Diskussion: FC Bayerns Finanzen – Status quo und Zukunftsperspektiven
Den Anfang machen Marc und Alex mit einer Diskussion über die aktuelle finanzielle Situation des FC Bayern anlässlich der kürzlichen Vorstellung der Fianzzahlen auf der Jahreshauptversammlung. Dabei diskutieren sie auch, was diese Zahlen in einem größeren Zusammenhang für die finanzielle Zukunft der Bayern bedeuten.
Diese Diskussion ist zuerst in Englisch auf miasanrot.com erschienen.
„Der lachhaft große finanzielle Vorsprung“
Marc: Alex, wenn du dir die von Swiss Ramble vorgestellten Zahlen einmal genauer anguckst, was fällt dir besonders ins Auge? Ich persönlich finde ja die Diskrepanz zwischen der immensen finanziellen Überlegenheit der Bayern in der Bundesliga und ihrem stetig zunehmenden Zurückfallen im Konzert der Großen auf europäischer Bühne am interessantesten.
Alex: Der Swiss-Ramble-Bericht beinhaltet eine ganze Reihe von Dingen, die ich ziemlich bemerkenswert finde. Der von dir erwähnte lachhaft große finanzielle Vorsprung der Bayern auf nationaler Ebene ist da nur ein Beispiel (mehr dazu später). Aber wenn ich zunächst auf den europäischen Kontext gucke, dann kann ich im Unterschied zu dir nicht ganz erkennen, dass die Bayern ihrer europäischen Konkurrenz immer weiter hinterherhinken sollen. Für mich sieht es eher so aus, als würden sie sich dort im Gegenteil sogar ganz gut behaupten können. Wie der Swiss Ramble Bericht zeigt, liegen sie beim Jahresumsatz seit über einem Jahrzehnt unter den vier stärksten Clubs in Europa und sie sind auch schon seit langem einer der profitabelsten Clubs in Europa.
Marc: Ja, im Moment sind die Bayern in Europa noch wettbewerbsfähig. Nichtsdestotrotz vergrößert sich der Abstand zu den anderen Top-Clubs sukzessive. Was mich aber noch mehr besorgt ist, dass inzwischen viele andere Clubs bei den Einnahmen aus Merchandising, Sponsoring und Werbung (den kommerziellen Einnahmen) zu den Bayern aufholen, also gerade in dem Bereich, in dem die Bayern lange am besten in Europa dastanden. Führt man sich dazu noch vor Augen, dass sich die Einnahmen aus der TV-Vermarktung nur sehr langsam ändern und die Bayern bei den Einnahmen hier bereits von England abgehängt sind, werden sie sich nach anderen Einkommensquellen umgucken müssen, wenn sie zukünftig noch mit den Großen in Europa mithalten wollen. Zusammengefasst würde ich also sagen, dass die Bayern vielleicht jetzt noch keinen finanziellen Wettbewerbsnachteil haben, aber wahrscheinlich bald einen bekommen werden, wenn die aktuelle Entwicklung so weitergeht.
Alex: Ich sehe das etwas anders als du. Der Jahresumsatz der Bayern liegt schon seit über einem Jahrzehnt konstant bei ca. 75-85% der jeweiligen europäischen Spitze. Und weil ich der Überzeugung bin, dass sich in diesen hohen finanziellen Sphären die sportliche Leistungsfähigkeit einer Mannschaft nicht mehr proportional mit den für sie verfügbaren finanziellen Mitteln (Transfers, Gehälter) steigern lässt, beunruhigt mich diese Situation nicht so sehr wie dich. Ja, der sportliche Erfolg eines Vereins korreliert stark mit seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten, aber ganz so direkt, dass der mit dem meisten Geld immer gewinnt, ist es dann doch nicht. Bei den Größenordnungen von > 700 Mio. € Jahresumsatz, über die wir hier sprechen, ist unter den aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen im Profifußball irgendwann einfach der Punkt erreicht, wo sich nochmal 50 Mio. € Umsatz pro Jahr zusätzlich nicht mehr unmittelbar in einen signifikanten sportlichen Vorsprung übersetzen lassen, und daher mache ich mir um die sportliche Wettbewerbsfähigkeit der Bayern noch keine Sorgen.
Viel interessanter fand ich, dass die Einnahmen der Bayern aus Merchandising, Sponsoring, und Werbung schon seit längerem jedes Jahr zu den höchsten in Europa zählen. Das wusste ich vorher noch nicht. Die Bayern müssen wohl in andern Bereichen hervorragende Sponsorenverträge haben, denn bei ihrem Ausrüstervertrag und beim Trikotsponsoring fallen sie finanziell (wenig überraschend) ziemlich weit hinter solche Weltmarken wie Real Madrid, FC Barcelona und die englischen Vereine, insbesondere Manchester United, aufgrund der weltweiten Stärke der Premier League zurück. Nüchtern betrachtet würde ich aber sagen, dass sich gerade dieser Nachteil wahrscheinlich schlimmer anhört als er tatsächlich ist, weil ich glaube, dass es die Bayern hier bei den nächsten Vertragsverhandlungen viel leichter haben werden, einen besseren Deal herauszuschlagen als vielleicht anderswo, weil die Zahlen hier weitgehend verfügbar und transparent sind. Die Bayern können also auf Real und Konsorten verweisen und sagen: „Seht ihr, wie viel die kriegen? So viel wollen wir auch haben.“
Im Großen und Ganzen stimme ich dir aber zu, dass die Bayern mittelfristig neue Einkommensquellen erschließen müssen, wenn sie auf Dauer mit der europäischen Konkurrenz mithalten oder diese sogar überholen wollen. Denn wenn wir uns die drei traditionellen organischen Einkommensquellen eines Fußballclubs einmal kurz anschauen, wird schnell klar, dass diese in ihrer Erweiterbarkeit doch arg limitiert sind:
Einnahmen aus Spielbetrieb: Nach oben begrenzt durch die Größe des Stadions, die Ticketpreise und die Anzahl der Spiele. Die Einkünfte der Bayern in diesem Bereich stagnieren seit Jahren und ich sehe auch nicht, wo ein Zuwachs in den nächsten Jahren herkommen sollte. Das Stadion ist jetzt schon dauernd ausverkauft, noch mehr Spiele in noch mehr Wettbewerben wird es kaum geben können, und die Ticketpreise lassen sich auch nicht unendlich weiter anheben, will man nicht riskieren, dass die Fans den Aufstand proben oder gleich ganz zu Hause bleiben. Die Hospitality-Leistungen wird man auch nicht ewig weiter ausdehnen können. Wo soll aus dem Spielbetrieb heraus also mehr Geld herkommen?
