Mixed-Roundtable: Fünf Fragen zum Sommerloch
Wir haben auf Patreon Fragen gesammelt und anschließend gemeinsam mit einem Leser und einem Bewerber beantwortet. Als direkte Reaktion auf die Umfrageergebnisse haben wir somit den „Mixed-Roundtable“ ins Leben gerufen.
Dem Leser Jan und dem Bewerber Georg schließen sich unsere Autoren Maurice und Justin an, um fünf Fragen zu beantworten, die viele Fans sich schon seit Wochen und Monaten stellen.
Am runden Tisch sind dabei interessante Perspektiven entstanden. Was stimmt mit der Außendarstellung des Klubs nicht? Hat man mit Lucas Hernández den falschen teuren Innenverteidiger geholt? Und sind die Münchner wirklich die armen Außenseiter auf einem Transfermarkt mit Millardären und ganzen Staaten als Konkurrenz?
FC Bayern nicht weit weg von „Peak-Strahlkraft“
Welche Faktoren sind für Euch die essentiellen Baustellen, die es abzuarbeiten gilt, um mittel- bzw. langfristig wieder die Strahlkraft zu erreichen, die unseren FC Bayern mal national wie international ausgezeichnet hatte? (Niklas)
Jan: Auf nationaler Ebene fehlt mir ein Plan die Jugend sowie Talente in den Kader zu integrieren. Mal abgesehen vom Bau des Leistungszentrums und der damit verbundenen Möglichkeit, sich ausbilden zu lassen, fehlt eine Einbindung der jungen Spieler in die Profimannschaft. Der FCB verpasst hier riesiges Potenzial. Doch dafür bräuchte es auch einen neuen Masterplan, mit dem sich der Club präsentiert. Das Auftreten der Führungsorgane steht bei mir unter der Überschrift „mehr Schein als Sein“ und trotz aller Erfolge bleiben doch viele Fragezeichen und Unstimmigkeiten zurück. Es hakt gewaltig und das hat definitiv Auswirkung auf die Strahlkraft des FCB. Vergleicht man hier zum Beispiel den BVB, der in den letzten Jahren die deutlich attraktivere Anlaufstelle für (junge) Spieler geworden ist. Auf internationaler Ebene sehe ich das Problem bei der gelebten Spielphilosophie. Es braucht einen Trainer mit einer klaren Handschrift und einem Konzept, damit der große Wurf gelingen kann. Aber auch hier müsste der Verein sich geschlossener präsentieren. Die Strahlkraft eines Vereins ist geprägt durch Spieler, Trainer und Vereinsführung, wie sie gefördert, behandelt und präsentiert werden. Auf allen Ebenen muss der FCB nachbessern und sich hinterfragen, ob man sich an manchen Tagen zu sehr in der Vergangenheit wohl fühlt und die aktuelle Situation zu naiv und selbstsicher angeht, ohne zu merken, dass die Konkurrenz davonläuft.
Maurice: National ist die Strahlkraft des FC Bayern meiner Meinung nach ungebrochen. Im internationalen Vergleich wird es hier ungleich schwieriger, sich von den großen Vereinen aus Europas Topligen abzuheben und diese zu übertrumpfen. Der Grundstein muss eine durchgängige Philosophie im gesamten Verein sein. Hierbei geht es um Werte sowie Qualitäten auf und neben dem Feld – eine zugrundeliegende Idee, wie sie beispielsweise Matthias Sammer zu Beginn seiner Zeit beim DFB erarbeitet und präsentiert hatte. Eine ähnliche Rolle würde ich beim FC Bayern Oliver Kahn zutrauen. Eventuell auch in enger Abstimmung mit Hansi Flick, der durch seine Zeit als Sportfunktionär beim DFB bereits über weitreichende Erfahrung verfügt. Basierend auf dieser Strategie müssten alle wichtigen Entscheidungen von den Jugendmannschaften bis hin zum Profikader und Trainerstab getroffen werden.
