Kommentar: Müller spielt (n)immer
Der Angreifer wurde am ersten Spieltag nach 60 Minuten ausgewechselt, als das Spiel gegen Bayer Leverkusen alles war, aber nicht entschieden. In Bremen sah er sich von Beginn an auf der Bank und musste zusehen, wie seine Position von Thiago bekleidet wird. Eine Situation, die dem Weltmeister aus der letzten Saison bekannt war. Jetzt macht er erstmals öffentliche Andeutungen gegenüber des Trainers.
Das Müller-Problem
Schon während der vergangenen Saison machten wir mehrmals dieses Thema auf. Ancelotti schaffte es lange Zeit nicht, Müller vernünftig einzubinden und seine Stärken so zu nutzen, dass er gewinnbringend für die Mannschaft ist. Entweder verschwendete er ihn auf dem Flügel oder er gab ihm eine Rolle, die nicht passte. So konnte Müller seinen Mitspielern nicht mit seiner Spielintelligenz und mit seinen Laufwegen helfen. Stattdessen sah er sich in Ballzirkulationen eingebunden, in denen er sich nicht mehr von der Konkurrenz abheben konnte.
Am stärksten war er, wenn er um Lewandowski herum den Freigeist spielen durfte. Während der Vorbereitung schien Müller einer der Gewinner zu sein, weil man glaubte, dass der Trainer langsam erkannt hatte, wo er diesen Spielertypen einsetzen muss.
Vergleicht man Müller mit einem Flügelstürmer, einem Stürmer und einem Zehner, so wird man auf jeder Position einen Spieler im Bayern-Kader finden, der jeweils besser ist als das Eigengewächs. Individuell, technisch und eben in einer klaren Rolle. Schon Pep Guardiola sah sich diesem Problem gegenübergestellt. Der Katalane fand eine Lösung.
Er setzte Müller außerhalb einer klaren Rolle ein. Das wäre im Ancelotti-System quasi ein 4-2-2-1 und Thomas Müller. Doch der Italiener möchte dies scheinbar nicht. Es sieht so aus, als würde er auf klare Positionierungen setzen und jedem eine genaue Definition mitgeben. Flügelstürmer, Stürmer und Zehner eben.
Der Nationalspieler war und ist aber immer noch wichtig und könnte noch wichtiger sein, wenn Ancelotti sich anpasst. Als schwebendes Element kann er all seine Stärken zeigen und sich so auch von anderen im Kader abheben. Noch viel wichtiger ist aber, dass Müller für überraschendes sorgt. Mit ihm sind die Münchner nicht ganz so berechenbar. Denn in der freien Rolle ist er einzigartig. Auch das zeigte er in Bremen. Nach seiner Einwechslung bot er sich im Zehner-Raum an, ließ einen Ball von Hummels abklatschen und ging einen diagonalen Laufweg, der Lewandowski und den Bayern die Entscheidung ermöglichte.
Eine vermeintlich einfache Szene, die es vor der Einwechslung aber nicht zu sehen gab. Vidal und Tolisso negierten sich auf der Doppelsechs. Keiner der beiden war spielstark genug, um vertikale Lösungen in die Tiefe zu bringen. Es entstand ein ewiges Quergeschiebe.
Thiago hat dies nicht lange ertragen. Der Spanier war auf seiner Zehner-Position verschenkt, weil er seine Qualitäten im engen Raum nicht einsetzen konnte. Er war schlicht außerhalb des Brennpunkts, also ließ er sich fallen. Gleichzeitig schoben die Sechser aber nur selten hoch, wenn Thiago abkippte. Die Folge: Ein großes Loch um und vor Lewandowski. Die Bayern bildeten zu wenig Dreiecke in gefährlichen Zonen, standen im Aufbau zu eng und oft in einer Linie. Diese Struktur ist für jeden Gegner der Welt einfach zu verteidigen. Am absurdesten wurde es, als sieben Spieler des Rekordmeister in der letzten Linie standen, aber niemand im wichtigen Zwischenraum.
Bayern fand keine Wege in die Tiefe und konnte aus dem ewigen Ballbesitz nichts entwickeln. Mit Müllers Einwechslung konnte Thiago immerhin seine eigentliche Paraderolle ausführen und den Aufbau der Münchner massiv verbessern. Müller bewegte sich in die genannten Räume und Bayerns Spiel bekam die nötige Tiefe und mehr Vertikalität. Das alles nur an Thomas Müller festzumachen, wäre nicht richtig. Der sogenannte Raumdeuter ist kein Strukturgeber. Aber mit ihm gab es dann eine Konstellation auf dem Platz, die für ein gefährlicheres Offensivspiel und mehr Druck auf Werders Abwehr sorgte.
