Vorschau: Ist Frankfurt der Knackpunkt dieser Saison?

Justin Trenner 19.02.2021

Das 3:3 gegen Bielefeld war aus Perspektive des FC Bayern ärgerlich. Überbewerten sollte das Ergebnis dennoch niemand. Trainer Hansi Flick war aufgrund der Reisestrapazen dazu gezwungen, nach längerer Zeit wieder mal etwas mehr zu rotieren.

Warum das in dieser Saison für einen Trainer besonders problematisch ist, haben wir an anderer Stelle schon mehrfach diskutiert. Auch die jüngsten Aussagen von Jürgen Klopp und Julian Nagelsmann unterstreichen das abermals. Beide machen nicht zum ersten Mal darauf aufmerksam, wie schwer es in dieser Saison ist, neue Spieler an die Mannschaft heranzuführen. Die Gründe dafür sind vielschichtig.

Die Erwartungshaltung an die vergangene Sommertransferperiode des FC Bayern sollte vor diesem Hintergrund und dem einmalig engen Spielplan gleich doppelt angepasst werden. Sprachliche Barrieren, fehlende taktische Einheiten, aber vor allem auch die fehlende Möglichkeit für teambildende Maßnahmen – all das wiegt schwer.

Wir haben ein paar, die einfach nicht Deutsch sprechen, für die ist es dann noch dreifach schwieriger. Die haben keinen richtigen Deutschunterricht, die haben keinen richtigen Kontakt außerhalb des Fußballplatzes zu ihren Mitspielern. […] Man sieht immer, dass Neuzugänge, wenn es eine sehr gefestigte Mannschaft ist, Probleme haben reinzukommen, aber diese Saison ist es extrem.Julian Nagelsmann über die Neuzugänge von RaBa Leipzig

Wir hatten dann drei Neuzugänge und die [haben es] super schwer, da irgendwie anzudocken an die Mannschaft. Jürgen Klopp über die Neuzugänge des Liverpool FC

Bayern geht auf dem Zahnfleisch

Verletzungen und Coronaerkrankungen erfordern nun mehr Einsatzzeiten jener Spieler, die es bisher aus nachvollziehbaren Gründen nicht geschafft haben, sich zu integrieren. Das wird demnach auch Auswirkungen auf die Leistungen des Teams haben.

Die größten Sorgen hat Flick im zentralen Mittelfeld. Joshua Kimmich ist die einzige Konstante, während mit Thomas Müller und Leon Goretzka zwei Spieler fehlen oder fehlten, die für die Stabilität des gesamten Teams zuständig waren. Corentin Tolisso wäre eher noch ein Spieler aus dem Kader gewesen, dem es zuzutrauen war, dass er wenigstens Goretzka ersetzen kann. Der Franzose hat nicht nur die Anlagen, sondern kennt auch Mannschaft, Abläufe und Trainer länger als alle anderen.

Seine Form war allerdings nicht ausreichend und auch Flicks Versuche, Tolisso in einen Rhythmus zu bringen, scheiterten. Tolisso hat sich zwar etwas gesteigert, war aber noch weit weg von seiner Bestform. Jetzt ist der 26-Jährige abermals schwer verletzt. Zukunft ungeklärt. Ungeklärt ist für viele auch, weshalb Marc Roca und Jamal Musiala nicht mehr Spielzeit erhalten haben. Ein Blick auf das Zitat von Julian Nagelsmann genügt, um es zumindest bei Roca zu erklären. Der Spanier muss sich nach wie vor in einer neuen Kultur zurechtfinden und es ist für ihn eine große Herausforderung, sich an die Spielweise anzupassen – insbesondere gegen den Ball fehlt es an Intensität, Stellungsspiel, Laufwegen und Aggressivität.

Musiala hat ein ähnliches Problem wie Roca: Ihm fehlen die Robustheit und Laufwege ohne Ball. Für Flick stellen beide trotz ihrer potentiellen Fähigkeiten mit dem Ball ein Risiko dar, weil seine Philosophie einen starken Fokus auf (Gegen-)Pressingmomente legt. Beim Blick auf weitere Alternativen kommt nur noch David Alaba in Frage. Der Österreicher machte zuletzt keinen schlechten Job im Mittelfeld, lässt aber das Gefühl für die Balance aus Offensive und Defensive manchmal vermissen. Außerdem fehlen seine Kommandos in der Viererkette, wie sich gegen Bielefeld mehrfach zeigte. Dennoch ist es gut vorstellbar, dass er zunächst weiter im Mittelfeld eingesetzt wird. Immerhin: Leon Goretzka scheint für die Partie in Frankfurt wieder eine Option zu sein, wenngleich fraglich ist, wie fit er nach einer Coronaerkrankung schon sein kann.

