Vorschau: Welches Zeichen setzen Fans, Verband und Klub auf Schalke?

Justin Trenner 03.03.2020

6:0 führten die Münchner bereits, als Fans des FC Bayern beinahe einen Spielabbruch herbeiführten. Über das, was die Mannschaft von Trainer Hansi Flick vorher rund 60 Minuten auf den Platz brachte, redet heute kaum noch jemand. Zu wichtig und einschneidend war das, was rund um die Aktionen einiger Fans in den deutschen Stadien passierte. Dabei war es ein weiterer, wenn auch kleiner Meilenstein in der noch kurzen Amtszeit von Flick.

Auch das Unentschieden von RaBa Leipzig gegen Leverkusen wurde kaum thematisiert. Die Bayern konnten ihren Vorsprung damit auf drei Punkte ausbauen und haben darüber hinaus ihr Torverhältnis mächtig aufpoliert. Stand jetzt kann sich der Tabellenführer somit eine Niederlage mehr erlauben als die Leipziger, was bei der Betrachtung des Restprogramms hilfreich sein könnte. Auswärtsspiele bei heimstarken Mannschaften wie Union Berlin, Borussia Dortmund oder Leverkusen stehen noch auf dem Programm und auch das Heimspiel gegen Gladbach dürfte neben all den kleineren Stolpersteinen, die noch warten, erwähnenswert sein. RaBa hingegen hat fast nur noch Gegner aus der unteren Tabellenhälfte im Programm. Die Auswärtsspiele bei Wolfsburg und Hoffenheim sowie die Heimspiele gegen Dortmund und Freiburg sind der Tabelle nach die schwierigsten Aufgaben.

Zurück zum Sport? Geht (noch) nicht!

Trotz dieser sportlich erfreulichen Nachrichten für den FC Bayern ist es aber nicht so einfach, die Geschehnisse vom Wochenende einfach wegzuwischen. Was dort passierte, war nicht der Beginn einer Eskalation. Es war die Zuspitzung eines über Jahre hinweg ausgetragenen Konflikts, bei dem sich alle Seiten zunehmend in radikalen Standpunkten verrannten.

Der DFB, der seiner Rolle als vermittelnder Dachverband nicht gerecht wurde. Teile der Fans, die sich im speziellen Fall des FC Bayern immer weiter ins Extrem flüchteten, weil sie sich unverstanden fühlten. Und schließlich auch der FC Bayern selbst, der es nicht schaffte, den Dialog mit der Fanszene strategisch klug zu führen.

Es gibt nicht „die Ultras“. Allein bei diesen Bezeichnungen gehen die Probleme bereits los. Zu heterogen ist diese Gruppierung, die als eine Jugendbewegung des 21. Jahrhunderts zu betrachten ist, obwohl sie nicht ausschließlich aus Jugendlichen besteht. Von Menschen aus sozial schwierigem Umfeld bis hin zu finanziell wohlhabenden Leuten ist in diesen Gruppierungen nahezu alles vertreten, was unsere Gesellschaft ausmacht. Mit all ihren positiven und negativen Eigenschaften.

Machtkampf statt Dialog?

Das bedeutet auch, dass es Leute gibt, die sehr wohl dazu in der Lage sind, mit den Verantwortlichen des FC Bayern und des DFB auf Augenhöhe zu kommunizieren. Wie uns auf Nachfrage von einem in der Südkurve gut vernetzten Fan erklärt wurde, sei es dem Klub in den letzten Jahren aber nicht ausreichend gelungen, den Dialog mit diesen Menschen zu fördern.

Stattdessen habe eine Verhärtung der Fronten stattgefunden. Die Interessen aller Seiten verschwanden hinter einem Schauplatz, auf dem sich am vergangenen Wochenende die Konflikte zuspitzten. Die vermeintlichen Lösungen liegen nun auf der Hand: Kollektivstrafen und Ausschlüsse auf Seiten der Bayern und des DFB. Andererseits noch ungeahntes Potenzial zur weiteren Eskalation bei den Fanszenen des gesamten Landes.

Schon die Partie der Bayern bei Schalke 04 könnte ein nächster Schauplatz dieses Machtkampfes werden. Während die Schalker ankündigten, den Platz bereits nach einem einzigen Vorfall verlassen zu wollen, darf man gespannt sein, was beide Fanlager diesmal vorhaben.

