Vorschau: Bayer 04 Leverkusen – FC Bayern München
Gar nicht so einfach. Das durften im Laufe der Saison schon viele Mannschaften erfahren. Heiko Herrlich wurde vielerorts unterschätzt. Zu unerfahren, fehlende Flexibilität, kaum Abgrenzung zu anderen Trainern – die Vorwürfe waren sehr unterschiedlich.
Doch der Ex-Profi ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass man niemanden von Beginn an unterschätzen sollte. Nach Anfangsschwierigkeiten hat er in Leverkusen eine Basis geschaffen, die auch umworbene Spieler wie Julian Brandt zur Verlängerung bewegt hat.
Leverkusen ist mal wieder im Wachstum
Zu Beginn der Saison sah das noch etwas anders aus. Wirkliche taktische Veränderungen zu Vorgänger Korkut gab es zumindest im großen Stil nicht. Die Grundordnung war ein 4-4-2, das sich in einigen Situationen zum 4-2-3-1 oder 4-2-4 wandelte.
Ohne Ball blieb das hohe, bisweilen sehr mannorientierte Pressing bestehen. Mit Ball setzte Herrlich auf eine Beruhigung des Spiels. Fast schon eine Parallele zum Menschen Heiko Herrlich.
Unter dem mitunter aufbrausenden Schmidt spielte Bayer häufig noch sehr schnell die vertikalen Pässe, während sich jetzt zunehmend ein geduldiges Aufbauspiel entwickelt hat. Dabei lassen sich die Sechser etwas fallen, während die Außenverteidiger nach vorne rücken.
Problematisch war zu Beginn der Saison, dass die Abstände nicht gut waren. So geriet die Mannschaft auch bei Ballverlusten immer wieder unter Druck, weil in Umschaltmomenten eine schlechte Organisation herrschte. Die hohe Symmetrie in der Grundausrichtung förderte die Schwierigkeiten.
Im Laufe der Saison entschied sich Herrlich deshalb für einige Anpassungen, die besonders Julian Brandt sehr zu Gute kamen. So stellte er auf eine flexible Abwehrreihe um. Eigentlich hat Herrlich lediglich ein paar Asymmetrien hinten eingebaut, die nun zu deutlich besserer Organisation geführt haben.
Man könnte von einem 3-4-2-1 sprechen, doch das trifft es eben nicht gänzlich. Gegen Leipzig starteten beispielsweise Sven Bender und Tah als nominelle Innenverteidiger. Wendell gab quasi den dritten Part in der Dreierkette, kann aber auch als tieferer Linksverteidiger gesehen werden.
Der Brasilianer agiert in der Regel deutlich höher als seine beiden Kollegen, aber auch tiefer als der rechte Flügelverteidiger, der wiederum tiefer steht als der linke Flügelverteidiger, der wiederum… Ihr wisst schon. Hier ein Bild zur Veranschaulichung:
Durch diese Asymmetrien hat Leverkusen tatsächlich auch zu einem passablen Ballbesitzsspiel gefunden. Gegen den Ball kann flexibel zwischen Dreier-, Vierer- und Fünferkette gewechselt werden, was auch den Gegnern das Toreschießen erschwert. 37 Gegentore sind immer noch viel, jedoch im Verhältnis zur Liga und der eigenen Spielweise okay.
Nun wird Wendell aber verletzt fehlen. Es wird spannend zu sehen, ob Herrlich seine Grundausrichtung erneut anpasst, oder ob er versucht, die Ausfälle mit einfachen Wechseln zu kompensieren. Gegen Frankfurt setzte er auf Retsos als direkten Ersatz.
Herrlichs Prunkstück ist jedoch die Offensive. Dort durfte Julian Brandt durch die Umstellungen endlich weiter in den Halbraum rücken, wo er sich schlicht am wohlsten fühlt. Seitdem ist seine Form auch stark ansteigend.
Neben ihm spielt zumeist Bailey, der ebenfalls eine herausragende Saison spielt, als eine Art offensiver Flügelverteidiger. Brandt (18) und Bailey (17) waren zusammen in allen Wettbewerben an 35 Toren beteiligt. Wortspiele, die aufzeigen sollen, dass schon die beiden Nachnamen gut zueinander passen, verbieten sich an dieser Stelle.
