Vorschau: FC Augsburg – FC Bayern München

Justin Trenner 19.01.2021

La Décima – unter diesem Motto wurde nicht nur der zehnte Champions-League-Triumph Real Madrids vor einigen Jahren gefeiert, sondern auch das zehnte Jahr in der Bundesliga für den FC Augsburg am Stück. Oft wurden sie vor der Saison als klarer Abstiegskandidat gehandelt, ebenso oft zeigten sie schnell, dass sie besser sind als ihre Konkurrenten und machten den Klassenerhalt frühzeitig perfekt. Selten wurde es für sie so richtig eng.

Dass die zehnte Bundesliga-Spielzeit in Serie also im vergangenen Sommer als großer Erfolg gefeiert wurde, scheint folgerichtig. Im Umfeld des Klubs waren aber nicht alle in Feierlaune. Es gab auch Kritik an der Überschwänglichkeit, mit der die letzten zehn Jahre betrachtet werden. Einerseits also die positive Erkenntnis, dass der Klub sich im Oberhaus etabliert hat, andererseits kritische Stimmen, die mit den geringen Ansprüchen nicht zufrieden sind.

Es dürfte normal sein, dass auch kleinere Vereine sich stets weiterentwickeln wollen. Dass in Augsburg nicht jeder den Partyhut aufsetzt, könnte auch daran liegen, dass man zwischen 2013 und 2015 mit einem fünften und einem achten Platz gesehen hat, dass es zumindest punktuell möglich ist, für eine Überraschung zu sorgen. Seitdem begnügte sich der FCA mit Platzierungen zwischen 12 und 15.

FC Augsburg und die Suche nach Verbesserung

Eine Überraschung scheint derzeit auch gegen die Bayern drin zu sein. Zwar zeigte der Formtrend gegen Freiburg wieder nach oben, doch selbst beim 2:1-Sieg taten sich Schwachpunkte bei den Münchner auf. Augsburg ist auf dem Papier eine Mannschaft, die diese gut bespielen kann.

Ein gepflegtes Kurzpassspiel nach vorn ist nicht so ihr Ding, wie sich beim 0:2 gegen Werder Bremen am Wochenende abermals offenbarte. Gerade in der ersten Halbzeit, wo man mitunter über 60 % Ballbesitz hatte, konnte sich die Mannschaft von Heiko Herrlich keine Chancen herausspielen. Gefährlich wurde es lediglich nach einer Einladung von Marko Friedl.

Augsburg tut sich leichter, wenn der Gegner aktiv ist und mehr Spielanteile hat, oder zumindest haben will – Siege gegen Union und Dortmund am Anfang der Saison unterstreichen diese These. Dabei hatte der Trainer das Ziel ausgegeben, dass sich seine Mannschaft in allen vier Spielphasen verbessern soll – mit dem Ball, ohne Ball und in den Umschaltphasen. Nur Standards und schnelle Konter, so Herrlich, würden nicht reichen.

Nicht besonders, dafür aber gut

Will der FCA sich in der Liga nennenswert verbessern, wird er gerade in den Ballbesitzphasen weitere Fortschritte machen müssen. Über wenige Ansätze im Spiel nach vorn kam man hier nicht hinaus. Der FC Bayern ist jedoch nicht der Gegner, der diese Qualität abverlangen wird. Augsburg kann sich demnach auf seine Fähigkeiten im Umschaltspiel und die schnellen Offensivspieler verlassen.

Herrlich hat ein recht durchschnittliches Mittelfeldpressing etabliert, das in der Ausrichtung je nach Gegner variieren kann, meist aber im 4-4-2 durchgeführt wird. Es geht natürlich darum, die Räume eng zu machen und die andere Mannschaft erstmal kommen zu lassen. Angriffspressing gibt es unter Herrlich nur selten zu beobachten.

