Vorschau: Standortbestimmung gegen Leipzig
Am Mittwochabend treffen die beiden in der Red Bull Arena aufeinander. Dann geht es um den Einzug in die dritte Pokalrunde. Fast noch wichtiger ist aber das erneute Duell am Samstagabend in München, wenn die Bayern den Konkurrenten in der Tabelle auf vier Punkte distanzieren können.
Reagieren und agieren: RB Leipzig ist gefährlich
Bereits in der vergangenen Saison hatten wir Leipzigs Konzept in einer Vorschau analysiert. Wenn sich etwas getan hat, dann ist es die Konstanz und das Selbstverständnis, mit dem die Mannschaft dieses System umsetzt. Die Grundausrichtung ist ein 4-2-2-2, das sich sehr flexibel gestaltet.
Die Leipziger versuchen die gegnerische Mannschaft mit einem sehr intensiven, variablen und aggressiven Pressing massiv im Spielaufbau zu beeinflussen. In der Staffelung variiert das 4-2-2-2 dann gerne mal in ein sehr druckvolles 4-2-4-Angriffspressing. Gerade in ruhigeren Phasen gibt es aber auch das klassische 4-4-2 zu beobachten oder ein 4-1-3-2 mit kompakter Mittelfeldraute. Das heißt für die Münchner also, dass sie mit vielen Rhythmuswechseln rechnen müssen, die sie zuletzt so nicht hatten.
Gerade gegen den FC Bayern wird die Arbeit gegen den Ball und das darauffolgende Umschalten für Leipzig eine zentrale Rolle spielen. Das Team versteht es herausragend gut, das Zentrum des Spielfelds zu kontrollieren und den Gegner trotzdem hin und wieder dazu zu bringen, genau in diese Zone zu spielen. Durch drei Spielerpaare entsteht nämlich ein Sechseck, das diesen Raum nur vermeintlich öffnet.
In vorletzter Linie die Doppelsechs, die alles auffangen soll, was die Halbraumspieler und Angreifer an Lücken bieten. Die letzte Linie bildet dann natürlich die Abwehrkette. Mit ihrem Konzept versuchen die Leipziger, dem Gegner drei Zonen bewusst anzubieten. Zunächst den Weg in die Mitte, die dann von allen sechs Mittelfeld- und Angriffsspielern attackiert und eng gemacht werden kann. Dann gibt es aber auch die Option, den Aufbau des Gegenübers auf die Flügel zu lenken. Hier spielen dann die herausschiebenden Außenverteidiger eine wichtige Rolle.
Hasenhüttls Mannschaft verbindet eine hohe Laufbereitschaft mit strukturiertem Pressing und durchdachten Abläufen. Doch der Unterschied zum Rest der Liga ist, dass RaBa nicht nur reagieren, sondern auch agieren kann. Während viele Bundesligateams nur gegen den Ball arbeiten und in Ballbesitz keine guten Ideen entwickeln, ist Leipzig geprägt durch kreatives Offensivspiel.
Das liegt auch an der herausragenden individuellen Klasse. Mit Ball haben sie mit Forsberg, Werner und Keita nicht nur unfassbar viel Dynamik, sondern auch Spielintelligenz. Sie sind nicht darauf angewiesen, dass sie Kontern dürfen, sondern bringen das Rüstzeug mit, um aus längeren Ballbesitzphasen Chancen zu kreieren. Ihr vertikal ausgerichteter Stil beruht auf starken Kombinationen, aber auch der Möglichkeit jederzeit ins Dribbling zu gehen.
Leipzig kommt pro Spiel im Schnitt auf 16,2 Abschlüsse – Platz 3 in der Bundesliga und ein richtig guter Wert. Zehn ihrer 16 Treffer erzielten sie dabei aus Ballbesitzphasen, während nur einer nach einem Konter fiel. Allein das stellt unter Beweis, dass diese Mannschaft mehr ist als ein One Hit Wonder, das sich durch intensives, kaum langfristig umzusetzendes Pressing für eine Saison vorne festgesetzt hat.
RBL steht für sportliche Entwicklung und auch die beiden bisherigen Niederlagen gegen den FC Bayern zählten zum Lernprozess dazu. Während die Münchner seitdem vor allem taktisch an Qualität verloren haben, hat die Elf von Ralph Hasenhüttl einige Schritte in Richtung Stabilität gemacht. Die Mannschaft verfolgt ein klar erkennbares Konzept, das zwangsweise Erfolg mit sich bringt.