Einnahmen aus Merchandising, Sponsoring und Werbung: Diesen Punkt haben wir schon kurz gestreift. Die Einnahmen im kommerziellen Bereich eines Clubs sind zum größten Teil ein Ergebnis seiner Markenstärke und seiner internationalen Popularität. Im Moment sind Real, Barca und die großen englischen Teams den Bayern hier Meilen voraus und daher in einer viel besseren Ausgangslage, lukrative Werbeverträge etc. abschließen zu können. Also wird es auch hier nicht viele Möglichkeiten für die Bayern geben, an den anderen Clubs vorbeizuziehen.
Einnahmen aus der TV-Rechte-Vermarktung: Diese sind begrenzt durch den TV-Vertrag der DFL (1,16 Mrd. € pro Jahr national + 250 Mio. € pro Jahr international), der besser ist als der der Ligue 1 (1,15 Mrd. € pro Jahr national + 80 Mio. € pro Jahr international) und der der Serie A (970 Mio. € pro Jahr national + 370 Mio. € pro Jahr international), aber schwächer als der der spanischen La Liga (1,14 Mrd. € pro Jahr national + 900 Mio. € pro Jahr international) und deutlich schwächer als der der Premier League (1,8 Mrd. € pro Jahr national + 1,6 Mrd. € pro Jahr international). Außerdem deuten erste Anzeichen darauf hin, dass die nationale TV-Vermarktung langsam an ihren Sättigungspunkt kommt, weil sowohl die Premier League als auch die Serie A hier in bei den Verhandlungen für die nächste Periode weniger Geld als zuvor haben aushandeln können. Gleichzeitig wachsen aber die Summen für die internationalen Verwertungsrechte weiter deutlich an. In Anbetracht dieser Marktentwicklungen erscheint es mir quasi unmöglich, dass die Bayern mit den Einnahmen aus dieser Quelle einen Wettbewerbsvorteil den anderen großen Clubs gegenüber entwickeln können, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Gelder kollektiv von der DFL ausgehandelt und verteilt werden und die Bayern darauf nur sehr begrenzt Einfluss nehmen können.
Also Marc, wenn sich die Bayern weder über den Spielbetrieb noch ihre kommerziellen Einkünfte noch die TV-Rechte-Vermarktung finanziell von den anderen Clubs absetzen können, wo soll das Geld herkommen, dass sie auch in Zukunft weiter im Konzert der Großen mitspielen lässt?
„Es gibt keine natürlichen Grenzen für die Einnahmen aus Merchandising, Sponsoring und Werbung“
Marc: Ich glaube, das Management der Bayern hat dieses Thema schon länger auf dem Radar. Nimm z. B. die energische Expansion in die nordamerikanischen und asiatischen Märkte, welche sich wahrscheinlich in der Gründung der zwei Niederlassungen in New York und Shanghai am deutlichsten verkörpert. Dies ist eindeutig ein Versuch der Bayern, ihre Bekanntheit jenseits der Grenzen Europas deutlich zu erhöhen und daraus mehr Einnahmen zu generieren. Der FC Bayern war einer der ersten Clubs, die solche Büros gegründet haben, und mit meiner besonderen Perspektive als Bürger der USA kann ich nur attestieren, dass dies im Großen und Ganzen auch sehr gut funktioniert hat. Die Fans in den USA fühlen sich wertgeschätzt durch die enge kommunikative Bindung zum Büro in New York und durch die zahlreichen Sommertouren der Bayern durch ihr Land. Dieser Einsatz der Bayern mag sich jetzt vielleicht nicht direkt und unmittelbar finanziell in den Büchern niederschlagen, aber je stärker die Verbindungen des Vereins zu den Fans in den weltweiten Märkten werden, desto stärker wird auch die Marke FC Bayern München und desto größer sein Pfund in Vertragsverhandlungen mit Sponsoren und Rechtevermarktern.
Alex: Da stimme ich dir zu. Ihre Marke und ihre Bekanntheit zu stärken ist für die Bayern wahrscheinlich langfristig gesehen der vernünftigste und kurzfristig gesehen der am leichtesten zu beschreitende Weg um ihre kommerzielle Einnahmensituation zu verbessern. Im Unterschied zu den Einnahmen aus Spielbetrieb und der TV-Rechte-Vermarktung gibt es hier keine natürlichen Obergrenzen wie Stadiongröße oder Eintrittspreise oder spezielle vertragliche Konstellationen wie bei dem Kollektivvertrag mit der DFL, die die Bayern in ihrem Wachstum hindern würden. Auf der Welt leben mehr als 7 Milliarden Menschen verteilt auf zahllose Märkte in fünf Kontinenten, die einfach nur darauf warten, vom Fußballfieber erfasst zu werden und Trikots verkauft zu bekommen.