Georg: Ich sehe den FC Bayern nicht weit weg von der “Peak Strahlkraft”. National war der Klub nie so dominant wie aktuell. International gab es in den vergangenen 50 Jahren zwei extreme Hochphasen: 1974-76 und 2012-16. Zu einer solchen Hochphase gehören neben dem Machen der eigenen Hausaufgaben auch ein Quäntchen Glück und die Schwäche der Anderen. 2012-16 konnte der FCB auch deshalb so strahlen, weil Premier League und Serie A schwächelten. Vielleicht öffnet sich in Kürze ein neues Fenster, wenn Messi und Ronaldo ihre Karrieren beenden. Wenn Rummenigges Dominosteine endlich fallen und dieses Jahr noch zwei gute Transfers gelingen und dann 2020/21 hochkarätig nachgelegt wird, kann die Lücke zu Barcelona, Liverpool und Co. geschlossen werden. Aber diese Transfers müssen auch gemacht werden – und sitzen.
Justin: Das Thema ist sehr komplex und viele Punkte wurden bereits genannt, die da mit reinspielen. Grundsätzlich würde ich mich dem Grundtenor anschließen, dass die Vereinsführung sich selbst wieder souveräner präsentieren muss. Die Außendarstellung ist aktuell eine Katastrophe. Wie ausgereift der “Masterplan”, wenn man das so nennen möchte, hinsichtlich Vereinsphilosophie und Transferpolitik ist, vermag ich nicht endgültig zu bewerten. Aber ich mache mir Sorgen, dass der Klub nicht weiträumig genug denkt und gerade in der Frage “Welchen Fußball möchten wir spielen und wie erreichen wir dieses Ziel?” die internen Antworten zu wenig Detail bieten. Wobei mir die Verpflichtung von Hansi Flick wieder etwas mehr Mut macht.
Warum will man trotz der negativen Erfahrungen bzgl. der Verletzungen mit so einem kleinen Kader in die Saison gehen und kann das gut gehen? (Obst83)
Maurice: Es ist geradezu töricht, mit solch einem kleinen Kader in die Saison zu gehen. Mit Alaba, Coman, Gnabry und Thiago verfügt man über vier verletzungsanfällige Spieler. Mit Neuer, Hernández und Tolisso kommen drei weitere Spieler erst im Sommer vollständig genesen von einer längeren Verletzungspause zurück. Wie bereits von Trainer Kovač bei der Pressekonferenz angemerkt, hat man letztes Jahr erst gesehen, wie schnell man bezüglich der Kadergröße in die Bredouille geraten kann. Dennoch scheint man davon überzeugt zu sein, seinem Trainer einen möglichst gefügigen Kader zusammenzustellen, wo die Spieler erst gar nicht auf die Idee kommen können, sich über fehlende Einsätze zu beschweren. Manager Salihamidžić verwies hierzu unlängst auf die polyvalenten Spieler im Team, die mehrere Positionen bekleiden können. Tatsächlich verfügt man über mehrere solcher Akteure. Doch kann man im Fall der Fälle im Champions-League-Halbfinale mit gutem Gewissen einen Pavard als Rechtsverteidiger, Müller als Rechtsaußen oder Gnabry im Sturmzentrum spielen lassen?
Jan: Wenn es Fortuna mit dem Verein gut meint, dann könnte es bis zu einem gewissen Punkt funktionieren. Aber spätestens, wenn viele englische Wochen anstehen, dann geht der Plan nicht auf. Selbst die relativ jungen Spieler wie Kimmich, Coman, Süle und Co. werden dieses Pensum nicht ohne Leistungseinbußen spielen können. Auch wenn der Kader scheinbar recht flexibel besetzt ist und es viele Varianten an Mannschaftsaufstellungen gibt, birgt die ganze Situation viele Risiken. Das Verletzungsrisiko wird bei hoher Belastung steigen und auf wichtigen Positionen gibt es einfach keinen adäquaten Ersatz im Kader. Wie sieht es aus bei Sperren, Formschwankungen oder Wechsel aus taktischen Gründen, wenn du unter Zugzwang bist? Der Druck auf die Spieler, konsequent ihre Leistung bringen zu müssen, ist mir zu hoch und kann jederzeit ein Schuss ins eigene Bein werden. Denn Fortuna meint es in wichtigen Phasen nicht immer gut mit uns und sich auf das Glück zu verlassen, ist selten eine gute Option. Aber vielleicht ist es auch alles Teil eines größeren Plans und ich sehe ihn nur noch nicht.
