Schafft Renato Sanches diese Saison den Durchbruch?
Der junge Portugiese wirkt befreiter, ist hochengagiert und fordert ständig den Ball. Die Hoffnung wächst, dass der vermeintliche Fehlkauf sich noch in den Spieler entwickelt, den man 2016 hoffte, verpflichtet zu haben.
Auch der neue Trainer Niko Kovac fand zuletzt lobende Worte für Renato Sanches. Angesprochen auf den 20-jährigen meinte Kovac: „Er ist sehr motiviert ins Training gekommen. Ich sehe das tagtäglich. Er gibt richtig Gas“.
Was hat sich geändert? Und was kann man von ihm nach seinem schwierigen Intermezzo bei Swansea City erwarten?
Das Wunderkind
Bereits mit achtzehn Jahren debütierte Sanches für Benfica Lissabon und zeigte in seiner ersten Saison im Profibereich starke Leistungen. Auch die Verantwortlichen des FC Bayern konnte er bei seinen Auftritten gegen die Münchner im Champions League Viertelfinale überzeugen.
Noch vor seiner starken Europameisterschaft mit der portugiesischen Nationalmannschaft wurde der Wechsel zum FC Bayern bekanntgegeben. Für 35 Millionen wechselte der damals 18-jährige nach München. Die Ablösesumme könnte noch auf bis zu 80 Millionen Euro anwachsen, sollte sich Renato Sanches irgendwann einmal den Ballon d´Or sichern. Die Erwartungen waren also riesig und der Hype wurde nach der Europameisterschaft nur noch größer, nachdem sich Sanches dort die Auszeichnung für den besten Jungstar sichern konnte.
Damals beschrieb Steffen in seinem Scouting Report für Miasanrot Sanches als einen Spieler, der lauffreudig, antrittsschnell, dynamisch ist und jederzeit bereit etwas mit dem Ball anzustellen oder einem Gegner hinterher zu jagen.
Ein Jahr der Enttäuschungen
2016 wechselte nicht nur Renato Sanches nach München, sondern es begann auch die Amtszeit von Carlo Ancelotti beim FC Bayern. Damit kam Sanches wohl zum für ihn ungünstigsten Zeitpunkt. Das klar formulierte Ziel von Carlos Amtszeit war es, die Champions League mit den Münchnern zu gewinnen. Ancelotti, der bereits dafür bekannt war, erfahrene Spieler zu bevorzugen, tat wenig für die Entwicklung von Sanches. Der Italiener war selten bereit zu experimentieren und nachdem Sanches vermehrt schwache Leistungen zeigte, auch bedingt durch eine Verletzung in der Hinrunde 2016/17, bekam er immer seltener seine Chance.
Unter Carlo Ancelotti spielten die Münchner mit einem System, dass mehr von der individuellen Klasse der einzelnen Akteure abhing anstatt auf klare Richtlinien zu setzen. Der junge Portugiese leidete darunter, dass er einer der wenigen Akteure war, die nie in einem vom Positionsspiel geprägten System spielte. Sanches hatte sichtlich Probleme in der Positionsfindung. Häufiger verweilte er im Deckungsschatten des Verteidigers oder bot sich zum falsch bzw. zum falschen Zeitpunkt an. Gegen die kompakten und körperlichen Verteidigungen in der Bundesliga konnte er seine Fähigkeiten kaum zeigen.
In seinem ersten Jahr brillierte Sanches selten und zeichnete sich vermehrt durch schlechte Entscheidungen mit Ball und unzureichende Spielintelligenz ohne Ball aus. Dazu kam, dass er weiterhin zu wenig Spielpraxis erhielt. Ancelotti bevorzugte die erfahreneren Akteure wie Alonso, Vidal oder auch Thiago. Deshalb dachte man im Sommer 2017 über eine Leihe nach. Ein alter Weggefährte sorgte dafür, dass Renato Sanches letztlich bei Swansea City landete.
