Bundesliga Saison­vorschau I: Der Kampf um die Klasse

Justin Trenner 13.08.2018

Dicker Rauch zieht durch das Stadion. Die Stimmung ist – milde ausgedrückt – angespannt. Die Ruhe vor dem Sturm. In Hamburg machen sich einige hundert Menschen dazu bereit, komplett auszurasten. Dem gegenüber stehen tausende Anhänger des HSV, die den Abstieg ihres Dinos akzeptieren, schon nach vorne blicken.

Sie bekennen sich zu ihrem Klub, beziehen klar Position gegen die Deppen, die diese positive Grundstimmung zerstören wollen. Abstiegskampf ist mit Emotionen verbunden. Nirgends geht es in der Bundesliga so sehr um die Zukunft von Klubs, Mitarbeitern und Spielern wie im unteren Drittel der Tabelle.

In der heutigen Ausgabe beschäftigen wir uns mit zwei Aufsteigern und vier Mannschaften, die in der jüngeren Vergangenheit mehrfach um den Klassenerhalt zitterten. Wer steigt in dieser Saison ab? Wer kann sich retten?

1. FC Nürnberg

Ein langer Weg und ein besonderer Coach

„Egal, wen man trifft, die Leute freuen sich immens. Jeder bedankt sich für den Aufstieg. Daran sieht man die Bedeutung dessen, was wir in diesem Jahr geschafft haben“, sagte Trainer Michael Köllner, nachdem seine Mannschaft die Rückkehr ins Oberhaus gelang.

2014 stieg der Club mit nur 26 Punkten ab. Fünf Jahre Bundesliga waren damit beendet. Zwischenzeitlich erreichten sie dabei sogar einen sechsten Platz. Die vergangenen vier Jahre in der zweiten Liga waren durchwachsen. Auf einen neunten Platz folgte die Relegation 2016. Eintracht Frankfurt setzte sich letztlich knapp durch, und Nürnberg erreichte in der Folgesaison lediglich Platz Zwölf.

In der letzten Saison brachte der Club aber endlich Konstanz in seine Leistungen. Seit Köllner Anfang 2017 die Position auf der Bank übernahm, hat sich die Mannschaft deutlich weiterentwickelt.

Köllner ist ein besonderer Typ. Ihm geht es nicht nur um den Sport. Besuche im Kloster und Diskussionen über alltägliche Dinge zählen zu seiner Art der Mannschaftsführung dazu. Politik ist dabei ebenso Thema wie der Weltfußball. Die Süddeutsche Zeitung berichtete im März davon, dass er seinen Spielern das Mertesacker-Interview über Druck im Fußball vorlegte.

Der 48-Jährige ist ein Meister darin, eben jenen Druck für die Mannschaft soweit zu minimieren, wie es nur möglich ist. Als die Nürnberger – immer noch auf Platz Zwei stehend – vier Spiele in Folge nicht gewannen, musste Köllner sich den Fragen auf der Pressekonferenz stellen.

„Damit haben wir gerechnet“, sagte er ganz ruhig. „Jeder außer Bayern München hat Phasen, in denen er stärker oder schwächer ist.“ Es ist dieser Realismus, gepaart mit einer Ruhe, die Fans, Verein und Spielern zu jederzeit das Gefühl gab, dass es am Ende für den Aufstieg reichen würde.

Nürnberg spielte zudem einen sehr attraktiven, offensiven Fußball. 61 Tore erzielten sie – nur Kiel (71) hatte mehr. Aber das war nicht das große Erfolgsgeheimnis. Der FCN überzeugte mit einer großartigen Balance aus Risiko und Absicherung. Klammert man Sandhausen mal aus, die nur 33 Gegentore kassierten, stellte der Club die beste Verteidigung der zweiten Liga. 39 Gegentore reichten, um in den meisten Duellen die Nase vorn zu haben.

Für die kommende Saison kann es als Aufsteiger natürlich nur das Ziel geben, diese Balance auf ein neues Niveau zu heben. Schaffen es die Nürnberger, den Druck weiterhin so klein zu halten, und spielen sie wieder so befreit auf, so ist ihnen viel zuzutrauen in einer Liga, in der Balance und Ruhe zuletzt seltene Güter waren.

Unsere Prognose: Der 1. FC Nürnberg hält die Klasse und wird am Ende 14.

Ganz Nürnberg war euphorisiert. Schafft der FCN nun auch den Klassenerhalt in der ersten Liga?
(Foto: Christof Stache / AFP / Getty Images)

Experten-Interview

Um eine noch bessere Einschätzung zu erhalten, haben wir Florian Zenger von den Clubfans United vier Fragen gestellt.

Nach dem Abstieg 2014 ist der 1. FC Nürnberg zurück im Oberhaus. Korrigiere mich gern, aber die Zielsetzung wird sicherlich erstmal der Klassenhalt sein. Wie sieht es aber mit den langfristigen Ambitionen und dem Potenzial des Vereins aus?

Fragt man Michael Köllner, dann lehnt er das Ziel Klassenerhalt ab, weil er seine Ziele nicht ex negativo formulieren möchte und sein Denken nicht auf eine spezielle Platzierung beschränken möchte. Dennoch ist klar, dass der Klassenerhalt – egal auf welche Art und Weise – natürlich das Ziel ist.

Der Club hat in den letzten vier Jahren Zweitklassigkeit viel an Boden verloren gegenüber allen anderen Bundesligisten. Das merkt man auch daran, dass die Zusammensetzung der Bundesliga mit Ausnahme von Leipzig und Düsseldorf (anstelle von Braunschweig und Hamburg) identisch zum Abstiegsjahr 2013/14 ist. Nimmt man Mitaufsteiger Düsseldorf aus, waren Freiburg, Hannover und Stuttgart in diesem Zeitraum ein Jahr, Leipzig zwei Jahre zweitklassig. Alle anderen 13 Bundesligisten waren ununterbrochen erstklassig. Den Rückstand auf diese Vereine aufzuholen, erscheint in Zeiten extremer finanzieller Disparitäten fast unmöglich. Wenn man sieht, dass das Transferbudget des FCN so hoch ist wie die Ablöse, die Freiburg für Luca Waldschmidt (50 Bundesligaspiele, 2 Tore) gezahlt hat, sieht man, wie abgehängt der Club derzeit ist.