Konfrontation wird nicht helfen

Es scheint für alle Parteien keinen Weg mehr zurück zu geben. Zu verhärtet sind die Fronten, zu groß wäre das Eingeständnis, das man der anderen Seite machen müsste. Eigentlich müsste den Bayern aus eigener Erfahrung aber klar sein, dass Konfrontation und Kollektivstrafen nicht die Lösung sein können.

2008 versuchte man, die Schickeria aus dem Stadion zu bekommen, indem der Klub eine Jahreskartenliste vom Umzug in die Allianz Arena verwendete, auf der sich bei der Schickeria jedes Mitglied eintragen konnte. Das Problem: Man musste nicht Mitglied dieser Fangruppierung sein, um sich dort einzutragen. Das führte dazu, dass etliche Fans ausgesperrt wurden, bei denen es überhaupt gar keine Berechtigung dazu gab, sie auszuschließen. Fans, die mit den Gründen des harten Vorgehens rein gar nichts zu tun hatten.

Einige Jahre später ging das Experiment mit „Terrorexperte“ Wolfgang Salewski total in die Hose. Erst als der Klub den direkten Dialog mit den Fans intensiver aufnahm, entspannte sich das Verhältnis ein wenig. Nun steht der Kurs wieder voll auf Konfrontation. Rummenigge distanzierte sich so deutlich von den Fans, dass es keinen Spielraum mehr gibt.

Die Fans wollen gehört werden

Das haben sich ohne Frage diejenigen selbst zuzuschreiben, die für ihre berechtigte Kritik eine radikale Strategie wählten, obwohl sie wussten, dass der DFB nach den Vorkommnissen der letzten Woche(n) härter reagieren würde. Und doch muss sich der FC Bayern fragen, ob er diesen Kurs jetzt wirklich durchziehen möchte. Oder ob es nicht doch sinnvoller wäre, statt der Distanzierung und der Gründung einer Kommission, die gegen statt mit den Fans arbeitet, lieber diejenigen innerhalb der Fankurve zu stärken, die für einen konstruktiven Dialog bereit sind und das in der Vergangenheit auch mehrfach unter Beweis stellten.

Vom FC Bayern wurde ein solcher Prozess in den letzten Jahren verpasst, wodurch auch die vermittelnde Rolle des Club Nr. 12 nach Angaben des von uns befragten Fans immer überschaubarer wurde. Radikalere Stimmen seien demnach innerhalb der Kurve immer lauter geworden, weil sie es geschafft hätten, andere davon zu überzeugen, dass sie vom Klub ohnehin nicht gehört werden. Außerdem sei die Überzeugung gewachsen, dass der moderate Kurs zu nichts führen würde. Denn der Klub habe sogar Versprechen gebrochen und die kompromissbereiten Fans im Regen stehen lassen.

Und genau deshalb ist es wichtig, dass die Bayern diesen schleichenden Prozess endlich stoppen, indem sie sich der Interessen der Fangruppierungen intensiv und ernsthaft annehmen. Kein Dialog des Dialoges wegen, sondern Dialog des konstruktiven Austauschs wegen. Dazu gehört es auch, VerterterInnen des Klubs zu Veranstaltungen zu schicken, auf denen kritisch über Fanthemen diskutiert werden kann. Fans veranstalteten in diesem Winter in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Kurt-Eisner-Verein in München eine Diskussion zum Thema Katar. Ein Mitarbeiter des Klubs war angefragt, doch die Bayern entschieden sich dazu, die Veranstaltung zu meiden und den Mantel des Schweigens drüber zu legen. Ist das ein angemessener Umgang mit Fanthemen? Nicht durch Kollektivstrafen und Distanzierung, sondern mit gezieltem, strategisch klug ausgerichtetem Dialog wird man Erfolge erzielen.

Andernfalls riskiert der Klub eine weitere Radikalisierung, die auf Dauer nicht zu kontrollieren sein wird. Menschen, die den Ausschluss ganzer Fangruppierungen der Ultras fordern, scheinen zumindest nicht zu verstehen, welche Bedeutung diese für die Bundesliga, den Fußball und die ganze damit zusammenhängende Kultur haben. Gerade in Deutschland, dem Land, das sich in der Vermarktung mit seinen vollen Stadien und mit der herausragenden Stimmung brüstet. Stimmung, das zeigten vergangene Proteste, die ohne die gut organisierten Fanszenen nicht möglich wäre. Rassismus- und Diskriminierungsfälle gab es in den Kurven zudem äußerst selten – gerade im Vergleich zu Ländern wie Italien.