Der weitere Abwärtstrend
Der alte Weggefährte war Paul Clement, der ein halbes Jahr zuvor noch als Co-Trainer Carlo Ancelotti beim FC Bayern unterstützte. Clement war überzeugt von den Qualitäten Sanches und wollte den Portugiesen unbedingt verpflichten, um sein Team weiter zu verstärken. Bereits damals war Renato Sanches aber nur noch ein Schatten seiner selbst. Zu viel Druck lastete auf dem jungen Spieler, unter dem er zusammenzubrechen drohte.
„Als er hier ankam, war er noch zerstörter, als ich dachte. Es war wirklich traurig. Er war ein Junge, der das Gewicht der Welt auf seinen Schultern trug. Im Training, wenn es keinen Druck gab, war er der beste Spieler. Dann, in den Spielen, sah ich die Entscheidungen, die er traf. Er schoss aus 40 Metern und aus spitzem Winkel und er machte diese Fehler immer wieder“, sagte Paul Clement damals.
Bei Swansea City setzte man große Hoffnungen in Sanches, doch der auf ihm lastende Druck, vereinzelte Verletzungen und die weiterhin anhaltenden Probleme bei der Entscheidungsfindung sorgten dafür, dass Sanches am Ende der Saison von den Swansea Fans zum Flop der Saison gewählt wurde.
Auch in den englischen Medien wurde er mehrfach scharf kritisiert. „Ich mache keine Späße: Was er zeigt, ist jämmerlich. Du erwartest einfach mehr von so einem Jungen„, meinte etwa der frühere walisische Nationalspieler Robbie Savage.
Bei Swansea wirkte es so, als wolle Sanches der ganzen Welt beweisen, dass er immer noch das Wundertalent ist, das mit 18 bei Benfica debütierte. Allerdings lief er unter Clement meist in einer tieferen Position auf, dort benötigt man Ruhe, muss ein Spiel lenken, Verantwortung übernehmen und seiner Mannschaft eine gewisse Balance geben. Sanches hingegen versuchte zwanghaft durch schwierige Aktionen das Besondere zu erreichen, die magische Aktion zu haben, die alle von ihm erwarteten.
Diese Probleme machte Clement nach seiner Entlassung damals auch deutlich. Sanches war in einem „Teufelskreislauf von schlechten Entscheidungen gefangen“.
„Je schlechter es lief, desto mehr wollte Sanches die besonderen Dinge machen, den entscheidenden Pass spielen, das Traumtor schießen, noch einen Gegenspieler aussteigen lassen. „Die anderen Spieler sagten irgendwann: ‚Er spielt so und ich muss draußen bleiben?‘ Also wurde es immer schwieriger, ihn aufzustellen“, kommentierte Clement die Entwicklung während der Swansea-Zeit.
Neuanfang unter Kovac
Nun ist Renato Sanches wieder zurück in München. Die meisten Fans spekulierten, dass er den Verein wahrscheinlich noch in der aktuellen Transferperiode verlassen würde, doch Niko Kovac scheint den richtigen Draht zum Portugiesen gefunden zu haben. Während die WM-Fahrer noch im Urlaub weilten, gab Sanches Vollgas.
Er präsentiert sich bisher in guter Form, gibt im Training alles und schaffte es auch bei seinen bisherigen Testspielauftritten zu überzeugen. Besonders gegen Paris St. Germain stach Sanches hervor und krönte seine gute Leistung mit einem sehenswerten Freistoßtor, auch Niko Kovac war sehr zufrieden mit seinem Problemkind: „So schwierig sind die Menschen gar nicht. Renato ist ein ganz einfacher Junge. Er braucht Zuneigung, Unterstützung von allen Seiten. Deswegen ist das relativ einfach. Ich freu mich für ihn.“ meinte der neue Cheftrainer nach der Partie gegen Paris.