Eine große Rolle spielt hierbei auch, dass der Kader enorm breit aufgestellt ist. Die Leipziger können es sich erlauben, zu rotieren und dennoch erfolgreich zu bleiben. Das bedeutet für diese Woche, dass der kommende Gegner des FC Bayern frisch ist. Wenn es in Deutschland derzeit einen Gegner gibt, der die Schwächen des Rekordmeisters komplett offenbaren kann, dann ist dies nicht der BVB, der gerade gegen extrem starke Mannschaften massive Schwächen offenbarte, sondern RB Leipzig.
Die Knackpunkte in beiden Duellen
Das neue Trainerteam hatte nicht viel Zeit, sich auf diese Herausforderung vorzubereiten. Deshalb wird es auch gegen Leipzig wieder zu vielen taktischen Schwächen kommen, die die Bayern möglichst kaschieren müssen.
1. Nicht auf den Flügeln ins offene Messer laufen
Wenn die Münchner nicht vom berechenbaren Flügelspiel wegkommen und die Halbräume besser besetzen, droht speziell in Leipzig eine extrem ideenlose Offensivleistung, die – wie schon in Paris – in endlos vielen Flanken mündet.
James Rodríguez hatte in München einen schweren Start, hätte jetzt jedoch seine große Chance bekommen können. Er kam aus Madrid, wo er zuletzt keine Rolle spielte. Nach ordentlicher Vorbereitung war der Kolumbianer dann verletzt. Ancelotti, der für den Transfer verantwortlich war, ist nun auch weg.
Heynckes setzte zudem klar auf Thomas Müller, der mit seiner Verletzung nun aber unfreiwillig eine Chance für James bot. Doch auch der Neuzugang scheidet zumindest in Leipzig mit Rückenproblemen aus. Zwar hatte der Torschützenkönig der WM 2014 keine gute Form, doch der Rhythmus käme ihm gelegen.
Thiago trotz dieser Option auf die Zehn zu stellen, wäre eine fatale Entscheidung von Heynckes gewesen – für den Spielaufbau und für das Selbstvertrauen des Kolumbianers. Nun wird er es mindestens am Mittwoch tun.
Wie gut das funktionieren wird, ist fraglich. Müller wurde zuletzt wieder stärker und war gerade wegen seiner Laufwege wichtig. Thiago lässt sich auf der Zehn immer etwas zu tief fallen. Damit stärkt der Spanier zwar den Spielaufbau, doch Lewandowski fehlt dann die Anbindung. Hier wird die Balance entscheidend sein, jedoch auch die Konstellation auf der Sechs.
2. Bayern sucht die Doppelsechs: Mittelfeldkontrolle erlangen
Freiburg, Glasgow und Hamburg waren für Jupp Heynckes nämlich eine Art Casting: Bayern sucht die Doppelsechs. Auch Berlin kann man noch dazu zählen, wenngleich er dort noch nicht auf der Trainerbank saß.
Javi Martínez, Corentin Tolisso, Arturo Vidal, Thiago und Sebastian Rudy lauten die realistischen Kandidaten für das zentrale Mittelfeld hinter den Offensivakteuren.
Heynckes hat eine Vorliebe für Spielertypen wie Martínez oder Vidal. Die sind zweikampf- und laufstark, können mit starken Einzelaktionen Konter des Gegners vereiteln und haben immerhin eine gewisse Grundsicherheit am Ball. Auch Tolisso zählt in diese Kategorie.
Allerdings können sie selbst kein Spiel gestalten. Sie sind nicht in der Lage, das erste mit dem letzten Drittel zu verbinden. Deshalb gab es in Berlin (Martínez/Tolisso) und Hamburg (Vidal/Tolisso) ein deutlich schwächeres Aufbauspiel als zu Hause gegen Freiburg (Martínez/Thiago) und Celtic (Thiago/Rudy). Obwohl das Niveau der Gegner vergleichbar war.
