Vorschau: Borussia Dortmund – FC Bayern München

Justin Trenner 06.11.2020

Am Samstagabend steht das Gipfeltreffen zwischen den Bayern und dem BVB an. Den DFL-Supercup mal ausgenommen, gelang den Dortmundern in den letzten sieben Aufeinandertreffen nur ein einziger Sieg (2018 beim 3:2-Heimsieg). 5:23 Tore stehen aus Dortmunder Sicht in dieser Zeit zu Buche.

Klingt eher danach, dass der eine Bergsteiger seit einigen Jahren oben an der Gipfelspitze thront und der andere versucht, mit allem Kraftaufwand ebenfalls dort hinzukommen – es aber nicht schafft und schlussendlich immer wieder abrutscht. Die einzigen Ausnahmen bilden Momente, in denen die Bayern selbst Schwächen offenbarten und den Dortmundern somit ein Stück entgegenkamen. Ein Gipfeltreffen auf absolutem Top-Niveau gab es aber schon länger nicht mehr.

Am ehesten kam dem noch die letzte Begegnung nahe: Beim knappen 1:0-Erfolg der Münchner in Dortmund konnte die Mannschaft von Lucien Favre tatsächlich einiges entgegensetzen. Durch kluges Verschieben, eine kompakte, aber gleichzeitig in Phasen gut herausschiebende Defensivformation und vor allem gute spielerische Lösungen gegen Bayerns Angriffspressing sorgten für Spannung. Am Ende entschied Kimmich das Spiel mit einem sehenswerten Lupfer.

Der Knüller: Enge Kiste oder deutliche Angelegenheit?

Angesichts des bisherigen Saisonverlaufs könnte womöglich eine ähnlich enge Angelegenheit anstehen. Dortmund stellt aktuell die beste Defensive der Liga, während die Bayern offensiv alles kurz und klein schießen. Der BVB ist in einer guten Verfassung und dürfte, im Gegensatz zu vielen anderen Aufeinandertreffen der letzten Jahre eine gehörige Portion Selbstvertrauen mitbringen.

Souveränität, eine gute Grundordnung und offensive Durchschlagskraft prägten das Dortmunder Spiel in den letzten Wochen. Zuletzt spielten sie vier Mal in Folge zu Null. Aber: Den ganz großen Gradmesser gab es noch nicht. Die 1:3-Niederlage gegen Lazio Rom zum Auftakt in der Champions League sorgte für Unruhe – Favre reagierte und stellte sein System etwas um. Statt Dreier- spielt der BVB wieder mit einer Viererkette.

Ob dieser Wechsel wirklich grundlegende Probleme der letzten Jahre ändern kann, wird sich erst noch zeigen. Zuletzt sah es aber ganz gut aus. Gegen den FC Bayern wird es nochmal eine Leistungssteigerung und vor allem Mut brauchen, um die erste große Probe der Saison zu bestehen.

Die fünf Schlüsselaspekte des Knüllers

1. Selbstvertrauen, Mut und Mentalität

Mentalität ist oft ein ziemlich schwurbeliger und schlecht greifbares Konstrukt. Was will uns jemand sagen, der von fehlender Mentalität spricht? Im Fall des BVB ist häufig gemeint, dass die Mannschaft sich nicht richtig zur Wehr setzen kann, wenn es nicht nach Plan läuft.

Vor allem in den direkten Duellen mit dem FC Bayern wurde die Ausrichtung der Dortmunder oft kritisiert: Zu abwartend, zu ängstlich, zu vorsichtig. Die Mentalitätsfrage ist, das wird an dieser Stelle deutlich, mehr als ein einfacher Schalter im Kopf, den es umzulegen gilt.

Sebastian Kehl, Leiter der Lizenzspielerabteilung beim BVB, zeigte sich recht optimistisch, appellierte nochmals an den Mut der Mannschaft. Denn beim Rückspiel der vergangenen Saison wurde abermals deutlich: Wenn Dortmund ein höheres Mittelfeldpressing spielt, können sie den Bayern wehtun. Stehen sie nur zehn Meter tiefer, drohen sie zu passiv zu werden.