Daher bin ich auch persönlich eher skeptisch, dass der Club sich langfristig in der Bundesliga etabliert. Potential an Fans ist sicher da, das sieht man an den Testspielauftritten, die absichtlich regional abgehalten werden oder an Aktionen wie „Der Club schwärmt aus“, wo alle Spieler und Funktionäre an einem Tag Fanclubs in ganz Bayern besuchten. Inwieweit das ausreicht, um die Defizite der vergangenen Jahre wettzumachen, ist schwer einzuschätzen. Insgesamt erscheint es so, als ob die Vereinsführung die Saison in der Bundesliga eher zur finanziellen Konsolidierung nutzt und keine großen Risiken geht, was man eben auch am Transferbudget sieht. Daher gehe ich erstmal davon aus, dass es ein eher kurzes Gastspiel in der Bundesliga sein wird. Das Dasein als Verein im unteren Drittel der Bundesliga oder oberen Drittel der Zweiten Liga scheint mir auch für die nächsten Jahre realistisch.

Wie erwartest du den FCN aus taktisch-strategischer Sicht in der 1. Liga? Worauf wird es für den Club ankommen und wo muss sich das Team noch stark verbessern?

Michael Köllner hat in der Aufstiegssaison vor allem im 4-1-4-1 spielen lassen und die Formation wird sicher auch weiter im Repertoire sein. Gleichzeitig lässt er in der Vorbereitung jetzt ein 3-4-1-2 einüben, um größere Flexibilität zu erreichen. Ich gehe davon aus, dass je nach Gegner und eigenem Plan zwischen den beiden Formationen variiert wird. Insgesamt erwarte ich beim Club eine eher aufsteigeruntypische Spielweise, die das Spielerische und die Ballzirkulation in den Vordergrund stellt. Der FCN war schon letzte Saison ein eher untypisches Zweitligateam, das sich weniger über Physis und Zweikämpfe und mehr über Ballfluss und Passspiel definierte. Das dürfte sich nicht grundlegend ändern. Gleiches gilt für die Stärke bei Standardsituationen, gerade Enrico Valentini hatte sich mit seinen Ecken und Freistößen hervorgetan.

Es wird daher für den Club vor allem drauf ankommen, wie die Schlüsselspieler des Vorjahres – also die Außenverteidiger Valentini und Leibold, Kapitän Hanno Behrens, Stürmer Mikael Ishak und Allrounder Edu Löwen – den Sprung ins nächste Level schaffen. Wenn das gelingt, dann könnte dem Club tatsächlich eine Überraschung gelingen. Andererseits ist das Risiko mit so wenig Bundesligaerfahrung in die Saison zu gehen natürlich extrem groß und dass alle den Sprung schaffen, halte ich persönlich für unwahrscheinlich. Deshalb muss auch noch an einigen Stellen nachgebessert werden. Stand heute fehlen auf den offensiven Flügeln (v.a. im 4-1-4-1) und im zentralen Mittelfeld drei Spieler mit Bundesligaerfahrung, die dem Kader zusätzlich Qualität verleihen. Im taktischen Zusammenspiel gilt es vor allem das Spiel im letzten Drittel zu verbessern und zu präzisieren, erst recht, da nun mit Kevin Möhwald ein Spieler fehlt, der doch ab und zu noch eine überraschende Idee hatte. Defensiv sah das über weite Strecken ganz ordentlich aus, aber in den Testspielen wirkte gerade die Dreierkette noch extrem anfällig und da keiner der Innenverteidiger mit Tempo gesegnet ist, könnte da auch ein Schwachpunkt liegen.

Freust du dich persönlich schon auf die Duelle mit dem FC Bayern oder sind das für dich Spiele wie jedes andere auch?

Nachdem unsere Derbyerfahrungen in der Zweiten Liga gegen Fürth eher durchwachsen waren (zwei Siege, ein Remis, fünf Niederlagen), bin ich jetzt nicht unbedingt scharf auf den Ersatz für dieses Derby in der ersten Liga. In der Regel ist ein Derby für mich eher mit mehr Anspannung verbunden, weil ich den Hype für übertrieben halte. Dennoch ist, glaube ich, für keinen Fan eines anderen Vereins ein Spiel gegen den FC Bayern ein ganz normales Spiel. Die Bayern sind in den letzten Jahren der Konkurrenz derart enteilt, haben in den vier Saisons, in denen der Club nicht erstklassig war, gerade mal 13 Spiele verloren. Man hofft natürlich immer, dass der eigene Verein derjenige sein wird, der es in dieser Saison schafft, den Bayern ein Bein zu stellen. Egal wie unrealistisch es ist. Ganz persönlich habe ich wahrscheinlich weniger Animositäten in Richtung Bayern als der durchschnittliche Clubfan, weil ich aus einer Familie voller Bayernfans komme und daher weiß, dass Bayernfans auch nur Menschen sind.

Wo landet der FCN am Ende der Saison und wird der FC Bayern wieder Meister?

Ich habe es ja schon angedeutet: für mich wäre es ein mittelgroßes Wunder, wenn der Club in dieser Saison die Klasse hält. Ich hoffe natürlich auf Platz 16 aufwärts, rechne aber mit einem Abstiegsplatz. Das heißt nicht, dass es so kommen muss. Auch Darmstadt und Ingolstadt haben ein Jahr lang die Liga gehalten. Ich halte es nur für nicht wahrscheinlich.