Für die Spielweise, die der FC Bayern seit einigen Jahren praktiziert, braucht es eher Spieler wie Thiago auf der Sechs und Acht – unfassbar kreativ, technisch stark, handlungsschnell, strukturgebend, aber auch gegen den Ball immer wach, aggressiv und zweikampfstark. Der Spanier ist einfach komplett.
Aber solche Spieler gibt es nicht wie Sand am Meer. Im Kader der Münchner ist Rudy am ehesten dieser Typus. Gegen Glasgow spiegelten sich die Vorteile dieser Kombination auch zumindest in Ansätzen wieder, obwohl das Gesamtresultat noch nicht dem entsprach, was beide eigentlich können.
Vidal, Martínez und Tolisso sind beim FC Bayern – der eine mehr, der andere weniger – ein Kompromiss. Sie geben der Mannschaft gegen den Ball Stabilität und haben jeweils ihre Vorzüge, die das eigentliche System um fremde Elemente ergänzen.
Bei Vidal sind dies Torgefährlichkeit und Gegenpressing und bei Martínez Lufthoheit und Stellungsspiel. Tolisso kann seinen Partner gut absichern und durchaus Zug zum Tor entwickeln, obwohl er noch Zeit zur Entwicklung benötigt. Gibt man ihnen allen einen kreativen Partner, kann das durchaus funktionieren.
Das geht bisweilen auf Kosten der Qualität im Spielaufbau, aber Bayern hat in der Innenverteidigung Spieler, die das zusätzlich auffangen können.
Sie alle sind also ein Kompromiss in der Balance zwischen spielerischer und defensiver Qualität. Stehen zwei von ihnen auf dem Platz und weder Rudy noch Thiago, so sieht es im Aufbau düster aus.
Vielleicht wäre es daher für Heynckes sinnvoll, Rotationspaare zu bilden. Rudy könnte Thiago Einsatzzeiten abnehmen und die drei Anderen rotieren ebenfalls untereinander. Wichtig ist auch, dass das Trainerteam je nach Gegner entscheidet, was gebraucht wird.
Gegen Leipzig ist Mittelfeldkontrolle ein zentraler Aspekt. Mit der aktuellen Personalsituation bietet sich jetzt gewissermaßen eine Chance. Thiago und Rudy könnten zusammen den Aufbau regeln und die Verbindungen zur Offensive knüpfen. Vidal hingegen wäre ein spannender Zehner.
Gerade gegen RB Leipzig wird sich Bayerns Schaltzentrale unter großem Druck wiederfinden. Mit Rudy und Thiago gäbe es genügend spielerische Qualität entgegenzusetzen, während Vidal vorne den Strafraum überladen und bei Ballverlusten direkt reagieren könnte.
3. Das eigene Pressing auf den Platz bekommen
Arturo Vidal ist nämlich gerade im Pressing ein wichtiger Faktor. Der Chilene war gewiss nicht fehlerfrei in den letzten Wochen und rennt seiner Form etwas hinterher. In Hamburg vereitelte er jedoch einige Konter mit seiner Urgewalt im Gegenpressing. Das ist auch deshalb wichtig, weil Bayerns Ballbesitzspiel abgebaut hat.
Das variable Heynckes-Pressing hält mit dem der Leipziger durchaus mit. Gerade weil die Mannschaft noch nicht gut genug im Positionsspiel ist und einige Ballverluste somit vorprogrammiert sind, wird es gegen RaBa eine übergeordnete Rolle spielen. Wichtig wäre in dieser Konstellation, dass Vidal höher positioniert ist.
Im Aufbau macht er Fehler, wirkt unsicher und ist ein Risiko für seine Mannschaft. Vorne kann er Lewandowski und seinen Schattenspieler sinnvoll unterstützen und das Pressing intensivieren. Die Mannschaft musste zuletzt hin und wieder undisziplinierte Ausflüge des Chilenen taktisch auffangen, doch gerade in großen Spielen war er oft der Schlüssel zu hohen Ballgewinnen. Wieso also nicht für eine Überraschung sorgen und mit Vidal auf der Zehn einen großen Druck entfachen? So richtig wahrscheinlich erscheint dies jedoch nicht. Schade.
Kann Bayern kontrollieren?