Wirklich viele Besonderheiten gibt es im Anlaufverhalten der Augsburger aber nicht. Herrlich scheint auf taktischer Ebene ein Trainer zu sein, der, will man es positiv ausdrücken, sehr pragmatisch handelt. Wer es nicht so mit ihm hält, wird wohl von Langeweile und Einfallslosigkeit sprechen. Die wenigen festen Abläufe im Anlaufverhalten (beispielsweise Außenverteidiger des Gegners unter Druck setzen) hat die Mannschaft aber gut verinnerlicht. Der Trainer fordert von seiner Mannschaft vor allem auf mentaler Ebene viel ein. Seine bisherigen Teams zeichneten sich stets durch eine hohe Laufbereitschaft und viel Aggressivität aus.

Lässt sich Augsburg von den Bayern locken?

Was den Augsburgern auf taktischer Ebene gut gelingt, ist das Halten der vertikalen Kompaktheit. Sie lassen sich kaum locken, achten stets darauf, dass zwischen den eigenen Linien wenig Raum ist. Bayern ist wiederum eine Mannschaft, die sehr gut darin ist, Gegner vertikal auseinanderzuziehen.

Es dürfte somit der Schlüssel in dieser Partie sein, wie gut es einerseits Müller und seine Mitspieler in Offensive und Mittelfeld schaffen, Augsburg dazu zu bringen, den Zwischenlinienraum entscheidend zu öffnen. Andererseits gehört natürlich auch der FCA dazu und somit die Frage danach, wie gut sie eben das verhindern können. Bayern hat gegen Freiburg wieder mehr gegenläufige Bewegungen ins Offensivspiel integriert – also neben dem bekannten Abkippen der Offensivspieler ins Mittelfeld auch Läufe in die Tiefe gesucht. Das wird gegen Augsburg ebenfalls sehr wichtig sein.

Freiburg hat zumindest in einigen Phasen des Spiels (vor allem in der ersten Halbzeit) vorgemacht, wie man die Bayern stressen und zu Fehlern zwingen kann. Den Münchnern fehlt häufig die Geduld in Ballbesitz, um kompakt verteidigende Gegner zu zerspielen. Stattdessen erfolgen zu schnell vertikale Zuspiele, die wiederum wie ein Boomerang zurückkommen können. Gerade in Führung könnte das Team von Flick mehr Ruhe vertragen.

Immerhin: Gegen Freiburg gab es taktische Anpassungen, die sofort gut funktioniert haben. Darunter auch einige Abbrüche im Spiel nach vorn. Es ist also durchaus zu beobachten, dass die Mannschaft nicht stur ihren Stiefel herunterspielt.

Gegen Augsburg gilt es nun, den Weg des Fortschritts weiterzugehen. Oftmals wird dabei die Frage gestellt, wie und ob Flick im Training etwas tun kann, um die Probleme im Spiel zu beheben. Auch bei Patreon erreichte uns eine solche Frage, die wir dort bereits ausführlich beantwortet haben:

Patreon-Ausschnitt: Was kann und muss Flick jetzt tun?

„Diese Frage spielt wunderbar mit [den mentalen] Aspekten des Spiels zusammen, weil du im Training normalerweise dafür zuständig bist, den Spielern Lösungsansätze für verschiedene Situationen im Spiel an die Hand zu geben – und zwar nicht 4, 5 oder 6, sondern maximal 2 oder 3. Es geht darum, die Komplexität aus den Situationen zu nehmen und den Spielern das Gefühl zu geben, dass sie jeden Moment eines Spiels schon mal erlebt haben. Durch das Zusammenspiel der sogenannten Automatismen entsteht dann im Idealfall ein fluides Ineinandergreifen vieler Einzelaspekte, die den Spielern die Entscheidungen vereinfachen und vor allem auch ermöglichen, dass sie sich schneller entscheiden können.

