Vorschau: FC Bayern München – TSG Hoffenheim

Justin Trenner 29.01.2021

Die Vorzeichen vor der Rückrundenpartie zwischen dem FC Bayern München und der TSG Hoffenheim sind gänzlich andere als noch vor einigen Monaten. Damals reiste der Rekordmeister quasi direkt von den kleinen Feierlichkeiten beim UEFA-Supercup-Triumph in Budapest nach Sinsheim, um sich dann widerwillig eingestehen zu müssen, dass die Kräfte (vor allem mental) nicht mehr reichen.

Mit 4:1 geriet der Triplesieger unter die Räder und erstmals deutete sich an, dass diese Saison eine sehr schwere werden könnte. Doch die Bayern ließen sich davon nicht sonderlich beeindrucken. In der Bundesliga sind sie bereits sieben Punkte vor der Konkurrenz aus Leipzig – und dreizehn vor Borussia Dortmund. Alles deutet auf den neunten Meistertitel in Serie hin.

Auf dem Weg dahin will Sebastian Hoeneß mit seiner Mannschaft aber nochmal ein Stolperstein sein. Diesmal zwar gegen fittere Bayern und auswärts, aber mit einer taktischen Blaupause im Gepäck.

TSG Hoffenheim: Im Niemandsland gefangen?

Tabellarisch stehen die Hoffenheimer aktuell im Niemandsland. Sieben Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz, acht Rückstand auf den sechsten Platz, der sie für Europa qualifizieren würde. Biederer Durchschnitt also. Die Hoffnung, Hoeneß könne nach seiner unglaublichen Rückrunde mit den Bayern Amateuren sofort durchstarten, bestätigte sich nicht.

Bei der TSG bleiben sie aber dennoch gelassen. „Wir sind hochgradig zufrieden, wie die Leute hier – der Trainer, die Spieler – die außergewöhnliche Situation annehmen und damit umgehen“, sagte Sportchef Alexander Rosen zu Beginn des Jahres beim Pay-TV-Sender Sky und fügte an, dass man diese Spielzeit nicht mit gewöhnlichem Maßstab bewerten könne.

Hoeneß selbst wies in einem Kicker-Interview darauf hin, dass die Situation „extrem herausfordernd“ sei und er „wertvolle Erfahrungen“ in einer Intensität sammle, die er so nicht erwartet habe. Zumal ihm phasenweise bis zu 13 Spieler fehlten und ein Teil des Kaders vom Coronavirus betroffen war. Dennoch blickt er optimistisch in die Zukunft. In den letzten Wochen beobachtete er, dass seine Spielidee nun besser implementiert sei und die Arbeit des vergangenen Sommers erste Früchte tragen würde.

Fokus gegen den Ball

Doch was ist das für eine Spielidee? Und wofür steht Sebastian Hoeneß? Wer ihn bei seinen verschiedenen Stationen beim FC Bayern und nun in Hoffenheim verfolgt hat, der dürfte bei der Beantwortung dieser Fragen schnell ins Stocken geraten. Womöglich ist das auch schon der größte Streitpunkt, wenn es um den Trainer geht: Ein roter Faden ist nur schwer zu erkennen.

Gewisse Eckpfeiler lassen sich zwar ausmachen, darüber hinaus wird es aber oft experimentell. Ein Beispiel: Hoeneß möchte, dass sein Team druckvoll agiert und den Spielaufbau des Gegners unter Druck setzt. Das wäre der Eckpfeiler. In dieser Saison aber war von einer tieferen Grundordnung bis hin zu gnadenlosem Angriffspressing alles zu sehen – nichts aber in wirklich überzeugender Konstanz. Es scheint, als sei der Trainer selbst auf der Suche nach dem, was optimal zum Kader passt.

In Phasen des höheren Pressings neigen die Hoffenheimer dazu, den Gegner auf die Außenbahn zu drängen, um dort mit einer extremen Raumverknappung Ballgewinne zu provozieren. Durch das starke Verschieben entstehen dann zwar ballferne Räume, allerdings ist es bei rechtzeitiger und gut gestaffelter Ausführung schwer für den Gegner, sich daraus zu befreien. In durchschnittlichen Pressingphasen gleicht die Arbeit gegen den Ball aber dem, was viele Bundesligisten spielen: Mittelfeldpressing und kompaktes Zentrum.