Ich stimme dir auch darin zu, dass das Management der Bayern dies prominent auf dem Schirm hat. Du hast die Büros in New York und Shanghai erwähnt, aber das ist nur die Spitze des Eisbergs ihres internationalen Engagements. Ein oberflächlicher Blick nur allein auf die Überschriften der Pressemitteilungen der Bayern der letzten zwei Jahre reicht aus, um sofort zu erkennen, dass der Verein sehr viel Zeit und Energie in den Aufbau von Partnerschaften mit Fußballverbänden, Geschäftspartnern, die Errichtung von Nachwuchsleistungszentren usw. in einer ganzen Reihe neuer Märkte auf der ganzen Welt investiert. Und obwohl die Reals, Barcas und ManUniteds dieser Welt ganz eindeutig einen ziemlichen Vorsprung in diesem Bereich haben und (momentan noch) viel mehr Menschen erreichen, bin ich mir sicher, dass die Bayern schon seit längerem erkannt haben, wie wichtig ihre Bemühungen um Partnerschaften und zur Steigerung der Markenbekanntheit für eine finanziell gesicherte Zukunft sind und dass sie die richtigen Dinge diesbezüglich unternehmen.
„Die Super League ist finanziell ein sinnvoller Schritt“
Marc: Sehe ich genauso. Deshalb ergibt in meinen Augen auch die vieldiskutierte „Super League“ Sinn, zumindest finanziell gesehen. Es leuchtet mir total ein, warum Vereine wie die Bayern, Juve, PSG und so weiter nach einem Weg suchen, wie sie ähnlich lukrative TV-Einnahmen wie die englische Premier League generieren können. Denn im Moment sind ihre Einnahmen diesbezüglich begrenzt durch die internationale Popularität ihrer heimischen Ligen, die in manchen Fällen nicht so wahnsinnig hoch ist und welche sie auch nur sehr eingeschränkt beeinflussen können. Die Super League wäre eine Ansammlung reiner Top-Clubs, die vermutlich auf ein viel größeres internationales Publikumsinteresse stoßen würde. Außerdem hätten sie in einer Super League auch einen direkteren Zugriff auf die TV-Einnahmen als z. B. in der Champions League, wo die Gelder zentral über die UEFA eingesammelt und ausgeschüttet werden. Allerdings hat die Super League eine Menge anderer Probleme und wird wahrscheinlich in dieser Form nicht kommen, zumindest nicht in der näheren Zukunft.
Alex: Ich teile deine Einschätzung. Unter der Voraussetzung, dass ein Projekt „Super League“ vernünftig vermarktet und an Rechteverwerter auf der ganzen Welt lukrativ verkauft werden könnte – und somit schlussendlich auch an die Zuschauer und Fans – würde es den Bayern einen viel größeren Einfluss und viel mehr Zugriff auf die in ihrem Rahmen erwirtschafteten Gelder gewähren. Es gäbe keine UEFA, keine DFL und keine sonstigen Intermediäre, die sich in die Verteilung der Gelder einmischen würden. Vielleicht wäre es sogar so, dass eine Super League ganz neue Zuschauerschichten erreichen könnte, weil das Wettbewerbsniveau in der Liga viel ausgeglichener wäre als in den jeweiligen Herkunftsligen der teilnehmenden Vereine. Das könnte viele Zuschauer ansprechen, die von der Monotonie der ständigen und unangreifbaren nationalen Dominanz der Bayern, Juve, PSG, … und ihren Serienmeisterschaften inzwischen gelangweilt sind. Ein weiterer angenehmer Nebeneffekt wäre natürlich, dass die teilnehmenden Clubs ihre weltweite Markenstärke noch einmal erhöhen könnten.
Allerdings würde ich gerne einen kleinen Haken an der Sache für die Bayern aus ökonomischer Sicht erwähnen: Nur durch die Teilnahme an der Super League alleine würden sie nämlich keinen strategischen Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen teilnehmenden Clubs generieren können, denn alle Teilnehmer würden sich sicherlich vertraglich auf einen fairen Modus zur Verteilung der Einnahmen einigen, der niemanden zu kurz kommen lässt oder übermäßig bevorteilt.
„Die Bayern können im Jugendbereich noch viel mehr tun“
Marc: Ich stimme dir zu. Nur die Teilnahme an einer Super League alleine würde den Bayern zwar keinen Wettbewerbsvorteil verschaffen, aber ihnen zumindest erlauben, Schritt zu halten. Aber zu einem anderen Punkt: Wie einer der Leser in den Kommentaren unter meinem Orignalbeitrag zu diesem Thema berechtigterweise erwähnt hat, könnte das Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) der Bayern einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass der Verein in Zukunft gleichzeitig geringere Ausgaben und höhere Einnahmen generieren kann. Die Investitionen in den Jugendfußball insgesamt und der Aufbau eines Talentepools könnten enorm wichtige Faktoren für die Zukunft werden. Zum einen spart es natürlich Transferausgaben, wenn man die Top-Talente direkt aus dem eigenen Nachwuchs hochziehen kann. Zum anderen kann man aber auch die Einnahmen aus den Verkäufen der Spieler, die es nicht ganz auf das Bayern-Niveau bringen, wieder in die nächsten Generationen und die erste Mannschaft reinvestieren. Natürlich werden die Bayern nicht zu einem Ausbildungsverein werden, aber der Jugendfußball ist definitiv ein Bereich, in dem sie noch viel mehr machen können und müssen.