Justin: Dass der Kader aktuell zu dünn ist, ist unstrittig. Interessant ist der von Maurice genannte Punkt, dass man dem Trainer damit in die Karten spielen möchte. Ich halte das für ein gutes Beispiel hinsichtlich der schwachen Außendarstellung: Salihamidžić sagt, er wolle einen kleinen Kader zusammenstellen, während Kovač einen größeren Kader fordert. Und dieser Widerspruch steht dann öffentlich in allen Zeitungen. Um aber noch kurz auf die eigentliche Frage einzugehen: Qualitativ ist der aktuelle Kader bereits sehr gut besetzt. Bayern hat in der Spitze extrem gute und auch junge Leute, die in Bestform jede Mannschaft schlagen können. Problematisch wird es aber, wenn dieser Optimalfall der Bestform nicht eintreten kann, weil der kleine Kader auf der Langstrecke unerwünschte Szenarien provoziert: Verletzungen, Formschwankungen, Müdigkeit, fehlende Erfahrung bei Einzelspielern – da hilft dir dann auch der variabelste Spieler nichts mehr. Zumal auch Kovač lernen muss, das taktische Potenzial seiner Spieler besser zu nutzen.
Georg: Ich verstehe die Bedenken, teile sie aber nur eingeschränkt. Der Kader ist nicht zu klein bzw. wird er es zu Saisonbeginn nicht sein. In der ersten Kovač-Saison absolvierten 17 Feldspieler 99% aller Feldspieler-Minuten, im Jahr davor 95%. Eine Statistik, die auch dem FC Bayern bekannt ist. Davon ist der aktuelle Kader nicht weit entfernt. Ohne Arp, Davies und Mai, die ich in der Kategorie Talent einordne und Boateng, mit dessen Abgang ich rechne, stehen 14 “vollwertige” Feldspieler im Kader. Da ich von mindestens zwei, eher drei Neuzugängen ausgehe, mache ich mir keine großen Sorgen, sondern hoffe auf ein paar Einsätze für Arp, Davies, Mai oder Zirkzee und andere Talente.
„Die Inflation frisst das berühmte Festgeldkonto auf“
Ich habe ja die Befürchtung, dass Hoeneß wieder ein Übergangsjahr ausruft, weil wir keine Offensivspieler bekommen, da hierfür „verrückte Preise“ fällig wären. Müsste man nicht aber eigentlich genau jetzt klotzen, bevor Spieler wie Lewandowski, Kimmich und Thiago bei anderen Vereinen bessere Chancen sehen, die Champions League zu gewinnen und mit einem Wechsel liebäugeln? (Sitzplatzjubler)
Jan: Vor allem stellt sich die Frage, was „verrückte Preise” sind und für welche Spieler diese gelten. Was nützt das Lamentieren, wenn sich dadurch nichts ändert. Die Spieler werden weiterhin zu viel Geld kosten, das ist nun mal so. Entweder man steigt mit ein oder sucht sich alternative Wege, um den Kader qualitativ aufzuwerten. Wie wäre es mit einer verbesserten Scoutingabteilung und der Förderung von Eigengewächsen? Es wundert mich, dass die Superstars und Toptalente Europas immer nur in anderen Vereinen rumlaufen. Damit wäre man für die Zukunft mehr gerüstet und hätte die nötige Qualität, um titelhungrige Spieler von sich zu überzeugen. Vielleicht sind die “verrückten Preise” aber auch eine Ausrede, weil es nicht gelingt, Wunschspieler zum FCB zu locken. Oder aber Hoeneß weiß es wirklich besser und irgendwann wird sich alles wieder normalisieren. Die Frage ist nur, wie lange der Prozess dauern soll, bis sich der Markt wieder normalisiert. Eventuell wartet man hier vergebens.