Flicks Schachspiel

Durch die Veränderungen im Mittelfeld haben die Bayern hinten dann gleich ihre nächste Baustelle. Rechts wird Benjamin Pavard eine Zeit lang ausfallen. Der Franzose hat sich ebenfalls mit dem Coronavirus infiziert. Bouna Sarr konnte ihn auf hohem Niveau bisher nicht ersetzen. Vielleicht ist es bei ihm noch am deutlichsten ein Zeichen von fehlender Qualität, aber wie bei allen anderen Neuzugängen sollte auch bei ihm nicht vergessen werden, dass er nicht nur eine Sprachbarriere hat, sondern darüber hinaus in allen anderen Bereichen eine Integration in das Team extrem erschwert wird.

Nichtsdestotrotz hat Flick keine große Wahl. Er könnte Niklas Süle auf die Rechtsverteidiger-Position schieben, was zumindest gegen Leverkusen im Dezember sehr gut funktioniert hat. Mit der Rückkehr von Jérôme Boateng stünde theoretisch ein Ersatz in der Innenverteidigung parat. Allerdings ist unklar, ob der 32-Jährige psychisch schon wieder bereit ist. Kann Boateng nicht spielen, wird es wieder enger. Lucas Hernández und David Alaba verblieben noch – Letzterer wird aber vielleicht im Mittelfeld eingeplant, um den physisch starken Frankfurtern mehr entgegenzusetzen als das, was andere anbieten könnten.

Möglich wäre auch, dass Flick Kimmich auf die rechte Seite zieht, dann aber fehlt im Mittelfeld das Herz des eigenen Spiels, was einer starken Schwächung gleichkäme. Wie Flick es dreht und wendet: Alles wäre aktuell ein Kompromiss, der eigentlich nicht in seinem Sinne ist. Es gleicht einem Schachspiel, bei dem der Trainer von seinem Gegner bereits so weit in die Ecke gedrängt wurde, dass ihm nur noch wenige Möglichkeiten bleiben, um ein Schachmatt zu verhindern. Und der Gegner sind hier vor allem die äußeren Faktoren.

Eintracht Frankfurt: Was kann das formstärkste Team der Liga wirklich?

Ausgerechnet vor dem Top-Spiel gegen Eintracht Frankfurt gehen die Bayern also mal wieder auf dem Zahnfleisch. Und das nicht mal deshalb, weil der Kader nicht die individuelle Qualität in der Breite mitbringt, sondern vielmehr aus Gründen der gruppentaktischen Instabilität, sobald Flick rotieren muss. Selbstverständlich aber auch aufgrund der Verletzungen und Erkrankungen.

Frankfurt könnte aus der kritischen Personalsituation des Rekordmeisters vor allem deshalb profitieren, weil die eigenen Stärken perfekt zu jenen Schwächen des Gegners passen, die durch die aktuelle Lage noch verschärft werden. Aber dazu später mehr. Oberflächlich gesehen ist die SGE seit jeher eine Mannschaft, die sehr physisch, aggressiv und penetrant gegen den Ball agiert, um in Umschaltmomenten mit schnellen wie auch technisch starken Spielern zum Erfolg zu kommen.

Ein Blick ins Detail verrät aber, dass da noch ein bisschen mehr hinter dem aktuellen Erfolg steht. Dass Frankfurt seit mittlerweile neun Bundesliga-Spielen ungeschlagen ist (acht Siege), liegt nicht etwa ausschließlich daran, dass der Spielplan mit Bayer Leverkusen nur einen hochkarätigen Gegner parat hatte. Es liegt daran, dass Frankfurt diese Phase genutzt hat, um sich selbst zu stabilisieren und gerade in Ballbesitz große Fortschritte zu machen.

Mit einem Formationswechsel zur Stabilität

Die Mannschaft von Adi Hütter überzeugt mittlerweile nicht nur mit vielen Ballgewinnen und einer Offensive, die vom Raum der Kontersituationen profitiert, sondern sie haben insbesondere gegen auf dem Papier gleichstarke oder unterlegene Teams viel Raumkontrolle in der Hälfte des Gegners – können den Ball also dort laufen lassen und Tiefe für Tormöglichkeiten erzeugen.

Frankfurt profitiert dabei immer noch von den Basics der Klubphilosophie, denkt unter Hütter aber erheblich offensiver als in vergangenen Zeiten. Seit November scheint Hütter auch eine Formation gefunden zu haben, die zu seinen Spielern und seinen Ideen im Moment am besten passt: Das 3-4-3.