Probleme in längeren Ballbesitzphasen

Der Schlüssel zu einem weiteren Erfolg gegen die Bayern wird darin liegen, beides gut miteinander zu verknüpfen und auszubalancieren. In den letzten Wochen ließ Hoeneß etwas zurückhaltender agieren und versuchte damit, die Defensive zu stabilisieren. Wie im Hinspiel wird es für die TSG aber darauf ankommen, einerseits rauszuschieben und mutig Druck auf den Spielaufbau der Bayern auszuüben, andererseits aber auch schnell hinter den Ball zu kommen, sollten sich die Münchner daraus lösen können.

Dass die Mannschaft von Hoeneß im Umschalten nach Ballgewinnen stark ist, ist hinlänglich bekannt. Hier profitieren wohl viele Spieler immer noch von der Nagelsmann-Zeit. Sie sind schnell in der Entscheidungsfindung, technisch meist sauber und auch unter (Gegenpressing-)Druck oft zuverlässig. Die Klasse von Andrej Kramarić und das Tempo von Ihlas Bebou dürften die größten Stärken gegen die Bayern sein.

Hoffenheims Probleme liegen – auch das ist fast schon typisch für viele Bundesligisten – in längeren Ballbesitzphasen. Das nagelsmann’sche Steil-Klatsch-Spiel in die Offensive ist nur noch selten zu sehen. Hoffenheim fehlt es oftmals nicht nur an einer vernünftigen Tiefenstaffelung, sondern auch an der Risikobereitschaft, eine tiefstehende Defensive mit Pässen und Läufen zu penetrieren. Dadurch fällt es ihnen schwer, sich Räume zu erarbeiten.

Wenig Rotation bei den Bayern

Neben Kramarić fehlt hier ein weiterer Stürmer oder offensiver Mittelfeldspieler, der Bälle festmachen, verteilen und in engen Räumen behaupten kann. Es ist vor allem deshalb bemerkenswert, dass Hoffenheim sich so schwer damit tut, ein Spiel selbst aufzuziehen, weil sie im zentralen Mittelfeld dafür prädestinierte Spieler haben. Diadié Sammassékou, Sebastian Rudy und Florian Grillitsch sind hier beispielhaft zu nennen, weil sie die technischen und strategischen Voraussetzungen mitbringen.

Gerade Grillitschs Ausfall fiel deshalb zuletzt schwer ins Gewicht. Gegen die Bayern wird es diese Qualität vor allem bei Ballgewinnen brauchen. Umso wichtiger ist es wiederum für die Mannschaft von Hansi Flick, das Umschaltspiel der Gäste im Ansatz zu verhindern.

„Druck auf den Ball“ ist hier abermals die Stichphrase. Flick setzte zuletzt auf eine relativ klare Startelf. Hinten durfte sich das Triple-Duo Boateng/Alaba einspielen, davor agierte ebenfalls die bekannte Achse bestehend aus Kimmich, Goretzka, Müller und Lewandowski. Nur auf den Flügelpositionen erlaubte sich der Trainer ein bisschen Rotation.

Drei Dinge, auf die es für Bayern ankommt

Sowohl die Ergebnisse als auch die Leistungen geben Flick bis hier hin erstmal recht. Das Leistungsgefälle ist insbesondere auf den zentralen Positionen riesig. Während wechselnde Innenverteidiger-Duos zu Problemen in der Abstimmung führten, fehlt Flick hinter den anderen vier Spielern jeweils eine gleichwertige Alternative. Weil Goretzka (Infektion mit dem Coronavirus) das Abschlusstraining verpasste und auch Martínez (ebenfalls Infektion mit dem Coronavirus) sowie Tolisso ausfallen, könnte das am Wochenende wieder relevant werden.

Flick muss die Rotation demnach möglichst gut timen, was schwer genug ist. Immerhin hat ihm die direkte Konkurrenz in der Bundesliga den Gefallen getan, Ausrutscher zu erlauben, aber gerade mit Blick auf die Champions League könnte es noch ein Problem werden, dass es in der Achse kaum Rotationsmöglichkeiten gibt.

Gegen Hoffenheim wird es auf drei Aspekte besonders ankommen: Erstens die Geduld, Ruhe und Ordnung, um auch höhere Pressingphasen des Gegners auszuhalten. Dabei ist die Einbindung des eigenen Mittelfelds entscheidend und somit die Entlastung von Kimmich, der zuletzt vieles alleine machen musste, wenn es um den Ballvortrag ging. Goretzka und Müller stehen hier noch stärker in der Verantwortung als sonst.

Kompakter in Ballbesitz?

Zweitens geht es darum, Hoffenheim überhaupt erst in diese hohen Pressingsituationen zu locken. Wie beschrieben neigt die TSG zu einer starken Raumverknappung. Mit Boateng, Alaba, Kimmich und Pavard hätten die Bayern Spieler in ihren Reihen, die über starkes Passspiel verfügen und die eine oder andere gefährliche Verlagerung spielen können.