Justin: Ich sehe das etwas lockerer als Jan, gebe ihm im Kern seiner Aussage aber recht: Der FC Bayern war es lange nicht mehr gewohnt, dass die Wunschspieler nicht ohne weiteres nach München kommen. Man hat das Gefühl, dass der Klub die Konkurrenz auf dem Markt unterschätzt hat. Natürlich sind die “neuen Kräfte” wie PSG oder Manchester City da eine valide Ausrede. Die machen das Angebot eben breiter und treiben zeitgleich die Preise hoch. Aber Bayern muss sich als einer der umsatzstärksten Klubs der Welt nicht verstecken. Es gibt bei der finanziellen Bilanz des Klubs keine plausiblen Ausreden und es ist auch schlicht unmöglich, sich da als klarer Außenseiter zu positionieren. Da sind wir auch wieder bei der Strahlkraft eines Klubs: Wirtschaftliche Vernunft – insofern man bei diesem Markt davon sprechen kann – ist etwas, was ich am FC Bayern sehr schätze. Das soll bitte auch so bleiben. Doch wenn ein Spieler, von dem der Klub zu 100% überzeugt ist, sehr viel Geld kostet, muss man die Schmerzgrenze auch mal überspringen. Wie beispielsweise bei Hernández. Bayern ist da aktuell auch in einer Selbstfindungsphase und muss sich auf dem Transfermarkt neu positionieren. Das ist einerseits Teil des Umbruchs und vollkommen in Ordnung. Andererseits sollte man aber zusehen, dass der Abstand zur Konkurrenz nicht weiter wächst. Da wird schon dieses Transferfenster sehr entscheidend sein. Spieler wie Lewandowski oder Thiago werden nicht jünger und die wissen, dass sie in den nächsten 3 (bei Thiago vielleicht 5) Jahren die Champions League gewinnen müssen.
Georg: Lewandowski, Kimmich und Thiago sind wahrscheinlich die drei Spieler, um deren Abgang man sich im Moment am ehesten sorgen könnte. Aber wie hoch ist die Gefahr? Wenn Lewandowski seinen Rentenvertrag unterschrieben hat, wird es das hoffentlich mit seinen Wechselgedanken gewesen sein. Kimmich hat noch Vertrag bis 2023 und die Perspektive, DER neue Leader und Kapitän des FC Bayern zu werden. Das kann verlockender sein als kurzfristig eine minimal höhere Chance auf den Champions-League-Titel. Denn, seien wir ehrlich, die europäische Spitze ist so ausgeglichen, dass es zehn Teams gibt, von denen jeder jeden schlagen kann. Und Thiago, ich liebe Thiago, aber ich könnte damit leben, wenn er den FCB nächsten Sommer nach dann 7(!) wunderbaren Jahren in rot-weiß für eine adäquate Ablöse verlassen würde. Dennoch sehe ich keine Alternative dazu, das Spiel der hohen Ablösesummen mitzumachen. Ich rechne nicht damit, dass Ablösesummen und Gehälter fallen werden, eher im Gegenteil. Die Inflation frisst das berühmte Festgeldkonto auf, wenn der FC Bayern das Geld nicht klug investiert.
Maurice: Die Aussagen von Neuers Berater wurden an der Säbener Straße hoffentlich intern ausgiebiger diskutiert, als dies öffentlich geschah. Für jeden der Spieler im Kader ist der Champions-League-Titel einer der Gründe, warum er sich damals für den FC Bayern entschieden hat. Ohne die Aussicht, zumindest mittelfristig um diesen Titel konkurrieren zu können, wird es zwangsläufig bei der nächsten Vertragsverlängerung Nachfragen bezüglich der Ambitionen des Vereins geben. Die Verpflichtung von Top-Spielern ist natürlich immer ein Grund, um die eigenen Ansprüche zu unterstreichen. Das Signal, das von einer Verpflichtung von beispielsweise Sané ausgehen würde, könnte hier entscheidend sein. Dementsprechend wird der FC Bayern über kurz oder lang in den sauren Apfel beißen und bei diesem “verrückten” Preistreiben einsteigen müssen.