Alles in allem sind die Duelle mit RB Leipzig mehr als zwei wichtige Spiele in einer brisanten Saisonphase. Sie sind eine Standortbestimmung. Der FC Bayern wusste nach dem Spiel in Paris, dass er unter Ancelotti mit Europas Spitze nicht mithalten kann. Nach der Leipzig-Woche wird der Meister wissen, ob er Rhythmuswechseln, hohem Druck und riesiger Intensität wieder gewachsen ist.
Kann die Heynckes-Elf ihr Positionsspiel insofern verbessern, dass sie Leipzig kontrollieren und das Spiel somit beruhigen kann? Oder bekommt RBL den Zugriff, der in Dortmund für einen offenen Schlagabtausch sorgte? Von den Heynckes-Bayern nach so kurzer Zeit komplette Kontrolle zu verlangen, wäre utopisch. Umso spannender wird es, wie viele offene Spielphasen Leipzig erhält und ob der Rekordmeister dann etwas entgegensetzen kann. Vor einigen Wochen wäre die Grundstimmung des FC Bayern gewiss schlechter gewesen.
Wissenswertes zum Spiel:
- RB Leipzig hat den dritthöchsten Ballbesitzwert der Liga (59%) und die drittmeisten angekommenen Pässe pro Spiel (426).
- Die Leipziger sind stark im Dribbling. Keiner hat mehr erfolgreiche Dribblings als sie pro Spiel (11,4).
- Schon drei Elfmeter gab es gegen RaBa. Genauso viele wie Hertha und Köln gegen sich hatten und damit Höchstwert.
- Das Pokalspiel läuft am Mittwochabend um 20:45 Uhr auf der ARD, aber auch auf Sky. Das Ligaspiel am Samstag überträgt nur Sky (Anstoß 18:30 Uhr).
Expertentipp
Im Expertentipp tippt ein externer Experte den Spielausgang. Für den richtigen Tipp gibt es drei Punkte und für die richtige Tendenz (Sieg, Unentschieden, Niederlage) einen Punkt. Verglichen wird dies dann mit einem zweiten Expertentipp, der vom Autorenteam von Miasanrot.de kommt. Am Ende der Saison wird sich zeigen, ob die eingeladenen Experten mehr Punkte erreicht haben, als die Redaktion.
Einen 2:0-Bayernsieg tippten die Experten für die Partie in Hamburg. So viel fehlte dazu nicht, letztendlich gibt es aber für beide nur einen Punkt. Den Gesamtstand von 16:11 will nun Matthias vom rotebrauseblog ausbessern.
Matthias: RB Leipzig gegen Bayern München. Wenig Historie, viel sportlicher Reiz. So viel Spektakel wie zum Ende der letzten Bundesliga-Saison beim 4:5 wird es wohl nicht mehr geben. Dafür steht die etwas stärkere Fokussierung auf gute Organisation bei Jupp Heynckes. Auf so einem falschen Fuß wie beim 0:3 Ende 2016 wird sich RB sicher auch nicht erwischen lassen.
Das Pokalspiel dürfte ein offener Fight werden mit völlig offenem Ausgang, vielleicht ja auch mit einer Verlängerung. Auswärts in der Bundesliga bei den Bayern wird für RB wohl noch eine Nummer zu groß sein. Wobei es Leipzig da in die Karten spielen könnte, falls das Pokalspiel überdurchschnittlich kraftraubend war, weil man das etwas besser wegstecken könnte. Der Ausfall von Thomas Müller wird keine große Rolle spielen. Dass Neuer nicht dabei ist, ist zumindest kein Nachteil. Was die Herren Sabitzer, Forsberg, Keita, Augustin oder Werner zusammen anstellen können, wird sehr interessant.
Tipp Pokal: 2:1 RB (nach Verlängerung)
Tipp Bundesliga: 3:1 Bayern
Justin: Beide Mannschaften werden in beiden Spielen sehr motiviert sein. Leipzig das taktisch, Bayern das individuell bessere Team. Die Einstellung der Spieler stimmt wieder, aber ich habe leichte Zweifel, ob das im Auswärtsspiel reicht. Am Ende hoffe ich auf etwas Glück und eine möglichst pressingresistente Aufstellung des Trainers. Ich glaube daran, dass man zwei Spiele von den Bayern sehen wird, die einen klaren Schritt nach vorne aufzeigen. Das Pokalspiel gewinnen die Bayern knapp mit 2:1 und zu Hause gewinnen sie mit 2:0.