Bayern wird Meister. Außer Tolisso bringt keiner der WM-Fahrer ein Positiverlebnis aus Russland mit, das heißt die Motivation, etwas richtig zu stellen, wird da sein. Dazu kommt mit Kovač ein Trainer, der bewiesen hat, dass er auf nationaler Ebene gut arbeiten kann. Womöglich wird es etwas enger als in den Vorjahren, aber am Ende steht die 29. Meisterschaft.

Fortuna Düsseldorf

Ein Funkel Hoffnung?

Düsseldorf kam nach dem Abstieg 2013 kaum mehr in die Gänge. Nachdem 2014 der direkte Wiederaufstieg mit einem sechsten Platz missglückte, reichte es in den Folgejahren nur für die Platzierungen 10, 14 und 11. Ähnlich wie die Nürnberger schaffte es Fortuna in der abgelaufenen Spielzeit aber, eine gute Balance auf den Rasen zu bekommen.

57 Tore und 44 Gegentore sind für einen Meister zwar keine überragenden Werte, doch die Verteilung der Treffer machte den Unterschied. Zu Beginn der Hinrunde waren die strategische Disziplin und Ausrichtung trotzdem besser als in der Rückrunde.

Das lag nicht zuletzt an Peter Hermann, der in der laufenden Saison den Rufen des FC Bayern und Jupp Heynckes folgte. In München weiß man, welch hohe Qualität der Co-Trainer insbesondere in der alltäglichen Trainingsarbeit hat. Hermann gibt nicht auf, bis auch die letzten Laufwege im Pressing perfekt sitzen.

Diese Nuancen fehlten den Düsseldorfern. Nach 9 Siegen, einem Unentschieden und nur einer Niederlage zum Saisonstart gab es in der Folge sechs Spiele ohne Sieg. Bis zum Ende der Saison gelangen nur noch 10 Siege.

Es reichte trotzdem für die Meisterschaft und den Aufstieg. Funkel und sein Trainerteam haben in der Vorbereitung eine große Aufgabe vor sich. Sie müssen die einzelnen Mannschaftsteile in der Arbeit gegen den Ball wieder stabilisieren, und das Offensivspiel variabler machen.

Funkels Bilanz in der Bundesliga macht dabei nicht allzu viel Hoffnung. 1,07 Punkte holte er in seinen bisherigen 457 Spielen als Trainer pro 90 Minuten. Siebenmal stieg er in 17 Spielzeiten ab. Diese Statistiken müssen zwar differenziert betrachtet werden. So hatte er oft genug auch einfach nicht die besten Voraussetzungen, um die Klasse zu halten. Trotzdem zeigen sie, dass seine Bundesliga-Jahre bis jetzt nicht seine erfolgreichsten waren.

Schon in dieser Saison kann er beweisen, dass er einen Abstiegskandidaten mit seinen Fähigkeiten im Oberhaus halten kann. Mit seiner Ruhe und Gelassenheit schaffte er es immerhin auch, Fortuna Düsseldorf in der zweiten Liga zu stabilisieren. Diesmal hat er zudem deutlich bessere Voraussetzungen als an vielen anderen Stationen seiner Karriere.

Mit der Euphorie der Fans im Rücken und dem Drehen der richtigen Stellschrauben ist auch in der Bundesliga eine Überraschung denkbar. Düsseldorf hat das Potenzial, sich dauerhaft in der Liga zu etablieren. Dafür muss der erste Schritt in dieser Saison gegangen werden.

Unsere Prognose: Düsseldorf wird die Klasse nicht halten und als Vorletzter absteigen. Aber es wird knapp!

Für Friedhelm Funkel und Düsseldorf wird es eine wichtige Saison. Auch für das Image des Trainers.
(Foto: Christof Koepsel / Getty Images)

Experten-Interview

Inwiefern Thomas Nowag vom SID unsere düstere Prognose für eine Ente hält, erklärt er uns im Kurzinterview.

Nach dem Aufstieg 2012 ging es im Folgejahr direkt wieder runter in die 2. Liga. Auf welche Faktoren wird es ankommen, um in dieser Saison die Klasse zu halten?

Ruhe. Gelassenheit. Handlungsstärke. In der Abstiegssaison lief es ja lange hervorragend. Ich erinnere mich, dass Spiegel online in der Rückrundenprognose schrieb, es gehe eher um den Europacup als um den Abstiegskampf. Dann fiel alles in sich zusammen, in der Mannschaft stimmte es nicht – der Verein raste sehenden Auges auf die Klippe zu und weigerte sich, Norbert Meier zu entlassen.

Wie gut ist deiner Meinung nach – gemessen an den Zielsetzungen – der Kader aufgestellt?

Der Kader spiegelt, was ein Aufsteiger sich leisten kann. Die Meistermannschaft der 2. Liga, allerdings ohne den herausragenden Florian Neuhaus, ergänzt um einige der besten Spieler der vergangenen Zweitliga-Saison und den einen oder anderen, der es bei größeren Klubs nicht geschafft hat – wie beispielsweise Diego Contento. Den kennt ihr ja. Für mich sieht das eigentlich ganz ordentlich aus, besonders mit den Zugängen Marvin Ducksch und Kevin Stöger, die aber beide noch Bundesligatauglichkeit nachweisen müssen. Mangelnde Erfahrung könnte ein Nachteil werden.

Angenommen, Fortuna hält die Klasse. Gibt es langfristig noch größere Ambitionen als sich in der Liga zu etablieren? Wie schätzt du das Potenzial des Klubs ein?

Fortuna ist einer von vielen Vereinen, der Potenzial für dauerhaftes Bundesliga-Mittelfeld hat. Die Neuerscheinungen Hoffenheim und Leipzig aber „klauen“ zwei Erstligaplätze, was es für Düsseldorf, Nürnberg und andere schwieriger macht, das neue Hannover 96 zu werden. Hamburg, Bremen und Köln haben schließlich auch zu kämpfen. Fortuna versucht es mit der Besinnung auf eine klare, traditionsbewusste, fannahe Leitlinie, die „DNA“. Dazu gehört auch eine eigene Schriftart: mit dem typisch gebogenen F aus dem Wappen.