Rodri ist wohl auch wegen Pep Guardiola zu ManCity gewechselt. Was kann eurer Meinung nach der FC Bayern bieten, was andere Topteams in Europa nicht haben? (Obst83)
Justin: Alles ist eine Frage der Vermarktung und der Perspektive. Bayern muss sich darum bemühen, diesen Spielern eine Perspektive aufzudrücken, die ihnen das Gefühl gibt, dass der FCB die einzig richtige Option ist. Da spielen bekanntlich viele Faktoren eine Rolle. Ein wichtiger Grund könnte das familiäre Gefühl sein, das der Klub intern vermittelt. Wer mal an der Säbener Straße war und mit Verantwortlichen sprechen durfte, der weiß, was für eine Grundstimmung dort meistens herrscht. Ich halte das tatsächlich für einen großen Pluspunkt. Aber ob das nicht bei anderen Top-Klubs auch so ist, kann ich nicht beurteilen.
Georg: Was der FC Bayern zu bieten hat? Eine Titelgarantie. Dazu 70 Millionen Follower auf Social Media. Und entgegen des von Hoeneß und Co. gerne benutzten Underdog-Narratives im Vergleich zu den Milliardären zahlt man in München auch kompetitive Löhne. Nur eine Handvoll Clubs in Europa hat höhere Personalausgaben.
Jan: Alles und auch nichts. Vergleicht man den FCB mit den Topteams in folgenden Aspekten: Mannschafts- und Spielerqualität, Talentförderung, Trainerteam, Gehalt, Prestige der Liga und der Pokale, Umfeld und Lebensqualität, Trainingsbedingungen und Vereinsqualität, fallen mir zu jedem Punkt gleichwertige oder bessere Vereine ein. Aber was bedeutet das nun genau? Geht das nicht allen Topteams so, dass sie nicht auf allen Ebenen spitze sind und muss man das sein? Und ist es nicht auch viel wert, wenn man ein sehr rundes und hochqualitatives Gesamtpaket abgibt? Schließlich kann man die Tour de France auch gewinnen ohne einen Etappensieg zu erreichen. Zugegeben, es wird dadurch nicht leichter, aber es ist nicht unmöglich. Was aber helfen würde, den FCB in eine bessere Ausgangsposition zu bringen, wäre ein roter Faden, der alle angesprochenen Punkte verbindet und ein stimmiges Gesamtkonzept abgibt. Der Verein muss eine Identität entwickeln, die den FCB auszeichnet und von anderen Vereinen abgrenzt.
Maurice: Ich glaube, Jan spricht hier bereits viele wichtige Punkte an. Allerdings hat der FC Bayern auch Qualitäten, mit denen er sich international nicht verstecken muss. Zum Einen wäre da die menschliche Komponente. Dies kann man wohl an keinem Beispiel so schön darlegen wie an Franck Ribéry. Auch in turbulenten Zeiten stand ihm der Verein öffentlich immer zur Seite. Ein Verhalten, das im modernen Fußball nicht selbstverständlich ist. Zum Anderen kann der FC Bayern momentan die Perspektive anbieten, mittelfristig ein Team an die internationale Spitze zurückzuführen. Die Posten der überragenden Einzelkönner Ribéry und Robben sind spätestens seit diesem Sommer vakant. Einem Neueinkauf von entsprechender Qualität könnte man bildlich gesprochen die Schlüssel zu diesem Schloss übergeben.
