Serie vorbei: Bayern Frauen verlieren in Wolfsburg

Justin Trenner 06.04.2021

Hätte den Bayern Frauen vor der Saison jemand gesagt, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt in der Bundesliga mit fünf Punkten Vorsprung auf Platz 1 und in der Champions League im Halbfinale stehen, sie hätten es ohne Zögern unterschrieben. Egal, ob man Trainer Jens Scheuer oder die sportliche Leiterin Bianca Rech fragt, sie alle sind fast schon ein bisschen überrascht davon, wie schnell sich die Mannschaft weiterentwickelt hat.

Der Großangriff auf die Wolfsburgerinnen ist keiner, der als schneller Überfall geplant war. Die sportliche Leitung hat vor einiger Zeit einen Mehrjahresplan aufgestellt, der den Rahmen vorgeben soll für die ambitionierte Aufgabe, die Nummer 1 in Deutschland zu werden. Und doch schien es in dieser Saison bereits soweit zu sein, dass die Bayern den VfL bereits ablösen können – zumindest temporär.

Der Vorsprung von fünf Punkten besteht auch deshalb, weil sich die Mannschaft endlich auf einem gewissen Grundniveau stabilisiert hat, das es ihr erlaubt, im nationalen Alltag konstant Siege einzufahren. In den letzten Jahren scheiterten die Bayern häufig daran, dass sie vermeintlich einfache Siege noch hergeschenkt haben. Diesmal sammeln sie kontinuierlich Siege ein.

Machtwechsel?

Dementsprechend war und ist der Hype um diese Bayern-Mannschaft zurecht groß. Die beeindruckende Siegesserie von 26 Pflichtspielen, die noch beeindruckendere Konstanz und der bisher stabile Umgang mit Rückschlägen wie Verletzungen sorgten dafür, dass viele Beobachter:innen sich fragten, ob diese Mannschaft überhaupt irgendjemand aus der Bundesliga schlagen kann. Verstärkt wurde das Gefühl der Unschlagbarkeit durch einen deutlichen 4:1-Erfolg über den VfL Wolfsburg im Hinspiel der Bundesliga.

Die Wolfsburgerinnen, so machte es den Anschein, sind in dieser Saison nicht mehr die Übermannschaft, die sie in den letzten Jahren zweifellos waren. Neben dieser deutlichen Niederlage beim FC Bayern patzte man auch einmal sehr untypisch in Freiburg (1:1). Außerdem war im Viertelfinale der Champions League gegen ein starkes Chelsea relativ deutlich Schluss (1:2 und 0:3).

All das verstärkte die Euphorie rund um den FC Bayern. Dabei wurde mitunter auch vergessen, wie das Hinspiel eigentlich verlief. Auch wenn das 4:1 ein Achtungserfolg war, so zeigten sich damals zugleich einige Probleme. In unserem Spielbericht schrieben wir:

In den letzten Wochen wussten die Bayern häufiger mit temporeichen und variablen Spielzügen zu überzeugen. Gegen Wolfsburg gelang es ihnen trotz des Ergebnisses zu selten, das auf das höhere Niveau zu transferieren. In der ersten Halbzeit blieb das Herzstück der Mannschaft, das zentrale Mittelfeld, nahezu komplett aus dem Spiel. Von Magull, Lohmann und Zadrazil war nicht viel zu sehen. In der zweiten Halbzeit riss vor allem Magull die Partie stärker an sich und konnte so Einfluss nehmen. Insgesamt bleib das Spiel nach vorn aber zu unstrukturiert und zu abhängig von Einzelaktionen. An diesem Abend mag das durch eine hohe Effizienz und etwas Glück funktioniert haben, für die Zukunft bleibt die Frage offen, ob diese Spielweise nachhaltig erfolgreich sein kann.Spielbericht FC Bayern Frauen 4:1 VfL Wolfsburg, vom 15.11.2020

Wolfsburg dominiert Bayern in allen Belangen

Bayern war damals unfassbar effizient, hatte zudem etwas Glück, dass bei den Wolfsbrugerinnen mehrere Schlüsselspielerinnen ausfielen – beispielsweise Alexandra Popp und Ewa Pajor. Das Ergebnis war letztendlich aber höher, als es das Spiel hergab. Es war im Gegenteil noch, wenn man es ganz nüchtern analysiert, ein Fingerzeig darauf, dass die Mannschaft nach wie vor einen weiten Weg bis an die Spitze hat.