Wo landet Fortuna am Ende der Saison und wird der FC Bayern wieder Meister?

Ich bin gnadenloser Fortuna-Pessimist aus langjähriger leidvoller Erfahrung. Dieser Verein bestraft jeden Funken Hoffnung mit einem umso härteren Tritt zwischen die Beine. Dennoch sehe ich nicht automatisch Platz 18, wie es die meisten Experten tun. Ich glaube an Platz 14 – und den Meister Bayer Leverkusen, weil ein Bayern-Tipp so langweilig ist. Wenn eines von beiden nicht eintritt, ist das vollkommen okay.

Auf der nächsten Seite geht es um den VfL Wolfsburg und Streichs Freiburg.


Während die Wolfsburger einen neuerlichen Umbruch starten wollten, läuft beim SC Freiburg alles wie immer. Zwei Vereine wie sie unähnlicher kaum sein könnten, werden sich in der Bundesliga wahrscheinlich wieder in ähnlichen Regionen der Tabelle wiederfinden.

VfL Wolfsburg

Wird schon!

Fast 70 Millionen Euro zahlte der VfL Wolfsburg vor der Saison 2017/2018 für 12 Neuzugänge. Gebracht hat es nichts. Damals war die Rede von einem der größten Umbrüche in der Vereinsgeschichte. Gerade hatte man gerade noch die Klasse gehalten, und sich so eine zweite Chance in der ersten Liga verdient.

Allofs hatte 2016 viel hinterlassen. Darunter blieb kaum etwas Positives. Vor allem aber blieb ein großes Machtvakuum zurück. Der Geschäftsführer Sport konnte nie richtig ersetzt werden. Entweder war das Personal, das seine Aufgaben hätte übernehmen sollen, zu unfähig oder einfach nicht vorhanden. Ständig gab es dadurch Unruhe und Chaos. Beides übertrug sich zunehmend auf die Mannschaft.

Die Kaderplanung war schlecht, die Auswahl der Trainer ließ keinerlei Konzept oder Zukunftsplanungen erkennen. Aus der Abwärtsspirale kam der Verein trotz hoher Transferausgaben so nicht raus.

Auch im Sommer 2018 ging es deshalb in die Relegation. Wieder mit dem glücklicheren Ende für den VfL. Nachdem die Wolfsburger aber die Verpflichtung von Jörg Schmadtke verkündeten, kam etwas Hoffnung in der Autostadt auf.

Schmadtke hat sich während seiner Karriere mehrfach bewiesen. Er hat gewiss auch Fehler gemacht, doch er war eben erfolgreich und konnte ein Konzept nachweisen. Wieder roch in Wolfsburg vieles nach Umbruch.

So richtig passierte in diesem Transfersommer aber noch nichts. Wout Weghorst kam für rund 10 Millionen Euro aus Alkmaar, Tisserand und Klaus kosteten gemeinsam genauso viel. Außerdem ist Daniel Ginczek nun Wolfsburger. Er kostete den VfL sogar noch 14 Millionen Euro, obwohl man mit Didavi einen richtig guten Spieler oben drauf legte.

Bruno Labbadia wird aus dem aktuellen Kader das Maximum herausholen müssen. Eigentlich ist dieser zu mehr bestimmt, doch warum sollte sich mit 2-3 Neuzugängen plötzlich alles ändern? Wenn Labbadia zudem nicht gleich erfolgreich ist, wird es eng für den Trainer.

Es ist erneut mindestens fragwürdig, was in Wolfsburg passiert. Man darf gespannt sein, ob der Klub aus seiner jüngeren Vergangenheit endlich mal die richtigen Schlüsse gezogen hat. Aktuell wirkt es eher so, als würde man wieder denken, dass Kader und Bedingungen schon ausreichen würden, um die Ziele zu erreichen. Wird schon! Vielleicht…

Unsere Prognose: Kommen nicht noch 1-2 gute Spieler und kann der Kader nicht ausgedünnt werden, wird es wieder eng. Wolfsburg löst den HSV bald als ewiger Relegationsteilnehmer ab. Platz 16.

Für Labbadia könnte es schnell eng werden, wenn der VfL nicht direkt erfolgreich ist.
(Foto: Cathrin Mueller / Bongarts / Getty Images)

Experten-Interview

Unsere Haus- und Hofpessimistin Antonia Menge war in der Vorbereitung wieder hautnah beim VfL dabei. In vier Antworten erklärt sie uns, was sie von ihrem VfL noch erwartet.

Seit Jahren forderst du einen Umbruch. So richtig viel ist jetzt noch nicht passiert. Wie siehst du den Stand der Dinge und welche Erwartungen hast du noch vor Saisonstart an den VfL?

Das kann man wohl sagen. Bisher hat der VfL eigentlich nur eingekauft – ein Umbruch beinhaltet normalerweise auch ein paar Verkäufe. Stand jetzt geht der VfL mit dem gleichen Kader in die neue Saison inklusive ein paar Neuzugängen. Vor dem Saisonstart wird wohl nicht mehr so viel passieren, ich erwarte aber noch ein paar Abgänge. Ich weiß nicht, welche Spiele der letzten Saison der Führung das Gefühl gegeben haben, dass man alle Spieler halten sollte, lasse mich aber gerne überraschen.

Bruno Labbadia hat es nicht wirklich geschafft, der Mannschaft – zugegeben in kurzer Zeit – eine klare Spielidee und einen strategischen Vorteil zu verpassen. Das Team wirkte in vielen Situationen spielerisch ratlos. Traust du ihm zu, dass er aus dem Kader eine konkurrenzfähige Mannschaft formen kann?