Alex: In dieser Frage bin ich nicht ganz deiner Meinung. Ja, die Bayern können in Sachen Jugendfußball sicherlich noch viel mehr machen als bisher – und Hasan Salihamidžić scheint da tatsächlich einiges zu versuchen – aber der FC Bayern ist kein Ausbildungsverein und wird auch niemals einer sein. Die Idee, Nachwuchsfußballer aus dem eigenen Verein und der eigenen Region zu entwickeln und hochzuziehen ist doch, wenn wir mal ehrlich sind, nicht viel mehr als eine nette Geschichte für die Fans. Die Fans finden das total toll, weil es ihnen etwas an dem Verein gibt, mit dem sie sich identifizieren können und weil sie als Beweis sehen, dass der Verein seine Tradition und seine Herkunft nicht vergessen hat. Aber fußballerisch gesehen kann ein Club, der das Ziel hat, jedes Jahr Meister zu werden, in der Champions League weit zu kommen und vielleicht bald sogar in einer Super League mitzumachen, sein sportliches Schicksal wohl kaum in die Hände von jungen, unerfahrenen Jugendspielern frisch aus dem eigenen Nachwuchs legen. Das wäre fahrlässig, dafür steht einfach zu viel auf dem Spiel, dafür gibt es zu viel zu verlieren.
Soweit meine sportliche Einschätzung. Ob auf der anderen Seite Jugendfußball wirtschaftlich gesehen etwas ist, das die Bayern mit mehr Energie betreiben sollten, da bin ich noch zwiegespalten. Das NLZ der Bayern hat ungefähr 70 Mio. € Investitionssumme gekostet und produziert jährliche Betriebskosten von circa 3 bis 5 Mio. €. Mit diesem Betrag wird ein Komplex von 185 Spielern verteilt auf elf Teams und trainiert von 26 Jugendtrainern am Leben gehalten. Einerseits könnte man jetzt sagen, dass dies gut investiertes Geld ist, da in Anbetracht des aktuellen Transferpreisklimas schon ein herausragendes Talent alle paar Jahre mehr als ausreicht, um alle Betriebskosten locker wieder einzuspielen und sogar im Falle eines Verkaufs noch einen satten Gewinn einzustreichen (und dies berücksichtigt noch nicht einmal den indirekten Wert, dass ein Spieler, der vielleicht zunächst erst einmal nicht gut genug für die Bayern ist und nach einem Vereinswechsel woanders zum Star wird, irgendwann möglicherweise zu den Bayern zurückkommen möchte, weil er noch eine enge emotionale Bindung zu seinem Jugendclub hat).
Andererseits werden andere Vereine dieselbe Rechnung aufmachen und ebenfalls in ihren Jugendfußball investieren. Und dann ein NLZ zu betreiben, das in einem solch intensiven Wettbewerb wirklich herausragt und etwas ganz besonderes ist, ist mit all den dafür nötigen Leuten, dem immensen Betriebsaufwand und der notwendigen hohen Managementaufmerksamkeit schon eine besondere Herausforderung. Ziemlich viele Menschen müssen eine ganze Menge Arbeit, Aufmerksamkeit, Gedankenkraft, Planungsenergie, Organisationstalent und Entscheidungskompetenz investieren, damit so ein Unterfangen vernünftig und effektiv funktionieren kann. Natürlich beansprucht das dann ganz viele Ressourcen und Energie, die der Verein nicht in andere Themen investieren kann, z. B. den Ausbau seiner internationalen Präsenz oder die Gewinnung neuer Partner. Man kann unter dem Strich also durchaus zu dem Ergebnis kommen, dass oberhalb eines gewissen Mindestbetrags jeder weitere Euro, den die Bayern in ihren Jugendfußball stecken, vielleicht woanders rentierlicher investiert wäre.
Marc: Ich stimme dir zwar zu, dass die Bayern kein Ausbildungsverein sind, aber ich denke doch, dass der Jugendfußball für sie auch zukünftig durchaus eine Rolle spielen kann. Unter den Champions-League-Gewinnern von 2013 z. B. waren mit Lahm, Schweinsteiger, Müller, Alaba und Kroos gleich fünf Spieler aus dem eigenen Nachwuchs. Das war zwar statistisch gesehen ein Ausreißer, keine Frage, aber ich glaube, dass es selbst bei einem so großen Club wie den Bayern das Potenzial gibt, regelmäßig Spieler aus dem eigenen Nachwuchs in die erste Mannschaft zu bringen.
Schlussendlich wird aber wohl keine der Möglichkeiten, die wir bisher diskutiert haben, dazu führen, dass die Bayern ihren Rückstand auf die großen europäischen Clubs nachhaltig werden wettmachen können. Ich glaube, dies war auch einer der wesentlichen Gründe hinter dem Plan, Herbert Hainer als Uli Hoeneß‘ Nachfolger ins Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden zu bringen. Aber so ganz ohne weiteres sehe ich auch keinen offensichtlichen Königsweg für diese große Herausforderung. Dazu fehlt es mir an Kreativität und Einblick. Ich glaube, dass es für nahezu jedes Problem eine Lösung gibt, aber es bedarf immer kluger Köpfe, um diese Lösung auch sehen zu können. Ich hoffe, dass Hainer ein solcher Kopf ist. Hast du irgendwelche Ideen, wie Bayern noch weitere Einkünfte generieren könnte?
„Digital: virtuelle Welt, reales Potenzial“
Alex: Ich habe eine, aber lass mich zuerst sagen, dass ich genau wie du denke, dass der Input von Herbert Hainer von unschätzbarer Wichtigkeit für Bayerns geschäftliche Zukunft sein wird. im Unterschied zu Hoeneß ist er ein von der Pike auf gelernter Manager mit einem Diplom in BWL und der Erfahrung von 16 Jahren als Vorstandsvorsitzender von Adidas zwischen 2001 und 2016. Adidas ist ein weltweit tätiger Konzern mit einem besonderen Fokus auf Marketing, Branding und Sachen-an-den-Mann bringen. Wenn es bei den Bayern einen gibt, der weiß wie man eine Marke aufbaut, neue Märkte erschließt in den Leuten Sachen verkauft, dann ist es Hainer. Mit ihm an der Spitze haben die Bayern jetzt ein ganz starkes Pfund in ihren Reihen, das für die Stärkung ihres internationalen Profils und die Steigerung ihrer weltweiten Popularität Gold wert sein kann.
