu gelangen, das sollte sich eigentlich über die ganze Zeit der Partie nicht ändern. Dementsprechend wurde das Spiel über die Flügel, vor allem links, gesucht. Nach ungefähr 25 Minuten fingen die Bayern an die linke Seite zu fokussieren, da Di María Probleme in der Anpassung seiner Position hatte. Der Argentinier lief zwar Alaba weiterhin an, die Bayern fanden aber nach und nach Lösungen Alphonso Davies freizuspielen. Die nun offenen Räume links wurden genutzt, um schnell zu attackieren und mit Tempo auf die Verteidigung zuzugehen. Insbesondere das Duell zwischen Coman und Kehrer sollte in der zweiten Halbzeit für Vorteile auf Seiten der Münchner führen.
Auch Thomas Tuchel änderte in der Pause eine Kleinigkeit. Kylian Mbappé begann nun rechts, während Di María über die linke Seite kam. Wahrscheinlich wollte Tuchel die defensiven Unsicherheiten von Davies nutzen und ihn gleichzeitig weiter hinten binden. Allerdings wurden die Aufgaben nicht wirklich angepasst. Di María lief weiterhin von außen nach innen an, hatte mit Kimmich nun aber einen Gegenspieler, der gerne ins Zentrum einrückte. Die breite Position von Gnabry sorgte dafür, dass der Rechtsverteidiger hier den erforderlichen Platz fand und die Bayern so einfacher in den Raum neben bzw. hinter die Pariser Mittelfeldkette gelangen.
Fazit
Am Ende siegten die Bayern in einem ausgeglichenen Finale aufgrund der Chancenverwertung und einer herausragenden Leistung von Manuel Neuer. Zwar lag für mich persönlich ein kleiner Schatten über dem Finale aufgrund der Beziehung der beiden Teams zu Katar, allerdings kann man von der fußballerischen Leistung her nur beiden Teams Respekt zollen. Paris St. Germain schaffte es letztlich nicht das bayrische Pressing konstant zu überspielen. Wenn es dann mal gelang, wurden die Schnellangriffe aufgrund unsauberer Laufwege schlampig ausgespielt und die Chancen nicht verwertet.
Die Bayern hingegen fanden immer wieder kleine Lücken im guten Defensivplan von Thomas Tuchel und konnten den herausragenden Lauf nach der Corona-Pause krönen. Hut ab vor dieser Entwicklung von Hansi Flick. Wer hätte vor 10 Monaten gedacht, dass die Bayern mal mit einem solchen Turbofußball durch die CL pflügen.
Dieser Artikel erschien zuerst auf thefalsefullback.de.