Bisher nicht. Man muss ihm natürlich zusprechen, dass er in einer sehr schwierigen Situation zu uns kam, in der vielleicht einfach nicht die „Zeit“ war, einer Mannschaft eine Spielidee einzuflößen. Ich halte es trotzdem für gefährlich, einen Trainer zu halten, unter dem die gleiche Mannschaft ungefähr 2 gute Leistungen gezeigt hat. Ich sehe noch nicht, was sich durch eine Sommerpause und ein paar Neuzugänge so gravierend ändern soll.

Wie sehen die kurzfristigen und langfristigen Zielsetzungen des Klubs aus und glaubst du, dass die Ziele realistisch und erreichbar sind?

Das Ziel für die nächste Saison ist einfach und klar: Kein Abstiegskampf. Ein einstelliger Tabellenplatz wäre natürlich nett, aber über einen gesicherten 12. Platz würde sich nach den zwei Saisons auch niemand beschweren. Über den VfL langfristig zu spekulieren, ist schwer – vor allem mit einer völlig neuen Führung.

Wo landet der VfL am Ende der Saison und wer wird Meister?

Ich fürchte, dass es wieder eng für uns wird. Höher als Platz 14 sehe ich den VfL aktuell eigentlich nicht. Nach unten ist alles offen. Meister wird, natürlich, der FC Bayern München.

SC Freiburg

Der ewige Streich

Christian Streich ist ein Phänomen. Der Mann ist absoluter Überlebenskünstler in einem Haifischbecken, das sich Bundesliga nennt. Ganz nebenbei erobert er noch die Herzen einer ganzen Liga, indem er jede Pressekonferenz zu einem Highlight macht.

Nicht wie Mourinho oder Klopp, die sich bewusst inszenieren. Eher wie jemand, der mit dem Rad zur Arbeit fährt, und sich dort in regelmäßigen Abständen Teile der Medien vorknöpft, um ihnen zu erklären, was auf der Welt alles wichtiger ist als dieser blöde Fußball. Jener Sport, der in seiner gnadenlosen Überhöhung viel zu oft die falschen Prioritäten setzt.

Das macht er mal ebenso im Vorbeigehen. Wenn ihm gerade etwas aufstößt, oder die richtige Frage gestellt wird, kommen die Worte aus ihm nur so heraus. Hauptberuflich ist er aber nicht Politiker, sondern Spezialist für den Klassenerhalt.

Der SC Freiburg ist ein Klub, der sich jährlich in die Top 25 des Landes plant. Das bedeutet, dass Abstiege einkalkuliert werden (müssen). Auch unter dem ewigen Christian Streich ist ihnen das 2015 schon mal passiert.

Während der Trainer bei anderen Klubs womöglich entlassen worden wäre, hielt man im Breisgau an ihm fest, wurde Meister in der zweiten Liga, und qualifizierte sich plötzlich einfach mal für die Europa League.

Wie macht der das nur? Selbst sein bisweilen destruktiver und unattraktiver Fußball, den er in der letzten Saison spielen ließ, wurde vielerorts in einer tristen Bundesliga als erfrischend und mutig bezeichnet. In der Tat ist Streich ein sehr abwechslungsreicher Trainer, der sich an die Gegebenheiten anpasst.

Mal will Freiburg unbedingt „de Ball habe“, mal akzeptieren sie aber auch ihre Situation, und stellen sich dann hinten rein. Streich schafft es aber Jahr für Jahr, seinen Spielern genau zwei Tugenden zu vermitteln: Leidenschaft und Kopf. Egal wie schrecklich ein Spiel des SC Freiburg mal aussieht oder läuft, sie gehen jeden Schrift mit Leidenschaft. Sie gehen diese Schritte aber nicht ohne Plan.

Ihre hohe Laufintensität ist die eine Seite der Medaille. Die Art und Weise, mit der sie an guten Tagen perfekt die für den Gegner relevanten Räume zuschieben können, ist die andere Seite.

Insofern ist es tatsächlich jedes Mal erfrischend, wenn man im Kampf um die Klasse mindestens diese eine Mannschaft sieht, wie sie in jedem Spiel um den Erfolg kämpft, ohne dabei den Kopf und ihre Ruhe zu verlieren. Christian Streich ist eben ein Phänomen.

Unsere Prognose: Der SC hält wieder die Klasse. Platz 13.

Christian Streich ist ein ganz besonderer Typ. Schafft er auch in dieser Saison wieder den Klassenerhalt mit seinem SC?
(Foto: Matthias Hangst / Bongarts / Getty Images)

Experten-Interview

Ob Mischa von Zerstreuung-Fußball das anders sieht, lässt sich an seinen Antworten auf unsere 4 Fragen leicht erkennen.

Freiburg hat den Klassenerhalt knapp geschafft und wird auch in dieser Saison sehr wahrscheinlich um den Verbleib in der 1. Liga kämpfen. Welche Faktoren sind für dich die wichtigsten, damit das gelingt?

Wie bei so vielen Teams ist der größte Faktor, dass sich die Verletzungen in einem überschaubaren Rahmen halten. Lange Ausfälle von Gulde, Frantz, Höfler, Niederlechner und Ravet zwangen das Trainerteam letzte Saison sehr kreativ aufzustellen. Die erzwungene Doppelsechs Abrashi/ Koch wirkte sich allerdings negativ auf die fußballerische Kreativität im Mittelfeld aus. Zudem fehlte gerade bei engen Spielen die so wichtige Verstärkung von der Bank ab der 60. Minute.

Die frühen und passenden Transfers, die wenigen schwerwiegenden Abgänge und der Wegfall zweier EL-Quali-Spiele mitten in der Vorbereitung lassen einen aber bisher sehr positiv auf den Saisonstart blicken.

Seit 2011 ist Streich schon Trainer beim SCF. Gab es jemals Abnutzungserscheinungen oder glaubst du, dass es bald dazu kommen könnte?