Das klingt hart bei einer derart starken Serie, wie sie die Bayern zuletzt hatten. Aber das Halbfinale im Pokal bestätigte den Eindruck. Diesmal waren die Münchnerinnen nahezu chancenlos. Bis auf eine kurze Phase vor der Halbzeitpause bekamen sie keinerlei Kontrolle ins Spiel – und da auch nur, weil Wolfsburg sich zurück zog. Sie konnten dem Druck der Wolfsburgerinnen nichts entgegen setzen und verloren sich in hektischen langen Bällen sowie viel zu risikoreichen Pässen in die Füße der Gegnerinnen.

Wolfsburg dominierte in allen Belangen: Physisch, technisch, aber vor allem gruppentaktisch. Das 2:0, es hätte noch höher ausfallen können, vielleicht müssen. Es ist nicht nur die erste Niederlage der Saison, es ist auch eine gegen eine Mannschaft, der an diesem Tag der unbedingte Wille anzusehen war, die vielleicht letzte Titelchance zu nutzen. Die Schlussfolgerung, dass dies nur ein Ausrutscher der Bayern war, liegt deshalb nahe.

Zu wenig Struktur im Mittelfeld

Das aber gilt es in den kommenden Wochen erstmal zu beweisen. Fakt ist, dass sich die Münchnerinnen unter Scheuer auf einem sehr guten Niveau stabilisiert haben. Der bisherige Saisonverlauf sowie die Ausgangssituation für den Endspurt um die Deutsche Meisterschaft sprechen ebenso für sich wie der erst zweite Einzug in ein Champions-League-Halbfinale, auch wenn das Losglück eine wichtige Rolle spielte.

Auf der anderen Seite ist es aber nicht das erste Mal, dass sich die Mannschaft unter Scheuer gegen ein Top-Team mut-, ideen- und fast schon antriebslos präsentiert. Und das ist der zentrale Punkt: Verlieren gegen Wolfsburg ist immer möglich. Besonders, wenn sie so stark aufspielen wie am vergangenen Sonntag. Die Art und Weise aber entspricht nicht den Ambitionen, die der Klub hat.

In der vergangenen Saison zeigten sich die Bayern gegen die Übermannschaft aus Lyon zwar engagiert, aber fast schon verängstigt. Im Hinspiel der aktuellen Spielzeit war es über viele Spielphasen ebenfalls sehr ideenlos. Dabei hat Scheuer gerade im Mittelfeldzentrum Spielerinnen auf sehr hohem Niveau zur Verfügung, die in der Lage sind, die Kontrolle zu übernehmen. Was dem Team aber fehlt, ist eine Grundstruktur.

Lina Magull beispielsweise hat am Sonntag viel probiert, war ständig unterwegs, um irgendwelche Lücken im Mittelfeld zu füllen – aber nach einer klaren Idee sah es nicht aus. Eher bewegten sich die Spielerinnen im Zentrum eher willkürlich, ließen sich von Wolfsburg immer wieder in Räume ziehen, in denen sie nicht helfen konnten. So verwaiste das Mittelfeldzentrum teilweise komplett. Und das ist eben kein komplett neuartiges Problem. Den Bayern fällt auch im Alltag noch zu oft der Übergang zwischen den Dritteln schwer. Es ist also nicht so, dass diese Beobachtungen allein auf einem Spiel beruhen, wo die Form durchaus mal schwanken kann und darf.

Wo befindet sich das Team wirklich?

Dass die Bayern Fehler machen, wenn sie von ihren Gegnerinnen unter Druck gesetzt werden, zeigten sie auch schon in einigen wenigen Phasen der laufenden Bundesliga-Saison auf niedrigerem Niveau. Dann fehlen oft die Anspielstationen in den Sechser- und Achterräumen. Eine klare Staffelung gibt es im Mittelfeld ebenso wenig wie klar wiedererkennbare Abläufe. Vieles wirkt intuitiv und individuell. Bestraft wurden diese Fehler aber selten bis gar nicht, weil das Niveau in der Liga einfach zu gering ist. Die Bayern sind dem längst entwachsen. Aber sobald eine Mannschaft gegenübersteht, die individuell genauso gut oder gar besser aufgestellt ist als sie, wird es kompliziert. Und das ist natürlich auch nachvollziehbar. Die Bayern sind immer noch am Anfang einer Entwicklung. Trotzdem: Die Niederlage am Wochenende war und ist ein klarer Rückschritt, der so benannt werden muss.