Viele Teams in der Bundesliga haben in den letzten Wochen und Monaten auf diese Grundausrichtung umgestellt. Frankfurt interpretiert diese aber besonders effizient, flexibel und stabil. Die Schlüssel dafür liegen im kompakten Zentrum (drei Innenverteidiger, zwei zentrale Mittelfeldspieler und davor nochmal zwei Zehner/Halbraumspieler, die ebenfalls defensiv die Mitte verschließen), aber auch bei den balancegebenden Flügelverteidigern. In Phasen des hohen Pressings schieben diese ballnah weit nach vorn, in tieferen Verteidigungsphasen helfen sie dabei, eine kompakte 5-2-3- oder 5-4-1-Formation herzustellen.

Frankfurts Grundausrichtung ist gegen den Ball auf ein kompaktes Zentrum und eine breite Restverteidigung ausgelegt. Um die Zwischenräume gut abzudecken, ist ein schnelles und präzises Verschieben der fünf zentralen Spieler notwendig.

Frankfurts Achse

Doch auch mit dem Ball profitiert Frankfurt sehr davon, dass sie im Zentrum viele Spieler haben. Bis vor einiger Zeit war es das große Problem, dass die SGE zu abhängig von ihren Flügelangriffen war – insbesondere Filip Kostić entschied oftmals darüber, wie gut Frankfurt ein Spiel absolviert. Zu Teilen ist das immer noch so. Kostić ist vermutlich der Schlüsselspieler im Offensivspiel. Aber Frankfurt ist variabler geworden.

Über Martin Hinteregger, der hinten die Fäden zieht und mit seiner Passrange in der Lage ist, gegnerisches Pressing mit einer Aktion auseinanderzunehmen, und das laufstarke zentrale Mittelfeld gelingt es der SGE, auch viele Angriffe über das Zentrum vorzubereiten. Das gibt Kostić umso mehr Raum, wenn dann auf seine Seite verlagert wird.

Hinter der Sturmspitze agiert Hütter zudem mit zwei Halbraumzehnern, die für kreative Momente zwischen den Linien des Gegners sorgen. Daichi Kamada und Amin Younes bilden hier meist ein Duo, das nur schwer zu stoppen ist. Sie ziehen Innenverteidiger aus ihren Positionen, sorgen dafür, dass der Gegner sich horizontal zusammenzieht und bespielen dann die dadurch entstehenden Räume auf den Flügeln und hinter der Abwehrkette, wo mit André Silva einer der Top-Stürmer der aktuellen Spielzeit auf seine Tiefenläufe lauert.

Drei spielentscheidende Faktoren

1. Kampf ums Zentrum

Aus dieser kurzen Charakterisierung lässt sich bereits ableiten, wie Frankfurt die Bayern vermutlich stressen wird. Auch wenn die SGE in den letzten Wochen mit viel Raumkontrolle in der gegnerischen Hälfte bestechen konnte, so wird das Spiel gegen die Bayern wohl eher auf ein schnelles Spiel nach vorn ausgelegt sein.

Für die Bayern wird es demnach die Herausforderung sein, sich im kompakten Zentrum nicht den Schneid abkaufen zu lassen. Spielgestalter Joshua Kimmich wird hier die Unterstützung seines Partners im Mittelfeld, aber auch der Offensivspieler brauchen. Zu oft waren die Abstände in den letzten Wochen vom Sechserraum bis nach vorn zu groß. Muss Kimmich den Ball zu lang halten, bietet das dem Fünferblock der Eintracht Möglichkeiten zum Zupacken.

Schaffen es die Bayern aber, Frankfurt im Mittelfeld zu beschäftigen, könnten sich Räume auf den Außenbahnen ergeben. Das gilt einerseits für den meist sehr offensiv denkenden Kostić, sobald die Münchner den Ball in einer Angriffsphase der SGE erobern. Es gilt aber auch für jene Momente, in denen die Bayern um eigene Raumkontrolle bemüht sind. Trotz der breit aufgestellten Fünferkette schafft es Frankfurt nicht immer, die defensiven Außenbahnen bei schnellen Seitenverlagerungen adäquat zu verteidigen. Außerdem ist der Fünferblock im Zentrum manchmal so eng aufgestellt, dass in den Halbräumen freie Zonen entstehen, die Bayern bespielen kann, wenn es schnell geht.