Die allgemeine Annahme scheint zu sein, dass der Sportclub deswegen so erfolgreich ist, weil dort alles so harmonisch abläuft, dem Trainer Freiheiten und Eigenheiten gelassen werden und man prinzipiell einen freundlichen und gemeinschaftlichen Umgang miteinander pflegt.

Ich vertrete die These, dass es umgekehrt ist: In Freiburg wirkt deshalb vieles so harmonisch, weil man unter Streich immer erfolgreich war. Unbestritten hat diese Harmonie über die Jahre eine gewisse Stabilität gewonnen und trägt auch über kleinere Krisen hinweg. Falls der SC aber tatsächlich mal chancenlos absteigen sollte, würden wahrscheinlich ähnliche Mechanismen greifen, wie sie in der Branche üblich sind.

Kleinere Anzeichen dafür sind die gereizten Reaktionen von Streich bei mittelfristig anhaltendem Misserfolg, die aber auch nicht erst seit der letzten Saison zu beobachten sind. Inwiefern dies auch innerhalb der Mannschaft ausgelebt wird und ob es tatsächlich Erscheinung einer Überlastung bzw. Abnutzung ist, wage ich nicht zu beurteilen.

Auf sportlicher Ebene ist zumindest keine Abnutzung erkennbar. Auch wenn viele Elemente aus den ersten Jahren Streichs immer noch fester Bestandteil der Spielphilosophie sind (hohes Pressing, Laufintesität, rotierende Offensive), ist der Freiburger Trainer taktisch deutlich flexibler und undogmatischer geworden. Hier könnte man viel eher von einer Weiterentwicklung statt von einer Abnutzung sprechen.

Wo muss sich Freiburg in seiner Spielanlage am meisten steigern, um erfolgreich zu sein?

Nach zwei Saisons (Platz 7 und 15) mit über 55 Gegentoren könnte man meinen, der Sportclub müsste insbesondere seine Defensive stabilisieren. Allerdings ist die Verteidigung (zumindest bei Heimspielen) deutlich besser, als es scheint. Betrachtet man die letzte Rückrunde, wäre es viel wichtiger daran zu arbeiten, im letzten Drittel systematischer zu Torabschlüssen zu kommen. So könnte man sich auch etwas unabhängiger von Standards und frühen Balleroberungen machen. Dies wird allerdings nicht einfach, wenn man bei Ballverlust genug Spieler hinter dem Ball haben möchte, um sich nicht tatsächlich größere Abwehrprobleme einzuhandeln.

Eigentlich bräuchte es dafür Spieler, die in vergleichbare Rollen von Grifo und Philipp hineinwachsen. Mit offensiver Unterstützung der Außenverteidiger Günter und Stenzel könnten dies vielleicht Ravet, Haberer oder sogar Waldschmidt werden.

Auf welchem Platz landen die Freiburger am Ende der Saison und wer wird Meister?

Platz 18 ist bei entsprechenden Umständen immer möglich. Ich bin aber optimistisch, dass der Sportclub besser abschneidet als letzte Saison. Vielleicht Platz 12.

Sollten die Bayern nach dem Abgang von Guardiola weiterhin an Qualität verlieren, könnte 2020/21 – das zweite Jahr von Nagelsmann in Leipzig – mal wieder jemand anderes dran sein.

Auf der letzten Seite analysieren wir die Ambitionen und Chancen von Mainz und Hannover.

FSV Mainz 05

Sieht Mainz noch Schwarz?

Der FSV erlebte in der vergangenen Saison ein Wechselbad der Gefühle. Lange Zeit sah es für den Neu-Mainzer Sandro Schwarz nicht gut aus. Dabei waren seine taktische Ansätze vielversprechend und spannend.

Ein frühes Pressing, sofortiges Gegenpressing nach Ballverlusten und ein klar strukturiertes Positionsspiel prägten die Vorbereitung und auch den Start in die Saison. Tatsächlich sah das mitunter sogar richtig gut aus, was die Mainzer fabrizierten.

Schwarz scheiterte allerdings mit seinem Ansatz, weil einerseits die Ergebnisse ausblieben und andererseits die defensive Stabilität durch Lücken im Positionsspiel nicht gegeben war. Er zeigte sich aber flexibel, und wechselte seine Strategie.

Vom offensiven und ballhungrigen Spiel wechselten die Mainzer in eine tiefere Grundausrichtung. Back to the Roots quasi. Kaum ein Team zelebrierte in den letzten Jahren so aktiv den Umschaltfußball wie die Mannschaften von Klopp, Tuchel und später auch Martin Schmidt.

Fortan lief es für die Nullfünfer besser. In den letzten 7 Spielen holten sie 11 Punkte, und retteten sich somit noch vor dem letzten Spieltag. Schwarz blieb aber kritisch: „Wir werden uns jetzt zusammensetzen und die Dinge kritisch analysieren.“

Spannend wird dabei, ob Schwarz auf seine Ideen aus der vergangenen Saison zurückgreift, und versucht, die Fehler zu beheben. Vielleicht setzt er aber auch auf den Ansatz der letzten Saisonspiele. Eine Mischung aus beidem wäre sicherlich die Optimallösung. Denn während den Mainzern für die ganz offensive Variante die Balance fehlte, zählt „tief stehen und kontern“ zum Einheitsbrei der Liga.

Es ist vorstellbar, dass die Mainzer den so wichtigen strategischen Vorteil mit beiden Extremen nicht erreichen werden. Wie lange der FSV noch Schwarz sehen wird, hängt sicherlich auch davon ab, wie gut die Strategie diesmal von Beginn an funktioniert.

Unsere Prognose: Die Mainzer werden sich knapp retten, aber eine ähnliche Achterbahnfahrt wie 2017/18 erleben. Platz 15.

Mainz 05 ist immer für eine Überraschung gut – in beide Richtungen.
(Foto: Maja Hitji / Bongarts / Getty Images)

Experten-Interview

Unsere Expertin und Journalistin Mara Pfeiffer blickt positiv in die Zukunft. Das wird in den Antworten auf unsere 4 Fragen schnell deutlich.