Eine Einkommensquelle, die wir bisher noch nicht diskutiert haben, die ich aber gleichsam für unschätzbar wichtig halte, ist das digitale Geschäft. Zwar ist die Allianz Arena dauerhaft ausverkauft und die heimischen Märkte weitgehend gesättigt, aber in der digitalen Sphäre gibt es meines Erachtens noch ein nahezu grenzenloses weltweites Wachstumspotential für die Bayern. Es gibt Milliarden von Menschen mit Zugang zum Internet auf dieser Welt, die potenziell nur einen Klick von einem fcbayern.tv-Abo oder dem Kauf einer Netflix oder Amazon Prime Hinter-den-Kulissen-Serie über den Verein entfernt sind. Manchester City und der BVB beispielsweise haben das vorgemacht. Es bedurfte nur eines einfachen Tweets von Thomas Müller zur Unterstützung der indischen Nationalmannschaft bei ihrer heimischen Cricket WM im Sommer und schon hatten die Bayern quasi über Nacht Millionen neuer Social Media Follower in Indien. Ein James oder Coutinho reichen aus um das Social Media Profil des FC Bayern in den jeweiligen Herkunftsländern der Spieler signifikant zu stärken. Coutinho alleine hat mehr Instagram-Follower als der gesamte FC Bayern. Solche und ähnliche Beispiele sollten den Bayern deutlich machen, wohin der Weg in Zukunft gehen muss: Überwinden der Grenzen der ohnehin in allen Aspekten mehr als gesättigten Heimatmärkte und der nationalen TV-Vermarktung über den Aufbau einer eigenen starken digitalen Präsenz und die entsprechende signifikante Stärkung ihrer Geschäftstätigkeit im digitalen Raum.
Die großen US-Sportarten, die MLB vorweg, haben mehr als deutlich gemacht, was man alles erreichen kann, wenn man das Digitalgeschäft mit Markenstärkung über eine starke Online-Präsenz, Streaming, E-Sports etc. ernst nimmt. Wenn es den Bayern gelingen sollte, eine umfassende, sorgfältig ausgearbeitete Digitalstrategie mit den Zielen Markenstärkung, Fangewinung und -bindung inklusive eines durchdachten OTT-Streamingkonzepts für ihre in-house Bewegtbildproduktion zu entwickeln, würden sie sich die Möglichkeit eröffnen, ihre Präsenz in den Haushalten der Menschen auf der ganzen Welt deutlich auszubauen, ihre Markenbekanntheit enorm zu stärken, den Club anfassbar für Dutzende von Millionen von Fans zu machen – und damit letztendlich Likes in fcbayern.tv-Abos und Social Media Follower in Trikotverkäufe zu verwandeln. Ich habe gerade erst die Bayern dafür gelobt, dass sie die Wichtigkeit ihrer kommerziellen Aktivitäten in Merchandising, Werbung und Sponsoring erkannt zu haben scheinen. Ich kann nur hoffen, dass sie dieselbe Erkenntnis auch mit Blick auf ihr Digitalgeschäft ereilt. UPDATE: Der unlängst erfolgte Launch ihres neuen E-Sports-Teams gibt mir Anlass zur Hoffnung, dass sie die Wichtigkeit des Themas Digital tatsächlich erkannt zu haben scheinen.
„Momentan beschreiten die Bayern einen Mittelweg“
Marc: Okay, dann lass uns zum nächsten Thema kommen, denn eine andere Beobachtung, die ich wirklich interessant finde, bezieht sich auf die Transferausgaben in der Bundesliga. Ich glaube, die meisten Leute nehmen an, dass die Bayern am meisten Geld für neue Spieler ausgeben, aber das stimmt nicht. Sie sind Nummer zwei, sowohl in der Netto- als auch in der Bruttobetrachtung. Natürlich gibt es dafür eine ganze Menge Gründe. Leipzig z. B. möchte schnellsten Weges nach oben und gibt daher entsprechend viel für neue Spieler aus und der BVB hat eine ganze Reihe Hochkaräter verkauft, die es möglichst gleichwertig zu ersetzen galt. Gleichzeitig haben die Bayern einige clevere ablösefreie Transfers getätigt. Alles in allem geben die Bayern für meinen Geschmack in Anbetracht ihres riesigen ökonomischen Vorsprungs in der Liga immer noch relativ moderate Summen für neue Spieler aus.
Alex: Das stimmt. Und man kann dies auf zweierlei Arten interpretieren, die ich beide für gleichermaßen gerechtfertigt halte. Alles hängt von der fundamentalen Frage ab, ob die Bayern in erster Linie ein profitables Unternehmen und erst in zweiter Linie ein erfolgreicher Fußballverein sein wollen, oder umgekehrt. Die Bayern waren schon immer sehr stolz auf ihr konservatives Finanzgebaren. Wir alle kennen den Spruch von dem prall gefüllten Festgeldkonto zur genüge. Wenn es den Bayern auch in Zukunft primär darum gehen sollte, einen ordentlichen Profit an ihre Anteilseigner ausschütten zu können, dann sind sie meines Erachtens so wie sie wirtschaftlich momentan verfahren genau auf dem richtigen Weg. Ab einem gewissen Punkt nimmt der sportliche Wert jedes weiteren Euros, den die Bayern für Transfers und Gehälter in ihre Spieler investieren, ziemlich rapide ab. Bisher haben die Bayern hier immer genug investiert, um verlässlich jedes Jahr Meister zu werden und in der Champions League bis in die K.-o.-Runde zu kommen. Ökonomisch gesehen halte ich das für ein sehr vernünftiges Agieren, weil es einen fast idealen Ausgleich zwischen sportlichem Erfolg und ökonomischer Nachhaltigkeit schafft. Der Fakt, dass sie ein Verhältnis von Umsatz zu Spielergehältern von ungefähr 50 % haben (was deutlich weniger ist als bei vielen anderen Top-Clubs in Europa), unterstreicht dies noch einmal zusätzlich.