Der 20-jährige zeigte sich sehr präsent. Forderte viele Bälle im Zentrum und war einer der Aktivposten im Bayernspiel. Er wirkte bei seinen Auftritten viel befreiter, der ganz große Druck scheint weg zu sein. Nach den letzten beiden Jahren sind die Erwartungen nicht mehr so hoch und Sanches kann etwas befreiter aufspielen.
Viel positives, aber immer noch kleinere Probleme
Unter Niko Kovac lief Sanches bisher im linken Halbraum auf. Meist unterstützte er den einzigen Sechser, indem er sich immer wieder fallen ließ. Durch seine hohe Laufbereitschaft kurbelte er das Aufbauspiel der Münchner an. Seine Stärken genauso wie seine Defizite waren während der bisherigen Auftritte wieder deutlich zu erkennen.
Besonders seine technischen Fähigkeiten stachen hervor und zeigten, warum man so große Hoffnungen in Renato Sanches steckt(e). Seine langen Pässe sind sehr präzise und leicht zu verarbeiten. Seine Ballannahme ist technisch perfekt und seine Dribblings wirken sehr elegant und wesentlich überlegter als in seiner ersten Saison in München. Beim Freistoßtor zeigte er des Weiteren seine ausgezeichnete Schusstechnik.
Weiterhin hat er am meisten mit der richtigen Positionierung zu kämpfen. Er bietet sich häufig zwischen den Linien des Gegners an, lässt sich dann aber gerne vor die erste Pressinglinie fallen. Dadurch, dass er den Ball dann vor dieser ersten Linie erhält, erzeugt er keinen Druck auf die Defensive des Gegners und fehlt gleichzeitig als Verbindung zwischen Abwehr und Angriff des Rekordmeisters.
Wie bereits erwähnt, arbeitete Sanches noch nie unter einem Trainer, der das Positionsspiel favorisierte. Dementsprechend unterlaufen ihm noch recht leichte Positionierungsfehler. Er verschwindet teilweise im Deckungsschatten des Gegenspielers, da er seine Position nicht schnell genug anpasst. Oder er kommt dem Ballführenden entgegen, statt sich einige Meter zu entfernen, um Raum zu schaffen.
Doch auch in diesem Bereich zeigt er bereits positive Ansätze. Beispielsweise passt er seine Position mittlerweile schneller an die seiner Mitspieler an. Gerade wenn der linke Flügelspieler breiter steht, rückt Sanches in den linken offensiven Halbraum. Darüber hinaus fiel er in den Testspielen mit geschickten Drehungen aus Drucksituationen auf.
Für Renato Sanches wirkt die Position des halblinken Achters in Kovacs 4-1-4-1 sehr passend. Er kann immer wieder aus der Formation herauskippen und so seine Fähigkeiten besser einsetzen, da er den Ball mit Blick zum gegnerischen Tor erhält. Von dort aus kann er mit Dribblings oder guten Pässen der Mannschaft weiterhelfen. Wichtig ist es, hier die Balance zu finden und nicht zu oft außerhalb der gegnerischen Formation zu agieren. Als Achter muss er weiterhin an seinem Passspiel arbeiten. Im Gegensatz zu seinen langen Bällen sind die kurzen Pässen vom einen in den anderen Halbraum noch sehr schwer für den Passempfänger zu kontrollieren. Allerdings sind das kleine Details, die Niko Kovac vermutlich schnell verbessern kann.
Fazit
Renato Sanches wirkt befreit und möchte nun in München angreifen. Niko Kovac scheint den jungen Portugiesen zu verstehen und die richtigen Worte zu finden. Sanches Trainingsleistungen waren nie das Problem, wenn er es nun auch schafft das Niveau aus der Vorbereitung konstant in der Bundesliga zu zeigen, dann könnte er eine der Überraschungen der Bayernsaison werden. Weiterhin liegt viel Arbeit vor ihm, doch seine Fähigkeiten sind für sein Alter weiterhin sehr gut.