In dieser Transferperiode war immerhin auch Matthijs de Ligt auf dem Markt. Er ist dreieinhalb Jahre jünger und hat vielleicht das noch größere Entwicklungspotenzial als Hernández. Die Chance war vermutlich ziemlich einmalig. Hat der FCB den falschen 80-Millionen-Innenverteidiger gekauft? (Marc)
Jan: Ich denke, dass bei diesem Transfer der Verein die richtige, weil sichere Variante getroffen hat. Bei Hernández weiß man, was man bekommt. Er hat für Atlético über einen längeren Zeitraum in der Liga und Champions League spielen dürfen und ist aufgrund seines Alters reifer und dadurch verlässlicher. De Ligt kommt aber auf ähnliche Werte in einer deutlich kürzeren Zeit in jüngeren Jahren. Das kann man jetzt auf zwei Arten einordnen: Entweder ist er wirklich der neue Topverteidiger und wird sich aufgrund seines Alters noch unglaublich entwickeln können. Oder aber er hat einfach gerade nur eine richtig starke Phase und seine Leistungskurve wird bald stagnieren. Er wäre nicht der erste Spieler, der außerhalb seiner gewohnten Umgebung Leistungseinbrüche hinnehmen muss bzw. seinem Hype nicht gerecht werden kann. Hernández hat man rechtzeitig für den Verein gewinnen können. Aber es ist schon spannend zu sehen, wie transferiert wird. 80 Millionen für einen verletzten Innenverteidiger, der erst mal fit werden muss, ist schon etwas anderes als den Kader mit einem Toptalent aufzuwerten. Ich würde gerne mal in so manchen Spieler- oder Beraterkopf schauen, um zu verstehen, wie solche Entscheidungen gefällt werden.
Maurice: Glaubt man den italienischen Medienberichten, wäre man mit einer Verpflichtung von de Ligt gehaltstechnisch in neue Sphären vorgestoßen, die die bisherige Gehaltsstruktur im Kader auf links gezogen hätten. Wie hätte wohl ein Lewandowski reagiert, wenn ein neu verpflichteter 21-Jähriger deutlich mehr als er selbst verdient hätte? Alleine aus diesem Grund erscheint die Verpflichtung von de Ligt kaum machbar. Zudem ist die Konkurrenz um den Holländer auch deutlich größer, als dies bei Hernández der Fall war. Man darf bezweifeln, ob sich der FC Bayern im Stechen gegen Juventus Turin und den FC Barcelona hätte durchsetzen können. Mit dem Franzosen hat man sich dementsprechend für die vermeintlich sichere Variante entschieden.
Georg: Die Einschätzung, vielleicht auf den falschen 80-Millionen-Innenverteidiger gesetzt zu haben, ist nachvollziehbar. De Ligt überzeugt spielerisch und durch seine Persönlichkeit, die ihn trotz seiner Jugend bereits zu einem Führungsspieler für Ajax und die Niederlande gemacht hat. Aber ein Vergleich der beiden nur in Bezug auf die Ablöse wäre ein unvollständiger, wie Jan und Maurice bereits erwähnt haben. Das kolportierte Gehalt, dazu Raiolas Provision und die Frage ob de Ligt für den FC Bayern überhaupt zu haben gewesen wäre, sollten bei der Bewertung nicht außen vor bleiben. Lucas Hernández war teuer, aber er ist vielversprechend. Er bringt eine Polyvalenz mit, die de Ligt nicht hat. Er könnte ein perfektes Puzzlestück für flexible Varianten zwischen Dreier- und Viererkette sein. Ich bin optimistisch, dass wir viel Freude an Lucas haben werden.
Justin: Nein. Das sage ich nicht, weil Hernández mir neuerdings bei Twitter folgt, sondern weil ich den Hype um de Ligt für etwas zu überzogen halte, ohne ihm diese Klasse absprechen zu wollen. In seiner Altersklasse ist er vielleicht der kompletteste Innenverteidiger. Aber Bayern hat mit Hernández eine sichere Bank geholt. Da bin ich zu 100% überzeugt. Ich glaube zudem, dass er in München den entscheidenden Schritt im Umgang mit dem Ball machen kann, um endgültig zu einem Weltklasse-Innenverteidiger aufzusteigen. Er wird bei Bayern eine von 3-4 zentralen Säulen der nächsten Dekade. Und dann bin ich dieser nervige Typ, der jedem erzählt, dass Hernández mir bei Twitter folgt(e).