Sollten sich die Bayern allerdings umgekehrt als ein erfolgreicher Fußballverein zuerst und erst dann als ein profitables Wirtschsftsunternehmen sehen, dann werden sie in Zukunft ziemlich sicher mehr Geld in ihren Kader investieren und auch größere Risiken bei der Verpflichtung neuer Spieler eingehen müssen, als sie es bisher getan haben. Dies beinhaltet auch hin und wieder das Wagnis einen Spieler zu verpflichten, der zwar vielversprechend ist, aber doch ein nicht unerhebliches Risiko des Scheiterns in sich birgt, wie z. B. bei einem jungen Talent, dessen weiterer Entwicklungsweg noch nicht verlässlich vorhergesagt werden kann. Außerdem bedeutet es auch, dass die Bayern gelegentlich bereit sein müssen, mehr für einen Spieler zu bezahlen als dieser objektiv wert ist, wenn er einen großen sportlichen Mehrwert für das Team bedeutet oder eine kritische Lücke im Kader füllen kann, wie es z. B. bei einem Kevin de Bruyne oder Leroy Sané in der Vergangenheit der Fall gewesen wäre.
Letztendlich werden sie ziemlich sicher einen Mittelweg einschlagen (was sie ja auch schon angefangen haben zu tun) und erkennen, dass sie manchmal für einen Spieler, den sie unbedingt verpflichten müssten, um nicht hinter die europäische Konkurrenz zurückzufallen, mehr ausgeben müssen als sie normalerweise eigentlich zu tun bereit wären, ohne sich gleichzeitig allerdings regelmäßig wie verrückt auf große Einkaufstouren zu begeben. Findest du diesen Weg clever? Oder würdest du den Bayern raten, ihre Ausgabenzügel in Zukunft deutlich zu lockern?
Marc: Ich sehe das auch so, dass sie momentan einen Mittelweg eingeschlagen haben. Aber einen Mittelweg zu gehen ist immer eine besondere Herausforderung. Ein Schritt zuviel in die eine oder andere Richtung kann den ganzen Verein aus der Bahn werfen. Die Bayern haben schon in der Vergangenheit jüngere Spieler für verhältnismäßig hohe Transfersummen eingekauft, siehe Renato Sanches, Corentin Tolisso usw., aber der Markt für Nachwuchsspieler wird immer noch teurer. Alle Vereine versuchen, vielversprechende Talente so früh wie möglich zu verpflichten, gerade weil etablierte Spieler in den letzten Jahren im Durchschnitt immer teurer geworden sind, und dann haben wir das Problem von Spielzeit und Weiterentwicklung noch gar nicht angesprochen.
Außerdem gibt es auch einen gewissen Druck auf den Verein sowohl aus den Reihen ihrer eigenen Fans als auch von Teilen der allgemeinen Fußball-Community, ihr bisher sehr erfolgreiches zurückhaltendes Ausgabeverhalten nicht komplett über Bord zu werfen. Natürlich könnte der Verein solche Erwartungen ignorieren, aber es ist, glaube ich, im eigenem besten Interesse des FC Bayern, dies nicht vollkommen zu tun. Welchen Zwischenweg sie genau zwischen finanzieller Vernunft und größerem Risiko bei Transfers finden sollten, lässt sich zwar nicht mathematisch exakt berechnen, aber wohl hinreichend präzise aus dem Gefühl heraus bestimmen.
Aber ungeachtet all dessen wäre ich vor dem Hintergrund der aktuellen Umwälzungen in Aufsichtsrat und Management momentan vorsichtig damit, vorschnell irgendwelche Urteile zu fällen. Was Hainer und Kahn zukünftig machen werden, kann sich deutlich von dem, was Hoeneß und Rummenigge gemacht haben, unterscheiden. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass das zukünftige Management etwas ausgabenfreudiger bei den Transfers neuer Spieler auftreten wird.
Alex: Also sind wir uns grundsätzlich einig. Der FC Bayern sollte wahrscheinlich zukünftig stärker gewillt sein als bisher, mehr Geld für neue Spieler auszugeben, insbesondere solche, die der Verein für unabdingbar zur Aufrechterhaltung seiner sportlichen Wettbewerbsfähigkeit hält, ohne sich aber gleichzeitig an den verrücktesten Transferexzessen so mancher neureicher Großclubs zu beteiligen. Ich fände es aber vielleicht noch wichtiger, dass die Bayern zukünftig ihre Transferbemühungen für die Spieler, die sie wirklich haben wollen, konsequenter durchziehen als bisher. Sie sollten aufhören mit dieser ständigen Rumeierei. Sobald sie sich für einen Spieler als Transferziel entschieden haben, sollten sie so schnell wie möglich in Verhandlungen einsteigen und zu einem Abschluss kommen, ob das jetzt ein Ja oder Nein ist. Mir ist selbstverständlich klar, dass es nicht vollständig in der Hoheit nur einer Seite liegt, wie schnell solche Verhandlungen vorankommen, aber solange die Bayern nicht eine Vertragsverhandlung aus strategischen Gründen absichtlich in die Länge ziehen, sehe ich keinen vernünftigen Grund, warum man sich in endlosen halbherzigen Verhandlungsbemühungen verkämpfen sollte. So etwas verbraucht nur unnötig viel Energie und wertvolle Arbeitszeit viel zu vieler Menschen, die besser in andere Dinge gesteckt werden könnte.