Für die Bayern Frauen wird es wichtig sein, dass auch die Konkurrenz hinter ihnen stärker wird, damit sie ihre Schwächen häufiger aufgezeigt bekommen. Denn es ist unfassbar schwer, sportliche Kritik an sich zuzulassen, wenn im Alltag nahezu jede gegnerische Mannschaft überrollt wird. In den kommenden Jahren soll vieles passieren, um den Niveauunterschied in der Liga anzupassen. Sowohl auf Vereinsebene (Frankfurt, Dortmund, Potsdam und Hertha usw.) als auch auf Verbandsebene soll einiges in Bewegung gesetzt werden. Von einer Umstrukturierung unter dem Dach der DFL oder einer ganz neuen, eigenen Struktur ist bisweilen immer wieder mal die Rede.

Die Frage nach dem Wochenende lautet für die Bayern: Wo befinden sie sich wirklich? Nur mit einer kritischen Herangehensweise wird es gelingen, auch den letzten Schritt nach oben zu machen.

Schweres Schlussprogramm

Das Pokalaus in Wolfsburg darf keinesfalls als Ausrutscher abgetan werden. Zu eklatant war der Unterschied, zu chancen- und ideenlos waren die Bayern nahezu in Bestbesetzung – der Ausfall von Sydney Lohmann wog natürlich schwer und auch von der Bank fehlten diesmal Impulse, aber hauptverantwortlich waren andere Faktoren. Einen schlechten Tag haben auch die Besten mal, aber wenn das Team sich so gar nicht gegen den Spielverlauf stemmen kann, läuft etwas falsch.

Scheuer und der gesamte FC Bayern haben in den kommenden Wochen noch einige Gelegenheiten, zu beweisen, dass sie wirklich schon weiter sind als in den Vorjahren. Eine ganz große bietet sich ihnen im Halbfinale der Champions League. Chelsea verfügt über eine enorme individuelle Klasse, ist aber gruppentaktisch nicht unverwundbar. An einem guten Tag sind die Bayern nicht ohne Chance. Favorisiert sind dennoch die Engländerinnen.

Mit zwei engagierten, mutigen und reiferen Auftritten als zuletzt gegen Wolfsburg ließe sich das Ausscheiden im Pokal unabhängig vom Endergebnis reparieren. Viel wichtiger aber ist das Abschneiden in der Meisterschaft. Schon nach der Länderspielpause geht es daheim gegen Hoffenheim, danach nach Potsdam. Es folgen der Showdown in Wolfsburg sowie ein weiteres Auswärtsspiel in Leverkusen, bevor die Saison daheim gegen Frankfurt beendet wird. Ein Spielplan, der es in sich hat. Alle kommenden Gegnerinnen sind in der Lage, die Bayern für eine solche Leistung wie am Wochenende zu bestrafen.

Jetzt zählt es!

Es wird sich jetzt auch zeigen, wie stabil die Bayern mental sind. Nicht unbedingt das 0:2 an sich ist es, das die Spielerinnen zum Nachdenken bringen könnte. Viel mehr ist es die Chancenlosigkeit, mit der man sich präsentierte. Kommen jetzt Selbstzweifel auf? Oder marschieren die Bayern gegen Hoffenheim und Potsdam souverän weiter?

Für die Bayern dürfte es hilfreich sein, dass jetzt erstmal die Länderspielpause ansteht. Danach wird es spannend. Bei aller Kritik am Auftreten der Münchnerinnen in Wolfsburg darf natürlich nicht vergessen werden, woher der Klub kommt. Bei der mittel- bis langfristigen Planung ging in München jedenfalls keine:r davon aus, dass das Team jetzt so gut da steht.

Und trotzdem sind vor allem erste Saisonniederlagen ein guter Grund, Dinge zu hinterfragen. Immer fair und sachlich sowie im angemessenen Ton, aber sich jetzt im Erfolg der 26 vorangegangenen Spiele zu sonnen, wäre gefährlich. Jetzt zählt es. Jetzt müssen die Bayern Frauen beweisen, dass sie tatsächlich eine Entwicklung durchgemacht haben. In dieser Saison ist noch viel zu erreichen. Aber auch noch viel zu verlieren.



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