Mainz schaffte in der vergangenen Saison relativ knapp den Klassenerhalt. Ist realistisch gesehen auch in dieser Saison nicht mehr drin als der Kampf um die Erstklassigkeit?

Auch, wenn die Meinungen zu diesem Thema in den Fanlagern auseinandergehen: Es ist für Mainz 05 jede Saison ein großer Erfolg, in der 1. Liga zu bleiben. Das war es, seit der Verein zum zweiten Mal aufgestiegen ist (was man auch daran ableiten kann, dass man sich nach dem ersten Aufstieg nicht dauerhaft halten konnte) und daran hat sich nichts geändert, zumal Vereine wie RB Leipzig nachgerückt sind. Deswegen steht der Kampf um den Klassenerhalt sozusagen ganz oben auf der To-Do-Liste. Ob und wie früh der gelingt, das hängt von vielen Faktoren ab. Klar geht es um die eigene Leistung, aber auch darum, was für eine Saison jene Vereine erwischen, bei denen die Ziele ähnlich sind. Spielen wir eine super Serie und andere, ähnlich große Vereine eine schlechte, kann auch mal mehr drin sein. Aber das wäre Bonus.

Wo muss sich der FSV in seiner Spielanlage am meisten verbessern, um sich weiterzuentwickeln?

Wenn man sich die Abschlusstabelle der letzten Saison ansieht, gibt es sechs Mannschaften, die weniger Tore geschossen haben als Mainz. Davon sind zwei abgestiegen, Wolfsburg hat sich in der Relegation gerettet. Dann Bremen und Stuttgart, die haben deutlich weniger Tore kassiert, und Freiburg, die stehen hinter uns. Sprich, der berühmte letzte (Spiel-)Zug vor dem Tor hat häufig gefehlt. Ich glaube, da kam viel zusammen. Es hat für mein Empfinden schon eine Weile gedauert, bis die Mannschaft verinnerlicht hatte, was genau der Trainer mit ihnen vorhat. Dann herrschte in der Offensive teils einfach die Seuche, was keine Entschuldigung ist, aber ein Erklärungsansatz. Irgendwann stehst du so tief unten drin, dass die Leichtigkeit fehlt. Aber ich bin ganz guter Dinge, dass die neue Saison diesbezüglich positiver wird.

Wie zufrieden bist du mit dem (bisherigen) Transfersommer deines Klubs und von welchen Spielern erwartest du am meisten?

Mainz hat eine Dauerkartenkampagne aufgelegt, in der der Verein sich selbst auf die Schippe nimmt, verbunden mit dem Saisonmotto „Unser Traum lebt“. Ein Motiv ist der Sportvorstand Rouven Schröder, dazu der Spruch: „Wieder nur Neuzugänge aus Frankreichs zweiter Liga? Egal, unser Traum lebt.“ Sprich, es gibt durchaus kritische Stimmen an den Schwerpunkten, die Schröder legt. Ich teile die so nicht. Schaut man auf die Explosion, die Diallo (er kam aus der ersten französischen Liga) oder Gbamin in Sachen Leistung und Marktwert hingelegt haben, schlackern einem als 05er die Ohren. Deshalb finde ich es total nachvollziehbar, diesen Weg, also in Frankreich junge Talente auszumachen, weiterzugehen. Mir gefällt, was ich bisher von Verteidiger Moussa Niakhaté gesehen habe. Dass ein Spieler wie Aarón Martín zu Mainz 05 wechselt, ist schon eine kleine Sensation. Auch auf die anderen Kunde Malong, Jean-Philippe Mateta und Phillipp Mwene bin ich neugierig. Mein Gefühl ist, der Mix stimmt.

Aber die spannendsten Neuzugänge und perfekten Beispiele für den Mainzer Weg sind Ahmet Gürleyen, Leandro Barreiro und Jonathan Burkardt. Die Spieler aus dem eigenen NLZ haben beide Trainingslager der Profis absolviert und dürfen sich Hoffnungen machen auf Spielzeit in der ersten Liga. Das ist eine tolle Sache und knüpft genau da an, wo Ridle Baku als Neuzugang aus der U 23 Ende letzter Saison vorgelegt hat.

Auf welchem Platz landet Mainz 05 am Ende der Saison und wer wird Meister?

Für Mainz wünsche ich mir, dass der Verein irgendwo zwischen Rang 11 und 15 landet, gerne näher an der 11 und ohne den gar so spannenden Saisonabschluss. Alles andere ist, siehe oben, immer Bonus und nach den letzten beiden Jahren erst Recht. Müsste ich mich festlegen, würde ich sagen Platz 12. Was die Meisterschaft angeht, puh. Ich traue Lucien Favre mit Dortmund viel zu. Aber ich glaube, auch Julian Nagelsmann ist in seiner letzten Hoffenheimer Saison sehr hungrig. Wer weiß, vielleicht gelingt ihm die Sensation.

Hannover 96

Party oder Hangover 96?

Neben den Augsburgern zählte Hannover in der abgelaufenen Saison zu den wahrscheinlichsten Abstiegskandidaten. Auch ein Jahr später haben sich diese Prognosen nicht verändert, obwohl 96 relativ souverän die Klasse hielt.

Außerdem scheint sich der Klub im Sommer sinnvoll verstärkt zu haben. Walace und Wood kamen vom HSV, Haraguchi aus Berlin und einige weitere junge Spieler – wie beispielsweise Leo Weinkauf vom FC Bayern – fanden ebenfalls den Weg nach Hannover.

Allerdings hat man auch wichtige Stützen verloren. Salif Sané wechselte zu Schalke und auch Harnik suchte sich in Bremen eine neue Herausforderung.

Für Trainer André Breitenreiter wird es kein Selbstläufer sein, diese Erfahrung und Qualität zu ersetzen. Mit einem Durchschnittsalter von 25,8 Jahren zählt sein Team zwar zu den ältesten der Liga, doch gerade der Sané-Wechsel könnte die Stabilität und Balance des Teams stark gefährden.