Die Basis dafür wird oft in einer Sommervorbereitung gelegt. Dort versuchen Trainer in der Regel, möglichst viele dieser Spielsituationen abzudecken und einzustudieren. Während einer Saison werden diese dann nur noch wiederholt und abgerufen. Fehlt aber die Basis einer Sommervorbereitung, wie es bei den Bayern quasi seit der Übernahme von Hansi Flick der Fall ist, ist es auch schwerer, diese Automatismen in den verschiedenen Bereichen regelmäßig abzurufen. Hinzu kommt dann vielleicht noch die mentale Müdigkeit der Spieler und die Veränderung des Kaders – Neuzugänge haben einen noch weiteren Weg, weil sie viel kürzer mit Team und Trainer zusammenarbeiten.

Soweit zur groben Beschreibung des Problems. Wie kann man das nun lösen? Die Trainer*innen, die mit uns im Gespräch waren, waren sich relativ einig, dass eine hundertprozentige Behebung der Probleme nicht möglich ist. Es geht darum, Schadensbegrenzung zu betreiben. Ein wichtiges Mittel ist natürlich die Spielanalyse und die Hoffnung darauf, dass die Spieler die Fehler irgendwann wieder abstellen. Ein anderes Mittel ist es, zumindest die wenigen vollen Trainingseinheiten dazu zu nutzen, Prioritäten zu setzen und die Automatismen zu trainieren, die aus Perspektive des Trainers momentan am schlechtesten funktionieren. Beim FC Bayern könnte Flick beispielsweise die Absicherung bei Ballverlusten trainieren.

Auch hier wieder das Problem: Wirklich viele volle Trainingseinheiten gibt es nicht. Er muss also selbst nach der Priorisierung innerhalb des Teilaspekts nochmal priorisieren und einzelne Aspekte ausklammern. Im genannten Beispiel: Das Gegenpressing nach Ballverlusten praktisch trainieren, aber die Rückwärtsbewegung der Viererkette (bzw. bei einem hohen AV wäre es die Dreierkette) nur theoretisch trainieren.

Es ist zwar eine unbefriedigende Antwort, aber viel mehr kann ein Trainer nicht tun, der quasi zwischen Spielen und Regeneration hin und her pendelt. Ein letzter Ansatz wäre eine taktische Anpassung. Gegen Freiburg und auch in vielen anderen Spielen gab es solche Anpassungen durchaus, wenngleich viele sie kaum wahrgenommen haben. Darunter das konsequentere Absichern mit drei Spielern in der Defensive, ein phasenweise tieferes Pressing (nicht erst gegen Freiburg, sondern schon früher) oder kleinere Formationswechsel (4-2-3-1, 4-1-4-1, 4-1-2-3, Dreierkette gegen Atlético …).

Dass Flick nicht offensichtlicher Dinge verändert (deutlich kompakter und tiefer verteidigen oder auf Angriffspressing komplett verzichten), liegt neben seinen Überzeugungen daran, dass es für größere Anpassungen wiederum eine Basis bräuchte, die er nicht legen kann. Er bleibt lieber bei dem, was die Mannschaft in der Theorie kann, auch wenn sie es in der Praxis nur zu 70 oder 80 % umsetzt, anstatt auf ein System zu wechseln, das das Team in der Theorie nur teilweise kann und dementsprechend in der Praxis vielleicht auch nur teilweise gut umsetzt.

Auch hier aber die Einschränkung: Ein Systemwechsel kann aus dem Nichts heraus erfolgreich sein, weil es Gegner überrascht oder der Trainer ein glückliches Händchen hatte. Dass Flick da aber eher pragmatischer unterwegs ist, ist nachvollziehbar. Er wird darauf hoffen müssen, dass die wenigen vollen Trainingseinheiten reichen, um insbesondere bei den Ersatzspielern und Neuzugängen eine Verbesserung zu erzielen, was die Automatismen und die taktische Basis angeht. Es wird aber eine extrem schwere Aufgabe.