Und drittens wird die Konterabsicherung entscheidend sein. In den letzten Wochen konnten sich die Bayern augenscheinlich stabilisieren, indem drei Verteidiger konsequenter absicherten. Hoffenheim hat aber eine andere Offensivqualität als die letzten Gegner und so wird es womöglich eine kleine Standortbestimmung für den Fortschritt dahingehend.

In unserer längeren Analyse vor einigen Wochen beschrieben wir die Vor- und Nachteile der dynamischen Raumbesetzung. Flick könnte auf ein weniger dynamisches und dafür statischeres Spiel setzen, um Kimmich einerseits zu entlasten und andererseits das Risiko mit Ball ein bisschen abzusichern. Denn wenn die Spieler enger beieinander stehen, können sie auch schneller und effizienter ins Gegenpressing gehen.

Entscheidungsfindung und andere Intensität

Den drei benannten Punkten übergeordnet ist natürlich stets der Faktor „Präzision“, der wiederum so viele Einzelaspekte umfasst. Stützpunkttrainerin Louisa Ramsaier beschrieb es bei uns im Podcast so, dass die Bayern im Spiel zu oft die Top-3- oder Top-4-Entscheidung statt der Top-1- oder Top-2-Entscheidung treffen.

Ein konkretes Beispiel sind die drei Gegentore gegen Gladbach, als die Fehlpässe jeweils irgendwie nachvollziehbar, aber nicht die beste Wahl waren. Dieses Problem zu ergründen ist deshalb so schwer, weil es im psychologischen Bereich und somit außerhalb dessen liegt, was von außen zu bewerten ist.

Flick hat als Trainer aber andere Einblicke und wird dementsprechend daran arbeiten (müssen), den Spielern die Entscheidungsfindung wieder zu vereinfachen. Gelingt ihm das, wird das Spiel auch wieder präziser. Taktisch hat Flick zuletzt schon gegengesteuert, indem er einerseits die Intensität einen Tick heruntergefahren hat. Schon im vergangenen Jahr gab es viele Spiele, in denen die Bayern sich phasenweise in ein tieferes Pressing begaben. Andererseits gibt es weniger Angriffe im erhöhten Risikobereich.

Flicks komplizierter Balanceakt

Gerade das im Sommer so erfolgreiche und gefährliche Steil-Klatsch-Spiel von der Außenbahn diagonal in den Zwischenlinienraum ist nicht mehr so oft zu sehen. Die Bayern sind schon etwas mehr darauf bedacht, die Konterabsicherung im Blick zu behalten.

Daraus ergeben sich aber ebenfalls Probleme: in der Tiefenverteidigung sind die Bayern gruppentaktisch zu passiv. Statt den Gegner aktiv unter Druck zu setzen und den Ball zu gewinnen, sind sie oft nur Begleiter des Gegenspielers. Fast schon im Gegensatz dazu stehend ist ein weiteres Problem, dass Einzelspieler dann zu aggressiv sind und Räume öffnen, die der Gegner dann bespielen kann. Eine einheitlichere Linie und ein mindestens stellenweise aktiveres Verteidigen wären deshalb angebracht.

In Ballbesitz führt die nun vorsichtigere Spielweise dazu, dass es vorn etwas an Durchschlagskraft und Überraschungsmomenten fehlt. Flick geht hier aber wohl bewusst die Einschränkung, um die Defensive zu stabilisieren. Er wird – zumal in dieser Situation – nicht alle Probleme beheben können und so geht es darum, jene in Kauf zu nehmen, die den Erfolg des Teams am wenigsten negativ beeinflussen. Ein komplizierter Balanceakt.

War das 4:1 nur die Ausnahme?

Mit Blick auf die Klub-Weltmeisterschaft wäre es wichtig für den FC Bayern, den Vorsprung in der Bundesliga mindestens zu halten. Der Trend der letzten Wochen deutet darauf hin, dass ihnen das gelingt. Zumal die Münchner seit der 1:2-Niederlage gegen Leverkusen 2019 kein Heimspiel mehr verloren haben.

Aber Hoffenheim weiß nicht nur, wie man lange Serien der Münchner beendet, sondern bringt auch die Qualität an den richtigen Stellen für ein solches Vorhaben mit.

Vielerorts wurde das 4:1 im Hinspiel ausschließlich auf die Müdigkeit der Bayern geschoben – vor allem retrospektiv wegen der schwächeren Saison der TSG. Es liegt nun an den Bayern, die offene Rechnung zu begleichen und die These zu unterstreichen.