Wir haben ja schon über die finanzielle Wettbewerbsfähigkeit der Bayern gegenüber den anderen großen Clubs in Europa gesprochen. Was mich diesbezüglich wirklich überrascht hat ist, wie schnell und deutlich die Jahresumsätze der Top-Clubs vom ersten Platz abwärts abnehmen, zwar auch in Europa, aber vor allem in der Bundesliga. Auf europäischer Bühne gibt es ein paar wenige Klubs, die jedes Jahr verlässlich mehr als 600 Mio. € umsetzen, zu denen auch die Bayern zählen, und dann noch eine ganze Reihe weiterer Klubs, die sich irgendwo zwischen 400 Mio. € und 600 Mio. € einordnen. Prozentual gesehen ist der Abstand zwischen den Klubs dabei zwar in den letzten Jahren geringer geworden, aber in absoluten Größen ist er ungefähr gleich geblieben und die Bayern sind bisher immer einer der Top vier gewesen.
Für die Bundesliga sieht die Situation sehr viel düsterer aus – für die anderen Vereine. Es hat mich wirklich erschrocken zu erfahren, wie groß Bayern Münchens finanzieller Vorsprung in der Bundesliga tatsächlich ist. Abzüglich der Transfererlöse haben die Bayern im abgelaufenen Geschäftsjahr mit 650 Mio. € ungefähr zweimal so viel umgesetzt wie der BVB (320 Mio. €) auf Platz zwei und 2,5 mal so viel wie der FC Schalke (250 Mio. €) auf Platz drei. Und dann haben wir noch keinen der restlichen 14 Clubs erwähnt, nicht mal RB Leipzig. Wenn ich die DFL oder der DFB wäre und mir Gedanken über die Wettbewerbsgleichheit in der Bundesliga machen würde, dann wäre ich massiv besorgt über diese Entwicklung. In Anbetracht dessen, wie die Geldströme im europäischen Fußball strukturiert sind, können die Abstände zwischen der Spitze und dem Rest der Liga in Zukunft nur noch weiter wachsen. Dass die Bayern in der Bundesliga jetzt schon siebenmal in Folge Meister geworden sind, ist kein glücklicher Zufall, sondern eine logische Konsequenz der strukturellen Einnahmen- und Verteilungssituation der Umsätze in der Bundesliga und im europäischen Geschäft. Wenn diese Monotonie in Zukunft nicht ewig so weitergehen soll, dann muss sich etwas ändern, und den einzigen Ausweg, den ich momentan sehe, ist die Abschaffung von 50 + 1, damit auch kleinere Clubs perspektivisch eine Chance bekommen, Zugriff auf die notwendigen finanziellen Ressourcen zu haben, die sie brauchen, um den Abstand zu Bayern, Dortmund und bald auch Leipzig nachhaltig reduzieren zu können.
“Financial Fair Play … hält die großen Clubs groß und die kleinen Clubs klein“
Marc: Ja, das ist natürlich ein gigantisches Problem, dem sich der DFB dort ausgesetzt sieht und ehrlich gesagt auch die allermeisten Clubs in ganz Europa. Es gibt meines Erachtens keinen Königsweg, um wieder einen ausgeglichenen Wettbewerb in Europa herzustellen. Sieh dir nur Spanien, Frankreich und Italien z. B. an, wo es gar kein 50 + 1 gibt und trotzdem eine massive sportliche Ungleichheit zwischen den Vereinen besteht. Sogar in England gibt es sechs große Clubs, die dem Rest der Liga finanziell deutlich voraus sind.
Man kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen und daher werden Vereine wie die Bayern, Real, Barca, Juve usw. immer einen deutlichen finanziellen Vorsprung gegenüber dem Rest haben, einfach weil sie viel mehr Fans und eine größere weltweite Bekanntheit haben. Man könnte sogar soweit gehen zu sagen, dass das UEFA Financial Fair Play (FFP), was ja eigentlich den Wettbewerb ausgeglichener machen soll, in der Realität viel eher dazu beiträgt, dass die großen Clubs groß und die kleinen Clubs klein bleiben. Der Umstand, dass die großen Clubs mehr umsetzen, erlaubt Ihnen auch, wieder mehr auszugeben und die Regelungen des FFP schränken die Möglichkeit von Investoren ein, kleine Clubs außerhalb der normalen Einkommensquellen mit viel Geld zu einem großen Club aufzupäppeln.
Alex: Wahr, nur allzu wahr. Ich stimme dir vollkommen zu. Ganz offensichtlich hat die Einführung einer Begrenzung der Investitionsmöglichkeiten in keiner der großen europäischen fünf Ligen zur Aufrechterhaltung eines level playing fields zwischen den Vereinen beigetragen. Gleichzeitig fällt es mir aber sehr schwer, in der Bundesliga einen Ausweg zu sehen ohne die Abschaffung von 50 + 1 und eine gleichzeitige Suspendierung des UEFA FFP, welches ja der eigentliche begrenzende Faktor für die Menge des Geldes ist, die Investoren in Fußballvereine stecken können. Meiner Meinung nach wären zwar die Abschaffung von 50 + 1 und die gleichzeitige Suspendierung des FFP keine hinreichende Bedingung für die Wiederherstellung eines sportlich ausbalancierten Wettbewerbs, aber eine notwendige. Nur in einer Bundesliga, in der ein steinreicher Investor unbeschränkt viel Geld in einen Fußballverein seiner Wahl stecken darf, der nicht schon von vornherein einer der großen Clubs ist, hat dieser kleinere Club überhaupt eine Chance, irgendwann zu den Bayerns und Dortmunds dieser Welt aufzuholen. Das mag sich aus Sicht vieler Leser vielleicht erschreckend fatalistisch anhören, aber so wie sich die permanente Teilnahme eines Clubs an der Champions League und seine weltweite Bekanntheit und Markenstärke gegenseitig ökonomisch befruchten und dazu führen, dass diese Clubs finanziell einen strukturell immer unangreifbareren Vorteil gegenüber dem Rest der Liga genießen, lässt für mich keine andere Schlussfolgerung zu – mit Ausnahme vielleicht der Einführung einer Super League und dem Verlassen der zu groß gewordenen Clubs ihrer heimischen Ligen. Und damit schließt sich der Kreis wieder.