Die Fanszenen sind entscheidend im Kampf gegen Diskriminierung

Die bei vielen so verhasste Schickeria bekam 2014 sogar den „Julius Hirsch Preis“ des DFB für ihren Kampf gegen Diskriminierung und Antisemitismus. Sie hat die Kurt-Landauer-Stiftung sowie das jährlich stattfindende Kurt-Landauer-Turnier ins Leben gerufen. Sie erinnert darüber hinaus ständig an die Bedeutung des jüdischen Bayern-Präsidenten und den immer noch notwendigen Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus. Die Südkurve ist sehr divers, hat auch Platz für den Fanclub „Queerpass Bayern“.

Erst Anfang des Jahres erinnerte die Südkurve abermals an die Nazizeit und die grausamen Verbrechen, die auch den jüdischen Bayern-Präsidenten betrafen.
(Foto: Christian Kaspar-Bartke/Bongarts/Getty Images)

Soll das nun die große Rechtfertigungsrede für die Vorfälle am Wochenende und andere Spruchbänder wie jenes, das Dorothee Bär vor kurzem „zum Abschuss freigeben“ sollte, sein? Auf gar keinen Fall. Das ist an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten und gerade das Bär-Spruchband hätte noch viel eher Aufregung verdient als das vom vergangenen Wochenende. Aber all das unterstreicht die Heterogenität innerhalb einer Fankurve und dass ein kollektiver Verlust der heutigen Fanszene auch zum Verlust der so wichtigen Erinnerungskultur rund um den FC Bayern und zum Verlust der Stärke im wichtigen Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus führen könnte. Oder, um dem DFB und der DFL auch noch ein für sie greifbareres Argument zu liefern: Es könnte zum Verlust eines Markenzeichens des deutschen Fußballs kommen. Nämlich der ach so tollen Fankultur innerhalb der Stadien, mit der sich die Bundesliga beispielsweise von England unterscheidet. Noch.

Der aktuelle Kurs aller Parteien wird zwangsläufig irgendwann dazu führen, dass ein elementarer Bestandteil der Fußballkultur zurückgedrängt wird. Die kommenden Monate werden zeigen, wie viel dem FC Bayern (und dem DFB) diese vielschichtige Kultur mit all ihren positiven Aspekten, die sie trotz ihrer negativen Seiten zweifelsohne hat, noch wert ist.

Der Fußball ist am Dienstagabend zweitrangig

Um die letzte Hoffnung auf Besserung zu wahren, müssten sich aber die vernünftigen Stimmen auf beiden Seiten wieder annähern, an einen Tisch setzen und ernsthaft überlegen, wie ein Kompromiss in Zukunft aussehen könnte. Mit der Sturheit, die sowohl einige Statements der beteiligten Südkurven-Gruppierungen als auch die Aussagen der Verantwortlichen suggerierten, wird alles in einem Chaos enden, dessen Resultat kein erstrebenswertes Ziel darstellen kann.

So oder so: Das Spiel auf Schalke wird in den Hintergrund rücken. Es wird penibel darauf geachtet werden, wie alle Seiten mit der Situation umgehen. Die herausragende Formkurve des FC Bayern ist deshalb nur sekundär. Für die bayerische Fanszene könnte das Schalke-Spiel ein entscheidender Marker für den nun eingeschlagenen Weg sein. Wird man den aggressiven, radikalen Kurs fortführen? Oder schlägt man nun, wo die Aufmerksamkeit da ist, doch wieder den moderaten Weg ein und äußert Kritik im Rahmen der Vernunft? Auch der Umgang des DFB mit der Situation bleibt spannend. Der aktuelle Weg könnte, wie wir an anderer Stelle bereits schrieben, zu einer nicht endenden Reihe an Spielabbrüchen führen. Eskalation statt Deeskalation.

Eine Annäherung aller Beteiligten sowie das Niederlegen der radikalen und teils überzogenen Standpunkte wäre wünschenswert. So, wie es auch die Interessengemeinschaft „Unsere Kurve“ fordert. Hier sind vor allem die Verbände gefragt. Aber es bleibt die Befürchtung, dass die Radikalisierung eher noch weiter geht. Zu tief sind die Gräben, die von allen Beteiligten geschaufelt wurden. Zu aussichtslos erscheint die Lage, in die man sich gebracht hat. Und so fällt es schwer, angesichts der drohenden Folgen für den gesamten deutschen Fußball sportlich auf dieses Spiel am heutigen Dienstagabend zu blicken. Obwohl die Herausforderung für die Bayern insbesondere mit den Ausfällen von Jérôme Boateng und Lucas Hernández eine spannende wird. Wenn das Spiel nicht abgebrochen wird.