Breitenreiter wird in der kommenden Saison auf seinen typischen Umschaltfußball setzen. In Hannover zeigte er aber auch, dass er in der Grundformation durchaus anpassungsfähig ist. Unabhängig von der Ausrichtung wird es für seine Ideen jedoch wichtig sein, das zentrale Mittelfeld zu stärken.

Der Raum vor der Viererkette muss stabil bleiben. Sané hatte als Innenverteidiger mit klugen Verteidigungsaktionen großen Anteil daran, dass die Mannschaft dort verhältnismäßig robust und zweikampfstark war. Trotzdem hagelte es 54 Gegentore.

Ohne seinen Schlüsselspieler wird es schwer für den Trainer, einen besseren Wert hinzubekommen. Breitenreiters Saison war geprägt durch einige enge Spiele, die Hannover durch Willen, Leidenschaft und manchmal auch mit Hilfe der Spielgeschichte für sich entscheiden konnte.

2018 und 2019 wird er aber ein besseres strategisches Grundgerüst brauchen, das der Mannschaft in der Defensive Halt und in der Offensive bessere Lösungen gibt. Keine einfache Mission.

Unsere Prognose: Hannover wird sich eher zurück- als weiterentwickeln. Platz 18 bedeutet den direkten Abstieg.

Breitenreiter und Hannover sind wieder Abstiegskandidat. Überraschen sie erneut?
(Foto: Cathrin Mueller / Bongarts / Getty Images)

Experten-Interview

Tobias Krause von 96Freunde hat uns da natürlich widersprochen. Auch ihm haben wir 4 Fragen gestellt.

Hannover galt bei vielen in der vergangenen Saison als fester Abstiegskandidat. Letztendlich hielt man die Klasse deutlich. Bleibt die Zielsetzung Klassenerhalt oder gibt es in Hannover größere Ambitionen?

Hannover 96 hat mit Salif Sané, Martin Harnik und Felix Klaus wichtige Stützen abgeben müssen. Vor allem Martin Harnik war auch außerhalb des Platzes von unschätzbarem Wert. Die sportliche Qualität von Salif Sané ist sicher unbestritten. Diese Fußstapfen müssen andere Spieler erstmal ausfüllen. Ich rechne mit einer schwierigen Saison. Der Start hat es in sich und da muss 96 aufpassen, nicht in eine Abwärtsspirale zu kommen. Positiv ist, dass die Unterstützung von den Rängen zurückkehrt. Die Zielsetzung kann in meinen Augen allerdings nur „Klassenerhalt“ lauten.

Wie zufrieden bist du mit den Transfertätigkeiten deines Klubs und welche Spieler konnten sich bis jetzt hervortun?

Die Zugänge dieses Sommers sind durchaus spannend. Kevin Wimmer ist mit Sicherheit eine starke Verpflichtung. Er hat seine Qualität in der Bundesliga bereits auf dem Platz gezeigt. Die anderen Neuverpflichtungen stehen so ein wenig unter dem Motto: „alles kann, nichts muss“. Walace bringt viel Talent mit und hat das Zeug dazu, der wichtigste Baustein im zentralen Mittelfeld zu werden. Bobby Wood braucht sicher noch etwas Zeit. Ich habe aber die Hoffnung, dass auch er zeigen wird, warum nach einer starken Saison bei Union Berlin auch der BVB an ihm interessiert war. Das Potenzial zur großen Überraschung, wenn nicht sogar zur Sensation hat für mich Hendrik Weydandt. Für die U23 verpflichtet, kickte er letzte Saison noch vor den Toren Hannovers in der Regionalliga. In der Vorbereitung war er hinter Füllkrug der treffsicherste Spieler. Ich freue mich auf viele Tore von ihm und rechne mit einem Durchbruch.

Wie erwartest du Hannover aus strategisch-taktischer Sicht und wo muss sich das Team dort am meisten verbessern?

96-Coach André Breitenreiter hat in der vergangenen Saison bereits gezeigt, dass er von seinem Team eine hohe taktische Flexibilität verlangt. Ob hinten mal mit Dreier- oder Viererkette, in der Rückwärtsbewegung auch mal die Fünferkette, ob mit einem oder zwei Stürmern: auch während des Spiels sollte sich 96 immer wieder variabel zeigen. Mit schnellen Außen und guten Standards kann Niclas Füllkrug mit seinem Kopfballspiel immer wieder in Szene gesetzt werden. Ich erwarte eine Steigerung im spielerischen Bereich. Hier hat Pirmin Schwegler in Walace und dem japanischen WM-Teilnehmer, Genki Haraguchi, noch Unterstützung bekommen. Da war eine Steigerung auch dringend nötig. Wenn die Außenbahnen dicht waren, fiel Hannover zu wenig ein. Da erwarte ich einen kleinen Sprung.

Wo landet 96 am Ende der Saison und wer wird Meister?

Die Elf vom Maschsee wird nach 34 Spieltagen zwischen den Plätzen 10 und 14 einlaufen. Überraschungsmeister wird diese Saison der FC Schalke 04.

Zwischenfazit

Der Kampf um den Klassenerhalt wird auch in dieser Saison wieder sehr spannend. Oft hängen die Endergebnisse von Nuancen ab. Wer hat den fittesten Kader? Wer kann im Schlussspurt die Nerven am besten verbergen? Wer hat einfach das quäntchen Glück? Unter den sechs genannten Mannschaften wird mit Sicherheit der eine oder andere Absteiger dabei sein.

Aber auch der FC Augsburg, Werder Bremen oder andere Teams, mit denen jetzt noch keiner rechnet, sind gefährdet, wenn sie nicht an ihr Limit kommen. Im zweiten Teil der Miasanrot-Saisonvorschau wird es um das vermeintliche Bundesliga-Mittelfeld gehen.