Die Bayern verfügen über die enorme Qualität, sich in jedes Spiel reinzuarbeiten und auch ungünstige Spielverläufe nochmal zu drehen. Dortmund hat diese Qualität häufig vermissen lassen. Es könnte auch am Wochenende wieder ein entscheidender Faktor sein.

2. Bekommt Dortmund den Spielaufbau der Bayern gestört?

Auf der Taktiktafel wird es für Favre wiederum ein Faktor sein, insbesondere Joshua Kimmich möglichst oft aus dem Spiel zu nehmen. Kimmich ist das Herz der Bayern-Mannschaft, diktiert Tempo und Richtung des Spiels. Wie sich insbesondere gegen Moskau und Salzburg zeigte, tut es den Bayern weh, wenn sein Handlungsradius eingeschränkt werden kann.

Beide Teams spielten in einem 4-3-2-1-Tannenbaumsystem – jeweils unterschiedlich interpretiert. Beide machten das Zentrum somit extrem eng. Kimmich, aber auch die beiden Innenverteidiger hatten es schwer, gezielt zwischen die Linien es Gegners zu kommen und die Offensivspieler somit in Szene zu setzen.

Favre wird dieses 4-3-2-1 aller Voraussicht nach nicht kopieren. Auch weil er weiß, dass die Laufarbeit enorm sein muss, um eine solche Ausrichtung durchzuhalten. Salzburg fiel das am Ende auf die Füße. Bei Verlagerungen schafften es die Münchner regelmäßig, die Flügel und Halbräume zu nutzen – natürliche Schwächen des 4-3-2-1.

Was der Trainer aber daraus lernen kann: Wie einzelne Mechanismen aufgebaut waren, um Kimmichs Wege nach vorn zu kappen und die Außenverteidiger der Bayern zu isolieren. Salzburg verschob mehrfach so, dass die eigene Formation diagonal am gegnerischen Außenverteidiger ausgerichtet war. Das verhinderte oftmals einen Trademarkmove der Flick-Bayern: Der Pass von außen zwischen die Linien.

Der Ausgang der Partie wird dementsprechend auch davon abhängen, wie gut Favre seine Dortmunder organisieren kann. Stehen sie konsequent zu tief und verteidigen sie zu passiv, sind die Chancen auf einen Sieg eher gering. Laufen sie nicht nur in einigen Phasen auch mal höher an, sondern schaffen sie es darüber hinaus, kompakt zu bleiben, haben sie bessere Karten.

3. Hat Bayern die richtigen Anlaufwinkel für Raphaël Guerreiro?

Andersherum wird es für die Bayern von Bedeutung sein, Dortmunds Aufbauspiel möglichst oft zu verhindern. Ein Schlüssel für die Schwarz-Gelben ist Linksverteidiger Raphaël Guerreiro. Der Portugiese ist technisch stark, schnell auf den Beinen und im Kopf, pressingresistent sowie sehr torgefährlich. Er bringt damit das perfekte Profil mit, um Bayern wehzutun.

Durch seine Diagonalität und weil er klug die Verbindungen zu seinen Mittelfeldkollegen knüpft, ist er nur schwer zu verteidigen. Bayern wird die richtigen Anlaufwinkel finden müssen, um sein Spiel einzuschränken. Thomas Müller könnte dahingehend eine Schlüsselrolle einnehmen, ist er doch in der Arbeit gegen den Ball nicht nur ein starker Organisator, sondern auch gut in der Antizipation.

Neben Guerreiro ist Mats Hummels, sollte er denn rechtzeitig fit werden, ein entscheidender Faktor. Hummels kann die entscheidenden Schnittstellenpässe spielen, um Bayerns Anlaufversuche auszuhebeln. Im Mittelfeld hatte Mahmoud Dahoud zuletzt eine sehr starke Form. Der Nationalspieler ist technisch sehr begabt, trifft kluge Entscheidungen und ist wendig genug, um den Gegner ins Leere laufen zu lassen. Spielt er nicht, wird wohl Jude Bellingham starten, der ebenfalls andeutete, ein sehr pressingresistenter Spieler zu sein.