Auf einen letzten Aspekt hat uns Louisa Ramsaier (DFB-Stützpunkttrainerin und neuerdings auch Miasanrot-Autorin) gebracht. Im Zusammenhang mit den [im Patreon-Artikel] oben geschilderten Punkten zur Mentalität und der Psyche der Spieler ist es natürlich die Aufgabe des Trainerteams, die Spieler hier zu stärken und ihnen das Gefühl zu geben, dass diese Phase allenfalls kurzweilig ist. Die Spieler müssen das Vertrauen in das Trainerteam aufrecht erhalten, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist. Insbesondere bei Ersatzspielern ist das keine einfache Aufgabe, wenn die Leistungen oder Ergebnisse mal ausbleiben. Hier ist Flick vor allem auch als Moderator und Zuhörer gefordert.

Ein wichtiger Teilbereich: Die Kommunikation und das direkte Eingehen auf die Bedürfnisse der Spieler. Was will die Mannschaft? Was wollen einzelne Spieler? René Marić (Co-Trainer bei Gladbach) hat auf Twitter mal Einblicke in seine Arbeitsweise im direkten Spielergespräch gegeben und dabei vor allem die gemeinsame Erarbeitung von Lösungswegen in den Fokus gestellt.

Beispiel: Wenn ein Spieler Probleme damit hat, die richtige Position im Gegenpressing zu finden, dann hilft neben dem Videostudium und dem Ansprechen der Fehler vor allem die empathische Kommunikation. „Was glaubst du, warum du dich da unwohl fühlst?“; „Was könnten wir deiner Meinung nach anders machen, damit du dich in diesen Situationen besser auf dem Platz verhalten könntest?“ Auf der Basis der Spielermeinung kann man dann einen Lösungsansatz herausarbeiten. Wer eine Philosophie einfach nur mit einer Schablone auf die Mannschaft drücken möchte, wird kaum Erfolg haben. Flick scheint von außen betrachtet ein gutes Händchen dafür zu haben. Gerade in der aktuellen Phase ist eine solche Vorgehensweise umso wichtiger.“

Dies war ein Ausschnitt aus unserer exklusiven Patreon-Kolumne. Darüber hinaus geht es dort um den Abgang von Stiller, die Gerüchte um Costa und Zirkzee, Zahlen zum Freiburg-Spiel und die mentalen Aspekte des Fußballs. Unterstützt uns gern für einen Betrag eurer Wahl und helft uns dabei, in Quantität und Qualität weiterhin das zu tun, was wir gerne tun: Diesen Blog betreiben.

Wie rotiert Flick?

Gerade was die Personalentscheidungen angeht, war das Händchen von Flick aber nicht immer so glücklich. Tolisso darf seit Wochen immer wieder ran, obwohl seine letzte gute Leistung lange zurückliegt. Lucas Hernández muss nach guten Auftritten immer wieder auf die Bank. Auf der Makroebene dürfte Flick den Kader im Griff haben, sorgt er doch für eine recht ausgewogene Verteilung der Spielzeit – insbesondere im Vergleich zu den Vorjahren.

Allerdings könnte es auf der Mikroebene bald zu Problemen kommen, wenn eine toxische Mischung aus schlechten Ergebnissen/Leistungen und unzufriedenen Einzelspielern entsteht. Noch ist das nicht zwingend absehbar, aber gerade die Personalie Roca gibt weiter zu denken. Selbst wenn der Spanier noch sehr weit von den Vorstellungen des Trainers entfernt ist, so darf die Frage erlaubt sein, was er so viel schlechter machen kann als Tolisso und was der wiederum so viel besser macht.

Die kommenden Spiele sind für das Kadermanagement und die Belastungssteuerung wichtig für Flick. Man darf gespannt sein, welche Mannschaft gegen Augsburg und welche dann gegen Schalke auflaufen darf. Denn eines ist auch klar: Mit zu viel Rotation geht Flick ein hohes Risiko ein. Dass die Bayern gegen Freiburg rund 70 Minuten gut gespielt haben, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es danach im Verbund mit den Wechseln sehr zerfahren und unsicher wurde. Augsburg wird das zur Kenntnis genommen haben.