Marc: Einverstanden. Mir fällt es auch schwer einen anderen Weg zur Wiederherstellung eines fairen Wettbewerbs für alle Beteiligten zu sehen als den, all die großen Clubs in ihrer eigene Liga zu stecken, in der sie sich dann untereinander beharken können anstatt auf die kleineren Clubs einzuprügeln, die weder wirtschaftlich noch sportlich mit ihnen mithalten können. Aber wer wird sich für die heimischen Ligen noch interessieren, wenn die großen Clubs sie verlassen haben und in ihrer eigenen Liga spielen?
Alex: Das ist eine gute Frage. Ich weiß es nicht. In der reinen Theorie wäre ja die Einführung einer Super League nichts anderes als dass man eine weitere Wettbewerbsebene an der Spitze der europäischen Ligenstruktur hinzufügen würde. Und in Anbetracht einer wachsenden Begeisterung für den Fußball auf der ganzen Welt sollte eine weitere Ebene an der Spitze zumindest quantitativ nicht zwingend dazu führen, dass das Interesse an den bestehenden Ligen nachlässt. Aber leider ist Fußball ja oft keine Mathematik, insbesondere für die Fans und ihre Gefühle. Ich stimme dir zu, dass wenn z. B. die Bayern und Dortmund die Bundesliga verlassen würden um sich zusammen mit allen anderen großen europäischen Clubs einer Super League anzuschließen, die Attraktivität der Bundesliga und der anderen großen nationalen Ligen in Europa sicherlich massiv leiden würde.
Aber eine Super League in dieser Extremform wird wahrscheinlich allein schon aufgrund zahlreicher kleinerer und größerer praktischer Probleme nicht kommen. Für meinen Geschmack ist doch allein schon die Reisebelastung für ein oder zwei Spiele pro Woche quer durch Europa für die beteiligten Vereine realistischerweise kaum zu stemmen. Die Spieler wären ja mehr in der Luft oder im Bus als auf den Trainingsplatz! Ich fasse mir immer erstaunt an den Kopf, wie ihr dies in den großen vier Sportarten in den USA offensichtlich so problemlos hinbekommt.
Während ich also nicht glaube, dass eine Super League die jeweiligen heimischen Ligen für manche Vereine ersetzen wird, glaube ich doch, dass sie als eine Art Turnier früher oder später trotzdem kommen wird. Mit der Champions League gibt es etwas vergleichbares schon jetzt, mit Beginn der Austragung im Jahr 2021 in China wird es eine neue, reformierte Klub-WM mit 24 Teams geben, und vor wenigen Wochen kamen neue Pläne des Präsidenten von Real Madrid, Florentino Perez, für eine neue europäische Superliga mit 20 Vereinen ans Licht. Und obwohl ich mir sicher bin, dass weder die Bayern noch Dortmund noch sonstwer auf absehbare Zeit die Bundesliga verlassen werden, ist es für mich nur noch eine Frage der Zeit, bis sie an einer wie auch immer gearteten neuen Super League im Wettbewerbs-Format teilnehmen werden.
Unterm Strich wird die Bundesliga also trotz der Super League zunächst einmal als Wettbewerb unbeschädigt bleiben und weiterhin die erste Anlaufstelle für junge Talente und die Fans sein.
Marc: Was das Reisepensum anbetrifft, das lässt sich natürlich händeln. Wie du schon erwähnt hast, beweisen viele Teams in den vier großen US-Sportarten, dass man nahezu täglich durch die Gegend fliegen kann, um drei bis vier Spiele oder mehr pro Woche zu absolvieren. Nicht, dass ich erwarte, dass dies in Bälde auch im Fußball passieren wird, aber logistisch möglich wäre das zweifellos. Wenn es genug Geld zu verdienen gibt, wird sich ein Weg finden lassen.
Letztendlich stimme ich zu, dass wir wahrscheinlich innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre einen neue, überholte Version der Champions League sehen werden. Die großen Klubs wollen mehr Geld. Der einfachste Weg dies zu erreichen ist es, die UEFA aus der Gleichung zu eliminieren und einen eigenen Wettbewerb der 10 bis 20 besten europäischen Teams ins Leben zu rufen. Dies wird zwar wahrscheinlich schwer zu verdauen sein für die vielen Fans all der Clubs, die dabei draußen bleiben müssen, aber am Ende des Tages wollen die Leute doch die besten Teams im Wettstreit untereinander sehen. Außerdem erscheint dies für mich zunehmend wie der einfachste Weg für die großen Clubs auszusehen, noch mehr Geld zu verdienen, da Gelder aus der TV-Vermarktung einen immer größeren Anteil der Einkünfte der Vereine ausmachen und Streaming ohnehin die Zukunft ist.
Und dabei haben Marc und Alex es dann belassen. Was haben wir besprochen? Weltweite Partnerschaften, die Super League, Jugendfußball, das Digitalgeschäft, die nationale Dominanz des FC Bayern, seine Transferpolitik – selbstverständlich hätten wir viele der Themen noch viel ausführlicher und intensiver diskutieren können. Und bestimmt haben wir viele weitere spannende Themen gar nicht erst erwähnt. Aber wir wollten euch, den Lesern, eigentlich nur ein paar Gedankenanstöße und Stoff zum Nachdenken anbieten und euch nicht in länglichen Diskussionen ertränken (zu spät?).
Wir würden uns beide sehr freuen, die Diskussion mit euch fortzusetzen. Ihr könnt uns individuell per E-Mail erreichen, Marc und Alex, aber natürlich würden wir uns auch sehr freuen, wenn ihr uns eure Gedanken im Kommentarbereich unter diesem Text mitteilt. Wir reagieren auf jeden Fall.