Kann Bayern dieses Dreieck aus dem Spiel nehmen, steigen die Chancen auf einen Auswärtssieg enorm. Schaffen sie es nicht, kann es ganz schnell gehen. Gerade Erling Haaland ist mit klugen Läufen in die Tiefe kaum noch zu stoppen, wenn präzise Bälle hinter die Abwehr gespielt werden – Bayern konnte gegen Salzburg erste Erfahrungen dahingehend sammeln.

Lohnen könnte es sich zudem, Manuel Akanji unter Druck zu setzen. Der 25-Jährige stellte sich unter höherem Druck regelmäßig als Fehlerquelle heraus. Dortmund wird deshalb darum bemüht sein, ihn größtenteils zu schützen und Bayern gar nicht erst in solche Situationen kommen zu lassen.

4. Wer ist effizienter?

In Dortmund wurde der Knüller oftmals über die Effizienz entschieden. Allein beim letzten Auswärtsauftritt der Bayern war das exemplarisch zu beobachten: Haaland vergab einige gute Möglichkeiten und Kimmich verwandelte einen Lupfer sofort sehenswert. Solche Momente beeinflussen selbstverständlich das Geschehen. Es kann durchaus sein, dass beide Mannschaften sich mit ihren Qualitäten lange Zeit neutralisieren und dann braucht es womöglich das kleine Quäntchen Glück und Effizienz.

5. Wie gut steht die Restverteidigung der Bayern?

Wir haben es bereits angedeutet: Wenn Haaland ins Laufen kommt und der Ball hinter die Kette der Bayern gespielt wird, werden die Münchner ins Schwitzen kommen. In den letzten Partien begünstigten individuelle Fehler von David Alaba oder Benjamin Pavard solche Momente. Gegen Dortmund wird es deshalb darauf ankommen, dass die Restverteidigung sicherer steht als zuletzt. Einheitliches Herausrücken, einheitliches Fallenlassen, besseres Timing bei Zweikämpfen – in all diesen Punkten fehlten in dieser Saison sehr oft Nuancen. Nuancen, die Dortmund zu nutzen weiß.

Vereinzelt wird nun berichtet, dass Flick sogar umbaut: Hinten rechts könnte Sarr die Bouna überlassen werden. Der Franzose hatte einen recht durchwachsenen Start, konnte sich bei seinen Einsätzen auf der Rechtsverteidigerposition aber stetig steigern.

Es ist bemerkenswert, wie solide er in vielen Spielphasen auftritt und wie gut er sich bereits um seine eigene Einbindung im Bayern-Spiel bemüht. Andererseits gab es aber einige Situationen, in denen er einfache Fehler machte und sich den Ball abnehmen ließ. Er könnte somit eines der Pressingziele des BVB werden, was wiederum seine erste ganz große Probe wäre. Flick ginge damit ein Risiko. Aber das würde er aktuell womöglich auch mit Pavard gehen.

Diese Partie entscheidet nicht die Meisterschaft

Bayern hat es in den letzten Jahren meist geschafft, sich rechtzeitig für den Knüller in Topform zu bringen. Gelingt es ihnen auch diesmal? Und wie mutig geht der BVB in dieses Heimspiel? Es sind sicherlich nicht die einzigen fünf Aspekte, die den Knüller entscheiden werden – aber sie sind womöglich die wichtigsten.

Die Marketingmaschine in Deutschland läuft bereits auf Hochtouren. Doch realistisch gesehen hielt die Partie nur selten, was vorher versprochen wurde. Auch diesmal wird die dem Aufeinandertreffen zugewiesene Bedeutung nicht der Realität entsprechen.

Klar ist: Der Sieger wird die Tabellenführung übernehmen. Und womöglich auch einen Push für die nächsten Monate bekommen. Doch wie groß dieser Push direkt vor einer Länderspielpause wirklich ist: fraglich. 3 Punkte Rückstand bedeuten für beide Teams keine grundlegende Veränderung. Der Knüller wird deshalb zur netten Samstagabendunterhaltung. Nicht mehr, nicht weniger.