2. Bayerns horizontale Kompaktheit

Umgekehrt werden die Bayern ebenso ihre defensiven Flügel im Blick haben müssen – auch wenn Frankfurt über das kreative Zentrum angreift. Eines der Probleme im Saisonverlauf war immer wieder, dass die Bayern in der horizontalen Kompaktheit nicht das richtige Maß finden. Manchmal stehen sie zu kompakt und ermöglichen damit Verlagerungen, in deren Folge die Verteidigungswege für die Außenspieler zu weit werden. Flanken können dann nicht mehr verhindert werden.

Frankfurt wird diese Schwachstelle gezielt bespielen wollen, indem sie immer wieder versuchen, Kostić freizuspielen und ihn in eine gute Ausgangslage für seine gefährlichen Flanken zu bringen. Gleichzeitig ist es eben nicht das eine Schema, das es zu verteidigen gilt. Fokussieren sich die Bayern zu sehr auf die Verteidigung von Kostić, könnte es Räume für die benannten Zehner und vor allem Silva geben, dessen Einsatz zwar noch fraglich ist, mit dem aber gerechnet werden sollte. Mit Luka Jović stünde aber ohnehin ein starker Ersatz parat.

Bayerns Abstimmungsprobleme mit und ohne Ball könnten Frankfurt in die Karten spielen. Mit 43 Toren stellen sie im Moment die stärkste Offensive nach den Münchnern.

3. Kriegen die Bayern Hinteregger gestoppt?

Um unnötige Schwimmphasen zu verhindern, in denen die Bayern nur hinterherlaufen, um am Ende doch wieder in Verlegenheit zu kommen, braucht es einerseits möglichst viel Raumkontrolle in der Hälfte der Gastgeber, andererseits aber ein gutes Pressing in den vorderen beiden Dritteln. Die erste Pressinglinie und die darauffolgende stehen demnach im Fokus.

Ganz vorn braucht es den von Flick so oft benannten „Druck auf den Ball“. Insbesondere Martin Hinteregger sollte besser nicht zur Entfaltung kommen. Seine präzisen langen Bälle könnten die Hintermannschaft des Tabellenführers ins Schwitzen bringen. Neben Robert Lewandowski sind die Flügelspieler sowie der Zehner gefragt, um möglichst viele unpräzise Schläge in ungefährliche Zonen zu erzwingen.

Hinteregger steht aber auch stellvertretend für eine weitere Qualität der Frankfurter: Standardsituationen. Und hier haben die Bayern nicht erst seit Bielefeld ein Problem. Gerade bei Eckbällen und Freistößen aus dem Halbfeld lassen sie zu viel zu.

Wer hält dem Druck des Gegners besser stand?

Alles in allem darf sich die Bundesliga auf ein sehr offensiv geführtes Duell freuen. Frankfurt wird – zumal daheim – alles daran setzen, den Bayern Druck zu machen. Demzufolge werden sie in einigen Spielphasen hoch anlaufen. Der Fokus wird aber darauf liegen, das Mittelfeld rund um Kimmich aus dem Spiel zu nehmen. Denn kommen die Bayern über den Sechserraum nicht zur Ruhe, wird Frankfurt ihnen länger und effektiver auf den Füßen stehen, als es ihnen lieb ist.

Die Eintracht ist flexibel genug, um tiefere Verteidigungsphasen mit höheren abzuwechseln und Bayern so in verschiedenen Bereichen des Spielfelds zu fordern. Sie bringen aktuell alles mit, um für eine kleine Überraschung zu sorgen. Obwohl das Wort „Überraschung“ hier fast schon zu groß sind. Denn tatsächlich treffen in der jeweils aktuellen Verfassung zwei Teams aufeinander, die sich ein Duell auf Augenhöhe liefern können. Frankfurt wird und muss sich nicht verstecken, Bayern wird damit zu kämpfen haben, eine gut ausbalancierte Elf auf den Rasen zu schicken.

Bayern benötigt dennoch einen Sieg. Kommt Leipzig am Wochenende auf drei oder zwei Punkte heran, könnten die kommenden Wochen unangenehm werden. Mit dem bevorstehenden Achtelfinale gegen Lazio Rom wäre etwas mehr Ruhe mit einem Abstand von mindestens fünf Punkten auf den Konkurrenten durchaus hilfreich. Es könnte eine Art Knackpunkt der Saison werden. Auch wenn das Wort häufig im negativen Kontext verwendet wird, so ist damit in diesem Fall gemeint, dass die Bayern ebenso einen positiven Knack-Moment erleben könnten. Ein Spaziergang dürfte das aber nicht gerade werden.