Schon die linke Seite der Werkself spielt wie im Rausch, doch sie ist längst nicht alles, was Herrlich zu bieten hat. Rechts hatte der Trainer zuletzt etwas variiert. Entweder gab Lars Bender, wie gegen Leipzig, den rechten Flügelverteidiger. Dann war diese Seite deutlich tiefer ausgerichtet.
Mit Bellarabi hingegen kommt dort etwas Durchschlagskraft nach vorne hinzu, wenngleich auch er mehr Defensivaufgaben hat als sein Pendant Bailey. Bellarabi glänzte gegen Frankfurt mit zwei Torvorlagen.
Die beiden versetzten Stürmer vorne sind häufig Volland und Havertz. Beide ergänzen sich super. Während Havertz etwas tiefer positioniert ist, und ein bisschen das Äquivalent zu Brandt auf der anderen Seite bildet, bewegt sich Volland sehr flexibel.
Der Stürmer erzielte am Wochenende drei Tore, aber was wirklich beeindruckend ist: Leverkusen ist nicht abhängig von einem dieser Angreifer. Sie alle zusammen ergeben eine der gefährlichsten Offensivreihen der Liga, und so verteilen sich die Tore auf viele Köpfe. 15 verschiedene Torschützen gibt es bei knapp 70 Treffern in allen Wettbewerben im Kader der Werkself.
Das liegt allein in der Natur dieser tollen Fußballer, könnte man meinen. Dass es aber so fantastisch anzusehen ist, liegt zu großen Teilen eben an jenem Heiko Herrlich, der sich ein vorläufiges Lob aller Kritiker verdient hat.
Auch wenn er das in der kommenden Saison noch bestätigen muss, so hat er gezeigt, dass kleine taktische Kniffe und Anpassungsfähigkeit auch in Trainern stecken können, von denen man dies nicht unbedingt erwartet hätte. Vielleicht kann man daraus auch als Bayern-Fan etwas lernen.
Der schwerste Gegner im Wettbewerb
Leverkusen vereint mit seinem mittlerweile gut organisierten Pressing und den kleinen, wendigen sowie technisch starken Spielern eine Offensive, die den Bayern richtig wehtun kann. Sie erinnern damit an Borussia Mönchengladbach vor ein paar Jahren, obwohl man sich in München vermutlich nicht so gern an die erinnert.
Es wird umso interessanter, wie Heynckes sich darauf vorbereiten wird. Zuletzt ist seine Mannschaft nach längeren Ballbesitzphasen des Gegners sehr stabil gewesen. Probleme gab es, wenn sie nach Ballverlusten schnell umschalten mussten. Genau da liegt der zentrale Punkt am Dienstagabend. Schaffen es die Bayern, endlich wieder eine sichere Ballzirkulation auf den Platz zu bringen?
Gerade über die Schaltzentrale im Mittelfeld muss mehr kommen. Zuletzt verflachte der Spielaufbau etwas in der berühmten U-Struktur. Am Samstag sah das schon deutlich besser aus. Thiago, Tolisso, Müller und Rudy zeigten ab dem 0:1-Rückstand eine äußerst dominante und kreative Leistung. Lange ist es her, dass eine Bayern-Mannschaft das Mittelfeld so kontrolliert hat. Das lässt sich auch nicht durch einen vermeintlich schwachen Gegner relativieren.
Die besondere Struktur, die durch diese vier Spieler im Zentrum entstand, gab den Bayern eine gewisse Sicherheit, die richtungsweisend für die Zukunft sein könnte. In einigen Situationen zeigte sich zwar, dass ein Flügelspieler dem Spiel hin und wieder gut getan hätte, doch diese Leerstelle kompensierten die Bayern sehr gut. Gerade mit der Einwechslung von James, der auch genauso gut für Tolisso hätte kommen können, steigerten sich die Münchner nochmals.
Es war ein Plädoyer dafür, Thiago und James häufiger gleichzeitig auf der Acht auflaufen zu lassen. Jupp Heynckes geht bei Vidal und Tolisso immer von einer automatisch höheren Stabilität aus. Dass diese beiden Spieler – insbesondere Vidal – aber auch häufiger für unnötige Ballverluste in der Ballzirkulation sorgen, und so die Schwächen in Umschaltmomenten offenbaren, wird unter den Tisch gekehrt. Das soll an dieser Stelle nicht als Kritik an Tolisso gewertet werden. Der Franzose hat sich gut entwickelt, braucht aber noch Zeit.