Müller muss sich dem Konkurrenzkampf stellen
So positiv Müller für das System sein kann, so sehr muss aber auch gesagt werden, dass niemand unumstritten sein sollte. In der letzten Saison war er oft nicht gut genug, um zur ersten Elf zu gehören oder er passte schlicht nicht zu den Ideen des Trainers. Einbindung und Kopf sind sicher verständliche Gründe, doch der Stürmer hat auch die Verantwortung, sich selbst zu hinterfragen. Alles auf externe Faktoren zu schieben, wäre zu einfach.
Der Konkurrenzkampf in der Offensive ist enorm und dem muss sich auch Müller stellen. Zumal der Stürmer so speziell ist, dass es durchaus zurecht taktische Gründe in Einzelfällen geben kann, um ihn nicht einzusetzen. Gegen Bremen sorgten diese allerdings für ewigen Ballbesitz ohne Ertrag.
Wenn Bayern in dieser Saison erfolgreich sein will, muss das Team zusammenhalten. Die Art und Weise, wie der Stürmer am Wochenende seinen Trainer kritisierte, aber auch der frühe Zeitpunkt waren mehr als überraschend. Gerade Müller war in den letzten Jahren ein Paradebeispiel für öffentliche Professionalität. Umso mehr verwundert es, dass ausgerechnet er schon am 2. Spieltag dieses Fass aufmacht und für Unruhe sorgt. Auf der anderen Seite dürfte es besser sein, dies vor der ersten Länderspielpause zu tun, als in einer noch wichtigeren Saisonphase.
Dass er sich überhaupt dazu genötigt sah, lag sicher nicht nur an seiner Situation in den ersten Partien. Es ist ein Prozess, der schon über längere Zeit stattfand. Schaut man sich die Aufstellungen des Italieners an, so ist Kritik sicher nicht unberechtigt. Vidal in tiefer, aufbauender Rolle, während Thiago mehrfach im offensiven Zentrum verschenkt wird.
Immer wieder trifft Ancelotti dieselben Entscheidungen, die letztendlich dieselben strukturellen Probleme aufwerfen. Die Form einzelner Spieler ist oft kein Kriterium. Es entsteht der Eindruck, dass gewisse Namen wichtiger sind als ein System oder eine Struktur.
Vidal ist unumstritten beim Trainer. Doch gerade er ist einer der Gründe dafür, dass das Mittelfeld in Ballbesitz zu wenig Kontrolle hat und nicht in der Lage ist, Tiefe in das Spiel zu bekommen. In Bremen spielte der Chilene halblinks. Er war nicht nur am mäßigen Aufbau mitschuldig, sondern auch dafür, dass Ribéry und Alaba isoliert waren. Die beiden spielten auf dem Flügel quasi alleine. In ständiger Unterzahl. Keine Dreiecke und keine zentralen Optionen. Das Resultat waren viele unnötige Dribblings und schlechte Flanken.
Die andere Seite der Medaille sind Vidals Qualitäten gegen den Ball. Keiner hat so viele Defensivaktionen gehabt wie er und er war sicherlich wichtig, wenn man nicht in Ballbesitz war.
Ancelotti muss als Trainer Lösungen finden, um den „Krieger“ besser zu positionieren. In der chilenischen Nationalmannschaft ist er in höheren Zonen stärker.
Wie geht es weiter?
Fakt ist, dass beim FC Bayern gerade ein großes Potential für Unruhe entsteht. Müller kann und wird weiter wichtig sein, um den Zehner-Raum zu besetzen und Lewandowski entscheidend zu unterstützen. Der Pole braucht sein Pendant, um perfekt zu funktionieren. Thiago kann das auch, fehlt dann aber im Aufbau.
Setzt der Italiener den Angreifer auf die Bank, muss er zumindest Lösungen für die strukturellen Probleme finden. Thiago auf die Zehn zu stellen, während der Aufbau mit zwei spielschwachen Sechsern einstaubt, ist jedenfalls keine gute. Im Idealfall wird Ancelotti im Laufe der Saison merken, dass Thiago, Vidal und Müller auch zusammen herausragend funktionieren können. Oder Rudy bekommt die große Chance, hinter Thiago und Vidal den Aufbau zu gestalten.
Unabhängig von Personalentscheidungen und welchen Spieler man in welchem System favorisiert, steht der Trainer nun aber vor einer Aufgabe, die über seinen Job entscheiden könnte. Schafft er es nicht, seinen Kader in den Griff zu bekommen, muss man hinterfragen, ob er der richtige Mann ist.
Ancelotti muss aus den vielen Individualkünstlern ein Team bilden. Scheitert er daran, dann drohen ihm und den Bayern ein schwieriges Jahr.