Natürlich sind die Gedanken des Trainers nachvollziehbar, aber es würde sich lohnen, darüber nachzudenken, ob Thiago und James nicht doch stabiler mit und gegen den Ball sind als alle anderen Kombinationen. Ohne den verletzten Vidal böte sich nun die große Chance.
Gegen Leverkusen könnte sich unabhängig vom Personal eine Art X-Struktur oder V-Struktur bezahlt machen. Ihr werdet euch jetzt vermutlich den Kopf kratzen, und hinterfragen, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe. Ich versuche mich aber erstmal zu erklären:
Das X sieht quasi aus wie zwei aufeinander zeigende Pfeile. Soll heißen: Der Spielaufbau sollte aus den Halben im ersten Drittel ins Zentrum erfolgen. Dort herrscht die Gefahr, dass Leverkusens Pressingfalle zuschnappt. Allerdings öffnen sie dabei gerne die eigenen Halbräume durch nicht immer diszipliniertes Aufrücken.
Hier sind Müller, James, aber auch Ribéry prädestiniert dafür, sich anzubieten, die Positionen zu tauschen, und die Halbräume somit zu öffnen. Thiago beispielsweise hätte die Qualität, den Ball unter Druck genau in diese Zone zu spielen. Zack! Überzahl im Angriffsdrittel, wenn gut nachgerückt wird.
Beim V dachte ich nicht etwa an Ancelottis statisches Mittelfeld, sondern an den direkten Weg in die Halbräume, indem Müller als Freiläufer dient. Leipzig schaffte es gegen Leverkusen gerade in der Anfangsphase häufig, die Halbverteidiger zu binden, indem Havertz oder Volland vermeintliche Laufwege in deren Rücken initiierten. Das wäre Müllers Rolle.
Wichtig ist darüber hinaus, dass die Mittelfeldspieler es schaffen, die Sechser etwas herauszuziehen und so ebenfalls zu binden. Dann kann aus der Innenverteidigung heraus ein diagonaler Ball in den Halbraum gespielt werden, wo sich entweder der herauskippende Lewandowski, Ribéry, Robben oder ein Mittelfeldspieler anbieten. Dafür brauchen die Bayern aber sehr viel Bewegung. Beispielsweise durch das Kreuzen auf gleich mehreren Positionen. Zack! Wieder eine gute Ausgangssituation im Angriffsdrittel.
Der Nachteil an meinen Methoden: Sie sind leider gar nicht so leicht umzusetzen, wie es unsere mit viel Aufwand produzierten Grafiken manchmal implizieren. Auch Leverkusen weiß schließlich um seine Schwächen und der Druck auf die jeweils Ballführenden wird enorm sein. Daher gilt für die Bayern auch, dass sie nichts überhasten sollten. Spielen sie zu oft vertikal, droht auch der Kontrollverlust über die Partie.
Sowohl in Ballbesitzphasen als auch in Phasen gegen den Ball sollten die Münchner gut organisiert sein, und sich nicht zu große Abstände erlauben. Genau die weiß Leverkusen nämlich zu nutzen. Und ist die Maschinerie um Brandt, Volland, Havertz, Bailey und Co. erstmal angeschmissen, könnte das ein übler Pokalabend für den FC Bayern werden. Vielleicht wird es sogar die härteste Partie der Saison – zumindest auf nationaler Ebene. Beide Teams steuern derzeit auf ihre Bestform zu, und so darf Deutschland sich auf ein vorweggenommenes Finale freuen.
Wichtiger Hinweis: Leider hat sich bei mir im Studium eine Situation ergeben, die meine Zeit in den nächsten zwei, drei Monaten stark eingrenzen wird. Wie schon gegen Gladbach wird Tobias das Vorschau-Format in der Bundesliga retten. Er kann das inhaltlich mindestens genauso gut wie ich. Die einzige Änderung wird sein, dass der Fantipp endgültig wegfällt. Für die neue Saison habe ich bereits ein Konzept erarbeitet, das mir diese „Baustelle“ deutlich vereinfachen wird. Zu gegebenem Zeitpunkt werde ich diese hier vorstellen. Ich bitte um euer Verständnis, dass dieser kleine aber feine Zusatz jetzt erstmal wegfallen muss.